Ausweitung der Lohnkampfzone

(VpodMagazin / Die Gewerkschaft)

Wie lässt sich verhindern, dass Krankheit und Behinderung in die Prekarität führen Wie soll gesundheitsbedingte Teilzeitarbeit honoriert werden? Und was bedeutet das Recht auf fairen Lohn für Menschen mit Beeinträchtigung? Zwei Agile-Vertreterinnen plädieren für eine Erweiterung der Begriffe und für einen «Behindertenausgleich». 1 Text: Simone Leuenberger und Ursula Schaffner, Agile.ch (Foto: demaerre /iStock)

Der VPOD setzt sich ein für faire Löhne. Das ist bitternötig! Aber was sind faire Löhne? In der Bundesverfassung ist das Recht auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit seit 1981 verankert; seit 1996 steht es im Gleichstellungsgesetz. Da die Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern aber nach wie vor nicht erreicht ist, ruft der VPOD zur Grossdemo nach Bern. Wir fragen nach: Sind wir Menschen mit Behinderungen bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit mitgemeint? Und sind gleiche Löhne auch faire Löhne für uns?

Einfach dumm gelaufen?

Personen, die aufgrund einer Behinderung oder Krankheit dauerhaft keinen Erwerb mehr erzielen können, haben Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung. Diese ersetzt aber meist nur einen Bruchteil des Erwerbsausfalls. Wer Glück hat, erhält neben der Rente aus der ersten noch eine aus der zweiten Säule. Doch auch damit lässt sich die behinderungsbedingte Einkommenslücke kaum schliessen. Besonders dumm läuft es für jene, die trotz Beeinträchtigung noch 60 Prozent und mehr arbeiten können. Sie haben nämlich keinen Anspruch auf eine Rente. Fatal ist das im Niedriglohnbereich, denn wer wenig verdient und keine IV-Rente bekommt, hat auch keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Ein Leben auf Sozialhilfeniveau ist damit programmiert. Was nützt da der gleiche Lohn für gleiche Arbeit?

Im Alter spitzt sich die Problematik zu. Wer wenig verdient hat, bekommt nach 64 bzw. 65 oft keine Pensionskassenrente. Von einem Sparbatzen unterm Rollstuhlkissen kann ohnehin nicht die Rede sein. Das Leben am Existenzminimum geht also im Pensionsalter weiter. Auch hier hilft die Forderung nach Lohngleichheit im bisherigen Sinn nicht weiter.

Seit einigen Jahren sind stärkere Bestrebungen zur Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt im Gang. Auch das ist bitternötig! Eine Behinderung lässt sich aber mit dem besten Arbeitsplatz nicht «wegintegrieren». Stellen wir uns etwa eine Person mit einer starken Sehbehinderung vor. Bei ihr dauern manche Arbeiten etwas länger. Oder Personen mit multipler Sklerose oder mit einer Muskelkrankheit: Sie benötigen mehr Zeit für alltägliche Lebensverrichtungen und zur Erholung. Kein Patron wird sie für die in seinen Augen nicht produktive Zeit entschädigen. Wegen ihres behinderungsbedingten Teilzeitpensums erzielen die Betroffenen allerdings ein tieferes Einkommen als Kolleginnen ohne Beeinträchtigung. Inhalt und Umfang der Forderung nach Lohngleichheit müssen deshalb erweitert werden.

Teilzeitarbeit der unfreiwilligen Art

Wer sein Arbeitspensum aufgrund der familiären Situation reduziert, tut das in vielen Fällen mehr oder weniger freiwillig. Höchstwahrscheinlich wird sich die Situation nach einigen Jahren wieder ändern. Wir Menschen mit Behinderungen reduzieren unseren Beschäftigungsgrad und somit unseren Lohn nicht freiwillig. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich unser Gesundheitszustand mit den Jahren verschlechtert, ist weit grösser, als dass er sich verbessert und wir unser Arbeitspensum erhöhen können.

Lohngleichheit und faire Löhne in unserem Sinn meint Einkommensgleichheit. Das heisst: Menschen mit und Menschen ohne Behinderung erhalten mit der gleichen Ausbildung in der gleichen Position am Ende des Monats den gleichen Betrag auf ihr Konto bezahlt. Wie wäre es mit einem «Behindertenausgleich» für jene, die im ersten Arbeitsmarkt tätig sind, analog zur Kinder- und Ausbildungszulage? Behinderungen sind für die Betroffenen oft ein Kostenfaktor; wie Kinder haben auch, mit ungedeckten Mehrauslagen und Mindereinnahmen. Ein Behindertenausgleich könnte die finanziellen Ungleichheiten etwas abschwächen. Und wir könnten unser Integrationspotenzial voll ausschöpfen. Je nach Höhe der Ausgleichszahlung könnten wir vielleicht sogar etwas fürs Alter auf die Seite legen. Die Idee darf gerne weitergesponnen werden, auf dass auch wir Menschen mit Behinderungen bald faire Löhne verdienen!


Eine Behinderung führt zu Mehrausgaben und Minderverdienst. Agile.ch plädiert für einen Ausgleich