Valérie Favre Accola und der unlimitierte Zugang

(vilan24.ch)

Von Christian Imhof


Auf dem Davosersee können Menschen im Rollstuhl Pedalo fahren. Bild: zVg

 

Valérie Favre Accola ist eine wirklich viel beschäftigte Frau. Bei der Region Prättigau-Davos ist sie zuständig für die Regionalentwicklung, vertritt den Wahlkreis Davos seit 2018 im Grossen Rat und setzt sich als Geschäftsführerin der Paul-Accola Stiftung und als Präsidentin des UHC Iron Marmots Davos Klosters für den Bündner Sportnachwuchs ein, wie für den Kinderschutz (Präsidentin IG Kinder schützen). Zudem ist sie Stiftungsrätin des Wirtschaftsforums Graubündens und der Casal-Bernhard Stiftung und dreifache Mutter.

Was der SVP-Politikerin und Geschäftsfrau auch noch sehr am Herzen zu liegen scheint, ist das Thema Inklusion. Aus diesem Grund engagiert sie sich in ihrer Tätigkeit bei der Region Prättigau-Davos mit Projekt «Access Unlimited» für Barrierefreiheit. «Der Slogan der Destination ist ja ‹Sports unlimited›, was die Projektinitianten zum Namen ‹Access unlimited› inspiriert hat. Ziel war es damit nicht, alles für alle zugänglich zu machen, aber mindestens Angebote im Sportbereich für alle zu schaffen.»


Valérie Favre Accola setzt sich ein für Barrierefreiheit mit «Access unlimited». Bild: Christian Imhof

 

Zwei Jahre im Hintergrund

Das Projekt, das zu einem attraktiven und durchgehend barrierefreien Angebot in der Destination Davos Klosters führen soll, startete schon vor knapp drei Jahren. Doch auch hier funkte Corona mächtig dazwischen, wie Favre Accola erzählt. «Wir mussten natürlich erstmals die Basisinformationen bei jeglichen Angeboten und Infrastrukturen erheben. Das heisst, wir haben z. B. Infrastrukturen wie Bushaltestellen, Gastronomie- und Hotelleriebetriebe und Sportanlagen bezüglich Barrieredurchgängigkeit geprüft. Da aber Betriebe wegen Corona geschlossen hatten, kam es zu Projekt-Verzögerungen.» Inzwischen seien sie dem Ziel recht nahe und das Regionalentwicklungsprojekt wird per Ende Jahr abgeschlossen. «Es wird ein Handbuch als Hilfsmittel für andere Destinationen geben, zudem sind alle Informationen und Erlebnisangebote kompakt auf einer Webseite organisiert und leicht zugänglich für potentielle Gäste und Nutzer:innen.» Favre Accola betont, dass von diesem Angebot nicht nur Menschen mit Mobilitätseinschränkungen profitieren, sondern auch die Gesellschaft im Allgemeinen durch die Barrierefreiheit gewinnt. «Wir müssen endlich damit aufhören den Rollstuhl mit Krankheiten in Verbindung zu setzen. Es gibt Rollstuhlsportler, die Spitzenathleten sind. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft immer älter wird und ältere, weniger mobile Menschen, es schätzen, wenn sie auch in den Ferien zum Beispiel nicht bei Stufen anstehen. In wenigen Jahren wird dieser Teil der Bevölkerung auf 30 Prozent anwachsen. Aber natürlich schätzen auch Familien mit Kinderwagen die Barrierefreiheit im Alltag.»


Auch im Winter wird in der Region auf Barrierefreiheit gesetzt. Bild: zVg

 

Kooperationen zahlen sich aus

Die IG Access Unlimited mit den Partnern Regionalentwicklung, Pro Infirmis und Destination Davos Klosters ist für das Projekt zuständig, elementar für ein gutes Gelingen seien aber die touristischen Kooperationspartner und eine gute Zusammenarbeit mit den jeweiligen Gemeinden. «Die Schaffung von neuen Erlebnisangeboten ist jedoch auch mit personellem und finanziellem Aufwand verbunden. Ein Kooperationspartner muss nicht nur im Idealfall das Personal schulen, damit Mitarbeitende die Geräte auch wirklich bedienen können, auch die Anpassung der Infrastrukturen bzw. Anschaffung der Geräte ist schon ein Investment. Ohne die finanzielle Unterstützung von Stiftungen wäre die Umsetzung dieser Angebote nicht machbar gewesen.» Und doch lohne es sich, wie die Buchungszahlen aus der ganzen Schweiz zeigen. «Mehr Gäste ergeben sich automatisch. Wir haben seit Schaffung dieser Angebote Gruppen-Anfragen auch aus der Westschweiz und gar aus Island hat sich eine Familie angekündigt.» Zudem sei es auch so, dass diese Gäste interessant sind, da sie erfahrungsgemäss treu sind – wenn sie einmal eine «funktionierende» Destination entdeckt haben, bleiben sie diesen als Stammgäste erhalten.


Das Madrisaland ist für alle da. Bild: zVg

 

Ein Gefühl von Schwerelosigkeit

Inzwischen können Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, an einigen spannende Aktivitäten teilnehmen und so auch gewissermassen ein wenig Freiheit zurück gewinnen. Die Webseite access-unlimited.ch zeigt, dass man in Klosters und Davos inzwischen als Rollstuhlfahrer Tennis, Eishockey und Golf spielen, Ski, Langlaufschlitten (ab Winter 2022/23), Bike und Pedalo fahren kann und noch vieles mehr. Nicht jedes Angebot lässt sich aktiv erleben, so können Rollstuhlfahrer das Pedalo über den Davosersee nicht selbst antreiben, kommen jedoch dennoch in den Fahrgenuss, sagt Favre Accola. «Die Rückmeldungen sind immer sehr bewegend, wenn die Personen davon erzählen, wie sie die Bewegungen des Wassers wieder erlebten und sich dabei einen Moment lang schwerelos fühlen.» Auch, wenn das Regionalentwicklungsprojekt bald abgeschlossen sein wird, bleibt zu hoffen, dass auch andere Regionen sich von dieser gelebten Inklusion anstecken lassen und vielleicht bald mal wirklich eine Barrierefreiheit Realität wird.

Badespass auch für Rollstuhlfahrer

(Thurgauer Zeitung)

Der Lift für den barrierefreien Seezugang am Hörnli-Steg ist schweizweit einzigartig.Ein Prototyp im Praxistest.
Inka Grabowsky

«Auch mit Beeinträchtigungen kann man schwimmen bis ins hohe Alter»,sagt Brigitte Späth. «Und wer keine Angst vor dem Wasser hat,der geniesst es.» Die promovierte Politikwissenschafterin sitzt selbst nach einem Unfall seit über 20 Jahren im Rollstuhl.Auf Bewegung im Wasser aber wollte sie nie verzichten.Deshalb engagiert sie sich in ihrer Funktionals Vize-präsidentin von Pro Infirmis Thurgau-Schaffhausen für den barrierefreien Zugang in Schwimmhallen.

Ab 2023 müssen neue oder umfassend sanierte öffentliche Bauten barrierefrei sein. Das gibt das ehindertengleichstellungsgeset vor. «Beim Projekt Egelseebad helfe ich bereits in der Baukommission», erklärt sie. «Als sich die Stadt beim neuen Steg im Hörnli an die Fachstelle für hindernisfreies Bauen wandte, lag es nahe, dass ich mir auch hier anschaue, wie beeinträchtigte Menschen ins Wasser gelangen können.»

Verschiedene Varianten geprüft

Herkömmliche Pooillite funktionieren am Bodensee nicht. Sein Wasserstand ändert sich im Laufe des Jahres um bis zu drei Meter. «Dazu kommt noch hoher Wellenschlag bei Ostwind oder dutch den Schwell der Boote. Die erste Idee, eine schräge Rampe mit einem Schwimmsteg am Ende zu bauen, mussten wir wegen Sicherheitsbedenken venverfen.» Auch ein Plattformlift kam nich: in Frage. Weder ein Rollstuhl noch die Lifteleknonik sollten Wasser ansgesetzt sein. Die nächste Option war eine Hehebühne. «Das erschien uns zunächst attraktiv, aber die Bühne hätte von einem Gitterkäfig umgeben werden müssen, um Schwimmer im Gefahrenbereich zu schützen. Aber wie rettet man jemanden, wenn er bei der Reise drei Meter abwärts in Panik gerät oder die Hebebühne stecken. bleibt?», sagt Brigitte Späth. Diese Losung wurde also auch gestrichen.

Der Sitz muss für den See geeignet sein

«Wir stiessen schliesslich auf eine Treppenlift-Lösung der Firma Högg in Lichtensteig im Toggenburg. Hier sind Sitzlifte an einer Deckenschiene installiert.» Als Lastenlifti in. Weinbergen ist diese Lösung sogar wetterfest, nur der Sitz selbst war nicht für den See geeignet. Ruedi Wolfender,der Abteilungsleiter beim städtischen Departement Gesellschaft und Liegenschaften,fand schliesslich bei einem Händler in Schaffhausen einen passenden Stuhl.Im Endeffekt errichtete das Kreuzlinger Metallbauunternehmen Neuweiler AG die Dachkonstruktion mit Tragschiene,an der das zusätzlich verzinkte Liftsystem von Högg mit dem Sitz aus Schaffhausen installiert wurde. Die Konfiguration aus den drei Komponenten ist bisher einzigartig.«Erfreulicherweise hat sich Ruedi Wolfender tief in die Materie eirgearbeiter und durch keinen Einwand entmutigen lassen», lobt Brigitte Späth. «Die Konstrukteure zögerten zunächst wegen der Produkthaftphicht», schildert dieser, «aber da haben wie nich: lockergelassen.»


