Menschen mit Behinderung wollen Zugang zu Arbeitsmarkt

(Die Südostschweiz / Glarner Nachrichten)


Zugang auch mit Rollstuhl: Ein Bericht des Kantons stellt fest,
was es im Glarnerland für ein selbstbestimmtes Leben noch braucht,
Bild Gaetari Bally/Keygone

 

Auch Menschen mit Behinderung haben gleiche Rechte und sollen selbstbestimmt leben können. Der Kanton Glarus zeigt auf, wo er handeln muss, um diese Rechte laut UN-Konvention zu stärk

von Fridolin Rast

Was brauchen Menschen mit Behinderung im Kanton Glarus und finden esnicht oder nicht in genügendem Mass? Der Kanton hat dazu einen Bericht erarbeiten lassen, und der Regierungsrat hat mitgeteilt, dass er «die zuständigen Stellen mit der Prüfung und Umsetzung der empfohlenen Massnahmen beauftragt». Angesprochen sind damit neben den Betroffenen selbst etwa kantonale Stellen, Sozialversicherungen und Schulen. Der Regierungsrat will der Landsgemeinde 2024 ein Gesetz zur Integration von Menschen mit Behinderung vorlegen. Er setze damit die UN-Behindertenrechtskommission um, welche die Schweiz 2014 unterzeichnete. Das Land richte damit die Behindertenpolitik neu aus. Und es folgt wohl auch einem gesellschaftlichen Wandel.

Kommission und Fachkräfte

Damit ist aber erst eine Basis gelegt und noch nicht alles umgesetzt. Bei Pro Infirmis, welche die Interessen von Menschen mit Behinderung vertritt, ist das Echo verhalten. Präsident Fridolin Luchsinger sagt: «Das Bekenntnis ist vom Regierungsrat gegeben. Positiv ist es letztlich, wenn der Kanton die Folgerungen umsetzt.» Pro Infirmis wolle bei der Umsetzung mitwirken und einbezogen werden. Er befürworte auch, wenn dafür eine Kommission nicht nur diskutiert, sondern tatsächlich geschaffen werde. Habe sich doch der Regierungsrat bisher etwa bei der Gleichstellung von Mann und Frau sowie bei der Integration von Ausländern gegen Fachkommissionen gewehrt.

Forderungen Arbeitswelt

Ein grosser Teil der Menschen mit Behinderung wünscht laut dem Bericht, an einem Arbeitsplatz mit Lohn tätig sein zu können. Ob im sogenannten ersten Arbeitsmarkt in der Wirtschaft oder im zweiten in speziellen Institutionen, sei für sie weniger entscheidend. «Es braucht Veränderungen im ersten und im zweiten Arbeitsmarkt.» Es müsse für Arbeitgeber attraktiv sein, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung anzubieten. Arbeitsplätze im zweiten Arbeitsmarkt sollten sowohl die Anliegen von Menschen mit Behinderung als auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten unter einen Hut bringen. Weil der Kanton klein sei, sei es für Betroffene sehr schwierig, eine passende Stelle zu finden und dabei im Kanton wohnen bleiben zu können, heisst es weiter. Deshalb sollten auch passende auswärtige Angebote in Anspruch genommen werden können, so die Empfehlung.

Eine Kommission für die Anliegen von Menschen mit Behinderung müsse auch die Arbeitgeber einbeziehen, so Luchsinger: «Wir müssen sie unbedingt mit im Boot haben und nicht nur die Verwaltung daran arbeitenlassen.» Luchsinger zeigt sich überzeugt: «Nur die Arbeitgeber sehen, was möglich ist. Ich glaube aber auch, dass bei ihnen viel Potenzial vorhanden ist.» Wichtig findet er, die Arbeitgeber nicht alleinzulassen: «Wenn jemand zwei oderdrei integrative Arbeitsplätze anbieten will und dafür einen Mehraufwand leistet, braucht es auch eine Person, die sich um das Soziale und um weitere Unterstützung kümmert.» Stark sei auch der Wunsch von Menschen mit Behinderung, mehr private wie auch berufliche Weiterbildungen zu besuchen, heisst es weiter im Bericht.
Forderungen Wohnen

An sich seien die befragten Menschen mit Behinderung mehrheitlich zufrieden oder eher zufrieden mit ihrer Wohnsituation, heisst es im Bericht.

Allerdings stimmen Wunsch und Realität nicht immer gut überein. Unter den Antwortenden leben wesentlich mehr, als es eigentlich wünschen würden, in einem Wohnheim, bei den Eltern oder Verwandten oder alleine. Viel seltener als gewünscht lebenMenschen mit Behinderungen mit Lebenspartner oder -partnerin sowiemit eigener Familie und Kindern.

«Wohnen ist ein wichtiger Punkt, auch wenn nicht immer alle Wünsche realisierbar sind», sagt Luchsinger dazu. Zum Glück habe ein Umdenken stattgefunden, denn es könne nicht länger darum gehen, Plätze in Institutionen zu füllen. Viel eher brauche es Angebote mit mehr betreuten Tagesplätzen, deren es im Kanton noch zu wenig habe. Oft brauche es auch bei selbstständigem Wohnen eher Betreuung als Pflegeleistungen. «Ich bin überzeugt, dass der Bedarf zunehmen wird.» Ausserdem sei zu erwarten, dass es vermehrt Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen geben werde. Auch hier gelte: Der gezeigte Wille sei gut, fürs Umsetzen müsse der Kanton aber auch dranbleiben.


«Es braucht Veränderungen im ersten und imzweiten Arbeitsmarkt.»
Fridolin Luchsinger
Präsident Pro Infirmis

 

Das empfiehlt der Bericht

Zu den Themen selbstbestimmtes Wohnen, Bildung und Inklusion im Arbeitsmarkt sowie Freizeit und soziale Teilhabe empfiehlt der Bericht eine Reihe Massnahmen. Priorität geben die Autoren:

  • Inklusive (Menschen mit Behinderungen einschliessende) Arbeitsplätze im wirtschaftlichen Arbeitsmarkt noch stärker fördern sowie die Menschen beim Zugang, beim Erlangen und Erhalten von Arbeitsplätzen begleiten und stärken.

  • Ein kantonales Netzwerk «Arbeit und Behinderung» aufbauen mit Menschen mit Behinderung, Arbeitgebenden, Beratenden (Aus-)Bildungsverantwortlichen, Berufsverbänden sowie Behörden.

  • Berufsfelder und Tätigkeiten in Ausbildungsinstitutionen immer wieder den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung und den Marktchancen anpassen.

  • Privatsphäre, Selbstbestimmung und Mitsprache beim Wohnen in Institutionen verbessern.

  • Pflegende und älter werdende Angehörige stärker
    entlasten, Entlastungsangebote bekannt machen und ergänzen.

  • Selbstständiges Wohnen ausreichend fördern und finanzieren.

  • Angebote, Projekte und Organisationen unterstützen, welche inkludierende Freizeitangebote schaffen. Allgemein hohe Priorität bekommen:

  • Informationen sollen auch für Menschen mit Behinderung einfach zugänglich sein.

  • Die politische Mitsprache von Menschen mit Behinderung und eigenen, selbstvertretenden Organisationen unterstützen.

  • Ein kantonaler Assistenzbeitrag, damit Angehörige für Betreuung und Pflege von Menschen mit Behinderung besser entschädigt werden. (fra)