Kaum einer will Sozialdetektiv werden

(bz Zeitung für die Region Basel)

Seit Anfang Oktober müssen die Überwacher eine Ausbildung vorweisen können. Doch das Interesse an den Kursen ist gering.

Tobias Bär

Nun ist er in Kraft, der «Schlüsselloch-Paragraph». Mit diesem Begriff machten die Gegner im Vorfeld der Volksabstimmung vor einem Jahr Stimmung gegen die Wiedereinführung der Sozialdetektive. Ohne Erfolg: Das Volk sagte klar Ja. Seit eineinhalb Monaten dürfen die Invalidenversicherung oder die Unfallversicherer bei einem Missbrauchsverdacht verdeckte Beobachtungen durchführen. Die Detektive brauchen dafür eine Bewilligung des Bundes. Eine solche erhält nur, wer unter anderem ein weisses Betreibungsregister vorweisen kann. Zudem müssen die Sozialdetektive über ausreichende Rechtskenntnisse sowie über eine polizeiliche oder «gleichwertige» Observationsausbildung verfügen.

Nur: Eine solche gleichwertige Ausbildung existierte in der Schweiz noch gar nicht, als der Bundesrat im Juni die Voraussetzungen für die Überwachung von Versicherten festlegte. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sei daran, eine Ausbildung zu organisieren,hiess es damals. Diese solle im ersten Halbjahr 2020 erstmals angeboten werden. Inzwischen sind aber zwei Private in die Bresche gesprungen. In der Westschweiz bietet das Detektivbüro Agence Neuhaus Ericmetes Privees ab dem Frühling Ausbildungsgänge an.

Bereits losgelegt hat die Zürcher Detektei Business Control (Schweiz) AG, die neben einem zweitägigen Rechtskundekurs auch einen fünftägigen Observationslehrgang im Angebot hat. Dieser wird von einem ehemaligen Chef der Stadtzürcher Kriminalpolizei geleitet und ist auf 8 bis 12 Teilnehmer ausgelegt. Erstmals durchgeführt wurde der Lehrgang im September. Ein zweiter Kurs fiel ins Wasser, weil zu wenige Anmeldungen eingegangen waren.«Die Nachfrage liegt deutlich unter den Erwartungen», sagt Geschäftsführer Pascal Oswald.

Der Bund hat bis jetzt 27 Bewilligungen erteilt

Der Rechtsanwalt vermutet, dass die IV-Stellen und die Unfallversicherer die versteckten Beobachtungen zuerst wieder hochfahren müssen. In der Vergangenheit setzte die IV durchschnittlich in rund 150 Fällen pro Jahr auf die Hilfe von Detektiven. Der grösste Unfallversicherer, die Suva, tat dies in 10 bis 15 Fällen. Nachdem der Europäische Menschenrechtsgerichtshof im Herbst 2016 die fehlende gesetzliche Grundlage beanstandet hatte, wurden die Observationen eingestellt. Gemäss Oswald könnte die geringe Nachfrage auch mit der Übergangsregel zusammenhängen, die der Bundesrat aufgrund der zunächst fehlenden Ausbildungsmöglichkeit geschaffen hat: Während sechs Monaten gibt es auch ohne Observationskurs eine auf zwei Jahre befristete Bewilligung. Dies aber nur,sofern der Gesuchsteller über Erfahrungen als Sozialdetektiv verfügt. Tatsächlich heisst es beim BSV auf Anfrage, von den mittlerweile 27 erteilten Bewilligungen seien 14 auf zwei Jahre befristet. Die Personen mit befristeter Bewilligung müssen die Aus- oder Weiterbildung nachholen. Die Betroffenen warteten möglicherweise noch ab, «wie sich das Angebot in nächster Zeit entwickelt», teilt das BSV mit. Für Oswald zeigt sich jedenfalls bereits, dass die Gegner des Gesetzes mit ihrer Warnung vor einer «masslosen Überwachung» übertrieben haben. Die Agence Neuhaus Enquetes Privees kann die Nachfrage noch nicht beurteilen.

Gute Kenntnisse «auf dem Gebiet der Tarntechnik»

Die beiden bestehenden Angebote erfüllen die Anforderungen des Bundes.So müssen die Sozialdetektive nach dem Observationslehrgang in der Lage sein, eine Person «diskret per Fahrzeug» zu observieren. Weiter müssen sie mit optischen Hilfsmitteln umgehen können. Der Bundesrat hat dafür Leitplanken festgelegt: Es dürfen keine grossen Teleobjektive, Nachtsichtgeräte oder Drohnen eingesetzt werden.Die Ausbildung soll zudem «gute Kenntnisse auf dem Gebiet der Tarntechnik» vermitteln.

Ob es den vom Bund angestossenen Lehrgang angesichts des geringen Interesses noch braucht, ist offen. Das werde sich in den nächsten Wochen weisen, heisst es beim BSV.


Die Observationen in den Sozialversicherungen gestoppt.Ein Detektiv bei der Arbeit in Zürich, aufgenommen im Mai 2016. Kurz darauf wurden Bild: Gaetan Bally/Keystone