Designerprothesen als Weckruf für die Manager in Davos

(Tages-Anzeiger)

WEF Menschen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen haben es schwer im Arbeitsmarkt. Das soll sich ändern – wenn Unternehmenschefs endlich auf das Problem aufmerksam werde.


Erstmals ein wichtiges Thema in Davos: Die Integration Behinderter in die Arbeitswelt. Im Bild eine ausgestellte Designerprothese. Foto: PD

 

Karin Kofler,
Davos Auf den ersten Blick sahen sie aus wie witzige Skulpturen, aber was den gehetzten Managern mitten im Kongresszentrum am Weltwirtschaftsforum in Davos gezeigt wurde, waren Designerprothesen. Die Firma, die sie herstellt, will die Gehhilfen als modisches Accessoire positionieren. Tausende von Wirtschaftschefs sind nun während fünf Tagen an ihnen vorbeigelaufen. Die Ausstellung unter dem Titel «Acces+Ability», die auch einen Rollstuhl und andere Mobilitätshilfen für Behinderte zeigte, erhielt als Hauptausstellung am diesjährigen WEF einen prominenten Raum. Die Botschaft an die Chefs: Integriert auch Menschen mit Beeinträchtigungen.

Für Chefs selten ein Thema

Ob nun psychische Krankheiten oder körperliche Behinderungen: Wer im Zeitalter der vierten industriellen Revolution nicht voll leistungsfähig ist, hat im Arbeitsmarkt einen schweren Stand. Personen mit psychischen Problemen etwa haben laut den Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO eine um 15 bis 30 Prozent tiefere Beschäftigungsrate und eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden wie andere. Doch gerade die CEOs sind selten mit dieser Welt der Angeschlagenen konfrontiert.

«Das ist sicher nicht die Zielgruppe, die bei Topmanagern im Fokus steht», sagt Susanne Bruyre, Professorin an der amerikanischen Cornell-Universität mit Schwerpunkt Arbeitsmarkt und Behinderte. Bruyre wurde heuer erstmals ans WEF eingeladen: «Die Organisatoren gaben dem Thema bislang wenig Raum. Das will man nun ändern, was mich positiv überrascht.»

Tatsächlich hat man in Davos noch nie so laut nach Integration geschrien wie 2019. Die Frauen, die Verlierer der vierten industriellen Revolution, Flüchtlinge alle sollen am WEF ihren Raum haben. Jetzt also auch die Behinderten. Für Susanne Bruyre ist die Offensive aber mehr als eine PR-Aktion. «Die Firmen fangen langsam an zu realisieren, dass die Integration von beeinträchtigen Menschen durchaus einen positiven ökonomischen Impact hat und sie angesichts des demografischen Wandels nicht mehr darum herumkommen, neue Arbeitsmarktressourcen zu öffnen.» Beispiel Autismus: Grosse Tech-Firmen wie SAP oder Microsoft haben schon seit einiger Zeit Initiativen am Laufen, um Autisten zu rekrutieren, weil man weiss, dass diese über Begabungen verfügen, die für Unternehmen von Nutzen sind. Geht es nach den Experten, soll der Fokus nun ganz allgemein auf Menschen mit Defizitengerichtet werden. Die grosse Masse dieser Gruppe verfügt aber über Gebrechen, die nicht sichtbar sind – kognitive Störungen, psychische Krankheiten. «80 Prozent der behinderten Personen haben nicht sichtbare Beeinträchtigungen. Diese sind noch immer stark stigmatisiert. Das gilt es zu ändern», so Cornell-Professorin Bruyre. Ihre Forschungen zeigen, dass es auf andere Mitarbeitende einen positiven Effekt hat, wenn sie sehen, dass Kollegen, die beeinträchtigt sind, in der Firma trotzdem einen Platz haben. Es erhöht die Identifikation und damit die Verweildauer.

Was gut tönt, wird durch die Umwälzungen im Arbeitsmarkt indes gefährdet. Durch die Automatisierungsprozesse gehen in schwindelerregendem Tempo Jobs verloren. Jobs, die möglicherweise auch für Menschen mit Behinderungen geeignet wären. «Die Digitalisierung macht es sicher nicht einfacher», sagt Susanne Bruyre. Aber es sei eben auch ein Klischee, dass Menschen mit Beeinträchtigungen nur in den einfachsten Jobs arbeiten könnten. «Das Potenzial ist viel grösser.»