Der lange Weg zur Inklusion

(St. GallerTagblatt / St. Gallen-Gossau-Rorschach)

Das Beispiel des St. Gallischen Hilfsvereins zeigt: Die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, ist nicht einfach. Aber möglich.
Diana Hagmann-Bula


Marco,ehemaliger Töffnnechani ker, sucht noch immer einen Chef, der seine psychische Krankheit akzeptiert.Bild: PD

 

Draussen scheint die Sonne,doch in ihm drinnen ist es düs-ter. Schizoaffektive Störung, Depression, Persönlichkeitsstörung, Alkoholsucht, fasst Marco,36 Jahre alt und ehemaliger Töffmechaniker, seine Diagnose zusammen. «Im Moment höre ich Stimmen und schlafe schlecht. Mir geht es gerademies.» 2014 kam er zum ersten Mal in die psychiatrische Klinik.Heute wohnt er in Wil allein in einer Wohnung, empfängt wöchentlich eine Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Psychiatrie.«Wir reden vor allem. Manchmal hilft sie mir im Haushalt.»

Marco ist Klient des St. Gallischen Hilfsvereins (SGHV),der Dienstleistungen für psychische Gesundheit anbietet. Der Mann leidet nicht nur unter se-ner Krankheit, sondern auch unter der Gesellschaft. Eine psychische Erkrankung sei noch immer «ein No-Go», er werde be-lächelt, sogar von seiner Familie. 30 Mal hat sich Marco erfolglos für eine grössere Wohnung beworben. Die Gründe für die Absagen seien fadenscheinig gewesen, sagt er. «Man will mich und meine psychischen Probleme einfach nicht.»

Der Klient ist nun der Spezialist

Eben solche Erlebnisse will die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verhindern. DieSchweiz hat sie 2014 ratifiziert.«Noch ist sie aber nicht umgesetzt», sagt Rudi Maier, Dozent für Soziale Arbeit an der Ostschweizer Fachhochschule. Er berät auch Organisationen wieden SGHV, sitzt an diesem Nachmittag in dessen Büro an der Webergasse und hört Marco zu. Die UN-BRK umzusetzen,bedeutet, Menschen mit psychischen Krankheiten auf Augenhöhe zu behandeln und sie darin zu unterstützen, am öffentlichen Leben teilhaben zu können.Tönt selbstverständlich, sei aber aufwendig und kompliziert, sagt Maier: «Wir schleppen eine lange Sozialgeschichte der Ausgrenzung mit uns herum.» Man habe die Betroffenen am liebsten im Grünen isoliert, weitab des Dorfes oder der Stadt, ihnen eine straffe Struktur gegeben mit dem vordergründig lobenswerten Ziel, sie zu fördern, so Maier. «Fördern bedeutet aber auch, jemandem zu verstehen zu geben, dass er nicht in Ordnung ist, wie er ist.» Sebastian Reetz-Spycher, Geschäftsführer des SGHV, nennt ein anderes Beispiel: «Herkömmliche Konzepte stationärer Wohnformen verdonnern Klienten immer noch dazu, in der Wohngruppe jeden Mittwochabend darüber zu reden, was sie beschäftigt.Vor und mit Menschen, die sie sich nicht ausgesucht haben.»

Der Verein hat nun seine Visionen, Mission und Werte neu formuliert. Dazu hat sich eine Gruppe, bestehend aus Geschäftsleitung, Experten und Betroffenen, in einem Workshop gefragt: Wie kann der SGHV die UN-BRK noch besser umsetzen?

Wie gelingt es Fachleuten, den Klienten noch besser zuzuhören, statt zu denken: Ich weiss, was du brauchst? «Der Klient ist Spezialist in eigener Sache.Menschen mit psychischer Krankheit können trotz ihrer Geschichte und ihres Unterstützungsbedarfs selbstständig reden unddenken»,sagt Reetz-Spycher. Menschen mit psychischer Krankheit müssten sich emanzipieren, sich annehmen, zu sich stehen, betont Maier. Er freut sich, dass im Winter in St. Gallen eine Pride Parade stattfinden wird, die vonMenschen mit einer Behinderung organisiert wird. «Ein Hinweis dafür, dass sich etwas tut.»


