Barrieren abbauen

(Walliser Bote)


Engagiert. Die Stiftung Emera unter Präsident Jean-Pierre Bringhen (Mitte) möchte Menschen mit Behinderungen das Reisen erleichternFOTO MENGIS MEDIA

 

Die Stiftung Emera will die Zugänglichkeitsdaten für 7000 Walliser Tourismusattraktionen ermitteln und veröffentlichen; mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen das Reisen zu erleichtern. Nach einer erfolgreichen Pilotphase soll das Projekt nun auf das ganze Wallis ausgeweitet werden. Dafür sucht Emera Freiwillige.

Das Wallis leistet mit diesem Vorhaben Pionierarbeit. So ist der Kanton der einzige in der Schweiz,der diesen Ansatz umfassend inseinem Gebiet umsetzen will.

Zugang zu Fotos und Infos der Räumlichkeiten

Wenn man in seinen Bewegungen,seiner Wahrnehmung oder seinen Sinnen eingeschränkt ist, ist jede Bewegung eine Herausforderung.Um sicherzustellen,dass jeder Mensch mit einer Behinderung seine Ausflüge sorgenfrei und in voller Kenntnis der Sachlage organisieren kann, hat die Stiftung Emera ein gross angelegtes Projekt zur Erhebung von Daten über die Zugänglichkeit öffentlicher Plätze im Wallis gestartet. «Die in den Jahren 2017 und 2018 in den Bezirken Siders, Leuk, Östlich Raron und Goms durchgeführten Versuche ermöglichen es, Profile von 800 Hotels, Restaurants, Museen, Schwimmbädern und anderen öffentlichen Einrichtungen zu erstellen», berichtet Olivier Musy, Direktor Sozialberatung für Menschen mit Behinderung bei der Stiftung Emera. Heute seien diese Informationen auf den meisten Websites der betroffenen Tourismuspartner verfügbar.

Menschen mit Behinderungen können so Zugang zu Fotos der Räumlichkeiten erhalten oder Infos zu den genauen Abmessungen der für ihre Bewegung und ihren Komfort wesentlichen Infrastruktur; wie beispielsweise die Breite der Türen, der Haltebügel in der Dusche, die Höhe der Tische in einem Restaurant oder die Länge des Freiraums vor der Toilettenschüssel etc. «Diese Details sind entscheidend. Derzeit geben viele Rollstuhlfahrer das Reisen auf,weil sie keine Garantie für die Zugänglichkeit haben», weiss Jérôme Bagnoud, Präsident des Rollstuhl-clubs Unterwallis, aus eigener Erfahrung und merkt an: «Dank der neuen Daten ändert sich unsere Situation grundlegend. Kürzlich hatte ich etwa eine Sitzung in Crans-Montana. So konnte ich das am besten geeignete Lokal mit zugänglichen Parkplätzen und Toiletten auswählen.» Ferner seien diese Informationen auch für andere Menschen mit eingeschränkter Mobilität wertvoll, beispielsweise für ältere Menschen oder Familien mit Kinderwagen.

6000 weitere Standorte sollen folgen

Wie Musy bilanziert, war die Pilotphase sehr zufriedenstellend:«Dazu gehörten das Testen dervon Pro Infirmis entwickelten digitalen Methode zur Datenerfassung und der Beginn einer ersten Zusammenarbeit mit den Tourismusbüros.» Das Feedback sei positiv gewesen. Somit könne das Projekt nun in einem grösseren Umfang durchstarten.

Seit November 2019 bis Mai 2021 werden dazu mehr als 6000 weitere Standorte von speziell ausgebildeten freiwilligen Datenerfassern besucht. Das erklärte Ziel: die Erhebung von Daten über die Zugänglichkeit von Points of Interest,die von den Tourismusbüros gemeldet werden. «Wir sind alle sehr begeistert von dem Projekt. Es ermöglicht uns, verschiedenen Kundengruppen einen nützlichen Service anzubieten und gleichzeitig das Bewusstsein der Tourismusakteure zu schärfen. Dieser Ansatzist nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Image des Wallis sehr positiv», findet Michael Moret, Präsident des Verbands der Kur- undVerkehrsdirektoren.

