Damit das Kind etwas vom Erbe hat

(Tages-Anzeiger)

Begünstigung für Behinderte
Wer Sozialleistungen bezieht, darf kaum eigenes Vermögen besitzen. Das verlangt von Eltern behinderter Kinder eine sorgfältige Planung des Nachlasses, damit das Kind sein Erbe nicht nur für den Lebensunterhalt einsetzen muss.


Kinder mit Behinderung, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, können nur beschränkt von der Erbschaft der Eltern profitieren. Foto: Plainpicture

 

Andrea Fischer

Vor dem Erbrecht sind alle Nachkommen gleich. Geschwister haben je den gleichen Anspruch aufden Nachlass ihrer Eltern. Die Eltern können einen Sprössling gegenüber andern begünstigen,solange der gesetzliche Pflichtteil aller eingehalten ist. Ist eines der Kinder behindert, stellt das die Eltern vor ’spezielle Herausforderungen. Was ist vorzukehren, damit das Kind bestmöglich von seinem Erbanteil profitiert? Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Vielmehr hängt sie von den.konkreten Umständen ab, vonder Behinderung, der Familienkonstellation sowie vom vorhandenen Vermögen. Nachfolgenddie zentralen Aspekte, die bei der Nachlassplanung für Nachkommen mit Behinderung zu beachten sind.

Ist Begünstigung sinnvoll?

Eltern hätten oft den Wunsch, ein behindertes Kind gegenüber den Geschwistern zu begünstigen,sagt Martin Boltshauser, Leiter Rechtsberatung bei der Behindertenorganisation Procap. Dahinter stehe die Absicht, dem Kind die nötigen Mittel zu geben für die Unterstützung, die es benötige.

Eine Begünstigung ist laut Boltshauser aber nur von Vorteil,wenn das erwachsene Kind trotz Behinderung seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften kann. Ist -das Kind aber nebst einer IV-Rente auch auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen, kann eine Begünstigung finanziell kontraproduktiv sein.Denn das eigene Vermögen wird,abgesehen von einem Freibetrag von 30’000 Franken (ab 2021),bei den EL angerechnet. Das kann dazu führen, dass die Leistungen gekürzt oder eingestellt werden.

Nur den Pflichtteil geben

Um zu verhindern, dass ein behindertes Kind sein Erbe voll zur Existenzsicherung einsetzen müsse und nichts davon habe,sei es ratsam, dem Kind nur den Pflichtteil zukommen zu lassen,rät Martin Boltshauser. Das sei rechtlich nicht stossend und müsse gegenüber den EL-Behörden auch nicht begründet werden. «Bei Procap raten wir den Eltern schon frühzeitig, nicht zu viel Geld für ihr Kind auf die Seite zu legen, wenn absehbar ist dass es später auf EL angewiesen sein wird.»

Verzichtet ein Kind freiwillig oder unfreiwillig auf seine Erbansprüche,so hat das Folgen.

Lebt das Kind in einem Heim,muss es eigenes Vermögen auch für die Heimkosten aufwenden.Eine Erbschaft ist so schnell aufgebraucht. Deshalb plädiert auchdie Juristin Janine Camenzind,wissenschaftliche Assistentin ander Universität Luzern, dafür, behinderte Kinder erbrechtlich zurückzustellen. Nur bei sehr hohen Erbschaften, die ein gutes Leben ohne Sozialleistungen erlauben, erübrige es sich, Nachkommen mit Behinderung auf den Pflichtteil zu setzen.

Spezialfall Wohneigentum

Eine Ausnahme gibt es: Besitzen die Eltern ein Haus oder eine Wohnung, kann es sich lohnen,dies dem behinderten Kind zu vererben, selbst wenn das Kind EL bezieht. Vorausgesetzt, das Kind sei in der Lage, allein oder mithilfe von Dritten zu leben,profitiere es bei selbst bewohntem Wohneigentum von einem deutlich höheren Vermögensfreibetrag, sagt Martin Boltshauser.Zudem sollte das Wohneigentum mit Hypotheken so belastet sein,damit dem Nachkommen nicht doch noch Vermögen angerechnet werde.

