Einsparungen dankberuflicher Eingliederung

(Schweizer Sozialversicherung/Ass. Sociale Suisse)

Haben sich die Investitionen in die berufliche Eingliederung in den letzten 15 Jahren bei der Invalidenversicherung wirklich gelohnt? Ja, kann die IV-Stellen-Konferenz seit August 2019 anhand eines mit eindrücklichen Zahlen unterlegten Business Case antworten.


Florian Steinbacher Präsident der 1V-Stellen-Konferenz,
Leiter der 1V-Stelle für Versicherte im Ausland

 

Die jährlich zunehmende hohe Verschuldung der Invalidenversicherung (IV) hat den Gesetzgeber anfangs Jahrtausendwende dazu veranlasst, mit entsprechenden Anpassungen korrigierend einzugreifen. Mit der 4., 5. und 6. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG)in den Jahren 2004, 2008 und 2012 wurden unterschiedliche Massnahmen eingeführt, um die Verschuldung langfristig zu reduzieren respektive abzubauen. Das Ziel ist die komplette Sanierung und Gesundung der IV bis ins Jahr 2030.Mit der Stärkung des Grundsatzes «Eingliederung vor Rente» erfolgte mit der 5. IVG-Revisioneine Strategieänderung der IV von einer Renten-versicherung hin zu einer Eingliederungsversicherung.

Eingliederung hat jährlich 750 Millionen gespart

Dieser Strategie folgend investierte der Gesetzgeber zusätzlich Geld und personelle Ressourcen. Einerseits in Leistungen für die berufliche Eingliederung und andererseits in die Mittel für den Vollzug der neuen Massnahmen. Da konkret Leistungen ausgebaut wurden – insbesondere in der beruflichen Eingliederung – ist die zentrale Frage: Haben die investierten Mittel auch tatsächlich zur finanziellen Gesundung der IV beigetragen?

Demnach ist es wichtig zu prüfen, ob dieses politische Versprechen erreicht wurde und die vergangenen drei Revisionen die geeigneten Massnahmen eingeführt haben.

Im Auftrag der Mitgliederversammlung hat die IV-Stellen-Konferenz (IVSK) diese Frage anhand eines Business Case untersucht. Es handelt sich dabei um eine Analyse aus finanzieller Sicht.Das Fazit: Die strategische Neuausrichtung «Eingliederung vor Rente» und der Ausbau der beruflichen Eingliederung sind eine finanzielle Erfolgsgeschichte. Der Business Case zeigt auf, dass sich die Investitionen mehr als rechnen, denn die Einsparung bei den Rentenzahlungen fällt weit höher aus als die getätigten «Investitionskosten».

Die IV hat in den Jahren 2004 bis 2016 (ohne jährliche Ab- oder Aufzinsung) allein durch berufliche Eingliederungen fast 1o Mrd. Franken gespart. Pro Jahr entspricht dies über 75o Mio.Franken. In dieser Nettorechnung sind alle zusätzlichen Aufwendungen aufgrund des Leistungs- und Personalausbaus mit eingerechnet.Werden zudem nebst den IV-Renten auch die Invaliditätsrenten aus der beruflichen Vorsorge berücksichtigt, so beträgt die Einsparung im selben Zeitraum sogar über 23 Mrd. Franken (siehe Tabelle). Eine einzige Rente, die infolge erfolgreicher beruflicher Eingliederung vermieden werden kann, bedeutet eine Einsparung von rund 250000 Franken.

Personalmangel erschwert optimale Eingliederung

Die Plafonierung der Personalressourcen der IV-Stellen auf Bundesebene hat allerdings einen negativen Einfluss auf das finanzielle Ergebnis.Diese Personalressourcen sind seit 2013 auf demselben Stand eingefroren, obwohl die Anmeldungen für berufliche Eingliederung oder Rente im gleichen Zeitraum um 3o Prozent zunahmen.Durch fehlendes Personal für die Begleitung und Beratung der versicherten Personen im Bereich der beruflichen Eingliederung sehen die IV-Stellen eine wie bis anhin umfassende Betreuung gefährdet. Die Laufzeit der Fälle verlängert sich,was wiederum die Gefahr der Chronifizierung von Krankheiten bei den antragstellenden Personen fördert. Ebenso ist eine Nachbetreuung kaum mehr möglich. Als Folge davon steigt die Anzahlder Neurenten, was sich finanziell ebenfalls negativ auswirkt. Die IVSK ist besorgt über diese Entwicklung. Letztlich führt das Sparen beim Personal oder bei den Leistungen im Rahmen der beruflichen Eingliederung nicht zu weniger Aus gaben, sondern im Gegenteil zu einer Erhöhungder Ausgaben in der IV.

Auch wenn mit der IVG-Revision 6a zusätzliche Stellen bewilligt wurden, so reichen diese Ressourcen nicht aus, die Zunahme der Anmeldungen von über 3o Prozent auszugleichen.

Die IVSK stellt ausserdem eine starke Tendenz zu immer mehr Aufgaben rein administrativer Natur fest, die dem Ziel der finanziellen Gesundung der IV zuwider läuft. Ebenso schränken als Weisungen erlassene Aufgaben in den Bereichen Public Corporate Governance, Compliance oder auch komplexer werdende Daten- und Zahlenanalysen mit Controllingfunktion den Handlungsspielraum der IV-Stellen ein. Auch diese Aufgaben benötigen entsprechende Ressourcen und gehen am Ende zulasten des Hauptauftrags:der beruflichen Eingliederung.

Sparen um jeden Preis lohnt sich nicht

Eine weitere Gefahr liegt zudem in isolierten Kostensenkungsmassnahmen. Diese bergen das Risiko, dass auf das Gesamtsystem eine falsche Wirkung erzielt wird. Der Business Case zeigt auf,dass Kostenerhöhungen in einzelnen Leistungsbereichen eine positive Wirkung auf das Gesamtsystem erzielen und die Gesamtausgaben in der Endabrechnung sogar gesenkt werden.

Abschliessend sind die neusten Zahlen der IV zu erwähnen, mit denen der Business Case nachträglich ergänzt worden ist. Die Neurenten sind von 2015 bis 2017 von 14 0000 auf 14 700 gestiegen.Im Jahr 2018 ist ein weiterer Anstieg der Neurenten zu verzeichnen. Dass dabei die fehlenden Ressourcen bei den IV-Stellen einen Einflusshaben, ist kaum abzustreiten. Im Rahmen der Weiterentwicklung der IV sowie der jährlichen Zunahme der IV-Anmeldungen sind die Erkenntnisse aus diesem Business Case von grösster Relevanz.


Einsparungen dankEingliederungsmassnahmen von 2004 bis 2018

 

In Kurze
Die Stärkung des Grundsatzes «Eingliederung vor Rente» hat seit 2004 in der IV und der beruflichen Vorsorge 23 Milliarden gespart. Wenn das erweiterte Leistungsangebot der IV-Stellen und die tiefere Neurentenquote beibehalten werden sollen, darf nicht bei den Personal ressourcen gespart werden.