Mehr Zeit für das, was wichtig ist

(Aargauer Zeitung / Gesamt Regio)

Die SVA will weniger Bürokratie für Eltern beeinträchtigter Kinder.

von Raphael Karpf

Sarah Fischer und ihr Mann leben in Möriken-Wildegg und haben vier Kinder. Eins davon kam mit einem Gendefekt auf die Welt. Esist mehrfach schwerstbehindert. Der Junge kann weder reden noch gehen noch sitzen, er braucht rund um die Uhr Betreuung. Tagsüber geht das Kind in eine heilpädagogische Schule. Ansonsten kümmert sich hauptsächlich Sarah Fischer um ihn, mit Unterstützung der Kinderspitex und Assistentinnen, die von der IV finanziert werden.

Auch den ganzen Papierkrieg ficht Fischer aus: Verfügungen bei der IV beantragen, Termine mit den Ärzten koordinieren, Rechnungen bezahlen. Nebenbei führt Fischer quasi ein eigenes Unternehmen: Werden die Assistentinnen, die bei der Betreuung helfen, zwar von der IV finanziert, sind sie doch bei Fischer angestellt. Sie muss die Verträge machen, die Lohnabrechnungen, die Versicherungsleistungen.

Zwei bis drei Stunden pro Woche wendet Fischer nur für Bürokratie auf. Zwei Ordner mit Dokumenten füllt sie jedes Jahr. Ihr Kind ist mittlerweile zwölf – die Ordner füllen eine ganze Wand. Da ist es nicht ganz einfach, immer den Überblick zu behalten. Insbesondere, weil Verfügungen der IV zeitlich befristet sind. Physiotherapiestunden oder Medikamente werden für eine gewisse Zeit bewilligt – dann muss Fischer einen neuen Antrag stellen.

Auch bei Terminen vor Ort bringt die reine Masse an Papier Nachteile mit sich: Wenn Fischer etwa mit ihrem Sohn beim Arzt ist und dieser Infos von einer anderen Stelle bräuchte. Dann musste sie bisher nach Hause gehen und das entsprechende Dokument in den Ordnern suchen.

35 Eltern haben über 8000 Dokumente digitalisiert

Das Problem hat auch die SVA Aargau, zu der die Invalidenversicherung gehört, erkannt. Darum hat sie ein Pilotprojekt lanciert: eine Onlineplattform für Eltern beeinträchtigter Kinder. Sämtliche Formulare, Unterlagen und Rechnungen können an einem zentralen Ort hochgeladen und abgerufen werden. Nancy Wayland, CEO der SVA Aargau: «Die Onlineplattform schafft etwas zeitlichen Freiraum, den die Eltern für sich und ihre Kinder nutzen können.» Ausgewählt für den Pilotbetrieb
wurden 35 Eltern, darunter auch Sarah Fischer. Sie kann nunbeim Arzt auf ihrem Handy nach Stichworten suchen und findet unter den Hunderten Dokumenten sofort das benötigte.

Und laufen Verfügungen ab, wird sie im Voraus benachrichtigt. Ausserdem kann sie verschiedene Dokumente einscannen und so einreichen. Sie braucht nicht mehr alles auszudrucken, zu unterschreiben und per Brief abzuschicken. Fischer: «Die Plattform macht vieles einfacher und spart sehr viel Zeit.»

Dabei ist die Plattform noch gar nicht fertig. Im Februar 2020 startete das Projekt, seit Herbst 2020 sind alle 35 Pilotuser online. Alleine diese 35 Familien haben schon über 8000 Dokumente hochgeladen und können diese nun online verwalten.

Ausserdem werden Fischer und die anderen Pilotuser regelmässig befragt und können sich einbringen – und so das Projekt weiterentwickeln. In einemnächsten Schritt sollen nun die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt ausgewertet und Anpassungen vorgenommen werden. Und später soll die Plattform allen Eltern mit gesundheitlich beeinträchtigten Kindern zur Verfügung stehen.