Brigitte Späth auf der Konstruktion, die ein Novum ist am Bodensee-Ufer. Bild:Ralph Ribi

 

«Die Konstrukteure zögerten zunächst. Aber wir haben nicht lockergelassen.»
Ruedi Wolfender Stadiverwaltung Kreuzlingen

Die Plattform am Stegende ist gross genug, um den Rollstuhl abzustellen und das Rangieren zu erlauben. Der Sitz kann von mehreren Seiten angefahren werden. Nicht jeder beeinträchtigte Menseh wechselt auf die gleiche Weise und von der gleichen Seite von Rollstuhl auf einen Liftsessel. Wichtig ist auch, dass die Sirzfläche beim Umsetzen nicht wackelt «Wenn sie jemand stabilisieren muss, ist man doch auf Hilfe angewiesen», sagt die Fachfrau. Der Lift läuft auf der Innenseite der Treppe, sodass ein Gefühl von Unsicherheit erst gar nicht aufkommt.

Es gibt noch etwas zu verbessern

Perfekt ist das System noch nicht. Brigitte Späth sagt: «Es ist eben ein Prototyp.» Die Fernsteuerung muss derzeit vom Ufer aus von einer Begleitperson bedient werden. Sie braucht noch eine wasserdichte Hülle, damit sie der Schwimmer mitnehmen kann, und sie sollte mit einem Alarmknopf ausgestattet werden. Bei Niedrigwasser zeigte sich im Praxistest noch ein zweites Problem: «Damit man die Sitzfläche auf dem Rückweg anschwimmen kann, muss sie rund 30 Zentimetce tief im Wasser sein. Die Sitzfläche muss also manchmal noch tiefer heninter als bisher.» Ruedi Wolfender regte an, dafür eine zusatzliche vertikale Absenkung mit einem zweiten Motor einzubauen: «Diese Lösung ist bereits in Arbeit und kann noch in dieser Saison in Betrieb genommen werden», sag: er.

Dank Zusammenspiel ein rundes Paket geworden

Wolfender zieht ein positives Fazit Es sei eine tolle Aufgabe gewesen: «Es hat sich für die Stadt bewährt, früh in der Planung die späteren Nutzer von neuen Einrichtunger miteinzubeziehen.» Umgekehrt ist anch Brigitte Späth sehr zufrieden mit dem Engagement der Stadt. «Gemeinsam mit den flankierenden Massnahmen wie dem Abflachen des Weges zum See, der früher für uns viel zu steil war, ist es ein rundes Paket geworden.» Die querschnittsgelähmte Schwimmerin hat inzwischen Fotos des Badeplatzes auf der Website wheelmap.org veröffentlicht. damit Touristen mit Beeinträchtigungen wissen, dass sie in Kreuzlingen problemlos in den See und auch wieder herauskommen.

Schweizer Pärke fördern barrierefreien Tourismus

(htr.ch/de)

Seit 2017 engagieren sich die 20 Schweizer Pärke für mehr Inklusion und wollen ihre touristischen Angebote insbesondere für Menschen mit Behinderung zugänglicher machen. Es entstanden ein Dutzend barrierefreie Angebote.


Im Besucherzentrum des eidgenössischen Nationalparks in Zernez befindet sich eine permanente Ausstellung über Flora und Fauna des Parks Bild zvg/Schweiz Tourismus.

 

In fünf Jahren hat sich gemäss einer Mtteilung der Schweizer Pärke viel verändert: Es wurden Strategien erarbeitet, Schulungen durchgeführt und mehr als ein Dutzend barrierefreie Angebote entwickelt. Neu gibt es eine Website mit allen barrierefreien Aktivitäten in den Pärken: Von hindernisfreien Wegen über geländegängige Rollstühle bis hin zu thematischen Ausflügen. Somit sei das Naturerlebnis für alle garantiert.

Im Jahr 2017 haben laut Mitteilung die Pärke gemeinsam mit Partnern wie Pro Infirmis, Procap, Denk an mich oder Cerebral das Projekt «Pärke für alle» lanciert. «Mit der Bereitstellung von Informationen zu Barrierefreiheit im Tourismus und der Entwicklung von barrierefreien Angeboten setzt sich das Netzwerk der Schweizer Pärke für einen zugänglicheren Tourismus ein. (htr/ua)


Die drei Projekt-Schwerpunkte

Information: In einem ersten Schritt wurden Informationen zu den Park-Angeboten aufgearbeitet. Zusammen mit Pro Infirmis und OK:GO haben mehrere Pärke die Zugänglichkeit von Sehenswürdigkeiten (Restaurants, Hotels, Museen, etcetera) evaluiert. Die Informationen – vollständige oder teilweise Zugänglichkeit mit Rollstuhl, induktive Höranlage, Vorkehrungen für Sehbehinderte – sind online verfügbar und ermöglichen es Tourist:innen mit Behinderung, ihren Aufenthalt optimal zu planen. Viele Pärke haben darüber hinaus ihre Websites für die Lesbarkeit durch Screenreader optimiert.

Sensibilisierung: Bei der Barrierefreiheit tauchen immer wieder Befürchtungen zu allfälligen Mehrkosten auf. In Zusammenarbeit mit Procap und id-Geo wurden Erfahrungsaustausche, spezifische Weiterbildungen sowie Situationsbeispiele organisiert. Damit konnten den Pärken und deren Leistungsträgern Herausforderungen und Perspektiven aufgezeigt werden. «Ich habe an der Weiterbildung geschätzt, dass sie Beeinträchtigung im weiten Sinn behandelt hat und damit Barrierefreiheit in ihrer Gesamtheit angeschaut wurde», sagt Baptiste Crausaz vom Parc naturel régional Gruyère Pays-d’Enhaut.

Barrierefreie Angebote: Um allen Menschen den Genuss der einmaligen Natur zu ermöglichen, haben mehrere Pärke barrierefreie Angebote und Aktivitäten entwickelt: hindernisfreie Wanderwege, die dank eines Sprachleitsystems auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität sowie für Blinde und Sehbehinderte zugänglich sind, der Verleih von geländegängigen Rollstühlen, sowie zahlreiche angepasste Ausflüge und Aktivitäten.

«Bürger zeiter Klasse»

(Plädoyer)


Markierungen für Sehbehinderte,Luzern: Uno-Ausschuss fordert grundsätzliche Änderungen statt nur Einzelmassnahmen

 

Behindertenrecht Der Uno-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ortet in der Schweiz Handlungsbedarf. Unter anderem kritisiert er das System der Beistandschaft im Erwachsenenschutzrecht.

Die Stärke des Volks messe sich am Wohle der Schwachen,heisst es in der Präambel der Bundesverfassung.Welchen tatsächlichen Stellenwert Bund, Kantone und Gemeinden diesem Passus im Hinblick auf Behinderte zurechnen,führt der Uno-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor Augen:Mitte März überprüfte dieser zum ersten Mal die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Uno durch die Schweiz und kam zu einem vernichtenden Ergebnis: Die Schweiz tue viel zu wenig für deren Umsetzung.Der Ausschuss richtete insgesamt 80 Empfehlungen an die Schweiz.

In vielen Gebieten hoher Nachholbedarf

Markus Schefer,Staatsrechtsprofessor ander Universität Basel und Mitglied des Uno-Ausschusses: «Das zeigt einen sehr hohen Nachholbedarf in der Schweiz.Und zwar in vielen Gebieten und auf grundsätzlicher Ebene.»

Der Ausschusshat 18 Mitglieder,die teil weise in ihren Herkunftsländern in Politik, Wissenschaft oder gemeinnützigen Organisationen tätig sind. Alle Mitglieder ausser Markus Schefer leiden an einer Behinderung.So ist zum Beispiel die australische Juristin Rosemary Kayess, Vorsitzendedes Ausschusses, wegen einer Rückenmarkverletzung auf einen Rollstuhl angewiesen.Und die brasilianische Psychologin Mara Christina Gabrilli ist seit 1994 nach einem Autounfall querschnittgelähmt.Nach ihrem Unfall gründete sie das Instituto Mara Gabrilli,eine Organisation,die Programme zur Verteidigung der Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickelt.

Der Beistand soll nicht anstelle einer Person entscheiden, sondern ihr helfen, sich zu äussern»
Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor,Basel

Mit der«grundsätzlichen Ebene»meint Schefer zum Beispiel die Kritik des Ausschusses,wonach hiesige «Gesetze die Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen verneinen oder einschränken und ihre Entmündigung vorsehen».Damit ist insbesondere der Erwachsenenschutz des Zivilgesetzbuchs gemeint.Ein Beistand verwalte bei Leuten mit einer Behinderung bestimmte Bereiche seines Lebens.«Er ist seine rechtliche Stimme.Was der Betroffene sagen kann,hat keine rechtlichen Auswirkungen.»Die Konvention lehne dieses System ab.«Der Beistand soll nicht anstelle einer Person entscheiden, sondern ihr helfen,sich zu äussern. Wenn sie das nicht kann,muss er die bestmögliche Interpretation dessen finden,was sie will.»

Weiter zeigt sich der Ausschuss besorgt über die fehlende Gleichheit von Menschen mit Behinderung.Er fordert die Schweiz auf, Rechtsvorschriften und Gesetze anzupassen und das sogenannte Fakultativprotokoll endlich zu ratifizieren.Damit könnten sich Personen oder Gruppen bei einem Verstoss gegen die Behindertenrechtskonvention an den Uno-Ausschuss zum Schutz von Menschen mit Behinderungen wenden. Vorher müssten alle innerstaatlichen Beschwerdemöglichkeiten ausgeschöpft sein.

