Nur jeder Dritte findet dank der IV eine neue Stelle

(Saldo)


Fand einen 50-Prozent-Job: Auf den Rentenentscheid wartet Nicole H. seit fünf Jahr en

 

Die IV finanzierte 2017 Eingliederungsmassnahmen für rund 41000 Menschen mit Behinderungen. Doch nur einem kleinen Teil half das, eine Arbeit zu finden.
Eric Breitinger.

Nicole H. war verzweifelt. Seit Tagen schlief sie kaum, Medikamente halfen nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, je wieder zu unterrichten. Die Primarlehrerin aus dem Berner Oberland litt an schweren Depressionen und war seit zweieinhalb Jahren krankgeschrieben. Sie freute sich, dass ihr die Invalidenversicherung (IV) eine anderthalbjährige Umschulung zur «Genesungsbegleiterin» bewilligte. Jetzt begleitet sie Menschen mit psychischen Krisen.

Die IV finanzierte im Jahr 2017 fast 41000 Verunfallten oder chronisch Kranken eine Eingliederungsmassnahme – etwa eine Erstausbildung oder ein Job-Coaching. Sie gab dafür 1,7 Milliarden Franken aus. Der Haken: Die IV weiss nicht, ob die Geförderten nachher effektiv auf dem Arbeitsmarkt integriert sind.

Psychisch Erkrankte profitieren wenig

Eine Studie im Auftrag der IV bringt nun etwas Licht ins Dunkel. Forscher um den Eingliederungsexperten Niklas Baer von der Psychiatrie Baselland befragten 921 Betroffene. Je rund ein Drittel der Befragten leidet an einer Muskel- oder Skeletterkrankung, hat psychische Beschwerden oder beides.

80 Prozent gingen laut der Studie «optimistisch» in die Massnahme, aber nur jedem Dritten brachte sie «Erfolg». Das heisst: Sie verdienten anach mindestens 1000 Franken im Monat und bezogen weder Arbeitslosengelder noch eine IV-Rente. (217 000 Vollrenten zahlte die IV 2017. Im Jahr 2006 waren es 262000. Die Bevölkerung wuchs im gleichen Zeitraum um 1 Million Einwohner. Die Zahl der Neu renten halbierte sich seit 2003 Quelle: BSV) Die Forscher hatten ursprünglich einen Monatslohn von 3000 Franken als Massstab für den Erfolg definiert. So viel verdienten aber nur wenige.

Von der IV-Massnahme profitierte fast jeder zweite Teilnehmer mit kör- perlichen Handicaps, aber nur jeder Vierte mit einer psychischen Erkrankung. Der Eingliederungserfolg ist laut Studie umso wahrscheinlicher, je geringer behindert ein Teilnehmer ist. Laut der Studie waren aber die meisten Teilnehmer stark behindert. 60 Prozent der befragten Teilnehmer fühlten sich durch ihre IV-Berater «kompetent» und engagiert beraten.

3o Prozent fühlen sich «unter Druck gesetzt»

Nicole H. lobt ihren Job-Coach: «Er hörte gut zu und wusste, was ich konnte und brauchte.» Ein 61-jähriger Innerschweizer, bei dem die IV frühzeitig intervenierte, fühlte sich von seinem Berater «stets ernst genommen». Auch eine 26-jährige Taggeld-Bezügerin aus Basel erlebt ihren IV-Berater als «verständnisvoll und interessiert». Andererseits überfor- dern die Massnahmen viele: 30 Prozent der Befragten berichten, dass sie ihnen nicht nur nichts genützt, sondern gesundheitlich geschadet hätten. 30 Prozent sahen sich «unter Druck gesetzt».

«Meine Depressionen sind nicht so gut messbar wie eine Körperbehinderung», sagt Nicole H. Die 44-Jährige erlebte viele Abklärungen als «beschämend». Zum Beispiel musste sie ihre Leidensgeschichte Gutachtern erzählen, die dann ein negatives Urteil fällten. Sie erhob Einspruch gegen ein Gutachten, das ihrer Ansicht nach fehlerhaft war. Seit fünf Jahren wartet die alleinerziehende Mutter auf den Rentenbescheid der IV. Finanziell hält sie sich mit ihrem neuen 50-Prozent-Job als «Genesungsbegleiterin» im Berner Oberland über Wasser.

«Ich erlebte viele Abklärungen der Invalidenversicherung als beschämend»
Nicole H. Patientin

Auch Marie Baumann vom IV-kritischen Blog Ivinfo kritisiert, dass die «Eingliederung nicht gut funktioniert und selbst stark Beeinträchtigte nicht mal mehr eine Rente bekommen». Experte Niklas Baer fordert Nach besserungen: «IV-Massnahmen bringen umso mehr, je individueller sie auf die Betroffenen zugeschnitten sind.» Die Berater müssten die Biografie und Bedürfnisse der Teilnehmer genauer abklären. Viele Versicherte zögerten die Anmeldung bei der IV zu lange hinaus: Frühinterven-tionen sind laut der Studie jedoch erfolgreicher als Integrationsversuche nach einem Jobverlust. Wichtig ist für Baer, die Ärzte und Psychiater besser in die Eingliederungsbemühungen der IV einzubinden.

Nicole H. schätzte die Gespräche mit Job-Coach und Arzt: «Wir konnten viele Probleme einfach lösen.