Ich bin einsam!

(Die Botschaft)


«Ich habe viele Hobbys», sagt Frau A., «tue aber alles immer alleine.» Frau A. ist auf dem Foto nicht zu sehen. Das Bild steht symbolisch für Einsamkeit.

 

A. möchte unter Menschen sein. Sie wünschte sich, es könnte einen Treffpunkt geben, an dem sie so sein darf, wie sie ist

ZURZIBIET(uz) – «Ich bin einsam», ge- steht A. Sie meint, dass sie ihre Einsamkeit überwinden wolle, dass im Zurzibiet aber die dafür hilfreichen Strukturen fehlen würden. Leider.

A. möchte unerkannt bleiben, ihr Name ist der Redaktion jedoch bekannt. «Seit mehr als 20 Jahren leide ich an einer psychischen Erkrankung», erzählt sie. A. ist Schweizerin, rund 50 Jahre alt, lebt in einem Zurzibieter Dorf und beziehteine IV-Rente.

Es war eine Qual

In jungen Jahren besuchte A. eine Diplommittelschule und absolvierte mehrere berufliche Ausbildungen. Sie stand jahrelang im Erwerbsleben, und jede ihrer Tätigkeiten hatte mit Menschen zu tun.

A. erzählt: «Die psychischen Probleme wurden vor rund 20 Jahren ganz akut. Sie traten nach harten Schicksalsschlägen auf. Zunehmend spürte ich eine anhaltende innerliche Anspannung und erlebte Gefühle derart stark, dass Freude innert Minuten in Verzweiflung umschlagen konnte. Es war eine Qual. Ich begann mich selbst zu verletzen undversuchte mehrmals, mir das Leben zu nehmen. Klinikaufenthalte und Therapien waren die Folgen. Durch die langen Klinikaufenthalte verlor ich viele Beziehungen. Um neue zu knüpfen, fehlte mir meist die Kraft. Neben der psychischen Erkrankung stellten sich nach und nach auch körperliche Erkrankungen ein. Einen grossen Teil meiner Zeit benötige ich für Behandlungen und Therapien.»

Heute stehe sie woanders, als damals vor 20 Jahren, meint A. «Ich bin weiter. Mithilfe von Medikamenten, Gesprächstherapie und dank dem Dienst der psychiatrischen Spitex halteich meineKrankheit in Schach, mein Leben aber ist einsam.»

Ehrenamtliche Arbeit – solange es möglich war

«Bis vor einigen Jahren leistete ich ehrenamtliche Arbeit», fährt sie fort undzählt Fahrdienst beim Roten Kreuz auf,Mithilfe bei Deutschkursen für Flüchtlinge und Besuchsdienst im Altersheim. «Die ehrenamtliche Arbeit machte mir Freude und bot mir Gelegenheit, unter Menschen zu sein. Ich hatte eine Aufgabe. Leider ist auch ehrenamtliche Arbeit nicht immer möglich und braucht viel Verständnis vom Umfeld am Einsatzort. Mein Gesundheitszustand ist nicht stabil, und deshalb kann man mich nicht fix einplanen und nicht nach Dienstplan mit mir rechnen.» Langweilig sei ihr nie, versichert A. und kommt damit auf ihre Hobbys zu sprechen: Sie bastle viel, mache Handarbeiten, lese oder musiziere. Alles aber immer alleine.

Ich bräuchte einen Treffpunkt

«Um unter Menschen zu kommen,bräuchte ich einen Treffpunkt», meint sie. «Diesen Treffpunkt müsste ich aufsuchen können, wenn es mir gesundheitlich möglich ist, und diesen Treffpunkt müsste ich als Ort erleben, an dem ich sein darf, so wie ich bin. Ein Ort, ohne Leistungsdruck oder Konsumationszwang und ein Ort,der in der Region liegt, sodass man nicht erst lange Wege zurücklegen müsste.» Einen solchen Ort gäbe es in der näheren Region aber nicht. Leider. Als Mensch mit einer psychischen Beeinträchtigung werde man im Zurzibiet allein gelassen.

Lauter Absagen

«Bitte richtig verstehen», betont A. «Von offiziellen Institutionen meine ich», und dann erzählt sie, dass sie sich schon vor einigen Jahren an rund 30 Institutionen gewendet habe, um sich nach Betreuung oder Besuchsdienst zu erkundigen. «Ich wollte nicht ganz vereinsamen», sagt sie, «deshalb schrieb ich ans Departement für Gesundheit und Soziales, an alle drei Landeskirchen, an örtliche Kirchgemeinden, ans Rote Kreuz und an Pro Infirmis. Leider ohne Erfolg. Zumeist konnte man meiner Anfrage nicht entsprechen, weil das Zurzibiet durch die jeweilige Institution nicht wurdeoder weil ich zu weit weg von den jeweilimn zentralen Geschäftsstellen lebe. Anlere Institutionen boten mir Besuchsdienst oder Begleitung gegen Entschädiging an, was ich mir aber nicht leisten konnte.»

In der Nähe misste es sein

«Will ich einen Treffpunkt, der meinen Bedürfnissen entspricht, muss ichals Zurzibieterin nach baden reisen.Dort existiert das christliche Sozialwerk , eine freikirchlich getragene Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen zu unterstützen, die sich in einer Krise befinden, gesellschaftlich schlecht integriert sind oder Mühe haben mit der Alltagsbewältigung. geht es um Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität.»

«Ich schätze sehr», sagt A., «gehöre aber keiner Freikirche an, sondern bin katholisch und würde mir ein ähnlich ausgerichtetes Projekt, weltanschaulich neutral, im Zurzibiet wünschen. Unter anderem auch darum, weil Reisen mit öffentlichem Verkehr ein IV-Budget stark belasten und weil Reisen je nach psychischem und körperlichem Zustandzu anstrengend sind.»

Bin ich die Einzige?

«Bin ich wirklich die einzige Zurzibieterin, die sich nach einem niederschwelligen Treffpunkt sehnt, um unter Men-schen zu sein?», fragt sich A. Sie könne es kaum glauben, weil laut Statistik jede dritte Person im Laufe ihres Lebens irgendwann mit psychischen Problemen zu kämpfen habe.

A. ist einsam. Sie würde gerne in Kontakt mit Gleichgesinnten kommen, sich austauschen, gemeinsam essen oder einen Kaffee trinken. Tagsüber sei dies halt besonders schwierig, meint sie, weil die meisten Menschen ihrer Generation berufstätig seien und arbeiten würden.

Vor einigen Jahren hat sich A. mit ihrem Bedürfnis nach einem Treffpunkt oder Besuchen an mehrere soziale Institutionen gewandt und keine Unterstützung erhalten. Heute sind diese Institutionen nicht mehr dieselben wie damals. Personell und strukturell haben sie sich verändert. A. nimmt diesen Umstand zum Anlass, um ihre Situation mithilfe dieses Artikels der Öffentlichkeit aufzuzeigen. Sie hofft, mit sozialen Zurzibieter Institutionen ins Gespräch zu kommen und etwas zu bewegen.