Hören, was auf der Bühne zu sehen ist

(Schweizer Musikzeitung)

Wieviel Diversität besteht tatsächlich im Kulturleben? Fokus Opernhäuser: Welche Angebote bieten sie für Minderheiten, zum Beispiel für Menschen, die blind sind? Gibt es barrierefreien Zugang zum Musiktheater?

Eckhard Weber – Audiodeskription, die akustische Beschreibung des visuellen Geschehens, hat sich als Angebot in Film und Fernsehen für Menschen mit Sehbeeinträchtigung bereits etabliert. Allmählich probieren dies auch Opernhäuser aus. In der Schweiz gibt es seit einigen Jahren in Basel und Zürich einzelne Angebote mit Audiodeskription in deutscher Sprache, das Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) hat Aufführungen mit deutscher und französischer Audiodeskription im Programm. Die Audiodeskription im Musiktheater wird bei jeder Vorstellung live eingesprochen, um dem szenischen Geschehen punktgenau folgen zu können. Die Berliner Autorin, Tonregisseurin und Sprecherin Anke Nicolai erstellt solche Audiodeskriptionen für Film, Fernsehen und Theater, in der Schweiz etwa 2018 im Rahmen des beliebten Events »Oper für alle «am Opernhaus Zürich und aktuell für die Oper Basel. Bei der Audiodeskription komme es darauf an, » eine präzise, bunte, lebendige Sprache zu finden, um die Bühnenbilder, die Lichtstimmungen sowie die Gestik und Mimik der Sängerinnen und Sänger zu transportieren. Damit tatsächlich ein Bild im Kopf entsteht«, erläutert Nicolai.

Bei Opern beispielsweise in italienischer Sprache fliessen auch die Übertitel in die Audiodeskription ein.Um die Beschreibung lebendig zu gestalten, teilen sich oft zwei Personen die Dialoge. Die Kunst guter Audiodeskription im Musiktheater liegt darin, eine bildstarke Schilderung zu liefern und gleichzeitig der Musik ihren Raum zu geben. Anke Nicolai stellt sich stets kritisch die Frage: » An welchen Stellen spreche ich überhaupt in die Musik? Man muss hier sehr sensibel sein und darf nicht alles einfach zuquatschen, das muss gut ausgewählt werden.« Gleichzeitig sind Flexibilität und Improvisation gefragt,weil kein Opernabend dem anderen gleicht. »Bei Umbesetzungen sage ich vorher an, dass es möglicherweise zu unvorhergesehen Dingen kommt«,erzählt Anke Nicolai. So kann es passieren, dass es in der Audiodekriptiondann heisst: »Sie küsst ihn … heute nicht.« Bei der Aufführung sitzt Anke Nicolai in der Regel in einer Dolmetscher-Kabine. Ihr live gesprochener Audiokommentar wird wie bei Audioguides in Museen drahtlos auf Kopfhörer übertragen.

Der Rahmen muss stimmen

Für ein gelungenes Theatererlebnis,das blinde und sehbehinderte Besuchers innen anspricht, sollte der gesamte Rahmen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt sein: Zu diesem Zweck wird etwa am Theater Basel gerade eine Audioführung durchs Haus für die Website vorbereitet. So können sich in Zukunft die Besucher innen vorab mit den Räumlichkeiten vertraut machen. Geplant ist auch ein Audiofile als Einführung ins Stück mit Audiodeskription: In der kommenden Spielzeit wird dies die Neuproduktion der Zauberflöte sein,berichtet Belinda Schweizer, am Theater Basel verantwortlich für die Inklusionsangebote. Verschiedene Theater bieten vor Beginn der Vorstellungen mit Audiodeskription zumeist im Foyer eine Tasttour an, bei der die blinden und sehbeinträchtigen Besuchersinnen ausgewählte Kostümteile und Requisiten kennenlernen. Für die Aufführungen von La Bohène mit Audiodeskription 2018/19 in Basel konnte etwa der künstliche Schnee, der in der Inszenierung zum Einsatz kam,berührt werden. Im österreichischen Graz bietet das Opernhaus sogar Tastführungen über die Bühne an, wenn es der Bühnenaufbau zulässt. Daneben ist es wichtig, dem restlichen Publikum mitzuteilen, dass es bei der Aufführung eine Audiodeskription für blinde und sehbeeinträchtigte Besucher*innen gibt, auch weil mitunter Begleithunde anwesend sind.

Nichts geht ohne die Zielgruppe

Die mit den besten Absichten geplante Audiodeskription am Theater dürfte allerdings ohne die Hilfe und Expertise der Zielgruppe scheitern. So macht Anke Nicolai bei ihren Audiodeskriptionen stets einen Probedurchlauf mit einer blinden Referenzperson, die ihre Verbesserungswünsche einbringt. Das Theater Basel lässt sich von blinden Ansprechpartner innen beraten und von der Dachorganisation Pro Infirmis evaluieren. Zudem sind Sensibilisierungsschulungen für das Personal unverzichtbar, etwa für das Einlass- und Garderobenteam,aber auch für die Dramaturgie bei den Einführungen. Es geht dabei um Themen wie Ansprache und Berührung.Denn wenn eine sehende einer blinden Person etwa bei der Tastführung erklärt, sie sehe dort eine Perücke,wird dies auf Befremden stossen.


Die Berliner Audiodeskriptorin Anke Nicolai arbeitet unter anderem für das Theater Basel und das Opernhaus Zürich.Foto: Privat

 


Foto: Claudia Herzog«Oper für alle» 2018 am Opernhaus Zürich mit Audiodeskription: «Das Land des Lächelns»von Franz Lehär.

 


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