Sebastian Reetz-Spycher, Geschäftsführer des St. Gallischen Hilfsvereins.Bild: PD

 

150 Jahre alt ist der SGHV, bietet eine Wohngemeinschaft, Wohnbegleitung, psychiatrische Spitex sowie Tagesstrukturen und finanzielle Hilfe im Einzelfall an. «Wir sind aufgutem Weg bezüglich UN-BRK, aber noch nicht am Ziel», sagt Geschäftsführer Sebastian Reetz-Spycher.In vielen Institutionen können Betroffene Tagesstrukturen nur halbtageweise nutzen, darunter geht nichts.Reetz-Spycher spricht von finanziellen Gründen und einfacherer Planbarkeit, die zu diesem Korsett geführt hätten. Beim SGHV dürfen Klienten auch nur kurz vorbeischauen: mithelfen, reden oder sich einfach zwei Stunden auf das Sofa legen. Reetz-Spycher:«Sie sollen selbst entscheiden,wie viel Angebot sie beanspruchen.» Maier nennt solche Angebote Orte der verlässlichenBegegnung. Freiraum sei auch für diese Menschen der Schlüssel, sich selbst zu entdecken. «Es wird Unglaubliches passieren,wenn man sie von Druck und Zwang befreit», ist er überzeugt.

«Sich zu zeigen,verändert das Leben»

Der SGHV soll bei traditionellen Angeboten wie dem betreuten Wohnen nicht weiterwachsen,sondern bei der ambulanten Betreuung zulegen, so die Absicht.Sind drei von zwölf Plätzen eines Wohnheims nicht belegt, weil Klienten unterstützt werden, in eine eigene Wohnung mit ambulanter Begleitung überzutreten, ist das zwar ein betriebswirtschaftliches Risiko. «Aber dieser Beitrag zu einer Gesellschaft ohne Stigmatisierung ist nötig», sagt Reetz-Spycher.

Einer, der ganz genau weiss,was diese Schritte konkret bedeuten, ist Mario, 57, aus Heiden. Es brauche nicht nur beiden Organisationen Mut zu neuen Wegen, sondern auch bei den Betroffenen. «Viele wären gerne aktiv, trauen sich aber nicht raus, aus Scham», sagt er. Mario hat sich überwunden. Der ehemalige Informatiker, der nicht mehr mit dem von der Gesellschaft erwünschten Tempo mithalten konnte, fiel in eine Depression, der Alkohol verschärfte sie zusätzlich. Mario liess sich zum Schreiner umschulen.«Doch noch immer war mir die Welt zu schnell.» 2004: der erste Klinikaufenthalt. Seit 3,5 Jahren nun arbeitet er als sogenannter Peer, auch für den SGHV, berät als genesener Betroffener andere Erkrankte. Plötzlich ergibt sein Leben wieder Sinn.«Meine Rolle ist nun die des Hoffnungsträgers. Ich habe esgeschafft und kann andere ermutigen», sagt er. Und wünscht allen Betroffenen, die Kraft zu finden, sich zu zeigen. «Es wird ihr Leben verändern.»
www.sghv.ch

CVP-Nationalrat Lohr warnt vor Anstieg der IV-Bezüger

(Blick)

Jahrelang war die Zahl der IV-Rentner rückläufig. Jetzt droht mit Corona ein Gegentrend,denn die Integration von Behinderten in den Arbeitsmarkt ist ins Stocken geraten.
21.09.2020, Marc Iseli

Corona trifft die Schwächsten hart. Quarantäne bei Einreise, Abstandsregeln, Schutzkonzepte, Rezession:Das ist ein Giftcocktail für die Wirtschaft. Die Unsicherheit bei den Arbeitgebern ist riesig und bedroht unterm Strich auch sozialpolitische Errungenschaften.Das sagt CVP-Nationalrat Christian Lohr (58)

Kritisch sieht er insbesondere die Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. Das war inden letzten Dekaden ein Schwerpunkt seiner politischen Arbeit.Immer wieder war er im Gespräch mit hiesigen Arbeitgebern.