Budget von 700000 Franken

Das Budget des Projekts beläuft sich auf 700000 Franken. Finanziert wird es vom Kanton Wallis, der Loterie Romande, der Stiftung Emera, Pro Infirmis und anderen privaten Sponsoren. «Um all diese Daten zu erheben, ist die Stiftung Emera auf der Suche nach motivierten Freiwilligen», so Stiftungspräsident Jean-Pierre Bringhen. Interessierte könnten sich an Projektleiter Antoine Bellwald wenden.

Barrierefreiheit ist eine sehr aktuelle Herausforderung. Schätzungen zufolge sind 20 Prozentder Schweizer Bevölkerung körperlich, geistig oder psychisch beeinträchtigt. Und mit der steigenden Lebenserwartung nimmt dieser Anteil weiter zu. «Es ist sehr wichtig, dass diese Menschen Zugang zu detaillierten und zuverlässigen Informationen über die Zugänglichkeit soziokultureller Dienstleistungen haben, damit sie ihre Aktivitäten so gut wie möglich auswählen und planen und damit am sozialen Leben teilhaben können», so Bringhen. Die Verfügbarkeit solcher Informationen würde die Attraktivität des Tourismuskantons klar verbessern. mk

Nachgefragt Bei Jean-Pierre Bringhen, Präsident der Stiftung Emera

«Gemeinden haben uns gewaltig unterstützt»

Jean- Pierre Bringhen, ist der Walliser Tourismus für Menschen mit Behinderungenheute schlecht zugänglich?

«Schlecht zugänglich würde ich nicht sagen. Aber es gibt sicher grossen Nachholbedarf Wenn man den Vorgaben der UNO-Konvention für Menschen mit Behinderungen gerecht werden will,muss man im öffentlichen Bereich einiges aufholen.»

Wie wollen Sie die Situationverbessern?

«Indem wir weitere 6000 Punkte erfassen, die dann auf der Homepage von Pro Infirmis Schweiz publiziert werden. So kann jede Person überprüfen, unter welchen Bedingungen und Einschränkungen was wie zugänglich ist, sodass man sich in den Ferien zurechtfindet und auf keine überraschenden Hindernisse stösst.»

Welche Bilanz ziehen Siezur Pilotphase?

«Eine sehr positive. Die Gemeinden, die dabei mitgemacht haben,waren sehr offen und haben uns gewaltig unterstützt. Das Projekt trägt langsam Früchte und wird im Endausbau sehr attraktiv sein.»

Beim Projekt geht es zunächst darum, den Istzustand zu erfassen. Wie hoch ist die Bereitschaft, konkret etwas zu investieren, damit sich die Situation vor Ort verbessert?

«Von den ganzen Erfassungen erhoffen wir uns einen Schneeballeffekt. Mit dem Ziel, dass die Leistungsträger merken, dass wenn sie ihr Hotel, Restaurant oder Kino den Normen für Menschenmit Behinderungen anpassen, sie dann auf zusätzlichen Plattformen präsent sind, sprich davon selbst profitieren.»

Wen sprechen Sie da konkretan? DieTourismusorganisationen, die Gemeinden,die Hotellerie oder die Bergbahnen?

«Im Grunde alle und jeden, der Leute bei sich aufnimmt. Das kann sogar eine Arztpraxis sein.Was auch immer. Wichtig ist, den Menschen zu zeigen, wo sie im Wallis barrierefrei Ferien machen können.»

Also muss jeder einenBeitrag leisten…

«Das wäre fantastisch. Ohne einebreitflächige Sensibilisierung der Gesellschaft werden wir auf diesem Gebiet nicht weiterkommen.»

Menschen mit einem Handicap machen bereits 20 Prozent der Bevölkerung ausTendenz steigend. Tut sich da eine Marktnische auf, von der das Wallis als Pilotkanton auch wirtschaftlich profitieren kann?

«Im Endeffekt will der, der Geld investiert, auch einen Return on Investment. Wenn das Wallis zu einem Ort wird, an dem man unabhängig von einer Behinderung seine Ferien verbringen kann, wäre das sicher ein schönes Aushängeschild. In den Städten ist man diesbezüglich schon sehr weit. Und das Wallis als Tourismuskanton könnte da sicher eine Nische besetzen- zum Wohl aller.»
Interview: mk