Kritik von der Ratslinken

(Walliser Bote)

IV-Rentnerinnen und-Rentner sollen für ihre Kinder weniger Geld erhalten. Der Nationalrat hat sich am Donnerstag dafür ausgesprochen, die Kinderrenten zu kürzen.

Mit 106 zu 66 Stimmen bei 10Enthaltungen hiess die grosse Kammer eine Regelung gut,welche die Sozialkommission in die Revision des IV-Gesetzes eingebaut hatte. Es geht umdas Geld für Kinder von IV-Rentnern, das heute «Kinderrente» genannt wird und künftig «Zulage für Eltern» heissen soll. Die Zulage sollvon 40 auf 30 Prozent der Rente gesenkt werden.

Neben der SVP und der FDP unterstützte auch die Mehrheit der Mitteparteien die Kürzung.Die Befürworterinnen und Befürworter argumentierten, bei der Invalidenversicherung seien weiterhin Sparmassnahmennötig. Mit der Senkung der Kinderrenten könnten 112 Millionen Franken im Jahr eingespart werden.

Ausserdem führten die heutigen Renten bei kinderreichen Familien zu falschen Anreizen.Es dürfe nicht sein, dass Familien mit IV-Rente bessergestelltseien als Familien, die ihren Unterhalt selbst verdienten,sagte Ruth Humbel (CVPIAG).Bei einer vollen IV-Rente von 2370 Franken betrage die Kin-derrente heute 948 Frankenpro Kind. Unter Umständen kämen noch Familienzulagen von einem erwerbstätigen Eltern teil hinzu.

Unverantwortlich und beschämend

Gegen die Kürzung stellte sichdie Ratslinke. Es gehe um über70 000 Kinder von IV-Bezügernund über 26 000 Kinder vonAHV-Bezügern,sagte Maya Graf (Grüne/BL). Eine Kürzungwäre unverantwortlich und beschämend. Sie könnte Familienin Not bringen. Die Betroffenen müssten Ergänzungsleistungen beantragen, wo mit die Kosten lediglich verlagert würden.Silvia Schenker (SP/BS) bezeichnete die geplante Rentenkürzung als «unnötige Machtdemonstration gegenüber den Schwächsten». Bereits heute sorge eine Regelung dafür, dasses nicht zu einer Überversicherung komme.

Mehr Ergänzungsleistungen

Sozialminister Alain Berset sprach sich ebenfalls dafür aus,in diesem Punkt beim geltenden Recht zu bleiben. Fast dieHälfte der IV-Bezüger habeschon heute Anspruch auf Er-gänzungsleistungen, gab er zubedenken.Würden die Kinderrentengesenkt, rechne der Bund mitZusatzkosten bei den Ergäzungsleistungen von 47 Millionen Franken. Ausserdem seider Bund dabei, das System der Kinderrenten zu analysieren.Das Parlament sollte das Resultat abwarten.

Stufenloses Rentensystem

Auf Bundesratskurs blieb de Rat beim stufenlosen Renten-system, das er guthiess – eben-falls gegen den Willen der Linken. Das Ziel ist, dass Menschenmit Behinderungen ihre Restarbeitsfähigkeit nutzen. Arbeit soll sich für IV-Bezüger in jedem Fall lohnen. Heute ist das wegen Schwelleneffekten nicht immer der Fall.

In einem idealen Arbeits-markt wäre dagegen nichtseinzuwenden, sagte Schenker.Es mangle aber an geeigneten Arbeitsplätzen. Sie kenne viele,die sehr gerne arbeiten würden, wenn sie eine Stelle finden würden.

Vollrente ab 70 Prozent

Eine Vollrente soll – wie heute- ab einem Invaliditätsgrad von70 Prozent zugesprochen werden. Bei der letzten IV-Revision,die das Parlament 2013 versenkte, war diese Frage heftigumstritten. Der Nationalrat sprach sich dreimal für 70 Prozent aus, der Ständerat dreimal für 80 Prozent.

Bereits laufende Renten sollen nach dem neuen Systemberechnet werden, wenn dieversicherte Person bei Inkrafttreten noch nicht 60 Jahre altist und sich der Invaliditätsgrad um mindestens 5 Prozent-punkte ändert. Minderheitenbeantragten, alle über 50-Jährigen auszunehmen oder dasstufenlose System nur für Neu-renten anzuwenden. Diese Anträge lehnte der Rat aber ab.

Keine Quote für Unternehme Nein sagte der Nationalrat ferner zu einem Antrag von lin-ker Seite für eine Quote. Er willUnternehmen mit mehr als 250 Angestellten nicht verpflichten, mindestens ein Prozent Arbeitnehmende mit einer Behinderung zu beschäftigen.Schenker argumentierte vergeblich, alle Eingliederungs-bemühungen nützten nichts,wenn es an Arbeitsplätzen für die Betroffenen mangle.Die bürgerlichen Fraktionen plädierten für Freiwillig-keit. Eine Verpflichtung wäre kontraproduktiv, sagte Bruno Pezzatti(FDPIZG).Kommissionssprecher Christian Lohr(CVPITG) gab zu bedenken, eskönnte für die Betroffenen stigmatisierend sein, wenn sie als«Quotenbehinderte» eingestellt würden. Der Bundesrat soll in-des mit den Dachverbänden der Arbeitswelt Vereinbarungen abschliessen können. Das hat der Rat mit 95 zu 93 Stimmen knapp gutgeheissen.

Fokus auf Jugendliche

Bereits am Mittwoch hatte der Nationalrat über Massnahmen entschieden, welche die Eingliederung Jugendlicher und psychisch Kranker fördern sollen – namentlich durch die Früherfassung. Dass es hier noch Verbesserungspotenzial gibt, war unbestritten.

Künftig sollen Jugendliche schon ab dem 13. Altersjahr der IV gemeldet werden können,wenn der Eintritt ins Berufs-leben gefährdet ist. Der IV gemeldet werden sollen zudem nicht nur arbeitsunfähige, sondern auch von einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit bedrohte Personen. Das Ziel ist,dass die IV Unterstützungs-massnahmen ergreifen kann.

Ja sagte der Nationalrat ferner zu Änderungen bei den Taggeldern für junge Erwachsene. Um den Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu erhöhen, solldas Taggeld der Höhe einesLohns für Lernende angeglichen werden. Weitere Gesetzes-änderungen betreffen Geburtsgebrechen. Der Nationalrat ist einverstanden damit, dass für diese klare Kriterien im Gesetzverankert werden. Ergänzt hatder Rat Regeln, um die Qualität von Gutachten im Auftrag der IV sicherzustellen.

In der Gesamtabstimmunghiess der Nationalrat die Vor-lage mit 133 zu 0 bei 55 Ent-haltungen gut. Der Stimmeenthalten haben sich SP undGrüne sowie die beiden EVP-Vertreter. Nun ist der Ständeratam Zug.sda


Session. Die Nationalräte Andrea Gmür (CVP/LU), Philipp Matthias Bregy (CVP/VS), Leo Müller(CVP/LU) und Benjamin Roduit (CVP/VS) diskutieren während der Debatte in der grossen Kammer.FOTO KEYSTONE