Erhöhung des Armut-Risikos bei Menschen mit Behinderung und die politische Welt schweigt

(Faire Face)

Je höher die Leistungsfähigkeit, desto besser ist man in der Schweiz vor Armut geschützt. Leider sind aus diesem und weiteren Gründen Menschen mit Behinderungen allzu oft Opfer von Armut. Silvia Schenker, Nationalrätin (BS) und Sozialarbeiterin bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Basel-Stadt berichtet.

Das Armut-Risiko ist bei Menschen mit Behinderungen doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung: 19,1 % gegen-über 11,4 % (Bundesamt für Statistik). Der Schattenbericht von Inclusion Handicap zeigt auf, wie die UNO Behindertenkon-vention in der Schweiz umgesetzt wird. In Bezug auf das Thema Armut sagt der Bericht: Es gibt verschiedene Ursachen für die hohe Armutsgefährdung bei Menschen mit Behinderungen.

1. Es gibt keine obligatorische Kran-kentaggeldversicherung. Es ist eine sozialpolitische Lücke, die sich kaum schliessen lässt. Die Krankentaggeld-versicherungen sind im Privatver- sicherungsbereich sehr unterschiedlich geregelt, weil sie für die Privatversiche-rungen schnell ein Risiko darstellen. Die Leistungen können verweigert werden.

2. Lange IV-Verfahren: Einige Verfahren dauern mehrere Jahre. Die Personen müssen auf dem tiefsten Existenzminimum (Sozialhilfeexis-tenzminimum) leben und sind im Verfahren auf Sozialhilfe angewiesen.

3. Begutachtung in diesem Verfahren: Die Gutachter sind nicht so un-abhängig wie sie sein sollten. Dies ist ein grosses Problem, weil damit ein Risiko besteht, dass die Gutachten eher dem Standpunkt der Ver-sicherungen entgegenkommen. Bis jetzt findet keine systematische Qualitätskontrolle der Gutachten statt.

4. Fehlende 2. Säule: Nicht einmal die Hälfte der Menschen, die eine IV beziehen, haben eine Pensionskassenrente. Die Hürden, um sich über-haupt in der beruflichen Vorsorge versichern lassen zu können, sind sehr hoch. Das trifft vor allem Menschen mit Leistungsbeeinträchti-gungen sehr.

5. Wenn man eine IV-Rente bezieht, gibt es das Problem von langen Bear-beitungszeiten nämlich bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen. Wenn nicht alle Fragen abschliessend geklärt sind, z.B. ob ein Anspruch auf Pensionskassenrente besteht, zahlt die IV nicht. Die Menschen können ihre Existenz mit der IV-Rente nicht sichern.

6. Schliesslich gibt es ein Problem, das vor allem Menschen in Heimen betrifft: die Höhe des Betrags bei persönlichen Auslagen. Wenn jemand Ergänzungsleistungen bezieht, gibt es einen kleinen Betrag für persönliche Auslagen, der wirklich für alles reichen muss. Dieser liegt zwischen 90 und 540 CHF pro Monat. Eine Erhöhung des Betrags bei der Revision ist leider nicht gelungen.

Was läuft in der Politik?

Es gab ein nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung von Ar-mut, das bereits abgeschlossen ist: Wenn man den Bericht liest, dann fällt auf, dass Menschen mit Behinderung gar nicht vorkommen. Handlungs-felder werden definiert. Allerdings gibt es keinen Fokus auf Menschen mit Beeinträchtigungen, obwohl die Armutbetroffenheit höher ist als bei der durchschnittlichen Bevölkerung.

Eine wichtige Revision der Ergänzungsleistungen wurde abgeschlossen. Die Inkraftsetzung ist noch vom Bundesrat zu definieren: Endlich wer-den die Mietzinsmaxima bei den Ergänzungsleistungen angehoben für alleinstehende von CHF 1‘100.-/Monat auf CHF 1‘370.- und für Ehepaare von CHF 1‘250.- auf CHF 1‘620.- (in Grosszentren).

Die Weiterentwicklung der IV ist einer Vorlage, die im Nationalrat ein ers-tes Mal beraten wurde und die nun vom Ständerat behandelt wird. Dort ist noch nicht absehbar, ob das Ziel des Bunderats erreicht wird, welcher für einmal keine Sparvorlage verabschieden wollte. Ihm ging es darum, zusätz-liche Massnahmen bei der IV zu beschliessen, die vor allem Jugendliche und psychisch Kranke bei der Integration in die Arbeitswelt unterstützen sollen. Leider hat der Nationalrat eine Kürzung der Kinderrenten bei der IV in die Vorlage gepackt. Silvia Schenker, Nationalrätin