Wo sind eigentlich die Menschen mit Downsyndrom?

(SonntagsBlick)

Im Alltag der meisten spielen Menschen mit Beeinträchtigungen kaum eineRolle. Auch, weil sie häufig in Heimenleben. Dabei wäre das oft nicht nötig.

DANA LIECHTI
In vielen Schweizer Haushalten spielen sie ab kommender Woche die Hauptrolle: die sechs jungen SRF-Protagonisten mit Downsyndrom. Doch flimmern sie nicht gerade über den Fernsehbild schirm, verschwinden Menschen mit Trisomie 21 schnell wieder vonder Bildfläche. Im Alltag haben die wenigsten etwas mit Personen wie Laura Züger (Artikel unten) zu tun. Das liegt vor allem daran, dass viele Menschen mit Trisomie 21 in Heimen und geschützten Werkstätten leben und arbeiten. Zu viele? Käthi Rubin, Geschäftsführerin des Vereins Insieme Kanton Bern sagt:«Viele Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung – nicht nur jene mit Trisomie 21 – leben und arbeiten in Institutionen, obwohl sie das nicht müssten.» Das liege unter anderem an einer Leistungsgesellschaft, in der Menschen mit Behinderung nur wenige Chancen haben, am normalen Arbeitsmarkt teilzuhaben. Und an finanziellen Fehlanreizen: Die Kantone finanzieren im Wesentlichen nur stationäre Angebote. Für privates Wohnen oder eine Assistenz bei der Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen die Betroffenen kaum finanzielle Unterstützung. Obwohl sie in unserer Gesellschaft immer mehr Akzeptanz erfahren, werden Menschen mit Beeinträchtigungen auf diese Weise weiterhin diskriminiert – und faktisch gezwungen, in Heimen zu leben oder zu arbeiten.

Käthi Rubin sagt: «Mit anderen Modellen, vor allem mit der Einführung einer Subjektfinanzierung, würden viel weniger Personen mit Behinderungen in Heimen leben und arbeiten – da hat die Politik eine grosse Aufgabe, das zu ändern.» Wie viele der 5000 Personen mit Trisomie 21 in der Schweiz in Institutionen leben, kann das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Anfrage nicht angeben. Um richtige Integration zu erreichen, sei ein gesellschaftlicher Wandel nötig. Käthi Rubin fordert, dass mehr Wohn- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen ausserhalb der geschützten Stätten geschaffen werden: «Es sollte selbstverständlich sein, dass auch Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt mitarbeiten dürfen und mitten in unseren Wohnquartieren als unsere Nachbarn leben.» Hier sieht Rubin auch die Einrichtungen selbst in der Verantwortung:«Eigentlich sollten die Institutionen diese Menschen fragen, was sie gerne tun möchten und sie dann darin unterstützen und begleiten.»

Zwar gebe es Institutionen, die sich darum bemühten, dass die von ihnen betreuten Personen auch ausserhalb der geschützten Stätten wohnen und arbeiten können. Und es gebe auch schon einige Betriebe, die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung anbieten würden. Das sei aber noch die Ausnahme. Viele Institutionen bewegten sich nicht vom Fleck, bedauert Käthi Rubin. Und viele Unternehmen würden sich nach wie vor davor verschliessen, Personen mit Behinderungen einzustellen.

Käthi Rubin geht es nicht darum,dass Menschen mit Behinderung genau dieselben Jobs machen wie jene ohne. Aber: «Sie sollten, wenn sie möchten, beispielsweise ein oder zwei Tage die Woche mitarbeiten dürfen.» Das würde auch ihre Sichtbarkeit erhöhen:«Wenn Menschen mit Behinderung zum Beispiel in einer Bäckerei arbeiten möchten, sollte das möglich sein.Dann sähe man sie auch regelmässig, und es wäre nichts Aussergewöhnliches mehr.»

Auf diese Weise könnten natürliche Begegnungen entstehen – und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft zur Normalität werden.


Das Down-syndrom
Beim Downsyndrom kommt das 21. Chromosom in der menschlichen Zelle nicht wie gewohnt zweifach, sondern dreifach vor. Betroffene haben in der Regel eine leichte bis mittlere geistige Behinderung. Dank der Medizin können gesundheitliche Einschränkungen heute gut behandelt werden. Namensgeber für das «Downsyndrom» ist der englische Arzt J. L. Down. Er beschrieb 1866 als Erster die Merkmale. In der Schweiz kommen pro Jahr etwas weniger als hundert Babys mit Downsyndrom zur Welt.