Lohr, der auch Co-Vizepräsident der Behindertenorganisation Pro Infirmis ist, hat darauf hingewirkt, dass immer mehr Behinderte im normalen Arbeitsmarkt mit wirken. Mit Erfolg. Knapp 216’000 Personen in der Schweiz beziehen heute eine IV-Rente. Die Zahl ist seit Jahren rückläufig, trotz Bevölkerungswachstum. Der Grund: Viele IV-Rentner haben eine Anstellung gefunden und sind nicht mehr auf Zahlungen vom Staat angewiesen.

Entlastung für IV-Kasse

Das entlastet langfristig die IV-Kasse und sorgt bei den Betroffenen für mehr Zufriedenheit. Nur: «Jetzt laufen wir Gefahr, dass wir mehrere Schritte zurück machen», so Lohr.

Corona hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt massiv verschärft. Zehntausende Jobs sind schon weg, zahlreiche weitere stehen auf der Kippe. Allerorts werden Jobs gestrichen. In dieser Situation gehen kaum Türen auf für neue Integrationsprojekte. «Das ist Fakt», sagt Lohr.

Was muss man jetzt tun? Wer ist in der Pflicht? Der Staat? Die Arbeitgeber? Der Gesetzgeber? Der CVP-Mann aus dem Thurgau spricht sich für eine vernünftige Gangart aus. «Wir müssen die Realität auf dem Arbeitsmarkt akzeptieren», sagt er. «Gleichzeitig müssen wir immer wieder das Gespräch mit der Wirtschaft suchen.»

Appel an die Arbeitgeber

Er appelliert an die Verantwortung der Arbeitgeber – und unterstreicht die Fähigkeiten der Behinderten. Lohr spricht von sozialen Fähigkeiten, welche behinderte Personen mitbringen. Er spricht aber auch von neuen Chancen,das fachliche Potenzial auszuschöpfen.

Homeoffice sei nicht nur ein Problem bei der Integration, sondern auch eine Option für die Einbindung von Personen mit einer eingeschränkten Mobilität.

Den Betroffenen selbst spricht er Mut zu. «Lasst euch nicht unterkriegen», sagt er, der seit 58 Jahren mit körperlichen Einschränkungen lebt, weil seine Mutter damals vor seiner Geburt ein vermeintlich harmloses Beruhigungsmittel verordnet bekam – Contergan. Die Folge: schwere Missbildungen.

Lohr hat trotzdem viel erreicht. Und aus eigener Erfahrung weiss er, was nötig ist: «Dranbleiben, dranbleiben,dranbleiben.»


IV: Die Zahl der Rentner sinkt

 


Immer mehr Menschen mit einer Behinderung sind im Arbeitsmarkt integriert.

 


Die Corona-Krise gefährdet diese Situation, sagt CVP-Nationalrat Christian Lohr (58).

 


Lohr vertritt die Interessen der Behinderten und brennt für den Sport.

 


TV-Moderatorin Christa Rigozzi (37, M., mit Sonnenbrille) unterstützt Lohr.

 

Behindertenrechtskonvention

(Paracontact / deutsche Ausgabe)

Der UNO-Ausschuss überprüft die Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) in de Schweiz. In der sogenannten List of Issues sind Fragen formuliert, die Bund und Kantone bis Herbst 2020 beantworten müssen.

Der UNO-Ausschuss bringt darin bereits zum Ausdruck, in welchen Bereichen er Probleme ortet. So muss die Schweiz beispielsweise darlegen, weche Massnahmen sie ergreift, um Menschen mit Behinderungen vor Benacheiligungen durch Dienstleister und private Arbeitgeber zu schützen.

Gestützt auf diese Antworten und Anhörungen von Staat und NGOs wird der UNO-Ausschuss die Schlussempfehlungen verabschieden. Darin wird festgehalten, inwiefern und in welchen Bereichen die UNO-BRK inder Schweiz umgesetzt ist und wo Massnahmen zu ergreifen sind. Der UNO-Ausschuss wird die Schweiz in seiner 24. Session vom.1 März bis 1. April 2021 überprüfen.

„Charta zur kulturellen Inklusion“

(buero-dlb.ch)

Breite Sichtbarkeit für die Anliegen der kulturellen Inklusion: Dafür steht die „Charta zur kulturellen Inklusion“. Sie wurde von der Fachstelle Kultur inklusiv von Pro Infirmis mit Kulturinstitutionen, Menschen mit Behinderungen sowie Stakeholdern aus den Bereichen Soziales und Kultur erarbeitet. Mit ihren neun Leitlinien will sie die inhaltliche Richtung für das gemeinsame Ziel der kulturellen Inklusion vorgeben.