Der Ausschuss fordert die Schweiz auch auf,die Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderung ausdrücklich in alle gleichstellungs-und behinderungsbezogenen Rechtsvorschriften aufzunehmen.Dabei sollten die Vorschriften aus der IstanbulKonvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen beachtet werden.Der Ausschuss kritisiert auch die hiesigen Medien: Die Schweizer Medienlandschaft thematisiere die Würde und Rechte von Menschen mit Behinderung kaum.Er empfiehlt Sensibilisierungskampagnen in der Öffentlichkeit,um negativen Stereotypen entgegenzuwirken.Caroline Hess-Klein,Leiterin der Abteilung Gleichstellung beim Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen «InclusionHandicap», dazu:«Menschen mit Behinderung in der Schweiz fühlen sich oft nicht ernst genommen.Sie kritisieren, dass sie nicht gehört werden.»Das zeige sich in vielen Beratungsgesprächen.

Kritik an Zwangsmitteln in Heimen und Kliniken

Höchste Priorität misst der Ausschuss«dem Schutz der Unversehrtheit von Menschen mit Behinderung»zu.Er fordert,die Schweiz solle die «Anwendung von medizinischen Verfahren und Behandlungen,chemischen, physischenundmechanischen Zwangsmitteln und Isolationsmassnahmen ohne die Zustimmung der Betroffenen» endlich beenden.Das Zivilgesetzbuch «erlaube diese Praktiken,die tagtäglich angewandt» würden,sagt Markus Schefer.Auf kantonaler Ebene seien sie nach den Bestimmungen für die Psychiatrie ebenfalls zulässig.«Die medizinische Kultur muss sich ändern»,fordert der Basler Staatsrechtsprofessor.

Der Ausschuss geht auch auf drei Artikel der Konvention ein, bei denen institutionelle Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen: Artikel 19 regelt die unabhängige Lebensführung und die Einbeziehung der Behinderten in die Gemeinschaft, Artikel 24 die Bildung und Artikel 27 die Beschäftigung.

Kritisiert wird,dass zu viele Behinderte in Heimen leben müssen.Schefer:«Jeder Mensch möchte selbst entscheiden können,wo, mit wem und wie er lebt.»Staatlichen Zwang gebe es bloss in der Armee oder im Gefängnis,und nur für einen begrenzten Zeitraum.Manche Menschen mit Behinderungen hingegen seien oft ihr ganzes Leben staatlichem Zwang ausgesetzt.Niemandem gefalle die Aussicht,in einem Pflegeheim zu leben. «Und während der Pandemie verwandelten sich viele Heime faktisch in Gefängnisse.Das war katastrophal.»Der Ausschuss kritisiert zudem, dass es für die Behinderten kaum erschwinglichen Wohnraum gibt. Die Schweiz solle deshalb die persönlichen Assistenzleistungenausbauen. Hardy Landolt,der in St.Gallen Privat-und Sozialversicherungsrecht lehrt und in Glarusals Anwalt tätig ist,hält die heutige Situation in der Schweiz klar für ungenügend:«Einebehinderte Person erhält von der Invalidenversicherung zwar einen Assistenzbeitrag.Das Problem ist nur,dass dieser die tatsächlich benötigte Hilfeleistung nicht einmal ansatzweise abdeckt.»

Auch Menschen in Altersheimen betroffen

Mit dem Assistenzbeitrag haben Betroffene die Möglichkeit,eine Hilfsperson anzustellen, jedoch keine Angehörigen in gerader Linie.«Das ist absurd»,so Landolt,der seit dem 14.Lebensjahr Tetraplegikerist.Würden Bund und Kantone die Forderung nach einem «selbstbestimmten Leben»
ernst nehmen,müssten sie den Betroffenen auch die entsprechenden Mittel und Dienstleistungen zur Verfügung stellen,fordert Landolt.

Konkrete Hilfsmittel,um ein eigenständiges Leben führen zu können,würden von der Invalidenversicherung immer wieder abgelehnt.So müssten viele ältere Leute in Altersheime eintreten, «weil sie ambulant keine genügenden Hilfeleistungen erhalten». Diese älteren Personen seien im Sinne der Behindertenrechtskonvention ebenfalls behindert,weil sie Hilfe im Alltag brauchen.«Wir haben Menschen mit einer Behinderung vor Augen,die im Rollstuhl sitzen.Dabei vergessen wir, dass der Behinderungsbegriff sowohl vom hiesigen Behindertengesetz als auch von der Konvention viel breiter gefasstist.»

Landolt kritisiert auch das Bundesgericht.Lausanne höhle das in der Verfassung festgehaltene Diskriminierungs verbot und Egalisierungsgebot aus,indem es«bei triftigen Gründen»eine Ungleichbehandlung zulasse.Der Anwalt veranschaulicht dies mit einer Analogie:«Stellen Sie sich vor, man sagt einer dunkelhäutigen Person:Hör zu,wir dürfen dich weiterhin wegen deiner Hautfarbe diskriminieren, wenn es triftige Gründe gibt».Das sei doch absurd.

Anreize im Arbeitsmarkt schaffen

Auch im Bereich der Arbeit stellt der Ausschuss der Schweiz ein schlechtes Zeugnis aus:So bestehen noch zu wenige Möglichkeiten für den Übergang vom «geschützten Arbeitsmarkt»zum allgemeinen Arbeitsmarkt mit gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit.Er kritisiert,dass kein Arbeitsumfeld vorhanden ist,das Menschen mit Behinderung berufliche Weiterentwicklungen ermöglicht.Die Schweiz solle«geeignete politische Massnahmen wie Zielvorgaben, positive Aktionsprogramme und Anreize» schaffen,damit mehr Personen-insbesondere Frauen-mit Behinderung im allgemeinen Arbeitsmarkt Anschluss finden.

Wenn der Ausschuss Kritikpunkte wie Armut,Zwangssterilisationen,eingeschränktepolitische Rechte,fehlender Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und öffentlichen Plätzen formuliert,stellt sich unweigerlich die Frage,ob Menschen mit Behinderung hierzulande als Bürger zweiter Klasse gelten.«Ja,die grosse Mehrheit ist es tatsächlich»,antwortet Markus Schefer.Sie könnten nicht wie alle anderen an der Gesellschaft teilhaben,weil diese von und für Menschen ohne Behinderung geschaffen wurde.Als Analogie nennt der Professor die Gleichstellung von Mann und Frau-im 19.Jahrhundert noch undenkbar.Das Thema Behinderung sei eine ähnliche Herausforderung und «eine Sache von Jahrzehnten».

Wie reagiert der Bund auf die Kritik des Ausschusses? Andreas Rieder,Leiter des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB),versichert,Bund wie Kantone seien in praktisch allen Bereichen,indenen Empfehlungen formuliert seien,«bereits an der Umsetzung».Man brauche aber Zeit.Laut dem Juristen sei «die Zugänglichkeit und Verständlichkeit von Informationen-vor allem Informationen in einfacher Sprache und in Gebärdensprache»zurzeit prioritär.

Laut Rieder zeichnet sich auch eine Verbesserung der individuellen Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben ab:«Die direkte Unterstützung von Betroffenen anstatt der Finanzierung von Institutionen»komme auf Kantonsebene voran.Die beiden Basel hätten eine solche Finanzierung schon eingeführt,Kantone wie Bern, Zug und Zürich seien ebenfalls daran.


Un freiwillig im Heim:Ursache ist oft der Mangel an ambulanter Hilfe Keystone

 

Finanzierung der Institutionen ändern

Anwalt Landolt bleibt skeptisch: Auch Glarus arbeite an einem Behindertenkonzept:«Wir dürfen uns nicht Sand in die Augen streuen lassen,es werden immer irgendwelche ausgearbeitet.Diese müssen dann aber auch in Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden.»Die Finanzierung von Institutionen durch Bund und Kantone hält Landolt für falsch:«Das ist paternalistisch diskriminierend.» Weshalb sollte der Dienstleister Geld erhalten-und nicht der Dienstleistungsempfänger? Landolt sagt:«Stellen Sie sich vor, Sie gehen zur Arbeit und der Chef sagt Ihnen:Du erhältst den Lohn nicht,ich gebe ihn der Migros und du kannst dort einkaufen.»Menschen,die in einem Heim leben und Ergänzungsleistungen beziehen,würden monatlich für persönliche Bedürfnisse 250 bis 400 Franken erhalten.Das ergibt rund 8 bis 14 Franken proTag für die privaten Ausgaben.
Gjon David

«Assistenzbeiträge der Invalidenversicherung decken die Hilfeleistung nicht einmal ansatzweise»
Hardy Landolt,Titularprofessor für Sozialversicherungsrecht,St.Gallen

«ICH BIN EIN HARTNÄCKIGER UND MACHTBEWUSSTER MANN»

(Neue Zürcher Zeitung / Folio)


Islam Alijaj

 

Islam Alijaj,36,wurde mit einer Cerebralparese geboren. Seine Geh-und Sprechfähigkeiten sind beeinträchtigt. Er arbeitet als Projektleiter und ist Handicap-Lobbyist. Alijaj lebt in Zürich und sitzt für die SP im Gemeinderat. Er ist verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter.

Wie fühlt man sich,wenn man intellektuell unterschätzt wird?
Gekränkt,sagt Islam Alijaj.
Von Frank Heer,Bilder Dominik Meier

Herr Alijaj, werden Sie oft nicht an Grillparties eingeladen, weil die Leute denken: Das wäre jetzt zu kompliziert für Islam in seinem Roilstuhl – und die Wurst kann er auch nicht halten.
Ich werde vermutlich eher wegen meiner Sprechbehinderung nicht eingeladen als wegen meines Rollstuhls. Sie hat einen weit grösseren Effekt auf mein Leben als der Rollstuhl.

Dazu muss man wissen: Sie sprechen etwa so wie ich nach vier doppelten Whiskies.
Darum dachten früher viele Leute automatisch, dass ich auch kognitiv beeintrachtigt sei. Ich wurde ständig unterschatzt. Als Jugendlicher redete ich aus Angst, dass man mich nicht versteben würde, so wenig wie möglich.

