Zwei St.Gallerinnen wollen die Sprache «leicht» machen

(dieostschweiz.ch)

Newsplattform in «Leichter Sprache»

Ein scheinbar ganz normaler Zeitungstext kann für einzelne Leute zur grossen Hürde machen. Andrea Sterchi und Anne-Marie Weder aus St.Gallen haben nun das erste Online-Magazin in der sogenannten «Leichten Sprache» in der Schweiz begründet.Von Stefan Millius

 

Ein durchschnittlicher Satz in einer durchschnittlichen Zeitung mag für den Durchschnittsleser kein Problem sein.Fremdsprachige Menschen oder auch solche mit kognitiven Einschränkungen tun sich damit aber oft schwer.Lange, gewundene Texte, Fremdwörter, abstrakte Formulierungen: Da bleibt oft nicht viel hängen nach der Lektüre.

Deshalb gibt es die «Leichte Sprache», die allgemein noch wenig bekannt ist, den Betroffenen aber eine enorme Hilfe bietet. Ein Text wird gewissermassen in eine neue Form «übersetzt» – mit kurzen Sätzen und klaren Wörtern,die den Inhalt vielleicht rudimentärer, dafür aber verständlich transportieren. Eingesetzt wird die Leichte Sprachederzeit vor allem von Behörden, die wichtige Informationen so besser zugänglich machen.

Ein völlig neues Angebot kommt nun von zwei St.Gallerinnen. Andrea Sterchi und Anne-Marie Widmer haben dasOnline-Magazin «infoeasy» ins Leben gerufen. Dort publizieren sie Artikel zu ganz verschiedenen Themen in LeichterSprache. Eine Premiere in der Schweiz, wie sie sagen. Im Moment liegt der Fokus auf Beiträgen zum Coronavirus,das Magazin soll aber offen sein für alle Themenbereiche


Andrea Sterchi

 

Andrea Sterchi im Interview über das Projekt, das gerade lanciert wurde:

Andrea Sterchi, leichte Sprache ist derzeit vor allem bei der öffentlichen Verwaltung ein Thema, die fast «muss»».weniger bei privaten Firmen oder Verlagen. Daraus könnte man schliessen: Da gibt es keinen Markt und damit keingrosses Bedürfnis. Diese Ansicht scheinen Sie nicht zu teilen. Was gibt Ihnen Anlass, es anders zu sehen?

Tatsächlich sehen wir ein grosses Potenzial. Zumal alle Menschen das Recht auf den Zugang zu Informationenhaben. Während öffentliche Behörden Leichte Sprache fördern, nutzen Unternehmen Leichte und Einfache Spracheviel zu wenig. Gibt es wirklich keinen Markt oder kein Bedürfnis? Letztlich entscheiden das, unserer Meinung nach,nicht die Firmen, sondern deren Zielgruppen respektive deren Publikum. Heute dreht sich alles um den User unddessen Erlebnis. DEN User aber gibt es nicht, sondern verschiedene Zielgruppen. Jedes Unternehmen mussdeshalb für sich entscheiden, welche Zielgruppen es ansprechen will. Letztlich ist barrierefreie Kommunikation nichts anderes als eine Dienstleistung. Und: Einfach verständliche Texte lesen wir alle gerne – und schneller. Ob Leichte oder Einfache Sprache, das hängt von den Personen ab, die man mit seiner Botschaft erreichen will.

Es ist ja ein ziemlicher Themenmix bei Ihren News. Corona herrscht derzeit vor, ansonsten wollen Sie vor allemArtikel als Vorlage nehmen, die Sie und Ihre Kollegin selbst interessieren. Das macht es schwer, bestimmteInteressengruppen anzusprechen. Wollen Sie bewusst eine bunte Spielwiese schaffen? Oder könnte sich dasKonzept noch wandeln?

Ein breiter Themenmix ist uns wichtig. Was uns die Corona-Krise gezeigt hat: Wichtige und vor allem offizielleInformationen gibt es in Leichter Sprache. Wir finden, das BAG hat da einen guten Job bemacht. Doch was ist mit allden Geschichten, die der Alltag in Zeiten des Corona-Virus schreibt? Der Zugang zu diesen bleibt Menschen mitbesonderen Kommunikationsbedürfnissen verwehrt. Doch gerade die Vielfalt hilft, sich selbst ein Bild zu machen,eine Meinung zu bilden. Eine bunte Spielwiese? Aber sicher, das macht doch Spass. Wir wollen nicht nur informieren, sondern auch Lesespass bieten. Lesen und verstehen. Das Konzept wird sich bestimmt wandeln.Unser Ziel ist, das Informationsangebot zu erweitern, auf «News aus aller Welt». Vor allem wollen wir mit infoeasy herausfinden, welche Informationsbedürfnisse unsere Leserinnen und Leser haben.

infoeasy ist derzeit kostenlos, man kann dem Team einen symbolischen Kaffee spendieren, also eine Art Crowdfunding. Gibt es Ideen für ein Bezahlmodell oder eine andere Art der Finanzierung? Das Medium dürfte ja doch Aufwand bereiten.

Das ist derzeit völlig offen. Und etwas, das wir uns gut überlegen müssen. Wir wollen Barrieren abbauen, nicht neueerrichten. Jede Spende ist willkommen, wir wollen uns weiterentwickeln und dafür braucht es Geld. Wir sind aberüberzeugt, es braucht infoeasy. Manchmal muss man einfach den Mut haben, etwas zu tun. Schauen wir, wie dasAngebot bei unseren Leserinnen und Lesern ankommt. Für sie machen wir infoeasy schliesslich.

Derzeit sei die Seite ein «Experiment», mit dem man das Bedürfnis ausloten wolle, sagen Sie. Wie lange geben Siesich Zeit für dieses Experiment, wann fällt der Entscheid, ob es weitergeht?

Wir sind enorm motiviert und überzeugt. Die grosse Herausforderung ist jetzt, das Niveau zu halten. Eine News-Plattform weckt Erwartungen in puncto Aktualität. Diesen müssen wir im Alltag gerecht werden. Einen Zeitpunkt haben wir nicht festgelegt. Unser Ziel heute: infoeasy soll es auch in fünf, zehn Jahren immer noch geben. WirMenschen brauchen Informationen, und vor allem, wir Menschen lieben Geschichten. Diese Geschichten lassensich auch in Leichter/Einfacher Sprache erzählen.

Beispiele für Engagement in Leichter Sprache

Behörden:
– Der Bund
– Kantone, z.B. St.Gallen: diverse Texte auf der Website
– Städte, z.B. Uster: W ahlanleitung Initiative «Stadt für alle» oder Rapperswil: Vereinbarung «Unbehindert behindert»

Verlage und Medien:
-In Deutschland bieten einige Medien News in Leichter Sprache, z.B. der NDR
-In Österreich gibt es, neben anderen, den «Kurier in einfacher Sprache» : . In der Schweiz gibt es nichtsVergleichbares, infoeasy ist die erste News-Plattform in Leichter Sprache.

Kulturelle Institutionen:
– Museen und Kulturinstitutionen bieten ebenfalls Informationen in Leichter Sprache, z.B. das Zentrum Paul Klee
– Kultur inklusive von Pro Infirmis vergibt ein Label für inklusive Kulturinstitutionen
– Autor/in


Stefan Millius

 

Stefan Millius (*1972) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz». Seine Stationen führten über das «Neue WilerTagblatt», Radio aktuell, die ehemalige Tageszeitung «Die Ostschweiz» zum «Blick».