Gibt es zudem Geschwister,sind auch deren Erbansprüche zu berücksichtigen – was nur geht, wenn nebst dem Wohneigentum genug Vermögen vorhanden ist oder die Geschwister auf ihren Anteil verzichten. Der Pflichtteil ist auch bei der Nachlassplanung für Kinder mit Unterstützungsbedarf auf jeden Fall zu beachten. Verzichtet ein Kind freiwillig auf seine Erbansprüche, so hat das Folgen. Das Vermögen, auf das verzichtet wurde, wird bei den EL trotzdem angerechnet. Das gilt auch, wenn,der Verzicht unfreiwillig erfolgt.Deshalb ist laut Martin Boltshauser davon abzuraten, dass Eltern mit einem Erbvertrag den Erbteil des behinderten Kindes auf den überlebenden Partner übertragen. Das könne dazu führen,dass das Kind oder dessen Beistand den Erbvertrag anfechten und seinen Pflichtteil einfordern müsse.

Zu bedenken ist auch, dass eine Erbschaft bei den EL ab dem Todeszeitpunkt des Erblassers angerechnet wird und nicht erst,wenn die Erbteilung abgeschlossen ist. «Für Menschen mit Behinderung kann das zum Problem werden, wenn die Behörde die Ergänzungsleistungen kürzt,bevor die Erbschaft für die behinderte Person verfügbar ist»,sagt Juristin Camenzind. Das lasse sich verhindern, indem die Eltern im Testament festlegen,dass der Pflichtteil für das behinderte Kind als Vermächtnis auszurichten sei. Ein Vermächtnis ist auszurichten, sobald die Erben feststehen, in der Regel bereits einige Wochen nach dem Todesfall.

Lebensqualität verbessern

Solange die Eltern leben, profitieren Kinder oft von deren Unterstützung. Mit entsprechenden Anordnungen im Testament können Eltern dafür sorgen, die Lebensqualität eines Nachkommen mit Behinderung zu erhalten. Die Lösung, welche die Juristin Janine Camenzind vorschlägt, heisst: Zuwendung an Dritte mit Auflage. Das geht so:Das Kind wird auf den Pflichtteil gesetzt, über den verbleibenden Erbanteil können die Eltern frei verfügen. «Sie können diesen als Zuwendung einer anderen Person zukommen lassen, mit der Auflage, dem behinderten Kind gewisse Leistungen zu gewähren.» Laut Camenzind könnte die beauftragte Person dem Kind etwa die Ferien oder den Coiffeur bezahlen, einen neuen Lap-top kaufen oder die Kosten einer Therapie übernehmen, die von der Grundversicherung und damit auch von den EL nicht bezahlt werden.

Die Zuwendungen seien zwingend als freiwillige Leistung zu gestalten. Die beauftragte Person solle diese nach eigenem Ermessen und nach Bedarf des Kindes ausrichten können, betont Camenzind. Das Kind darf keinen Anspruch auf die Leistungen haben, weil sie sonst bei den EL angerechnet werden. Voraussetzung ist schliesslich auch, dass die Eltern eine Person mit der Aufgabe betrauen, der sie voll vertrauen können.

Mitten im Leben

Die Möglichkeiten, um die Lebensqualität von behinderten Kindern mit EL zu verbessern,seien letztlich aber sehr beschränkt, so Camenzind. Die Juristin, die im Rahmen eines Nationalfondsprojekts zur Nachlassplanung bei Nachkommen mit Behinderung forscht, sieht den Grund darin, dass die’EL-Regeln für Einkommen und Vermögen keinen Unterschied machen zwischen bedürftigen Altersrentnern und Bezügerinnen einer IV-Rente. Dabei seien vor allem IV-Rentner auf EL angewiesen, darunter sehr viele, die seit Geburt behindert seien. Diese stünden mitten im Leben und brauchten mehr Mittel als Menschen im hohen Alter, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sagt Camenzind. «Wenn die Eltern aber keine Möglichkeit haben,mit einer Erbschaft den Lebensstandard ihrer Kinder über das Existenzminimum der EL anzuheben, dann ist dies problematisch.» Die betroffenen Kinder selbst seien nicht in der Lage,ihre Situation zu verbessern -ausser sie erbten so viel, dass es sie langfristig von den EL befreit.