Das heisst, auch für Sie ist die Sprechhehinderung die grössere Beeinträchtigung als die körperliche Behinderung?
Dass ich mich mündlich nicht so ausdrückcn kann, wie ich es möchte, empfand ich immer als die grösste Kränkung, ja. Weil man mich intellecktuell nicht ernst nahm. Das war eine bittere Erfahrung, und ich brauchte viele Jahre, um dièse Kränkung zu überwinden und das Selbstbewusstsein zu erlangen, das ich heute habe: grösser als das Matterhorn!

Sie haben Cerebralparese, kurz CP. Ich schrieb beim Formulieren dieser Frage zuerst: «Sie leiden an CP…» Und dann dachte ich, das könnte schon das erste Fettnäpfchen sein. Ich frage jetzt trotzdem: Leiden Sie unter lhrer Behinderung?
Als ich jünger war, habe ich sehr darunter gelitten. Vor allem unter den Reaktionen, die ich auf meine Behinderung erfahren habe. Heute ärgere ich mich über die vielen Einschrankungen, die meine Behinderung mit sich bringt. Zum Beispiel, dass mir im Alltag Hindernisse im Weg stehen, die mich ständig daran erinnern, kein erwünschter Teil der Gesellschaft zu sein. Hürden wie fehlende Rampen für Rollstuhlfahrer, die man problemlos beseitigen könnte. Ich bin derjenige, der auf diese Hindernisse reagieren muss, niemand kommt auf mich zu und fragt mich, was getan werden muss. um sie wegzuraumen.

Sie sagen, früher hatten Sie stark an Ihrer Behinde- rung gelitten. Heute nicht mehr?
Nein. Die Person. die ich heute bin, kann man nicht mit der Person vergleichen. die ich mit 18 Jahren war.Damals war ich ein komplett anderer Mensch. Mein Leiden habe ich seither überwunden.

Es gibt auch keine Rückfalle mehr?
Doch. Jeden Tag. Die Behinderung ist ein Scheiss. das kann man nicht schönreden. Ich habe sie nun mal, und sie lässt sich nicht bewaltigen. Aber ich kann Einfluss darauf nehmen, wie ich damit umgehen möchte. Vielleicht auch deshalb, weil die Unmöglichkeit, die Behinderung zu überwinden, mir erst den Antrieb gab, sie zu akzeptieren.

Das Hauptproblem, das CP verursacht, ist die eingeschränkte Motorik, weil Ihr Gehim Ihren Körper nicht richtig steuert. Ist das einigermassen richtig zusammengefasst?
Ja. Ich kann meine Muskeln nicht so ansteuern, wie ich das gerne möchte, und bin daher in meiner Beweglichkeit stark eingeschränkt. Weil eben auch die Zunge ein Muskel ist, der mir nicht gehorcht, bereitet mir das Sprechen Mühe.

Ihr Gehim sagt zum Beispiel: «Heb den Ball auf und wirf ihn weg», aber Ihr Körper kann die Bewegung nicht ausführen.
Ich kann mir im Kopf ailes mögliche ausmalen, was ich tun möchte, aber meine Muskeln wissen nicht, wie sie das anstellen müssen.

Ich habe mich auf Wikipedia schlaugemacht: Die drei typischen Auspragungsformen von CP sind Spastik (unkontrollierte Bewegungen), Athetose (langsame, schraubenhafte Bewegungen) und Ataxie (Koordinationsstôrung).

«Die Behinderung ist ein Scheiss, das kann man nicht schönreden.
Ich habe sie nun mal, und sie lässt sich nicht bewaltigen.»

Was ist bei Ihnen am meisten ausgeprëgt?
Die Spastik. Ich hatte Glück im Unglück. Oftmals kann es bei der Cerebralparese auch kognitive Beeinträchtigungen geben. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich scherze gerne, dass mein Intellekt zu 150 Prozent intakt ist. Die 50 Prozent, die bei der Leistungsfahigkeit meines Körpers wegfallen, habe ich dafür im Kopf. Aber im Ernst: Früher fühlte ich mich lange auch geistig beeintrachtigt.

Warum?
Weil ich nicht gefördert wurde. Ich habe zwar ein vollkommen gesundes Gehirn, trotzdem verbrachte ich mein ganzes Schulleben in der Sonderschule. wo ich zusammen mit lernschwachen Kindern im Gleichschritt unterrichtet wurde. Als 16 jähriger löste ich Matheaufgaben für 12 jahrige. Das Kopftraining, das mir damals gutgetan hätte, um mein Potential auszuschôpfen, kam viel zu kurz.

Sie waren am falschen Ort.
Ich hätte mega profitiert von einem integrierten Schulsystem, wie das heute üblich ist. Denn ich hatte ja keine Lernschwäche. Dass ich schlecht reden konnte, führte dazu, dass man mich intellektuell ständig unterschätzte. Weshalb ich dann «nur» das KV machen durfte. Ich wäre lieber an die Uni gegangcn, um Wirtschaft zu studieren, aber mcin Lehrbetrieb hattc mir abgcratcn. Man sagte mir, ich ware hier besser aufgehoben. Im Nachhinein erfuhr ich, dass der Betrieb für meinen Arbeitsplatz von der IV viel Geld erhielt. Das war eine Riesenverarschung.

«Als sich meine ersten sexuellen Bedürfnisse bemerkbar machten, fiel ich in eine totale Krise.»

Ich habe Ihnen meine Interviewanfrage per Mail geschickt. Die Antwort kam postwendend. Wie haben Sie meine Mail beantwortet?
Mit einem Finger tippend.

Das geht trotz der Spastik?
Ja, aber ich bin sehr langsam. Und weil ich neuerdings in meinem Amt als Zürcher Gemeinderat so viele Mails beantworten mass, kann ich das nicht mehr alleine bewaltigen. Ich habe eine Assistentn, der ich meine Mails diktiere.

Programme, welche die gesprochene Sprache in Text umwandeln, nützen nichts?
Nein, wegen meiner Sprechbehinderung verstehen mich diese Programme nicht.

Wäre es besser gewesen, ich hätte Sie angerufen, statt eine Mail zu schreiben?
Das wäre noch schwieriger gewesen.

Weil es Ihnen schwerfällt, das Telefon zu bedienen?
Das geht, aber Sie hätten noch mehr Mühe. mich zu verstchcn, als im direkten Gespräch.

Ich finde, man gewöhnt sich daran. So wie man sich an den Walliser Dialekt gewöhnt…
(lacht)

Sie sagten, Sie hätten eine Assistenzperson, die Ihnen bei gewissen Dingen im Alltag hilft. Wie oft pro Woche erhaiten Sie diese Unterstützung?
Bevor ich Gemeinderat wurde, kam die Person etwa zwei bis drei Stunden pro Arbeitswochentag, bezahlt von der IV. Nach meiner Wahl hatte ich etwa 220 Assistenzstunden im Monat gebraucht, um mein Amt ausüben zu können. Die IV bezahlt aber nur 120. Der Rest ist ungedeckt. Darum habe ich beim Gemeinderatsbüro und bei Pro Infirmis Antrage für zusätzlichc Assistenzstunden gestellt. Das ist ein grosser politischer Kampf. Die Zeit, die ich darauf verwende, würde ich als Gemeinderat lieber anders nutzen. Aber vielleicht kann ich so auch neue Tatsachen für Politiker mit eincr Behinderung schaffen, die nach mir kommen.

Beim Wort Behinderung ist man sich ja uneins, ob dieses nun glücklich oder weniger glücklich ist. Es gibt Leute, die finden, es sei pauschalisierend. Warum stimmt für Sie der Begriff?
Gemäss UN-Behindertenrechtskonvention spricht man von «Menschen mit Behinderungen». Also im Plural. Diese Formulierung bezieht sich nicht nur auf die Behinderung, die ein Mensch hat, sondem schliesst die äusseren Behinderungen ein, mit denen er im Alltag konfrontiert ist. Also strukturelle Hürden oder geselschaftliche Ausgrenzung. Mir persönlich ist es égal, wie man dem sagen will. Es bringt ja nichts, sich einen schönen Namen auszudenken, wenn sich damit die Situation für uns «Menschen mit Behinderungen» nicht verbessert.

Sie haben vor vier Jahren den Verein Tatkraft gegründet, der sich für «Barrierefreiheit als gesellschaftliches Qualitätsmerkmal» einsetzt. Fühlen Sie sich vor allem strukturell ausgegrenzt oder auch menschlich?
Zwar habe ich mir ein Leben erkampft, in dem ich selbstbewusst und unabhängig agieren kann, aber die grössten Barrieren sind noch immer durch die Struktur der Gesellschaft gegeben. Dazu gehören auch der Kampf und die Kommunikation mit den Behörden. Mit den Stellen, die mich daran hindern, das machen zu kônnen, was ich machen will.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn ich seit vier Monaten für mehr Assistenzstunden kampfen muss, damit ich meine Arbeit als Gemeinderat erledigen kann, dann ist das eine Diskriminierung und eine unnötige Verschwendung meiner Lebenszeit.

Blöde Frage, aber ich weiss es wirklich nicht: Tut Cerebralparese weh? Haben Sie Schmerzen?
Das ist unterschiedlich. Im Winter, wenn es kalt ist, ist mein Körper besonders angespannt. Noch mehr als sonst. Das fühlt sich dann wie eine starke Verkrampfung an und tut sehr weh. Wenn ich vielleicht noch Schüttelfrost habe zum Beispiel, wenn ich von der Wärme in die Kälte komme, sind die Schmerzen wirklich stark. und ich kann meinen Körper kaum mehr steuern. Gleichzeitig ist mein Wille so gross, dass ich mich über diese Widrigkeiten oft genug hinwegsetze. Zum Beispiel im letzten Januar, als ich eigenhändig Flyer für meine Kandidatur als Gemeindcrat von Zürich in die Briefkästen warf.