Bild: Das Cover der „Charta zur kulturellen Inklusion“ wurde von Heinz Lauener, einem Künstler aus dem inklusiven Kollektiv Atelier Rohling in Bern, gestaltet.Die abgebildeten Figuren zeigen die gesellschaftliche Diversität. © http://www.atelierrohling.ch/

 

Die „Charta zur kulturellen Inklusion“ proklamiert gegenüber Dritten das Anliegen für kulturelle Inklusion in der Schweiz. Sie orientiert sich an der UNO-Behindertenrechtskonvention, Artikel 30, und wurde von der Fachstelle Kultur inklusiv von Pro Infirmis mit Kulturinstitutionen, Menschen mit Behinderungen sowie Stakeholdern aus den Bereichen Soziales und Kultur erarbeitet. Die Kulturinstitutionen, die das Label „Kultur inklusiv“ tragen, verpflichten sich, die Leitlinien der Charta im Verlauf ihrer mehrjährigen Partnerschaft eigenverantwortlich umzusetzen.

„Kultur ist dazu prädestiniert, den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft vorzuzeichnen, spricht sie doch Menschen unmittelbar an; zudem nehmen viele Kulturakteure in ihrem Selbstverständnis eine gesellschaftliche Vorreiterrolle wahr. Für das gemeinsame Ziel der kulturellen Inklusion gibt die Charta die inhaltliche Richtung vor und bietet mit ihren neun Leitlinien Orientierung. Kernanliegen ist die hindernisfreie und selbstbestimmte Teilhabe an der Kultur von Menschen mit Behinderungen als Kulturschaffende, als Publikum und als Mitarbeitende.“, heisst es in der Medienmitteilung zur Charta.

Die Charta wird von den Labelpartnern von Kultur inklusiv auf der eigenen Website veröffentlicht und kann als Lobby-Instrument bei Förderstellen im Bereich Kultur und Soziales eingesetzt werden. Menschen mit Behinderungen signalisiert die „Charta zur kulturellen Inklusion“, was sie von den Labelpartnern erwarten können. Auf der Webseite von Kultur inklusiv ist die Charta in Leichter Sprache veröffentlicht. Bis Ende 2020 soll sie in deutscher, französischer und italienischer Gebärdensprache übersetzt für hörbehinderte und gehörlose Menschen vorliegen.

cp

Mehr:

https://www.kulturinklusiv.ch/admin/data/files/page_editorial_block_file/file_de/190/charta-zur-kulturellen-inklusion.pdf?lm=1598940158

Kontakt:

https://www.kulturinklusiv.ch/

Kanton Solothurn – Kita-Zugang für alle

(Insieme Magazin / deutsche Ausgabe)

Ein insieme-Anliegen scheint dank einem erfolgreichen Pilotversuch im Kanton Solothurn in Fahrt zu kommen: Kinder mit einer Beeinträchtigung sollen in reguläre Kitas integriert werden können. Die zusätzlichen Kosten sollen vom Kanton übernommen werden. Auch im Kanton Solothurn kommt es immer wieder vor,dass Betreuungsverhältnisse abgebrochen werden oder Eltern ihr Kind mit einer Beeinträchtigung gar nicht erst in die Kita geben dürfen. Der Grund dafür: Die Betreuung von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf verlangt zusätzlich Zeitund damit Geld, was meist ohnehin nur knapp vorhanden ist. Ein von einer Stiftung finanzierter Pilotversuch in der Stadt Solothurn macht nun von sich reden und könnte den Weg für die Inklusion in Kitas im ganzen Kanton ebnen: das Projekt «Kita inklusiv ». Wie bei Kita-Projekten in anderen Kantonen wurden auch bei «Kita inklusiv» heilpädagogische Fachpersonen beigezogen, die das Kita-Personal schulten und begleiteten – für alle Beteiligten mit Erfolg. Ausgehend vom erfolgreichen Pilotprojekt möchten die Projektverantwortlichen das Modell nun auf weitere Solothurner Kitas ausweiten, sodass künftig alle Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf in Kitas integriert werden können.

