Verständnis ist die beste Therapie

(Walliser Bote)

Welt-Autismus-Tag | Wissen hilft. Der Verein Autismus Wallis sensibilisiert und bietet Autismus-Beratungen an


Offenes Ohr. Die Fachberaterin für Autismus, Andrea Jordan,
bietet Auslegeordnung und Gespräche an. FOTO MENGIS MEDIA/DANIEL BERCHTOLD

 

NATERS | Am 2. April 2020 findet der 12. Welt-Autismus-Tag statt. Damit will man eine weltweite Sensibilisierung zum Thema erreichen. Kostenlose Autismus-Beratungen im Oberwallis stehen Ratsuchenden das ganze Jahr über offen.

NATHALIE BENELLI

Seit Januar gibt es Autismus-Beratungen im Café Zuckerpuppa in Naters. Jeweils am letzten Mittwoch im Monat berät Andrea Jordan von 13.30 bis 14.30 Uhr Betroffene und Angehörige kostenlos und unverbindlich. Die Fachberaterin für Autismus wird bei dieser Arbeit regelmässig unterstützt von der Psychologin Sonja Werner. «Wegen der Verordnungen betreffend Corona-Krise finden die Treffen zurzeit nicht statt. Sie werden wieder fortgesetzt, sobald die Umstände es zulassen. Zu den Beratungen können alle kommen, die Fragen zum Thema Autismus haben. Das können Menschen sein, dievermuten, sie selber, ihr Kind oder Angehörige seien von einer Autismus- Spektrum-Störung (ASS) oder vom Asperger- Syndrom betroffen», umreisst Andrea Jordan den Kreis der Gesprächsteilnehmenden.

Meistens würden Eltern Kontakt mit ihr aufnehmen, wenn der Leidensdruck für ein Kind in der Schule zu gross werde. Die Autismus-Beratung sei keine Therapie, betont Andrea Jordan. Sie würde niemandem sagen, was zu tun sei. «Was wir anbieten, ist eine Auslegeordnung. Wir reden mit Ratsuchenden, wenn sie zweifeln, ob eine ASS vorliegen könnte, ob eine Abklärung sinnvoll wäre oder wenn sie Kontakte zu Fachstellen suchen. Ich gebe auch Tipps, wie der Alltag mit Autisten oder Asperger leichter bewältigt werden kann», sagt die Initiantin.

Grosse Bandbreite

Die Gründerin des Vereins Autismus- Wallis betont: «Die Bandbreite der Autismus-Spektrum-Störungen ist gross. Es gibt ganz unterschiedliche Symptome, Ausprägungen und Schweregrade. Sie reichen vom frühkindlichen Autismus mit schweren Einschränkungen bis hin zum Asperger- Syndrom, das auf den ersten Blick nicht leicht zu erkennen ist.» Andrea Jordan hat vier erwachsene Kinder. Bei dreien wurde ein Asperger- Syndrom diagnostiziert. Sie weiss also, wovon sie spricht. «Als bei meinen Kindern diese Diagnose gestelltwurde, fühlte ich mich damit alleingelassen.


«Je mehr Wissen und Verständnis das Umfeld hat, desto besser geht es den Betroffenen»
Andrea Jordan
Fachberaterin für Autismus


Im Wallis gab es zu der Zeit noch keine Selbsthilfegruppe oder Anlaufstelle.» Sie kam in einer Selbsthilfegruppe in Zürich mit einer betroffenen Mutter aus dem Unterwallis in Kontakt. Gemeinsam gründeten sie im April 2012 den Verein Autismus-Wallis. «Unser Ziel war es, Autismus im Wallis bekannter zu machen und eine Sensibilisierung zu erreichen. Je mehr Wissen und Verständnis das Umfeld oder Lehrpersonen für Autisten haben, desto besser geht es den Betroffenen», ist Andrea Jordan überzeugt. «Verständnis ist die beste Therapie», bringt sie es auf den Punkt.

Lebensaufgabe

Beruflich leitet Andrea Jordan das Krebsregister in Bern. «Autismus ist meine Lebensaufgabe. Alle, die nach mir kommen, sollen es einfacher haben, als ich es hatte.» Für sie war es nicht immer leicht, das Verhalten ihrer Kinder zu erklären. Wollten ihre Söhne oder ihre Tochter nicht grüssen oder nicht sprechen, galten die Kinder als ungezogen. Wollten sie nicht mit andern Kindern spielen, wurden sie als verstockt angesehen. «Als Mutter habe ich oft versucht, bei den Lehrpersonen Verständnis für eine andere Wahrnehmung meiner Kinder zu erreichen. Ich glaube, die Lehrpersonen dachten manchmal: Jetzt kommt da wieder so eine komplizierte, überbesorgte Mutter.Erst als ich mich in Deutschland zur Fachberaterin für Autismus ausbilden liess, wurde ich ernst genommen», sagt sie.

Diagnose als Erleichterung

Andrea Jordan will nicht beurteilen, ob es heute mehr Menschen mit einer ASS gibt. Aber sie stelle fest, dass die Zahl der Diagnosen zunimmt. Früher habe man Betroffene schnell als seltsam oder als komischen Kauz abgekanzelt. «Es gibt keine Medikamente gegen autistische Störungen. Behandeln lassen sich höchstens häufige Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Burn-outs.» Trotzdem sei es für Betroffene manchmal eine Erleichterung, endlich eine Diagnose zu erhalten. Sie erhielten damit eine Bestätigung, dass ihre Wahrnehmung anders sei als die der Norm. «Sie sind anders, aber nicht falsch. Stress empfinden die meisten von ihnen, wenn sie das Gefühl haben, sie sollten sich ändern», sagt Andrea Jordan. Würde man ihnen offen begegnen, sie näher kennenlernen und so akzeptieren, wie sie sind, würde man sie nicht mehr als seltsam, sondern einfach als besonders bezeichnen.


AUTISMUS-SPEKTRUM-STÖRUNGEN

Menschen aus dem Autismus-Spektrum sehen, hören und fühlen die Welt anders als
ihre Mitmenschen. Aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung haben sie Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzufühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren. Sie vermeiden deshalb manchmal Kontakte zu anderen Menschen. Die Sprachentwicklung sowie die pragmatische Anwendung von Sprache können beeinträchtigt sein. Betroffene zeigen meist einen hohen Widerstand gegen Veränderungen, sie können in Angst-, Panik- oder Aggressionszustände geraten, wenn sich in ihrer Umgebung etwas ändert. Innerhalb der Autismus-Spektrum-Störungen gibt es unterschiedliche Symptome, Ausprägungen und Schweregrade.


AUTISMUS-WALLIS

Ziele des Vereins Autismus-Wallis sind Sensibilisierung und Informationen über Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), Beratung und Unterstützung für Betroffene und Angehörige, Verbesserung der Strukturen und Angebote im Oberwallis sowie Früherkennung, Förderung und Integration von Menschen mit ASS.
Kontakt: info@autismus-wallis.ch
Internet: www.autismus-wallis.ch


WELT-AUTISMUS-TAG

Das Programm zum Welt-Autismus-Tag musste wie alle anderen Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Am 2. April 2020 hätte um 18.00 Uhr im Kino Capitol in Brig der Film «Hors Normes» gezeigt werden sollen. Danach wäre ab 20.00 Uhr das Stockalperschloss zum Zeichen des Autismus blau beleuchtet worden. Im Stockalperhof hätte es einen Büchertisch und die Möglichkeit, Fragen zu stellen, gegeben.