Verband kritisiert Richtungswechsel in der Behindertenpolitik

(Berner Landbote)

SPARMASSNAHMEN – Sozialdirektor Pierre Alain Schnegg kürzt der Kantonalen Behindertenkonferenz die finanzielle Unterstützung. Der Dachverband mit rund 40 Mitgliederorganisationen will sich wehren und startet eine Petition.

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg(SVP) führt seinen Sparkurs fort. Dieses Mal trifft es die Kantonale Behindertenkonferenz (KBK), den Dachverband vonrund 40 Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzen.

«Wir nehmen die Anliegen von Menschen mit Behinderungen auf, bündeln sie und vertreten sie in der Politik und in der Gesellschaft», erklärt Geschäftsleiterin Yvonne Brütsch die Tätigkeit der KBK. Der Verband bezeichnet sich als «die Stimme der Menschen mit Behinderungen» und vermittelt in Gremien zwischen Kanton und Betroffenen. Er arbeite eng mit den Mitgliederorganisationen zusammen, zu denen unter anderem die Vereinigung Cerebral, Pro Infirmis und das Psychiatriezentrum Münsingen gehören.

Diese Aufgaben würden künftig nicht mehr vom Kanton finanziert. Die Behindertenkonferenz hat deshalb eine Petition gestartet, in der sie den Regierungsrat auffordert, die Finanzierung der KBK sicherzustellen, um den Einbezug der Direktbetroffenen in die Politik zu gewährleisten und gesetzlich zu verankern.


Wer repräsentiert künftig Menschen mit Behinderungen in Politik und Gesellschaft? pixabay

 

Beat Wyser, Projektleiter bei der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI), teilt auf Anfrage mit,dass es nicht Aufgabe des Kantons sein könne, Verbände, die nicht mit einer konkreten Leistung in Zusammenhang stünden, zu subventionieren. Dies betreffe nicht nur die KBK.

Verliert Bern seine Vorreiterrolle?

Einzelne Projekte der KBK werden weiterhin vom Kanton unterstützt. Darunter ist die Ärgerbox, wo Anliegen, Barrieren und Hindernisse für Menschen mit Behinderung im Kanton Bern gemeldet werden können. Auch die Website Participa wird weiterhin unterstützt.Dort finden Menschen mit Beeinträchtigung Informationen, Kontaktadressen für den Alltag, Austausch und Beratung.Auch wird die Behindertenpolitik des Kantons barrierefrei in leichter Sprache und Gebärdensprache erklärt.

Seit mehr als zehn Jahren hat die KBK einen Leistungsvertrag mit dem Kanton Bern. «Bei der Ausarbeitung des Berner Modells haben wir intensiv mitgedacht und unser Fachwissen zur Verfügung gestellt.» Das Berner Modell – das neue,progressive Behindertenleistungsgesetz – soll 2023 in Kraft treten und sieht vor, dass Personen mit Behinderungen einen auf ihre Bedürfnisse angepassten Betrag erhalten, mit dem sie individuell Betreuungspersonen anstellen können.Bisher wurden Pauschalen an Institutionen bezahlt. Mit dem neuen Gesetz sollen die betroffenen Menschen selbst wählen können, ob sie in einer Institution oder privat wohnen möchten.

Im Gesetzesentwurf sei jedoch die Einschränkung dieser Wahlfreiheit vorgesehen. Menschen mit sehr hohem Betreuungsaufwand könnten dann nicht mehr wählen, wie sie wohnen möchten.Schnegg habe einen Richtungswechsel in der Behindertenpolitik eingeschlgen. «Er hält an den Grundsätzen fest,setzt sie aber nicht konsequent um», kritisiert Brütsch.

Kleine Organisationen überfordert

Viele Mitgliederorganisationen wären überfordert, wenn der Dachverband wegfiele, so Manuela Kocher von Autismus Bern. Viele würden ehrenamtlich funktionieren und könnten den Verband nicht mitfinanzieren. Brütsch:«Für kleine Organisationen ist es oft schwierig, das nötige Know-how aufzubauen und am richtigen Ort zum richtigen Moment einzubringen.» Laut Wyser von der GSI könnten die Mitgliederorganisationen ihre Anliegen jederzeit beim Kanton deponieren. «Etliche werden bereits durch die GSI finanziert.»

Viele Menschen mit Behinderungen fühlten sich im Stich gelassen, schreibt die KBK. Sie wolle sich deshalb mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen den regierungsrätlichen Entscheid wehren.
Sarah Wyss