Giro Suisse am Ziel

(spv.ch)

Nottwil, 6. September 2020 – 13 Tage nach dem Start in Kriens fuhren rund 60 Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer in Nottwil ein. Nach rund 700 Kilometer und über 6500 Höhenmeter wurden sie mit einem kleinen Fest zum 40-jährigen Bestehen der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung empfangen.

 

Der Giro Suisse endete in Nottwil, wo die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung seit 1991 ihren Sitz hat. Auf der Sport Arena wurden die Handbiker und die Begleit-Crew vom neuen Direktor der SPV, Laurent Prince, empfangen. Auf den letzten Kilometern der heutigen Etappe schlossen sich viele Teilnehmende an, die nicht die ganze Tour gemacht haben. Mit von der Partie war auch Topathlet Marcel Hug, der eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt an den Paralympischen Spielen in Tokio gewesen wäre.

Gerne hätte die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) ihr Jubiläum mit einem grossen Fest gefeiert. Aufgrund von Covid-19 war dies nicht möglich. Umso wichtiger war die Handbike-Tour quer durch die Schweiz, die in Zusammenarbeit mit 16 Rollstuhlclubs organisiert wurde. In 13 Etappen besuchten die insgesamt 71 Teilnehmenden alle Landesregionen und setzten ein Zeichen für die gelebte Solidarität mit und unter Menschen mit Querschnittlähmung.

Gemeinsam statt einsam

Nicht die sportliche Leistung, sondern das gemeinsame Erlebnis und die Freude an der Bewegung standen im Vordergrund. «Der Breitensport hat für Rollstuhlsport Schweiz eine grosse Bedeutung. Der Giro Suisse hat vielen unserer Mitglieder bewusst gemacht, wie wichtig es ist, sich regelmässig sportlich zu betätigen», so Thomas Hurni, OK-Chef des Giro Suisse nach der Zieleinfahrt. Daneben betonte er, dass der Breitensportanlass den Austausch der Menschen mit einer Querschnittlähmung untereinander und die Zusammenarbeit der Rollstuhlclubs gefördert hat.

Die Tour quer durch die Schweiz bot einige Highlights. Von Kriens aus, wo die SPV ihren ersten Geschäftssitz hatte, ging es in die Nordostschweiz. Die Zieleinfahrt direkt unterhalb der tosenden Wassermassen des Rheinfalls gehörte sicher zu den spektakulärsten. Im Tessin mussten sich die Teilnehmenden den schlechten Wetterverhältnissen beugen, denn aufgrund von Erdrutschen und starken Regenfällen wurde die Etappe abgesagt. Im Wallis besuchte der Tross die Suva-Klinik in Sion, mit der die SPV bei der Beratung von Querschnittgelähmten zusammenarbeitet. Auf den letzten Kilometern in Sion fuhren einige Frischverletzte mit und konnten so erste Erfahrungen auf dem Handbike sammeln.

Empfang durch Sportministerin

Am 2. September 2020 begrüsste Bundesrätin Viola Amherd die Teilnehmenden in Bern und betonte dabei die grosse Bedeutung des Anlasses nicht nur für den Breitensport, sondern für die Inklusion von Menschen mit einer Behinderung insgesamt. Nach der Weiterfahrt durch den Jura stand der Besuch im REHAB Basel auf dem Programm, einer weiteren Klinik, in der Querschnittgelähmte rehabilitiert werden.

Bewegende Zieleinfahrt

Für die Teilnehmenden ging heute eine grosse Tour zu Ende. Wie schon am Start begrüsste neben Direktor Laurent Prince auch Guido A. Zäch, Gründer der SPV die Teilnehmenden. Auch Heidi Hanselmann, Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, liess es sich nicht nehmen, den Teilnehmenden zu ihrer Leistung zu gratulieren und dem OK zu danken. Direktor Laurent Prince betonte die Signalwirkung des Events: «Der Giro Suisse ist das beste Beispiel für gelebte Inklusion. Unsere Rollstuhlfahrer wurden begleitet von ihren Familien, vom Ehepartner oder einfach von guten Freunden. Die gemeinsamen Erlebnisse werden lange in Erinnerung bleiben. Es ist diese Solidarität, die die gesamte Schweizer Paraplegiker-Gruppe antreibt und die wir in die Gesellschaft hinaustragen wollen.»

Bilder Giro Suisse 2020

Pro Infirmis Kampagne 2020: Menschen mit Behinderungen besetzenein beliebtes Internet-Phänomen

(Keystone SDA / Schweizerische Depeschenagentur)

Ein Internet-Phänomen begeistert Menschen auf der ganzen Welt und bewegt sie zum Mitmachen: Detailgetreu nachgestellte Kinderfotos mit dem Original als Vorlage gehören heute zu den beliebtesten Bildern im Internet. In ihnen verbinden sich Humor, Nostalgie, Zuneigung und eine Prise „Schrägsein“ zu einer inspirierenden Form von Internet-Kunst. Menschen mit Behinderungen jedoch sieht man kaum auf solchen Bildern.

Mit der Kampagne #WieDuUndIch, die ab Montag 7. September 2020 in der ganzen Schweiz zu sehen sein wird,zeigt Pro Infirmis einmal mehr, dass Menschen mit Behinderungen als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft überall vertreten und zu sehen sein müssen. Deshalb: Wenn erwachsene Menschen freiwillig regenbogenfarbene Schwimmflügel anziehen oder sich in den selbstgestrickten Pullover im 70er Chic stürzen, dann gibt es nur einen triftigen Grund: Sie lassen auf witzige Weise ihre Kindheit Revue passieren. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Menschen eine Behinderung haben oder nicht, hier sind alle Menschen gleich. Für die neue Pro-Infirmis-Kampagne durchforsteten Menschen mit Behinderungen ihr Fotoalbum aus Kindertagen und schickten uns ihre Kinderfotos, die ihnen etwas bedeuten und die sie nachstellen wollten. Sie geben damit selbstbestimmt Einblick in persönliche Momente aus ihrer Kindheit: Das bin ich. Damals wie heute.

Wir stellten acht Sujets in einem professionellen Fotoshooting nach; teils am Ort, wo das Foto einst entstand, teilsim Fotostudio mit aufwändig nachgezimmerten Hintergrundkulissen – und immer mit so detailgetreuen Requisiten wie möglich. Die neue Sensibilisierungskampagne zelebriert das Leben. Dazu gehören schöne und weniger schöne Momente – und die Bandbreite aller Momente dazwischen. Gleichzeitig sind die Fotos Zeitzeugen unserer Gesellschaft und werden von den Protagonist*innen in ihrem jeweiligen Kontext gesehen: „Früher hat man meine Arme noch mit einem T-Shirt versteckt“, erinnert sich Lorenz Vinzens, als er aus seinem ganz persönlichen Damals und Heute Bilanz zieht. Oder: „Bei mehreren Reisenden im Rollstuhl wurden wir auch mal in Frachtwagen gesteckt,“erzählt Jasmin Rechsteiner. Eine Behinderung ist für die betroffenen Menschen eine lebensbegleitende Realität, die ihnen viel abverlangt, von der sie sich aber nicht unterkriegen lassen. Das zeigen die Sujets der neuen Pro Infirmis-Kampagne eindrücklich. Sie fokussieren ganz auf das Menschsein ihrer Protagonisten, auf ihre Entwicklung und Veränderungen, die sie im Verlauf des Lebens durchmachen, wie alle anderen Menschen auch.

Ab dem 7. September 2020 hängen die Plakate in der ganzen Schweiz. In den Sozialen Medien posten weitere Protagonist*innen mit Behinderungen ihre Damals-Heute-Bilder und auf unserer Pro Infirmis Website sind alle Bilder sowie Making-of-Filme und Interviews mit den Protagonist*innen zu finden.

Parallel zur Plakatkampagne lanciert Pro Infirmis eine Solidarisierungskampagne auf Social Media: Mit dem Hashtag #WieDuUndIch können User*innen ihr Facebook- und Instagram-Profilbild zieren und sich so mit Menschen mit Behinderungen solidarisieren. Unser Ziel ist, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen selbstverständlich und überall, offline und online stattfindet. Die Inklusion geht uns alle etwas an.

Pressekontakt:Für Fragen und die Vermittlung von Interviews mit den beteiligten Protagonist*innen stehen Ihnen Susanne Stahel,susanne.stahel@proinfirmis.ch, Bereichsleiterin Kommunikation und Mittelbeschaffung und Mitglied der Geschäftsleitung, und Laureen Zanotti, laureen.zanotti@proinfirmis.ch, Tel. 058 775 20 00, Redaktorin und Mitarbeiterin Kommunikation, gerne zur Verfügung.

Das bin ich. Damals wie heute.

(Pro Infirmis)

Bei der diesjährigen Plakat- und Social-Media-Kampagne von Pro Infirmis greifen Menschen mit Behinderungen einen beliebten Internet-Trend auf. Sie stellen ihre alten Kinderfotos nach.

Diese Sensibilisierungskampagne zelebriert das Leben. Dazu gehören schöne Momente, aber auch weniger schöne – und alle Momente dazwischen. Auch wenn in den Jahren zwischen damals und heute für die Protagonist*innen viel Positives geschehen ist, erleben sie nach wie vor Hürden im Alltag. Davon erzählen sie in ihren Kurzporträts gleich selbst.

Die Plakatsujets zieren ab dem 7. September Plakatwände in der ganzen Schweiz. Sowie auf Social Media, wo weitere Protagonist*innen ihre Damals-heute-Bilder posten.


#WieDuUndIch

 

Motion vom 5.12.2019 Assistenzhunde auch für kranke Kinder und Jugendliche

(Ars Medici)

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament einen Entwurf zu unterbreiten, der die Grundlage schafft, dass die Invalidenversicherung auch für kranke Kinder und Jugendliche Assistenzhunde wie beispielsweise Epilepsie-Begleithunde bezahlt.Heute werden Beiträge nur an Erwachsene ausgerichtet.


Can Stock Photo/sonyae

 

Begründung

Assistenzhunde erhöhen die Selbstständigkeit von behinderten Personen,die eigenständig wohnen. Der Anspruch auf einen Assistenzhund ist heute aber beschränkt auf körperbehinderte Erwachsene, die eine Entschädigung für eine Hilflosigkeit mittleren oder schweren Grades beziehen und zu Hause wohnen. Assistenzhunde werden durch die Invalidenversicherung (IV) teilfinanziert. Der Pauschalbeitrag von 15’500 Franken entspricht rund 50 Prozent der Kosten eines Assistenzhundes während 8 Jahren.

Für Minderjährige besteht kein Anspruch. Es gibtaber immer wieder Fälle, in denen ein Assistenzhund auch bei Kindern und Jugendlichen aus medizinischer Sicht angezeigt wäre, beispielsweise bei Minderjährigen mit Epilepsie.

Ein Epilepsie-Begleithund, kurz EpiDog genannt,kann mit seiner Wahrnehmung kommende Anfälle voraussehen. Veränderungen im Körper
können solche Hunde unter anderem mit ihrem Geruchsinn und ihrer ausgezeichneten Beobachtungsgabe deutlich früher erkennen – und vor ihnen warnen.

Bei den IV-Stellen sind schon diverse Gesuche für einen EpiDog bei Minderjährigen eingereicht worden. Diese Gesuche müssen aufgrund der geltenden Vorgaben abgelehnt werden. Diese Situationist störend. Die IV sollte einen Assistenzhund auch bei Kindern und Jugendlichen bezahlen können,wenn dies medizinisch Sinn macht.

Der Bundesrat beantragt am 12. Februar 2020 die Annahme der Motion.


Kommentar

Was kann ein Assistenzhund für Epileptiker tun?

Ein Epilepsiewarnhund bemerkt einen drohenden Anfall einige Minuten vor seinem Auftreten und warnt davor beziehungsweise zeigt ihn mit Anstupsen, Lecken an Hand und Mund oder Pfoteauflegen an. Der Epileptikerhat so die Möglichkeit, sich frühzeitig in eine verletzungssichere Position zu bringen.

Eine solche Warnfähigkeit besitzen nur wenige Hunde, und diesen ist sie angeboren, sie ist nicht erlernbar. Ein Hund mit dieser Fähigkeit wird dann beispielsweise darauf trainiert, vor drohenden Anfällen zu verhindern, dass der Epileptiker noch Treppen steigt. Weitere Trainingsziele sind, bei einem Anfall in der Öffentlichkeit in der Nähe des Epileptikers zu bleiben, ein Handy zu bringen, um noch eine Alarmierung auslösen zu können, oder selbst ein Notruftelefon zu betätigen.

Gemäss Untersuchungen sinkt kurz vor fokalen Anfällen die Sauerstoffsättigung (1). Die durch die sinkende Sauerstoffsättigung für den Menschen unmerkliche Veränderung der Atemgeschwindigkeit nehmen die Hunde als Geräusch wahr. Sie zeigen, wie eine Studie des deutschen Assistenzhunde-Zentrums herausfand (2), deutliche Ohrbewegungen, bevor sie den Betroffenen warnen.vh


Referenzen:

– 1.Seyal. M: Frontal hemodynamic changes precede EEG onset of temporal lobe seizures. Clin Neurophysiol 2014; 125: 444-448.
– 2.Deutsches Asssistenzhunde-Zentrum T.A.R.S.Q: http://www.assistenzhunde-zentrum.ch/index.php/assistenzhunde/epilepsiewarnhund/. Letzter Abruf:18.3.20

Arzt der Invalidenversicherung versucht doppelt zu kassieren

(SRF)

Ein Arzt der IV untersuchte einen Patienten und versuchte von diesem auch noch ein Honorar zu bekommen.

Autor: Matieu Klee

Thomas Müller* (Name geändert) aus Rheinfelden AG verunfallte vor gut drei Jahren bei der Arbeit. Er verletzte sich an der Schulter und zwar so schwer, dass er nicht mehr wie vorher arbeiten konnte. Erst kam er zur Unfallversicherung Suva, später dann zur Invalidenversicherung.

Dort wurde er im März dieses Jahres zu einer medizinischen Untersuchung aufgeboten. In dieser mehrstündigen Untersuchung klärte ein Arzt der Invalidenversicherung ab, ob und wie viel Müller noch weiterarbeiten könnte. Ein Standardprozeder bei der IV.

«Falls Sie Erfolg haben…»

Doch was dann passierte, lässt auch erfahrene Sozialversicherungsanwälte wie den Basler Anwalt Markus Schmid sich die Augen reiben. Nach der Untersuchung schickte der IV-Arzt dem Patienten nämlich ein Gutachten, das dieser bei seiner Unfallversicherung einreichen könne. Damit habe er gute Aussichten auf Schmerzensgeld, eine so genannte Integritätsentschädigung. Dazu ein Begleitschreiben: «Falls Sie Erfolg haben, könnte ich mir vorstellen, dass Sie mir zehn Prozent als Honorar zukommen lassen.» Angefügt die IBAN-Nummer des privaten Bankkontos des IV-Arztes.

Für Anwalt Markus Schmid ein «No-Go»: «Es kann nicht sein, dass der IV-Arzt sich seine Arbeit als Angestellter der IV zahlen lässt und sich später dieselbe Arbeit noch einmal bezahlen lassen will – vom Patienten.»

Für die IV-Stelle inakzeptabel

Die IV-Stelle in Aarau erfährt von den Recherchen des Regionaljournals Basel von diesem Vorfall. «Unser Mitarbeiter hat im vorliegenden Fall einen Fehler gemacht, der für uns inakzeptabel ist und nicht mehr vorkommen darf. Als Arbeitgeberin weist die SVA Aargau ihre Mitarbeitenden darauf hin, dass sie keine solchen Doppelrollen einnehmen dürfen. Im vorliegenden Fall liegt ein Fehlverhalten des Arztes vor. Dies hat arbeitsrechtliche Konsequenzen: Er wurde auf seine Pflichtverletzung hingewiesen und wird verwarnt.»

Weiter geht die SVA Aargau nicht, schliesslich habe der IV-Arzt jahrelang stets «tadellos» gearbeitet und er habe dem Patienten in erster Linie helfen wollen. Schliesslich habe der IV-Arzt auch noch eine Erklärung unterschrieben, dass dies ein einmaliger Vorfall gewesen sei. Die IV-Stelle Aargau sucht jetzt aber das Gespräch mit all ihren Ärztinnen und Ärzten, um diese zu sensibilisieren.