Ihr Kopf sagt, wlr ziehen das jetzt durch, und Ihr Körper rebelliert.
Genau.

Gibt es Medikamente gegen die Schmerzen?
Nur gegen die Spastik. Leider haben sie starke Nebenwirkungen. Ich habe sie mal ausprobiert. als ich in der Reha war. Die Müdigkeit war überwültigend. Ständig hatte ich das Geftühl. k.o. zu sein. So kann ich mein Leben unmöglich führen. Ich bin ein aktiver Mensch, ich muss funktionieren. da nehme ich lieber die Schmerzen in Kauf.

Der Autor Christoph Keller schildert in seinem Buch «Jeder Krüppel ein Superheld». wie er den Alltag aus der Perspektive im Rollstuhl wahrnimmt. Nämlich als die Hölle, an die man sich gewöhnen muss. Haben Sie sich daran gewöhnt?
Als Teenager war mein Leben die Hölle. Von dem Moment weg. als sich meine ersten sexuellen Bedürfnisse bemerkbar machten, fiel ich in eine totale Krise. Mir wurde plötzlich klar, dass niemand meine Gefühle erwidern würde. Solange ich im Rollstuhl sitze. Dabei wollte ich doch den Madchen Eindruck machen! Also begann ich, einen riesigen Ehrgeiz zu entwickeln. Ich fing an zu trainieren, bis ich mich aus dem Rollstuhl erheben und am Rollator gehen konnte. Aber sexy ist so ein Seniorengefährt auch nicht, damit konnte ich kein Madchen beeindrucken. Also schaffte ich auch das: ohne Rollator zu gehen.

Ihr sexuelles Erwachen hat Sie aus dem Rollstuhl geholt.
Wobei ich später feststellen musste, dass es nicht immer die beste Lösung ist, auf den Rollstuhl zu verzichten. Zwar tat es meinem Ego gut, auf eigenen Beinen zu stehen. aber es ist auch anstrengend. Etwa an einem Apéro, zu dem man als Politiker öfter eingeladen ist. Ich kann nicht entspannt mit einem Glas herumlaufen und Smalltalk betreiben, auch wenn das mein Ego möchte. Darum benutze ich heute wieder häufiger den Rollstuhl. Zwar schauen dann aile auf mich hinab, aber ich bin stark genug, um mit meiner Prasenz einen Raum zu füllen, damit ich nicht libersehen werde.

Warum waren Sie als Kind eigentlich so lange an den Rollstuhl gefesselt?
Durch meine Spastik konnte ich nur auf allen vieren herumkriechen. Das führte dazu, dass sich die Schnen in meinen Beinen verkürzten und ich mich nicht aufrichten konnte. Ich machte zwar Therapien seit dem Kindergarten, aber erst eine Reihe von Operationen ab meinem achten Lebensjahr führten zu einer Verbesserung.

Sie heissen zum Vomamen Islam.
Auch wieder so ein Wort, das aufschreckt: jemand mit Migrationshintergrund!

Zudem noch ein Muslim.
Meine Eltern gehoren dem Sufismus an, einer mystisch-spirituellen Strömung im Islam. In Kosovo, wo meine Famille herkommt, ist diese jedoch kaum verbreitet und wird eher im Verborgenen praktiziert. Musik und Tanze spielen eine grosse Rolle, auch die Bereitschaft zur Anpassung. Dadurch sind die Sufisten heute auf der ganzen Welt verstreut und überall gut integriert. Toleranz ist ein zentrales Thema – dass man andere Meinungen akzeptiert, sich zuhört. Das habe ich auch von meinen Eltern mit auf den Weg bekommen.

Würden Sie sich als religiös bezeichnen?
Ich bin gläubig, aber nicht religiös. Ich gehe nicht in die Moschee. aber ich glaube an Gott und rede viel mit ihm.

Gab es da auch schon Streit? Im Sinne von: Warum hast du mir das angetan?
Sicher. Die Frage, warum mir Gott diese Bürde auferlegl, habe ich ihm immer wieder geslellt. Was habe ich getan, dass du mich so bestrafst? Aber genau durch diesen Prozess realisierte ich, dass mich Selbstmitleid nicht weiterbringt, dass meine Behinderung eine Herausforderung ist, die ich annehmen muss. Auch im Sinne einer Chance. Das ist im ersten Moment ein Widerspruch. aber so bin ich nun mal als Mensch: Ich heisse Islam, bin aber nichi religiös. Ich habe einen behinderten Körper, bin aber fit im Kopf. Ich bin Politiker, kann aber nicht gut reden. Lauter Widersprüche. die mich anspornen.

Wir «Normalos» – ich hoffe, der Begriff ist okay für Sie – werden oft nervös. wenn wir Behinderten begegnen. Wir verhalten uns komisch, am liebsten würden wir wegschauen. Haben Sie sich schon mal überiegt, warum das so ist?
Ich bin zur Einsicht gekommen, dass wir Behinderte für euch Gesunde so was wie ein Spiegelbild sind. Ihr erkennt in uns eure eigenen Schwächen und Ängste.

Konnte es damit zu tun haben, dass wir uns nicht vorstellen können oder wollen, in einem Korper zu leben, der einem nicht gehorcht und der komisdie Bewegungen macht?
In einem gesunden Körper flühlt man sich wie ein Superheld. Dabei kann es schon reichen, blöd hinzufallen. und man zerbricht wie Glas. Diese Angst sleckt in jedem Menschen. Hinzu kommt die ganze Religionsgeschichte: Es heisst ja. Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaiïen. Aber Behinderte sehen nicht aus wie von Gott geschaffen.

Die Behinderungals Beleidigungdes Gottesbilds.
Es gibt ja nicht umsonst das Wort «invalid». was so viel wie «ungültig» oder «unnütz» bedeutet. Christoph Kelier, mit dem ich ab und zu maile, regt sich darüber immer grausam auf. Und ich gebe ihm recht. Aber im Prinzip stebt dieses Wort nur dafür, wie ihr Nichtbehinderte uns Behinderte einschätzt.

Man muss leider sagen: Aus der Perspektive der ignoranten Gesellschaft ist das zwar brutal, aber wenigstens ehrlich.
Absolut. Denn für die Gesellschaft stellen wir ja keinen Wert dar. Wir sind ein Kostenfaktor.

Wer Ihnen beim Laufen zusieht, denkt vielleicht: «der arme Mann». Auch so ein typischcs Reaktionsmuster, das mit dem Bild des «Invaliden» zu tun hat. Wie arm sind Sie tatsächlich?
Ich entspreche nicht dem «Idealbild» des armen Behinderten. Weil ich kein hilfloses Geschöpf, sondern ein selbstbewusster, hartnäckiger und auch machtbewusster Mann geworden bin, der weiss, dass er Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann.

Aber haben Sie sich früher in der Opferrolle des «armen Behinderten» auch gesuhlt? Weil Sie so weniger Verantwortung übernehmen mussten?
Es gab und gibt solche Tage. Weil es angenehm ist, sich helfen zu lassen, sich auszuruhen. Es ist aber vor allem eine Frage des Charakters und weniger der Behinderung, ob man sich hinter einer Opferrolle versteckt oder nicht.

Es gibt Studien, laut denen Erwachsene mit CP häufiger als andere gegen Depressionen und Angstzustände kampfen. Haben Sie jemals eine Psychothérapie gemacht?
Das würde ich gerne einmal tun, einfach, weil es mich interessiert, was ein Psychiater üher mich zu sagen hätte. Aber ich habe es tatsächlich ganz alleine geschafft, mich aus meiner Opferrolle zu befreien. Stact mit einem Psychiater habe ich mit mir selbst gesprochen.

«Das Wort stcht nur dafür, wie ihr uns Behinderte einschatzt. Für die Gesellschaft stellen wir keinen Wertdar. Wir sind ein Kostenfaktor.»


Islam Alijaj ist nicht immer auf den Rollstuhl angewiesen. Aber es ist anstrengend für ihn,auf seinen Beinen zu stehen

 

Selbstgespräche?
In Gedanken oder auch laut vor dem Spiegel. Ich sah mich an und fragte mich: Aller, was willst du eigent- lich? Ich ging durch eine schwierige. aufwühlende Zeit. Da war eine emotionale Kälte in mir, und ich musste erst einmal herausfinden, wer ich bin, was ich mit mir und meinem Leben anfangen wollte. All diese Fragen und Ängste flossen in diese Selbstgespräche ein. Auch die Einsicht, dass ich meine Behinderung nie überwinden werde. Ich kann sie akzeptieren, aber liberwinden werde ich sie nie.

Wie lange muss man sich diesen Prozess vorstellen?
Zehn. zwölf Jahre, und er geht immer weiter, Er wird vermutlich nie abgeschossen sein.

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich als zunehmend inklusiv versteht. Man ist politisch korrekt, man ist «woke», sensibilisiert auf Geschlechterfragen und Hautfarben. Trotzdem scheint mir, dass Behinderte in dieser Gesellschaft noch immer keinen Platz haben. Wie sehen Sie das?
Das ist leider so. Wenn wir von Inklusion sprechen, sind Behinderte oft nicht mitgemeint. Und es stört mich ungemein, dass das noch immer so ist.

Warum ist das so?
Das ist die Frage! Vielleicht spielt da die Angst der Nichtbehinderten mit hinein, über die wir gesprochen haben. Zwar ist es allen ein Anliegen, dass wir Behinderte gut versorgt sind und es uns gutgeht. Aber am liebsten an einem Ort, wo man uns nicht sieht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Anders kann ich es mir nicht erklären.

Haben Sie Ihr Leben auch schon gehasst?
Als Jugendlicher ja, heute nicht mehr. Die Liebe ist mein Weg zum Erfolg.

