Gehörlose klären auf

(Schaffhauser Bock)

Die Gesellschaft der Gehörlosen Schaffhausen ergreift erneut die Initiative und geht auf eigene Kosten auf Behördensensibilisierungstour.


„Ein Symbolbild an der modernen Hörsäule im Museum zu Allerheiligen: Während Maya Demmerle (r.) der dort verfügbaren Erläuterung gespannt zuhört, kann Doris Hermann, gehörlos, nur mit den Schultern zucken.Bild: Jurga Wüger

 

Autor: Jurga Wüger

Viele öffentliche Institutionen haben vor einiger Zeit einen Brief der Gesellschaft der Gehörlosen Schaffhausen (GGS) mit der Bitte um eine Audienz erhalten, um «das dunkle Kapitel der Diskriminierung der Gehörlosen und Schwerhörigen im Kanton Schaffhausen abzuschliessen». Weiter ist im Schreiben zu lesen: «Das Behindertengleichstellungsgesetz und dessen Ratifizierung sind und bleiben teure Makulatur, wenn die versprochenen Verbesserungen unseren Alltag nicht erreichen.» Auf diese Sensibilisierungstour geht die GGS auf eigene Kosten, wird dabei aber vom Schweizerischen Gehörlosenbund unterstützt – es braucht zum Beispiel immer eine dolmetschende Person für die Gebärdensprache. Das Museum zu Allerheiligen und das Kantonsspital haben einem Gespräch zugestimmt. Bei den anderen Empfängern stiess die Bitte bisher auf taube Ohren.

Sozialpädagogin und GGS-Vorstandsmitglied Doris Hermann nimmt sich dieser Behördensensibilisierung an: «Wir möchten uns und unsere Behinderung sichtbar machen, Pilotprojekte vorschlagen, ein Netzwerk aufbauen, Lösungsansätze präsentieren sowie Vorurteile und Ängste abbauen.» Die Initiative ist auf gutem Willen aufgebaut, obwohl die Nerven blank liegen. Am liebsten würden die Mitglieder für ihre Anliegen auf die Strasse gehen.Doris Hermann vermutet, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der staatlichen Behörden der Rechtsanspruch der Gehörlosen nicht bekannt ist. Denn lehnen die Beamten die Bitte einer gehörlosen Person «Könnten Sie es mir aufschreiben?» ab, was oft vorkomme, machen sie sich wegen Benachteiligung einer behinderten Person im öffentlichen Raum strafbar.

Auf Augenhöhe diskutieren

Vor Kurzem traf Doris Hermann auf Maya Demmerle, zuständig für die Kulturvermittlung im Museum zu Allerheiligen. «Ich bin heute nicht als Bittstellerin gekommen», sagte Doris Hermann. «Wir Gehörlose und Schwerhörige möchten einen barrierenfreien Zugang zu allem, was uns interessiert. Wir möchten einfach dazugehören und nicht um das betteln müssen, was uns zusteht. Wie wollen wir diese Problematik im Museum zu Allerheiligen angehen?» Die Museumspädagogin begegnete ihr auf Augenhöhe und hatte grosses Verständnis für ihren Ummut. Spontan diskutierten sie über verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten. «Wenn Sie eine Führung organisieren, bitte ich Sie, automatisch auch an einen Dolmetschenden für Gehörlose zu denken», sagte Doris Hermann und traf damit ins Schwarze. Maya Demmerle notierte sich die Anregungen, stellte Fragen und bot einen Erkundungsrundgang durchs Museum an. Doris Hermann war vor 20 Jahren das letzte Mal im Haus und staunte über die moderne Ausstellungstechnik, die allerdings vor allem auf Hörende ausgerichtet ist. An einer Hörsäule fragte sie lachend: «Was soll ich damit anfangen?»

Ein übergeordnetes Rahmengesetz

Für die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes sind die Kantone zuständig. Dass die Kommunikation zwischen Hörenden und Nicht-Hörenden im Kanton funktionieren kann, zeigt die Erfahrung an den Schaffhauser Volksschulen. Hier wird das Behindertengleichstellungsgesetz mustergültig umgesetzt. Wenn beispielsweise ein Elternteil gehörlos ist, werden zu Elternabenden automatisch Dolmetschende bestellt. Auch manche Schaffhauser Politikerinnen und Politiker lassen ihre Wahlreden verdolmetschen. Im Kanton Schaffhausen leben rund 70 Hörbehinderte, die GGS zählt derzeit 40 Mitglieder im Alter von 44 bis 90 Jahren. Beim 25-Jahr-Jubiläum der GGS im Herbst 2019 werden im Parkcasino Schaffhausen die Ergebnisse der Behördensensibilisierungsaktion öffentlich präsentiert.

Nachgefragt beim Museum zu Allerheiligen

«Bock»: Frau Demmerle, warum haben Sie dem Gespräch mit der Gesellschaft der Gehörlosen (GGS) zugestimmt?
Maya Demmerle *: Weil es Zeit ist, diese Thematik aktiv anzugehen. Ein barrierefreier Zugang umfasst schliesslich auch verdolmetschte Vorträge und Führungen. In Bezug auf gehörlose Besucherinnen und Besucher sehe ich vor allem relativ einfach umzusetzende Möglichkeiten.

Sind die Wünsche der GGS in Bezug auf das Museum zu Allerheiligen realistisch?
Demmerle: Wir müssen die Problematik in mehreren Etappen angehen. Ausgewählte Führungen und Vorträge mit Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern sind sicher möglich. Auch der Gedanke, dass Frau Hermann in Gebärdensprache zu gewissen Themen bei uns Führungen machen könnte, ist sehr interessant.

Haben Sie gewusst, dass wenn eine hörbehinderte Person eine Verdolmetschung braucht, um eine öffentliche Dienstleistung zu nutzen, der Kanton verpflichtet ist, die Kosten zu tragen?

Demmerle: Dass bei Verständigungsschwierigkeiten in amtlichen Begegnungen eine Verpflichtung zur Verdolmetschung aller Sprachen besteht, war mir bekannt; dass auch das Museum davon Gebrauch machen kann, war mir bisher nicht bekannt.

Was ist Ihr nächster Schritt?
Demmerle: Ich werde intern meine Vorschläge präsentieren, ein Pilotprojekt ausarbeiten, bei Procom, der Dolmetscherzentrale, die Kosten für einen Dolmetschereinsatz erfragen und beim Kanton und anderen möglichen Trägern die Frage nach der Kostenübernahme klären.* Maya Demmerle ist zuständig für Kulturvermittlung und Museumspädagogik im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen.