Thun: Erstmalig an den Thunerseespielen eine Mitsing-Matinée

(rro.ch)


Die Thunerseespiele bringen heuer das Musical „Io senza te“ auf die Bühne. Im Rahmen davon kommt es MitteAugust erstmals zu einer Mitsing-Matinée. Quelle: © zvg

 

Vom 15. Juli bis 29. August präsentieren die Thunerseespiele das Musical „Io senza te“. An der Matinée-Vorstellungam 15. August findet erstmals eine Mitsing-Matinée statt.

Auf der Thuner Seebühne ist vom 15. Juli bis 29. August das Mundart-Musical „Io senza te“ mit den legendären Hitsvon Peter, Sue und Marc zu sehen. Am 15. August lancieren die Musicalmacher gemäss Mitteilung zum ersten Maleine Mitsing-Matinée.“

Bei dieser Vorstellung laden wir unser Publikum explizit dazu ein, mit der Cast mitzusingen. Die bekannten undbeliebten Lieder von Peter, Sue und Marc eigenen sich bestens für eine solche Spezialvorstellung“, wird MarkusDinhobl, ausführender Produzent der Thunerseespiele, in der Mitteilung zitiert. Dieses Format habe es imenglischsprachigen Raum in anderen Theatern und bei Konzerten schon gegeben. In der Schweiz sei es noch nichtso bekannt. „Deshalb freuen wir uns umso mehr, unserem Publikum eine solch witzige Möglichkeit bieten zukönnen, Teil der Vorstellung zu sein.

„Wie es weiter heisst, sind die seit vielen Jahren bestehenden und stetig ausgebauten barrierefreien Angebote auch2020 wieder im Programm der Thunerseespiele. Zusammen mit den Verantwortlichen des Labels „Kultur inklusiv“von Pro Infirmis werden die barrierefreien Angebote wie massgeschneiderte Audiodeskription, taktileBackstageführungen und Verdolmetschung in der Gebärdensprache regelmässig analysiert und weiterentwickelt./wh

Mediathek Brig erhält Label für Inklusion

(Walliser Bote)

Als erster Westschweizer Bibliothek wird der Mediathek Wallis-Brig am nächsten Samstag das Label «Kultur inklusiv» verliehen. Das Label wird an Kulturinstitutionen vergeben, die sich nachhaltig für eine ganzheitliche Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderungenin das kulturelle Leben engagieren.

Ein Ziel, das die Mediathek Wallis-Brig durch das im vergangenen Jahr eröffnete «café weri» erfüllt habe, schreibt die Staats-kanzlei in einem Pressecommuniquö. Ge-führt wird das Cafd von der Stiftung Atelier Manus, welche die berufliche und soziale Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen fördert. Mit dem Label«Kultur inklusiv», das von Pro Infirmis verliehen wird, verpflichtet sich die Mediathek, allen Kunden einen barrierefreien Zugang zu den Räumlichkeiten und zum gesamten kulturellen Angebot zu ermöglichen. Der Verleihung des Labels am Samstag um 11.00 Uhr wird auch Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten beiwohnen.wb

Die Revision der IV ist beschlossen

(Neue Zürcher Zeitung)

Die IV-Revision ist bereit fürdie Schlussabstimmung. Der Nationalrat hat am Mittwoch die letzte Differenz ausgeräumt: Er verzichtete darauf, die Kinderrente in «Zusatzrente für Eltern» umzubenennen. Der Ständerat hatte dem Nationalrat zuvor eine Brücke gebaut. Der Begriff «Kinderrente» und weitere Begriffe im Gesetz überdie Invalidenversicherung (IV), die abwertend oder überholt sind, sollenüberprüft und allenfalls angepasst werden. Den Plan, die Kinderrenten zu senken, hatte der Nationalrat schon bei einer früheren Beratungsrunde fallengelassen.

Mit der IV-Revision wird für Rentnerinnen und Rentner mit einem Invaliditätsgrad zwischen 40 und 69 Prozent ein stufenloses Rentensystem eingeführt.Damit soll sich Arbeit für IV-Bezügerin jedem Fall lohnen. Ein weiterer Fokusder Reform liegt auf Jugendlichen und psychisch Kranken. Es soll früher eingegriffen werden, um die Betroffenen besser zu begleiten. Neue Regeln haben die Räte auch für Gutachten beschlossen. So sollen Interviews in Form von Tonaufnahmen in die Akten einfliessen.Ziel sind bessere Grundlagen für beide Seiten bei Streitigkeiten.(sda)

Bilder formen Meinungen

(Procap / Das Magazin)


Geschaut ist schnell, und mal ist ein Blick neugierig oder mitleidig, mal staunend oder vernichtend. Umso wichtiger sind identitätsstiftende und wertfreie Bilder von Menschen mit Behinderungen, denn deren bildliche Darstellung prägt die Art und Weise, wie die Gesellschaft über Betroffene denkt, und welchen Platz sie ihnen einräumt.

 

Text Sonja Wenger Fotos Pro Infirmis/zVg

«Ungehindert behindert», die aktuelle Pro-Infirmis-Kampagne unter dem Motto «Jetzt übernehmen wir die Werbung», bringt es auf den Punkt. Fast jede vierte Person in der Schweiz lebt mit einer Behinderung. Trotzdem scheint es, dass Menschen mit Behinderungen in der medialen Öffentlichkeit kaum sichtbar sind und wenn doch, dann meistens im Zusammenhang mit ihrer Behinderung, respektive als Opfer von Behördenwillkür oder Diskriminierung. Heute gibt es in der Schweiz viele Menschen mit Behinderungen, die selbstbewusst und selbstbestimmt ihr Leben leben. Sie sind beispielsweise in den sozialen Medien aktiv oder setzen sich unermüdlich für mehr Inklusion, für politische oder kulturelle Partizipation und Sensibilisierung ein. Dennoch sind sie nur selten Teil des sogenannten Mainstreams, also einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.


Pro-Infirmis-Kampagne

 

Pro Infirmis hat mit ihrer Kampagne deshalb dort angesetzt, wo alle hinsehen, bei der Werbung, denn «Werbung ist ein Spiegel der Gesellschaft». Die nationale Fachorganisation der privaten Behindertenhilfe in der Schweiz schreibt auf ihrer Website, dass Werbung mehr sei als einfach nur Reklame, die dem Verkauf von Produkten dient. Werbung sei auch Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte, das Abbild einer Gesellschaft und davon, was als schön und begehrenswert gilt. Und: Werbung schaffe Vorbilder und Identifikationsfiguren, etwas, das vielen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz bisher fehlt.

Die Art und Weise der Darstellung

Genau hier ist der Knackpunkt. Es geht nicht in erster Linie um die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen, sondern um die Art und Weise, wie sie in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft abgebildet und wahrgenommen werden. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, sehen wir, dass Menschen mit Behinderungen schon immer sichtbar waren. Doch was die Gesellschaft von der Antike über die Neuzeit und teilweise bis heute über Behinderungen dachte und wie sie mit den betroffenen Menschen umgegangen ist, jagt einem immer wieder Schauer über den Rücken. So betrachtete man teilweise bis ins späte 18. Jahrhundert eine Behinderung oder Krankheit entweder als Bestrafung für unmoralisches oder gottloses Verhalten oder als Vorboten schlimmer Ereignisse wie Kriege oder Naturkatastrophen.

Gemälde, Zeichnungen und Flugblätter aus dem Mittelalter zeigen, dass die betroffenen Personen aufgrund ihrer Behinderung als Narren, also als «dumm und gottesfern» galten und entweder ausgegrenzt und ausgelacht, auf Jahrmärkten zur Schau gestellt oder bemitleidet wurden. Einige wenige konnten als Narren und Närrinnen, als Zwerge oder als bizarre «Wundergeburten» wie der «Haarmensch» an den fürstlichen Höfen ein Auskommen finden und wurden teilweise gar berühmt. Doch in den meisten Fällen wurden sie zusammen mit Aussätzigen oder chronisch Kranken in Hospitälern, Armenasylen oder «Irrenhäusern» weggesperrt und durften nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben.


Die Aktion mit Schaufensterpuppen, die den behinderten Körpern verschiedener Personen nachgebildet waren, sorgte 2013 für viel Aufsehen. Das sehr sehenswerte Video dazu findet man auf youtube unter dem Stichwort: Pro Infirmis «Wer ist schon perfekt?».

 


Der für seine Trinkfestigkeit berühmte «Zwerg Perkeo» lebte am Hof des Kurfürsten Karl III. Philipp von der Pfalz und war Hüter des Grossen Fasses im Heidelberger Schloss.

 


Bildnis des Petrus Consalvus, dem sogenannten Haarmenschen (etwa 1580), der unter anderem am Hof von König Heinrich II. in Frankreich lebte.

 


Es gibt wenige Quellen zum Thema «Hilfsmittel imMittelalter». Die Möglichkeiten hingen von der Stellung der einzelnen Person in der Gesellschaft ab. Der Mann auf dem Bild benutzt Holzstützen für Füsse und Hände als Gehhilfen.

 


Spendenkampagnen von 1940 bis 1984 (von links nach rechts). Symbole statt Menschen mit Behinderungen.

 


Jusepe de Ribera, «Grosser grotesker Kopf», 1622.

 


Gross, bunt und schön fotografiert: Der behinderte Körper wird erstmals in der Öffentlichkeit sichtbar.

 


Im «Königreich der kleinen Leute» leben in einem Freizeitpark nahe der chinesischen Stadt Kunming über hundert kleinwüchsige Menschen, die das Publikum täglich mit einer Show unterhalten.

 


Der US-amerikanische Zirkuspionier Phineas Taylor Barnum engagierte für seinen Zirkus oft Darstellerinnen und Darsteller mit besonderen körperlichen Merkmalen, darunter auch «Tom Thumb, den kleinsten Mann der Welt».

 


Frank Lentini war ein italoamerikanischer Sideshowdarsteller, der als siamesischer Zwilling mit einem nur teilweise entwickelten «parasitischen Bruder» geboren wurde und über drei verschieden lange Beine verfügte. Er trat unter anderem in den Shows von P. T. Barnum auf.

 

Wissenschaftliche» Kategorien und Freakshows

In der Neuzeit, also ab dem 17. Jahrhundert, als sich die Natur- und Humanwissenschaften weiterentwickelten, begann man erstmals, über kranke und behinderte Menschen zu forschen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessierten sich zunehmend für den Menschen als Individuum, dafür, wie sein Körper funktioniert und wie man die menschliche Arbeitskraft am besten nutzen kann. Jene Menschen, die in irgendeiner Weise auffielen, die nicht der Norm der Zeit entsprachen oder von ihr abwichen, wurden untersucht und in verschiedene «Arten und Besonderheiten» unterteilt. Lange glaubte man, dass das körperliche Aussehen mit dem persönlichen Charakter zu tun hat. Bilder aus jener Zeit zeigen Menschen mit Behinderungen deshalb häufig als Karikatur, bei der die Behinderung mit Narrheit, Dummheit oder Geistesschwäche gleichgesetzt wird. Dies wird deutlich am Porträt von Jusepe de Ribera (1622). Es zeigt einen Menschen mit einem vergrösserten Hals (Kropf), dessen Schilddrüse erkrankt ist. Der Mann ist jedoch übertrieben und komisch gezeichnet und trägt eine Zipfelmütze und Kragen, die damals typische Kleidung der Narren.–Die Forschung jener Zeit trug also nur wenig dazu bei, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren. Vielmehr entstanden ab dem 19. Jahrhundert immer mehr Zirkusse und die sogenannten Freakshows, in denen behinderte oder kranke Menschen wie auf den Jahrmärkten des Mittelalters zur Schau gestellt wurden. So hatte der US-amerikanische Zirkuspionier P. T. Barnum mit seinen «Menschenshows» viel Erfolg, in denen er beispielsweise «Tom Thumb, den kleinsten Mann der Welt», siamesische Zwillinge oder einen dreibeinigen Jungen präsentierte. Parallel dazu eröffnete man um 1900 überall auf der Welt sogenannte Liliputaner-Städte, in denen klein wüchsige Menschen lebten, die in ihrem Alltag von Besucherinnen und Besuchern beobachtet werden konnten. In Deutschland wurde die letzte «Stadt» dieser Art 1996 geschlossen. In China sind sie bis heute populär und werden jedes Jahr von Hunderttausenden besucht.

Bereits dieser kurze Blick in die Geschichte zeigt, dass man Menschen mit Behinderungen seit der Antike künstlerisch abbildete, auch weil sie als eine Art exotischer Gegenpol zu den Normvorstellungen von Schönheit und Körperideal betrachtet wurden. Dass Menschen mit Behinderungen in der Kunst selbst eine aktive und gestalterische Rolle einnehmen, ist eine erst jüngere, zeitgenössische Entwicklung, die jedoch künftig viel dazu beitragen wird, die Sehgewohnheiten der Gesellschaft zu verändern.

Keine Norm, sondern Normalität

Bei jeder künstlerischen Darstellung und Auseinandersetzung geht es immer um Blicke. So ist der behinderte Körper seit frühester Zeit öffentlichen Blicken ausgesetzt, er wird bewertet und ist in diesem Zusammenhang oft auch Grenzüberschreitungen ausgeliefert, vor allem aber wird er angestarrt. Hierbei gibt es die verschiedensten «Typen» von Blicken, die je nach Situation positiv oder negativ zu werten sind. Es gibt den neugierigen und staunenden Blick, den mitleidigen, denmedizinischen oder gar den vernichtenden Blick, aber auch den emanzipierten oder bewundernden Blick.Stets werden auf Menschen mit Behinderung jedoch gesellschaftliche oder persönliche Bilder projiziert, die oft auch von der Angst gegenüber und vor Behinderungen geprägt sind Bilder sind zudem Zeugen unserer Zeit und unseres Denkens und formen Meinungen. Sie verändern sich in der Art und Weise, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt. Während in der Schweiz von den vierziger bis in die achtziger Jahre noch mit Symbolen wie angeketteten Flügeln oder einer lachenden Sonne um Spenden für Menschen mit Behinderungen geworben wurde, hat sich die Bildsprache ab Ende der neunziger Jahre vollständig verändert. Plötzlich waren Menschen mit ihrer Behinderung prominent auf riesigen, bunten, schön fotografierten Plakaten zu sehen. Der behinderte Körper war nicht länger ein Tabu, sondern eine Tatsache.

Inzwischen wird die erste Generation jener Menschen mit Behinderungen erwachsen, für welche Gleichstellungsrechte eine Selbstverständlichkeit sind und welche diese Rechte auch einfordern. Dies beinhal-tet auch die Deutungshoheit über die Art und Weise, wie sie selbst in Bildern oder Geschichten dargestellt werden. Ziel bei allen Bemühungen ist die Haltung, dass eine Behinderung nicht länger als Abweichung der Norm gesehen wird, sondern Teil der Normalität ist.

Quellen:
– «Das Bildnis eines behinderten Mannes – Bildkultur der Behinderung vom 16. bis ins 21. Jahrhundert», Petra Flieger, Volker Schönwiese, AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2007.
– Pro Infirmis, Kampagne «Ungehindert behindert», 2019. – Vortrag «Bilder von Behinderung» von Wiebke Schär, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland, Berlin 2014.
– Vortrag «Vom Krüppel zum Model. Darstellung von Behinderung in der Öffentlichkeit. Eine Bilderreise». Alex Oberholzer, Zürich 2019.

Einsparungen dankberuflicher Eingliederung

(Schweizer Sozialversicherung/Ass. Sociale Suisse)

Haben sich die Investitionen in die berufliche Eingliederung in den letzten 15 Jahren bei der Invalidenversicherung wirklich gelohnt? Ja, kann die IV-Stellen-Konferenz seit August 2019 anhand eines mit eindrücklichen Zahlen unterlegten Business Case antworten.


Florian Steinbacher Präsident der 1V-Stellen-Konferenz,
Leiter der 1V-Stelle für Versicherte im Ausland

 

Die jährlich zunehmende hohe Verschuldung der Invalidenversicherung (IV) hat den Gesetzgeber anfangs Jahrtausendwende dazu veranlasst, mit entsprechenden Anpassungen korrigierend einzugreifen. Mit der 4., 5. und 6. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG)in den Jahren 2004, 2008 und 2012 wurden unterschiedliche Massnahmen eingeführt, um die Verschuldung langfristig zu reduzieren respektive abzubauen. Das Ziel ist die komplette Sanierung und Gesundung der IV bis ins Jahr 2030.Mit der Stärkung des Grundsatzes «Eingliederung vor Rente» erfolgte mit der 5. IVG-Revisioneine Strategieänderung der IV von einer Renten-versicherung hin zu einer Eingliederungsversicherung.

Eingliederung hat jährlich 750 Millionen gespart

Dieser Strategie folgend investierte der Gesetzgeber zusätzlich Geld und personelle Ressourcen. Einerseits in Leistungen für die berufliche Eingliederung und andererseits in die Mittel für den Vollzug der neuen Massnahmen. Da konkret Leistungen ausgebaut wurden – insbesondere in der beruflichen Eingliederung – ist die zentrale Frage: Haben die investierten Mittel auch tatsächlich zur finanziellen Gesundung der IV beigetragen?

Demnach ist es wichtig zu prüfen, ob dieses politische Versprechen erreicht wurde und die vergangenen drei Revisionen die geeigneten Massnahmen eingeführt haben.

Im Auftrag der Mitgliederversammlung hat die IV-Stellen-Konferenz (IVSK) diese Frage anhand eines Business Case untersucht. Es handelt sich dabei um eine Analyse aus finanzieller Sicht.Das Fazit: Die strategische Neuausrichtung «Eingliederung vor Rente» und der Ausbau der beruflichen Eingliederung sind eine finanzielle Erfolgsgeschichte. Der Business Case zeigt auf, dass sich die Investitionen mehr als rechnen, denn die Einsparung bei den Rentenzahlungen fällt weit höher aus als die getätigten «Investitionskosten».

Die IV hat in den Jahren 2004 bis 2016 (ohne jährliche Ab- oder Aufzinsung) allein durch berufliche Eingliederungen fast 1o Mrd. Franken gespart. Pro Jahr entspricht dies über 75o Mio.Franken. In dieser Nettorechnung sind alle zusätzlichen Aufwendungen aufgrund des Leistungs- und Personalausbaus mit eingerechnet.Werden zudem nebst den IV-Renten auch die Invaliditätsrenten aus der beruflichen Vorsorge berücksichtigt, so beträgt die Einsparung im selben Zeitraum sogar über 23 Mrd. Franken (siehe Tabelle). Eine einzige Rente, die infolge erfolgreicher beruflicher Eingliederung vermieden werden kann, bedeutet eine Einsparung von rund 250000 Franken.

Personalmangel erschwert optimale Eingliederung

Die Plafonierung der Personalressourcen der IV-Stellen auf Bundesebene hat allerdings einen negativen Einfluss auf das finanzielle Ergebnis.Diese Personalressourcen sind seit 2013 auf demselben Stand eingefroren, obwohl die Anmeldungen für berufliche Eingliederung oder Rente im gleichen Zeitraum um 3o Prozent zunahmen.Durch fehlendes Personal für die Begleitung und Beratung der versicherten Personen im Bereich der beruflichen Eingliederung sehen die IV-Stellen eine wie bis anhin umfassende Betreuung gefährdet. Die Laufzeit der Fälle verlängert sich,was wiederum die Gefahr der Chronifizierung von Krankheiten bei den antragstellenden Personen fördert. Ebenso ist eine Nachbetreuung kaum mehr möglich. Als Folge davon steigt die Anzahlder Neurenten, was sich finanziell ebenfalls negativ auswirkt. Die IVSK ist besorgt über diese Entwicklung. Letztlich führt das Sparen beim Personal oder bei den Leistungen im Rahmen der beruflichen Eingliederung nicht zu weniger Aus gaben, sondern im Gegenteil zu einer Erhöhungder Ausgaben in der IV.

Auch wenn mit der IVG-Revision 6a zusätzliche Stellen bewilligt wurden, so reichen diese Ressourcen nicht aus, die Zunahme der Anmeldungen von über 3o Prozent auszugleichen.

Die IVSK stellt ausserdem eine starke Tendenz zu immer mehr Aufgaben rein administrativer Natur fest, die dem Ziel der finanziellen Gesundung der IV zuwider läuft. Ebenso schränken als Weisungen erlassene Aufgaben in den Bereichen Public Corporate Governance, Compliance oder auch komplexer werdende Daten- und Zahlenanalysen mit Controllingfunktion den Handlungsspielraum der IV-Stellen ein. Auch diese Aufgaben benötigen entsprechende Ressourcen und gehen am Ende zulasten des Hauptauftrags:der beruflichen Eingliederung.

Sparen um jeden Preis lohnt sich nicht

Eine weitere Gefahr liegt zudem in isolierten Kostensenkungsmassnahmen. Diese bergen das Risiko, dass auf das Gesamtsystem eine falsche Wirkung erzielt wird. Der Business Case zeigt auf,dass Kostenerhöhungen in einzelnen Leistungsbereichen eine positive Wirkung auf das Gesamtsystem erzielen und die Gesamtausgaben in der Endabrechnung sogar gesenkt werden.

Abschliessend sind die neusten Zahlen der IV zu erwähnen, mit denen der Business Case nachträglich ergänzt worden ist. Die Neurenten sind von 2015 bis 2017 von 14 0000 auf 14 700 gestiegen.Im Jahr 2018 ist ein weiterer Anstieg der Neurenten zu verzeichnen. Dass dabei die fehlenden Ressourcen bei den IV-Stellen einen Einflusshaben, ist kaum abzustreiten. Im Rahmen der Weiterentwicklung der IV sowie der jährlichen Zunahme der IV-Anmeldungen sind die Erkenntnisse aus diesem Business Case von grösster Relevanz.


Einsparungen dankEingliederungsmassnahmen von 2004 bis 2018

 

In Kurze
Die Stärkung des Grundsatzes «Eingliederung vor Rente» hat seit 2004 in der IV und der beruflichen Vorsorge 23 Milliarden gespart. Wenn das erweiterte Leistungsangebot der IV-Stellen und die tiefere Neurentenquote beibehalten werden sollen, darf nicht bei den Personal ressourcen gespart werden.

Kein Zutritt für Rollstuhlfahrer an mehr als der Hälfte der Haltestellen

(Limmattaler Zeitung)

Bis 2024 müssten alle Bushaltestellen behindertengerechtsein. Das werden Kanton und Gemeinden nicht schaffen.

Katrin 011er
Es bleiben noch vier Jahre Zeit,um alle der über 2200 Bushaltestellen im Kanton Zürich behindertengerecht zu machen. 856 davon liegen an Staatstrassenund fallen in die Verantwortungdes Kantons. 2024 läuft die zwanzigjährige Übergangsfrist für die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes(BehiG) ab. Doch schon heute ist klar: Gemeinden und Kanton werden die Frist nicht einhalten.Denn im Kanton Zürich können Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte erst bei 44 Prozent der Bushaltestellen einsteigen. Dies geht aus einer kürzlich publizierten Antwort des Regierungsrats auf eine Anfrage von drei SVP-Kantonsräten hervor.

Dennoch tut sich einiges.Die Regierung geht davon aus,dass jährlich 30 bis 50 Bushaltestellen hindernisfrei werden.Dies vor allem, wenn sowieso eine Sanierung ansteht. Ein Neubau kostet zwischen 100 000 und 175 000 Franken,ein Ausbau der Haltekante 5000 bis 8000 Franken. Priorisiert werden Haltestellen in der Nähe von Institutionen, die für Menschen mit einer Behinderung wichtig sind.

Die Anfragesteller erkundigen sich vor allem nach negativen Auswirkungen auf die Gemeinden. Die Regierung betont in der Antwort aber primär die Vorteile von hindernisfreien Haltestellen, etwa dass auch Personen mit Kinderwagen oder Gepäck schneller einsteigen können. Dadurch verkürze sich die Haltezeit, was auch dem Autoverkehr zu Gute komme.

Auch Joe Manser, der sich seit Jahrzehnten für den hindernisfreien öV einsetzt, konstatiert, dass einiges in Bewegung sei. Der Zürcher SP-Gemeinderat ist Mitglied der Behindertenkonferenz sowie der Expertenkommission des Zürcher Verkehrsverbunds(ZVV)für hindernisfreies Reisen. Die Verkehrsorganisation hätten schon vor Jahren reagiert. Das Rollmaterial des ZVV sei komplett behindertengerecht – auch weil niederflurige Busse wegen der international grossen Nachfrage unterdessen günstiger sind als hochflurige.

Gemeinden ohne Plan

Vor allem die grossen Zentren wie Zürich, Winterthur und Uster hätten realisiert, dass mit der Umsetzung des BehiG Kostenauf sie zu kommen, sagt Manser.Die Städte hätten die Kosten frühzeitig in den Budgets eingeplant und seien auch mit der Umsetzung schon weit. «Der Grossteil der Gemeinden hat aber nach wie vor keinen Plan.»

Dies zeigten auch die aktuell publizierten Zahlen. Denn dass 44 Prozent der Bushaltestelle behindertengerecht sind, heisst noch lange nicht, dass Rollstuhlfahrer dort autonom ein- und aussteigen können. Dies treffe wohl erst auf 500 bis 1000 Haltestellen zu, schätzt Manser. Die übrigen ermöglichen den Zugang mit Hilfe einer Rampe und durch das Abneigen des Busses.An mehr als der Hälfte aller Bushaltestellen im Kanton Zürich können Rollstuhlfahrer also nicht einsteigen.

Grundsätzlich gelte: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg», sagt Manser. Adliswil sei ein typisches Beispiel. Erst ging man davon aus, dass es am millionenteuren neuen Busbahnhof der Gemeinde im Sihltal keinen Platz habe für höhere Haltekanten. Die Behindertenkonferenz hat Einsprache eingereicht, was oft am Anfang eines Umdenken stehe, wie Manser sagt. «Nach ein paar Sitzungen mit den Verantwortlichen ging es dann plötzlich.» Geholfen habe, dass die verantwortliche Gemeinderätin wechselte.

Wo Bushaltestellen bis 2024 noch nicht angepasst sind – etwa weil bauliche Massnahmen als nicht verhältnismässig eingestuft wurden – müssen Ersatz-massnahmen wie ein Behindertenfahrdienst angeboten werden, schreibt der Regierungsrat weiter. Organisationen wie die Behindertenkonferenz könnten ab 2024 klagen. Sollte es zu Gerichtsfällen kommen, wäre die Verhältnismässigkeit nur bedingt ein Kriterium, vermutet Manser: «Schliesslich hatten die Gemeinden zwanzig Jahre Zeit und hätten die Kosten der neuen Haltestellen längst abgeschrieben, wenn sie frühzeitig reagiert hätten.»


Nur 44 Prozent der Haltestellen sind behindertengerecht.
Bild: Michele Limina

 

Behindertengerechte Bahnhöfe

(Curaviva / deutsche Ausgabe)

Es braucht zusätzliche Anstrengungen,damit in der Schweiz die Bahnhöfe behindertengerecht umgebaut sein werden. Das Bundesamt für Verkehr (BAV)hat ermittelt, dass bis Ende 2019 von rund 1800 Bahnhöfen und Haltestellen 819 von Menschen mit Behinderung selbstständig und ohne Umstände benutzt werden können.

Das entspricht 45 Prozent. Das Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) schreibt vor, dass Bauten, Anlagen und Fahrzeuge, die vordem 1. Januar 2004 in Betrieb genommen wurden, bis spätestens zum 31. Dezember 2023 baulich barrierefrei angepasst sein müssen. Bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist im Jahr 2023 sind Arbeiten für 525 weitere Bahnhöfe geplant. Bei rund 205 Projekten (11 Prozent) der Bahnhöfe allerdings wird «trotz Intervention des BAV» die Anpassungsfrist voraussichtlich überschritten werden – darunter auch bei einigen grossen Bahnhöfen wie Bern, Lenzburg, Neuenburg oder Zürich HB. Hier muss das Personal Hilfe anbieten. Damit wird die Vorgabe des BehiG berücksichtigt, wonach die Verhältnismässigkeit gewahrt werden muss. Der Bund investiert in das Erneuerungsprogramm über drei Milliarden Franken.


1800 Bahnhöfen und Haltestellen 819 von Menschen mit Behinderungselbstständig und ohne Umstände benutzt werden können..

 

In Zürich hapert es mit Busstationen für Behinderte

(Tages-Anzeiger)

Gleichstellung

Knapp vier Jahre bleiben noch, bis der öffentliche Verkehr grundsätzlich hindernisfrei sein muss. Bis 2023 muss das Behindertengesetz umgesetzt sein. Doch der Kanton Zürich ist bei weitem nicht so weit.Letztes Jahr erfüllten 44 Prozent oder knapp 1000 der 2247 Bushaltestellen die Anforderungen.Und es wird wohl nicht reichen.

Wie aus der Antwort des Regierungsrats auf eine SVP-Anfrage hervorgeht, werden derzeit jährlich 30 bis 50 Haltestellen behindertengerecht ausgebaut oder neu erstellt. Der Kanton, der die 856 Haltestellen an Staatsstrassen verantwortet, sowie die Gemeinden müssen also noch einen Zacken zulegen.

Gemäss Behindertengleichstellungsgesetz sind aber Ausnahmen erlaubt. Wo ein Ausbau«nicht verhältnismässig» ist,braucht es dennoch ein Angebot wie einen Behindertenfahrdienst. Gemäss Regierung wurde sichergestellt, dass alle Bushaltestellen in der Nähe von Institutionen, die für Behinderte wichtig sind, ausgebaut sind. Es gibt eine Prioritätenliste, und für alle Haltestellen mit mittlerer und hoher Priorität besteht zumindest ein Bauprojekt.

Bei Neubauten von Bushaltestellen kostet eine Haltekantezwischen 100 000 und 175 000Franken. Muss eine Haltekante bloss erhöht werden, ist es wesentlich günstiger. Die Kosten betragen zwischen 5000 und 8000 Franken.

Auf eine SVP-Zusatzfrage mit leicht kritischem Unterton antwortet die Volkswirtschaftsdirektion von Carmen Walker Späh(FDP), dass nicht nur behinderte Menschen vom barrierefreien Zugang zu Bussen profitierten,sondern alle Fahrgäste, insbesondere ältere Personen und jene mit Kinderwagen und Gepäck.Ein weiterer Vorteil sei, dass die Passagiere schneller ein- und aussteigen könnten, womit sichdie Haltezeit verringere und so auch die wartenden Autos hinter den Bussen profitierten. (pu)

Kindern eine Auszeit schenken

(Der Landbote)

Pilotprojekt Kinder mit psychisch kranken Eltern haben es nicht leicht. Ein Pilotprojekt sucht rund um Zürich Patinnen und Paten, um die Kinder und ihre Eltern einen Nachmittag pro Woche zu entlasten.
Katrin 011er

Wenn Eltern psychisch erkranken, leiden auch ihre Kinder. Sie machen sich Sorgen und können sich in der Schule nicht mehr konzentrieren. Manche werden laut und auffällig, andere ziehen sich zurück. Beim Institut Kinderseele Schweiz in Winterthurgeht man davon aus, dass in der Schweiz mehr als 300 000 Kinder und Jugendliche mit einempsychisch kranken Elternteil auf-wachsen. Das Risiko dieser Kin-der, selber psychisch krank zuwerden, liegt zwischen 25 und 55 Prozent. Bei Kindern von ge-sunden Eltern liegt das Risiko bei 10 bis 20 Prozent.

Hier möchte Ponto ansetzen. Das neue Projekt von Pro Infirmis und Espoir will solchen Kindern Patinnen und Paten zur Seite stellen. «Ein verlässliches,erwachsenes Gegenüber», wie Espoir-Geschäftsführerin Lucia Schmid sagt. Espoir begleitet im Auftrag von Sozialbehörden jährlich rund 250 Kinder und Familien in Not und ist «von der Kinderseite» her auf die schwierige Situation der Kinder mit psychisch erkrankten Eltern aufmerksam geworden. Zeitgleich wollte Pro Infirmis, wo betroffene Eltern beraten und unterstützt werden, das Thema aufgreifen. «So sind wir uns zugeflogen», wie Schmid sagt.

Seit August 2019 läuft das Pilotprojekt Ponto, das von derZürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wissenschaftlich begleitet wird.Nachdem ein Konzept entwickelt wurde, suchen Espoir und Pro Infirmis nun geeignete Patinnen und Paten.

«Kein Hütedienst»

Paten können Paare, Familien oder Einzelpersonen sein, sagt Rina Lombardini, die die Patenschaften koordiniert. Es müssten weder Pädagogen noch Akademiker sein, sondern Leute, die den Kindern einen Nachmittag pro Woche eine unbeschwerte Zeit schenken wollen. Egal, ob die Paten mit dem Kind auf den Spielplatz gehen, bei sich zu Hause kochen oder dem Kind Platz und Zeit geben, mal in Ruhe Lego zu spielen. «Es soll eine Auszeit sein, in der die Kinder mal nur das tun können, was sie selber wollen, ohne stets Rücksicht nehmen zu müssen.» Es müsse allen klar sein, dass es sich bei Ponto nicht um einen Hütedienst handle, sagt Lombardini.

«Es soll zu keinem Machtkampf kommen zwischen den Eltern und den Paten.»
Lucia Schmid Geschäftsführerin Espoir

Die Anforderungen an die Patinnen und Paten sind gute Gesundheit, stabile Lebensumstände und keine Einträge im Strafregisterauszug sowie im Sonderprivatauszug. Sie werden von Espoir vor allem zu Beginneng begleitet und erhalten zur eigenen Orientierung eine Schulung zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und welche Auswirkungen diese auf eine Familie haben können.

Möglichst in der Nähe

Rina Lombardini hofft, bald die ersten Paten mit den Familien zusammenzubringen. Während drei Monaten wird geschaut, ob die Chemie stimmt. Idealerweise wohnen die Paten in der Nähe der Familien. Auf der Suche nach Paten hat Espoir den ursprünglich auf die Stadt Zürich begrenzten Radius ausgeweitet und richtet sich nun an die Stadt und die Agglomeration. Ausgenommen ist Winterthur, da dort der Verein Familien- und Jugendhilfe Winterthur (FUJH) ein ähnliches Programm anbietet.

Ponto wird vollumfänglich durch Spenden finanziert sowie durch Beiträge der Gesundheitsförderung Schweiz, des Lotteriefonds des Kantons und des Sozialdepartements der Stadt Zürich. Mit rund einer halben Million Franken ist die Finanzierung des Projekts für drei Jahre gesichert. Paten werden nicht vergütet, erhalten aber eine Spesenentschädigung. Die Eltern zahlen einen Unkostenbeitrag von 80 Franken im Monat. Lucia Schmid betont aber, dass die Kosten kein Ausschlusskriterium seien: «Da findet man meist eine Lösung.»

Kein Machtkampf

Auch wenn es gewünscht sei,dass die Paten die Eltern kennen und zum sozialen Umfeld der Familie gehören, stehe das Kind im Zentrum, sagt Lucia Schmid. Es soll zu keinem Machtkampf kommen zwischen den «fehlerhaften» Eltern und den «tollen» Paten. «Das Ziel ist ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe.»

Die Zeit, die die Kinder mit ihren Paten verbringen, soll der betroffene Elternteil seiner Genesung widmen. Sei dies eine Beratung bei Pro Infirmis oder einfach mal die Füsse hochlegen,um Kraft zu sammeln für den Alltag mit der Familie. Die Teilnahme am Projekt setzt voraus,dass sich die Eltern eingestehen,dass sie krank sind und dass ihre Kinder von einer Auszeit profitieren. Es dürfen keine von den Behörden angeordnete Kindesschutzmassnahmen bestehen.«Die Freiwilligkeit bei allen ist essenziell», sagt Lucia Schmid. Schliesslich gehe es um ein Geschenk, keinen Zwang. Auch die Kinder sollen zustimmen können.

Deshalb richtet sich Ponto an Kinder im Alter von 4 bis 15 Jahren. Ein Nachmittag pro Woche sei zu wenig Zeit, um mit einem Kleinkind eine Bindung aufzubauen, sagt Schmid. Für Ältere seien wiederum andere Jugendliche wichtiger als erwachsene Bezugspersonen.

«Die Kinder sind nicht zu unterschätzen», sagt Schmid. Sie haben viel eigene Kraft, die man mobilisieren und unterstützen könne, damit sie trotz der schwierigen Situation zu Hause gesund bleiben.www.ponto.ch


Einfach mal unbeschwert Kind sein: Ponto sucht Paten für Kinder mit psychisch kranken Eltern. Foto, Keystone

 

IV-Rente auch für Kinder im Ausland

(Neue Zürcher Zeitung)

KATHRIN ALDER

Anerkannter Flüchtling erhält recht Staaten, welche die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben, gewähren den sich auf ihrem Gebiet aufhaltenden Flüchtlingen die gleiche soziale Sicherheit wie Einheimischen. So steht es in Artikel 24 geschrieben. Auch die Schweiz gehört zu den Unterzeichnerstaaten. Was die Regelung konkret bedeutet, macht nun ein Urteil des Bundesgerichts deutlich. In dem am Freitag publizierten Entscheid befassten sich die Richter der Zweiten sozialrechtlichen Abteilung mit der Frage, ob anerkannte Flüchtlinge, die eine IV-Rente beziehen,auch Anspruch haben auf eine Kinder-rente für Kinder, die im Ausland leben.Das Bundesgericht bejahte diesen Anspruch, mit der Begründung, er gelte auch für Schweizer Eltern und IV-Bezüger.

Kinder in Frankreich

Konkret gelangte ein tschadischer Staatsangehöriger, der 1994 in der Schweiz als Flüchtling anerkannt wurde und eine ordentliche IV-Rente bezieht, 2016 an die IV-Stelle des Kantons Bern. Er verlangte die Ausrichtung von Kinderrenten für seine zwei Töchter, die er 2012 als seine Kinder anerkannt hatte und diebei ihrer Mutter in Frankreich leben. Ge-stützt auf das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, haben Eltern, die eine IV-Rente beziehen, Anspruch auf solche Zusatzbeiträge für Kinder, wenn diese entweder jünger als 18 Jahre alt oder in einer Ausbildung sind.

Die zuständige IV-Stelle lehnte den Antrag ab mit der Begründung, die Kinder hätten die tschadische Nationalitätund lebten im Ausland. Der Mann gelangte in der Folge an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, das seine Beschwerde 2018 guthiess und seinen Anspruch auf IV-Kinderrenten im Grundsatz bejahte. Das Verwaltungsgericht wies die Sache zur Klärung weiterer Leistungsvoraussetzungen zurück an die zuständige IV-Stelle.

Gegen diesen Entscheid erhob die IV-Stelle Beschwerde am Bundesgericht.Die Richterinnen und Richter in Luzern wiesen sie jedoch ab. Zunächst hielten sie fest, bei Schweizer Eltern, die eine IV-Rente bezögen, werde nicht verlangt,dass die Kinder ihren Wohnsitz ebenfalls in der Schweiz haben. Für Kinder von anerkannten Flüchtlingen sei dies gemäss Landesrecht aber anders. Der entsprechende Bundesbeschluss verlange, dass Flüchtlinge, die eine IV-Rente beziehen,ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Das gleiche gelte für ihre Kinder. Die Genfer Flüchtlingskonvention hingegen verlangt bei der sozialen Sicherheit von Flüchtlingen Gleichstellung mit Einheimischen.

Völkerrecht vor Landesrecht

Das Bundesgericht stellte folglich einen Konflikt zwischen für die Schweiz verbindlichem Völkerrecht und diesem widersprechenden Landesrecht fest.In einem solchen Fall geht das Völkerrecht grundsätzlich vor, es sei denn, dieso genannte Schubert-Praxis wird angewendet. Trifft dies zu – wollte der Gesetzgeber beim Erlass der neueren landesrechtlichen Regelung also bewusst vom älteren Staatsvertrag abweichen- kommt das Landesrecht zur Anwendung. Im konkreten Fall befand das Bundesgericht allerdings, eine Anwendung der Schubert-Praxis sei nicht geboten. Es fand keine Indizien dafür,dass der Gesetzgeber die Absicht gehabt hätte, mit der Regelung im entsprechenden Bundesbeschluss bewusst vonder Genfer Flüchtlingskonvention abzuweichen. Deshalb habe Letztere Vorrang. Das Gericht wies die zuständige IV-Stelle an, abzuklären, ob auch die weiteren Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Kinderrente erfüllt sind.
Urteil 9C_460/2018 vom 21. 1. 20 – BGE-Publikation.