Die Liebe?
Zum einen die Liebe, die ich geben kann, an meine Freunde, meine Familie und mein Umfeld. Zum andern aber auch die Liebe, die ich bekomme. Da- mit meine ich auch die korperliche Liebe. Als ich meine Frau kennengelernt habe, hat sich mein Leben total verandert. Und dann gleich noch einmal, als unsere Kinder zur Welt kamen. Auch die bedingungslose Liebe zwischen Vater und Kind hat mir viel Kraft gegeben.

Sie haben in einem Interview gesagt, das Thema «Sexualitat und Behinderung» sei nach wie vor ein Tabu. Reden wir darüber.
Okay.

Sie meinten wahrscheinlich, das Thema sei ein Tabu unter uns «Normalos»?
Ja.

Weil wir uns nicht vorstellen wollen, wie jemand mit einer Behinderung ein erfülltes Sexualleben haben kann?
Meine sexuellen Gefühle sind für mich ganz natürlich. Auch der Wunsch, sexuel aktiv zu sein. Wie genau, das ist jetzt eine andere Frage. Aber ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass wir Behinderte als asexuelle Geschöpfe wahrgenommen werden. Es ist noch nicht sehr lange her, da wurden behinderte Menschen in der Schweiz zwangssterilisiert Auch heute ist das unter bestimmten Umständen noch möglich.

Sie sind verheiratet und Vater zweier Kinder. Gibt Ihnen die Familie eine gewisse Normalität?
Sie ist für mich ein Rückzugsort, an dem ich mich nicht behindert fühle. Wo ich meine Behinderung und die ganzen Problème drumherum komplett vergessen kann.

Die Familie als «behinderungsfreie Zone».
Ich mochte sie nicht in meinen Kampf hineinziehen. Dieser Kampf ist mein Kampf, und nicht der meiner Frau und meiner Kinder. Meine Frau ist mir eine grosse Stütze und Hilfe. Aber ich will nicht, dass sie mich betreuen muss. Dafür habe ich eine Assistenz, die mir bei den alltaglichen Dingen hilft, die ich meiner Frau nicht zumuten mochte. Es wäre nicht sexy für uns beide und schlecht für die Bezichung, wenn sie das tun müsste. Auch meine Kinder sollen mich als Vater und Vorbild erleben, nicht als hilfloses Geschöpf, das sich nicht alleine anzichen kann.

Ihre Kinder sind acht und vier Jahre alt. Wie gehen sie mit Ihrer Behinderung um?
Im Moment ist das noch kein grosses Thema. Aber man darf sich nichts vormachen: Die Beziehung zu meinen Kindern wird keine normale sein. So wie ich zu meinen Eltern keine normale Beziehung hatte. In einer gewöhnlichen Familie nimmt die Fürsorge, die man seinen Kindern entgegenbringt, mit dem Alter ab. Ich war von der Fürsorge meiner Eltern noch im Teenageralter abhängig. Es dauerte sehr lange, bis ich die Unabhängigkeit erreichte, die ich heute habe. Das war auch für meine Eltern wichtig. Sie sind heute viel ruhiger und zufriedener. Jetzt, wo ich selbst Vater bin, mochte ich verhindern, dass meine Kinder in eine Abhängigkeit geraten, weil sie denken, dass sie sich um mich kümmern müssen.

Irgendwann kommt in jeder Familie der Moment, in dem sich die Kinder für ihre Eltern fremdschämen. Haben Sie davor Angst?
Es gibt Väter ohnc Beeintrachtigung, die nichts aus ihrem Leben machen. Ich könnte ja den ganzen Tag zu Hause sitzen und Netflix schauen. Das ware bequemer als im Zürcher Gemeinderat zu sitzen. Aber das ist nicht mein Weg. Meine Kinder sollen an meinem Beispiel sehen, dass es möglich ist, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten.

Frank Heer ist Schriftstelle Kulturredaklor bei der «NZZ am Sonntag» und lebt in Zurich.
Dominik Meier ist Fotograf und lebl in Zürich.

«Jedem Krüppel seinen Knüppel»

(NZZ Neue Zürcher Zeitung)

Die Geschichte der Behinderung ist von Ausgrenzung geprägt. Die vergangenen hundert Jahre waren ein Kampf gegen Vorurteile und Bevormundung.
Reto U. Schneider

1920 Gründung der Schweizerischen Vereinigung für Anormale, der Vorläuferorganisation von Pro Infirmis.

1920 Das preussische Krüppelfürsorgegesetz regelt erstmals die Rehabilitation von Behinderten. Darin findet sich der Satz: «Jede körperliche Abweichung vom Normalen wirft auf das Bewusstsein des Verunstalteten einen Schatten …»

1920 Im Buch «Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens» plädieren zwei deutsche Professoren für die straffreie Tötung von «unheilbar Blödsinnigen».

1930 In Paris wird der weisse Blindenstock erfunden.

1932 Im Horrorfilm «Freaks» verhindern Kleinwüchsige und Menschen mit Fehlbildungen ein Verbrechen.Lange Zeit verboten, gilt der Film heute als Aufruf zur Toleranz gegenüber Andersartigen.

1933 Das nationalsozialistische Regime in Deutschland erlässt das «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses».

1933 Franklin D. Roosevelt wird zum Präsidenten der USA gewählt. Er versteckt zeitlebens, dass er an Kinderlähmung erkrankt ist und kaum gehen kann.

1939 In Deutschland werden Tausende von behinderten und psychisch kranken Personen systematisch umgebracht.

1954 Der 22jährige Ire Christy Brown veröffentlicht seine Autobiographie «My Left Foot». Brown ist zerebral gelähmt und hat einzig Kontrolle über seinen linken Fuss. Das Buch wird zu einer literarischen Sensation.

1960 In Rom finden die Paralympics statt, die ersten olympischen Spiele für Behinderte.

1960 Die Schweiz führt die Invalidenversicherung ein.

1967 Gründung des nationalen Theaters der Gehörlosen in den USA.

1972 In Berkeley, Kalifornien, wird das erste Zentrum für das selbstbestimmte Leben behinderter Menschen gegründet.

1975 Die Uno verabschiedet die Erklärung über die Rechte behinderter Menschen. Sie legt fest, dass Behinderte «die gleichen staatsbürgerlichen und politischen Rechte [haben] wie andere Menschen».

1977 In Deutschland gründen Behinderte die «Krüppelgruppe». Sie versteht sich als Protestbewegung gegen die Bevormundung durch Nichtbehinderte.

1977 Die Zürcherin Ursula Eggli veröffentlicht im Buch «Herz im Korsett» ihre Tagebuchnotizen. Eggli leidet an Muskelschwund und hat eine Wohngemeinschaft aufgebaut, in der Behinderte und Nichtbehinderte zusammenleben.

1980 Die Weltgesundheitsorganisation definiert Behinderungen nicht mehr nur als individuelle Schädigungen, sondern auch als Beeinträchtigungen, die durch die Umwelt entstehen: bauliche Barrieren oder die Einstellung anderer Menschen.

1981 An der Eröffnungsfeier des Uno-Jahrs der Behinderten in Dortmund besetzen behinderte Aktivisten die Bühne und fordern mehr Selbstbestimmung. Ihr Leitspruch: «Jedem Krüppel seinen Knüppel!»

1981 Der Brockhaus erwähnt erstmals den Begriff Behinderte.

1981 Das Schweizer Fernsehen sendet einmal im Monat die Sendung «Sehen statt Hören», für Gehörlose.

1987 Die 21jährige gehörlose Schauspielerin Marlee Matlin gewinnt für ihre Rolle in «Gottes vergessene Kinder» einen Oscar.

1988 Dustin Hoffman spielt in «Rain Man» einen Autisten. Der Film ist für die meisten Zuschauer die erste Begegnung mit Autismus.

1988 Die Studentenschaft der Gallaudet-University für Gehörlose in den USA streikt. Ihrer Forderung nach einem gehörlosen Schuldirektor wird nach kurzer Zeit nachgegeben.

1991 Marc Suter wird in den Nationalrat gewählt. Der FDP-Politiker ist der erste Paraplegiker im Schweizer Parlament.

1991 Der Philosoph Peter Singer wird an einem Vortrag in Zürich von Behindertenaktivisten tätlich angegriffen, weil er Sterbehilfe bei schwerstbehinderten Säuglingen für moralisch gerechtfertigt hält.

1992 Das Amtsgericht Flensburg spricht einem Ehepaar zehn Prozent Reisekostenrückerstattung zu, weil sich im Speisesaal ihres Hotels behinderte Urlauber aufhielten.

1993 In Zürich wird das Theater Hora gegründet, das geistig behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern ein professionelles Theaterumfeld bieten will.

1993 Der schwer behinderte Physiker Stephen Hawking spielt in «Raumschiff Enterprise – das nächste Jahrhundert» sich selber.

1999 Der britische Designer Alexander McQueen engagiert für seine Modeshow mehrere behinderte Models.

1999 In Zürich wird die «Blinde Kuh» eröffnet, das erste Dunkelrestaurant der Welt. Es wird von Blinden und Sehbehinderten betrieben und bald überall nachgeahmt.

2000 Die neue Bundesverfassung enthält das ausdrückliche Verbot der Diskriminierung wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

2004 Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen tritt in
Kraft. Es verlangt unter anderem die Integration behinderter Kinder in die Regelschule.

2006 Die Uno nimmt die Behindertenrechtskonvention an, ein Übereinkommen für die Rechte von Menschen mit
Behinderungen.

2008 Die Invalidenversicherung finanziert keine Sonderschulung mehr. Das ist nun Sache der Kantone.

2012 Die Revision der Invalidenversicherung ermöglicht es Behinderten erstmals, Hilfestellungen selber
einzukaufen, zum Beispiel Assistenten selber anzustellen. Allerdings sind Personen im unmittelbaren Umfeld davon ausgeschlossen.

2014 Acht Jahre nach der Annahme durch die Uno ratifiziert auch die Schweiz die Behindertenrechtskonvention – als 144. Staat.

2015 Jamie Brewer ist die erste Frau mit Down-Syndrom, die an der New York Fashion Week über den Laufsteg geht.

2017 Um Unfälle zu verhindern, verbietet Nepal Blinden und beidseitig Beinamputierten die Besteigung des Mount Everest. Bis dahin hatten 29 Menschen mit Behinderung eine Besteigung versucht, 15 erreichten den Gipfel, 2
starben.

2020 Im Kanton Genf bekommen Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung das Stimm- und Wahlrecht.

2022 Im Kanton Zürich können Behinderte Betreuungsgutscheine erhalten, die sie nicht nur bei institutionellen Anbietern einlösen dürfen, sondern auch bei Verwandten, Freunden oder Nachbarn. Diese Massnahme soll ihnen ermöglichen, selbstbestimmt zu leben.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«Weil ich zur Gesellschaft dazugehöre»

(St. GallerTagblatt / St. Gallen-Gossau-Rorschach)

Der Ostschweizer Damian Bright möchte selbstständig wohnen.Doch dafür erhält der 31-Jährige mit Trisomie 21 zu wenig Unterstützung.

Eine Steintreppe führt zum Sitzplatz.Im Garten blühen Lavendel, Rosen, Mohnblumen.Schmetterlinge tanzen über die Wiese.Damian Bright stellt einen Teller mit Mandelbärchen auf den Tisch,an dem seine Mutter bereits Platz genommen hat.«Bringst du noch die Guetzli?»,sagt sie.Wer die Gastgeberin oder derGastgeber ist,erschliesst sich den Besuchern nicht gleich im ersten Moment. Wohl aber,wer hier die Chefin ist. Ursula Bolliger Bright,Damians 67-jährige Mutter.Das Holzhaus an der Freudenbergstrasse in Oberuzwil ist ihr Elternhaus. Als ihr Bruder vor drei Jahren an einem Herzinfarkt starb,lag die Lösung auf der Hand.Damian sollte allein hier einziehen.Endlich aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter in Weesen ausziehen, selbstständig wohnen können für junge Erwachsene das Natürlichste auf der Welt.Und Bolliger,die Pensionärin,wollte sich endlich zurücklehnen,Verantwortung abgeben,noch einmal reisen gehen.«Ich bin alt und müde»,sagt sie.Der Plan ging nicht auf.Seit drei Jahren kämpft Bolliger für angemessene Unterstützungsbeiträge für ihren Sohn.

Der 31-Jährige hat das Downsyndrom.Er braucht Hilfe in administrativen Belangen. Unterstützung,damiter Arzttermine und das Staubsaugen nicht vergisst.Damiter morgens daran denkt,zu frühstücken statt um fünf Uhr in der Frühe auf einen Zug zu hetzen;damit er die Medikamente gegen die Basedow-Krankheit regelmässig einnimmt,nicht nur Re dBull, Coca-Cola und Schokolade einkauft und «sich nicht 200-mal den Film anschaut»,wie seine Mutter sagt.Und,damit«nichts Verkehrtes»auf dem Handy drauf ist-ein Abo auf nackte Frauen etwa. Vier Stunden täglich müsste jemand auf ihn schauen.Jemand,der nicht Ursula heisst und seine Mutter ist.Denn bis diese abgelöst wird,ist sie gezwungen,selber in Oberuzwil im oberen Stockwerk des Hauses zu leben-wieder gezwungen zu dieser WG,die sie beide nicht mehr sein wollen.«Er will nicht mehr mit der Mutter zusammenwohnen und ich nicht mehr mit ihm.»So einfach wäre das. Wenn Ursula Bolliger lacht, klingt es verzweifelt.Ihre Freundinnen hüten ihre Enkel.Vielleicht für ein paar Stunden.Sie kann nicht wählen.

Bright lacht verschmitzt. «Ich weiss von mir,was ich kann.Ich bin einfach zu langsam»,sagt er.Und dann leicht verärgert,zu seiner Mutter.«Ich schaue im Fernseher,was ich will und so oft ich will.»

Zu wenig Unterstützung zugesprochen

2019 meldete Bolliger ihren Sohn,der eine IV-Rente bezieht, für Assistenzbeiträge an-Stunden,in denen Beeinträchtigte unterstützt werden,um ein möglichst eigenständiges Leben ausserhalb einer Institution zu führen.Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St.Gallen wies die Forderung ab, unter anderem mit der Begründung,Brights Mutter wohne ja weiterhin in Weesen,er brauche gar keine Unterstützung.So gelangte die Familie ans Versicherungsgericht,worauf sie im Dezember 2020 Recht bekam.Eine zweite Assistenzabklärung ergab im Dezember 2021 schliesslich einen Zuspruch von gerade einmal 14 Stunden Assistenz monatlich.«Diese Einschätzung ist nicht nachvollziehbar»,sagt Bolliger.Sie schüttelt den Kopf,ihre Stimme zittert. «Mich regt das furchtbar auf.» Denn:Selbst wenn weitere 35 Stunden in Form von Hilflosenentschädigung vom Bund dazu kommen,seien das 70 Stunden zu wenig,um ein selbstständiges Leben führen zu können. Die Familie machte Einsprache, das Verfahren ist hängig.

Damian Bright hat sich ein paar Gedanken von der Mutter notieren lassen.Mich sollte es doch gar nicht geben,steht da. Schon als es Zeit war,in den Kindergarten zu gehen,sagte die Schulbehörde,du gehörst nicht ins Quartier,du gehörst auf den Hügel.Da sind alle so wie du.Zum Schulbeginn zeigte die Behörde wieder auf den Berg.Für Mongoloide braucht es keine Ausbildung, die können auch so in der Werkstatt arbeiten,meinte der Berufsberater.

Es ist der Kampf,teilzuhabenam Leben,dazuzugehören.Nicht nur beim selbstständigen Wohnen,auch bei der Arbeit. Bright hat den Kampf nie aufgegeben.Er hat ein Diplomals Assistenzlehrer für die Volksschule abgeschlossen,ein CAS von der Tessiner Theaterakademie Dimitri, wo er sich in Tanzperformance weiterbildete.Mit dem Theater Hora tourte er zusammen mit weiteren Menschen mit Beeinträchtigung zehn Jahre lang durch die Schweiz und auf fünf Kontinente,trat als Schauspieler und als Tänzer auf.Bright geht an Tagungen,übersetzt Texte in die leichte Sprache für die Organisation Pro Infirmis.

Im Heim ist er immer wieder abgehauen

Ihr Sohn könne ja in einem Heim wohnen.Dutzende Male habe sie diesen Satz in den letzten drei Jahren gehört,sagt Bolliger.Dass es nicht gehe,zeigte die Zeit auf dem besagten Hügel-im Johanneum.Im Heim in Neu St.Johann lebte Bright 2006 für knapp ein Jahr.Immer wieder sei er abgehauen. Ausserdem,sagt Bolliger,koste ein Aufenthalt in einem Heim im Kanton St.Gallenr und 10000 Franken-mindestens 3000 Franken mehr als das selbstständige Wohnen mit Assistenz,IV-und Ergänzungsleistungen.

Warum möchte er nicht in einem Heim leben?«Weil ich schon immer zur Bevölkerung dazugehört habe.Es wäre einfach falsch»,sagt Bright.Und fügt an:«Alleine leben heisst, man hat gewisse Aufgaben.»Er lächelt wieder verschmitzt und sagt:«Alleine leben heisst auch, ich kann meine Lautsprecher aufstellen und so laut Musikhören,wie ich will.»

Schweiz verletzt Rechte der Menschen mit Behinderung

Brights Wunsch ist nicht ein Hirngespinst,sondernmüsste gemäss UNO Behindertenrechtskonvention,welche die Schweiz 2014 unterschrieb, schon längst umgesetzt worden sein.Sostellt der neueste UNO-Bericht vom März dieses Jahres der Schweiz ein schlechtes Zeugnis aus.Neben einer fehlenden Strategie für den Aufbau eines inklusiven Schulsystems und fehlenden Unterstützungsangeboten auf dem Arbeitsmarkt oder angepassten Stellen würden auch im Wohnbereich die Rechte der Menschen mit Behinderung verletzt.«Die Schweizfokussiert noch zu stark auf institutionelle Wohnformen und bietet nur unzureichende Unterstützungsleistungen für selbstständiges Wohnen an», hält der Bericht fest.Der Beirat fordert die Schweiz denn auch zur Deinstitutionalisierung beeinträchtigter Menschen auf.

«Der Zeitplandes Kantons ist nicht gerade ehrgeizig»

«Während in den Kantonen Bern und Basel Beeinträchtigte bereits vermehrt selbstständig wohnen und auch Zürich und Luzern diesbezüglich weit fortgeschritten sind,hat im Kanton St.Gallen nicht die Politik,sondern die Verwaltung gemerkt, dass das neunjährige Gesetz überarbeitet werden müsste», sagt Hansueli Salzmann,Geschäftsleiter der Behindertenorganisation Procap St.Gallen Appenzell. Die Gesetzesrevision,die im Januar angestossen wurde,sieht Verbesserungen in drei Bereichen vor:Einerseits soll die familienergänzende Betreuung für kleine Kinder mit Behinderung verbessert,die rechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verankert und drittens das Finanzierungssystem geändert werden.Statt Heime sollen Betroffene direkt Entschädigungen erhalten.«Die Überlegung der Subjektfinanzierung,die in Appenzell Ausserrhoden und im Thurgau bereits eingeführt wurde,geht in die richtige Richtung»,sagt Salzmann.Das selbstbestimmte Leben umfasse aber auch die Arbeit und den Freizeitbereich. Salzmann spricht von noch immer inakzeptabel hohen Hürden,Assistenzleistungen zu erhalten und Fehlanreizen,Beeinträchtige in einem Heim zu versorgen,statt sie im selbstständigen Wohnen zu unterstützen.So gebe es in der Ostschweiz kaum Angebote, dass Menschen mit Behinderung einen eigenen Mietvertrag bekommen können. Und schliesslich kritisiert er:«Der Zeitplan des Kantons,die Vorgaben bis 2027 umzusetzen,ist nicht gerade ehrgeizig.»

Laura Bucher gelobt Besserung

Regierungsrätin Laura Bucher bestätigt auf Anfrage:«Die heutige Finanzierung der Bedürfnisse von Personen mit einer Behinderung ist zu einem grossen Teil mit dem Aufenthalt in einer Institution verbunden.»Es sei ihr Ziel,in den nächsten Jahren die Finanzierungslogik anzupassen und damit auch andere Wohn-und Lebensformen zu erleichtern.Der zeit würden die Grundlagearbeiten zur Gesetzesrevision und die Vorbereitungen für den Einbezug der Anspruchsgruppen laufen.Zum konkreten Fall nimmt die Vorsteherin des Departements des Innern keine Stellung. Sie schreibt,die Leistungen beim betreuten Wohnen seien im Rahmen des IX.Nachtrags zum Ergänzungsleistungsgesetz verbessert worden.«Der Kanton St.Gallen zahlt heute auch beim begleiteten Wohnen die fehlenden Zuschüsse,da der Bund dies leider nicht ausfinanziert.»Weitere Verbesserungen,die mit der Systemumstellung ein hergingen,bräuchten Zeit und «wir wollen die Erfahrungen aus anderen Kantonen berücksichtigen», schreibt sie weiter. Ausserdem habe man ambulante Leistungen ausgebaut.

Für Bolliger und Bright sind das keine befriedigenden Antworten.Muss es tatsächlich noch Jahre dauern,bis der Sohn zu seinem Recht kommt,die Mutter zu ihrem Ruhestand?

Es gibt einen Bereich,in dem Damian Bright nicht achtmal langsamer ist als «neurotypische» Menschen,wie die Mutter sagt. Bright lächelt wieder verschmitzt,holt seinen Lautsprecher in den Garten,dreht die Musik auf.Uigurische Musik, ein selbst einstudiertes Stück.15 Minuten lang tanzt er über die Wiese,leicht wie ein Schmetterling. Nicht einmal gerät er ins Stocken oder ins Stolpern.

Janina Gehrig

«Es gibt zu viele Fehlanreize Beeinträchtigte in einem Heim zu versorgen.»
Hansueli Salzmann
Procap St.Gallen-Appenzell


Alleine leben heisst,man hat gewisse Aufgaben»,sagt Damian Bright, Bild:Benjamin Manser

 

Rentenzuschlag für alle!

(Vorwärts / Die sozialistische Zeitung)

Der Ständerat debattierte vor der Rückweisung der BVG-Reforman die Kommission darüber,wie die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent durch einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden soll.Da sich der Mindestumwandlungssatz sowohl auf Altersrenten als auch auf Invalidenrenten auswirkt,hat der Bundesrat ursprünglich auch für Invalidenrenten einen Rentenzuschlag vorgesehen.

Nach dem dieser vom Nationalrat gestrichen worden ist,droht nun auch eine Streichung durch den Ständerat.«Inclusion.Handicap ist dezidiert der Ansicht,dass Invaliden-und Altersrenten bei der Frage des Rentenzuschlags gleich zu behandeln sind.Alles andere ist nicht akzeptabel»,meint Matthias Kuert Killer,Leiter Politik beim Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen. Daher erwartet Inclusion Handicap,dass die Räte die Streichung des Rentenzuschlags für Invalidenrenten korrigieren. Dazu forderte der Dachverband der Behindertenorganisationen die Mitglieder des Ständerats auch schriftlich auf.Der Ständerat darf Invalidenrentner innen bei der Frage des Rentenzuschlags nicht vergessen.

Inclusion Handicap vertritt 22 Organisationen,in denen rund 1,8 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz
organisiert sind.

QUELLE:INCLUSION-HANDICAP.CH

Die Bedürfnisse besser kennen

(Davoser Zeitung)


Das neue, barrierefreie Pedalo kann bei der Schulung in Davos getestet werden. Bild:zVg

 

Aktuell rüsten zahlreiche Destinationen bezüglich barrierefreiem Tourismus auf und haben das Potenzial entdeckt:Da die Angebote im Bereich «barrierefrei» noch beschränkt sind,werden die vorhandenen Objekte saisonunabhängig gerne gebucht. Haben die Gäste eine Destination entdeckt,dann werden sie zu treuen Stammgästen.

pd Die Destination Davos Klosters muss sich nicht verstecken:Sieverfügtinfra- strukturmässig über zahlreiche barrierefreie Unterkünfte, Gastronomie-und Erlebnisangebote,die auch über die Website www.access-unlimited.ch kommuniziert werden.

Seit 2019 werden im Rahmen des Projektes Davos Klosters Access Unlimited laufend Objekte und Angebote durch Pro Infirmis geprüft und erfasst:Grillstellen, Wanderwege,Sportangebote,Restaurants, Unterkünfte.Zudem werden auch spezielle Gäste-Angebote entwickelt.Man ist sich
bewusst,dass jede einzelne Leistung zur Steigerung der Servicequalität führt. Um dies zu verwirklichen, müssen die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Gästen den Tourismusdienstleistern bekannt sein,und ein Bewusstsein dafür muss entwickelt werden.

Daher bietet Access Unlimited am 27. Juni zwei kostenfreie Schulungen in der Destination Davos Klostersan,um das Gespür der Mitarbeitenden und Leistungsträgern innerhalb der Destination bezüglich der Bedürfnisse zu schärfen. Die Schulung richtet sich an Mitarbeitende der Gästeinformation,der Hotelreception,der Bergbahnen,des öffentlichen Verkehrs und weitere Interessierte. Die Plätze sind beschränkt, daher ist eine Anmeldung(hello@access-unlimited.ch) bis 24.Juni notwendig.

Ziel der Schulung

Jede einzelne Leistung kann zur Steigerung der Service qualität führen. Um dies zuverwirklichen,müssen die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Gästen bekannt sein und ein Bewusstsein da für entwickelt werden.Das Gespür der Mitarbeitenden und Leistungsträger innerhalb der Destination kann anlässlich der kostenfreien Schulung geschärft werden. Dabei schlüpfen die Teilnehmer beispielsweise selbst in die Rolle der Gäste mit Handicap und erschliessen sich den Schulungsort mit Rollstuhl,testen neu geschaffene Erlebnisangebote wieden JST-Rollstuhl auf der Madrisa oder das Pedalo auf dem Davosersee.Darüber hinaus erhalten sie Hintergrundwissen zu den verschiedenen Zielgruppen und ihren Bedürfnissen.Beim gemeinsamen Austausch mit denverschiedenen Akteuren bringt jeder seine eigenen Erfahrungen sowie Best-Practice-Beispiele ein.


Programm
27.Juni,8.30 bis 12.30 Uhr:Treffpunkt Talstation Madrisa Bergbahnen in Klosters Dorf.
27.Juni,15 bis 18.30 Uhr:Treffpunkt Segelschule Davos in Davos Dorf.
Leitung:Markus Böni,Fachstelle Inklusionbei ProInfirmis.
Die Teilnahme ist kostenfrei.

«Mad Pride»: Psychische Krankheiten sollen entstigmatisiert werden

(aargauerzeitung.ch)

«Bring deinen Vogel mit»: Unter diesem Motto trafen sich am Samstag zahlreiche Personen in Bern zum ersten nationalen «Mad Pride» in Bern. Die Organisatoren wollen damit psychische Krankheiten in der Gesellschaft entstigmatisieren.


2019 fand in Genf bereits einmal ein «Mad Pride» in der Schweiz statt. (Archivbild) Keystone

 

Nach zwei Jahren Coronapause war es am Samstag soweit: Nach dem ersten Schweizer «Mad Pride» 2019 in Genf fand nun erstmals ein nationaler «Mad Pride» statt. Unter dem Motto «Bring deinen Vogel mit» marschierten zahlreiche Personen durch die Berner Altstadt und feierten schliesslich gemeinsam auf dem Bundesplatz.

Der Anlass wurde von über 25 nationalen und regionalen Organisationen von Betroffenen, Angehörigen und Fachverbänden getragen, wie die Organisatoren mitteilten. Zu den Hauptfinanzierungspartnern gehören etwa die Stiftung Pro Mente Sana, Pro Infirmis oder das Eidgenössische Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

Die Idee stammt laut den Organisatoren ursprünglich aus Kanada und soll sich in den nächsten Jahren auch in der Schweiz etablieren. 1993 in Toronto gegründet, lehne sich der «Mad Pride» an den Geist der «Gay Pride» an und sei eine Reaktion auf Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Psychische Erkrankungen können alle treffen

Denn obwohl psychische Erkrankungen zu den häufigsten Krankheiten in der Schweiz gehören, seien sie noch immer stark mit Vorurteilen und Stigmata behaftet, schreibt das Organisationskomitee. Daher werde oft nicht offen darüber gesprochen und die Krankheit verschwiegen – wodurch Betroffene noch mehr leiden.

#MadPride pic.twitter.com/9mESCAB8Xd— St3th (@St3thrich) June 18, 2022
#MadPride pic.twitter.com/9mESCAB8Xd

Der Anlass will daher die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, «dass psychische Erkrankungen alle irgendwann im Leben treffen können» – als Angehörige oder als Selbstbetroffener. Für sie ist daher klar: «Psychische Gesundheit geht uns alle an.» (abi)