Assistenzhunde auch für Kinder

(Südostschweiz / Bündner Zeitung)

Die Invalidenversicherung soll auch für Kinder und Jugendliche Beiträge für Assistenzhunde zahlen. Der Bundesrat beantragt dem Parlament, eine entsprechende Motion des Luzerner FDP-Ständerats Damian Müller anzunehmen. Für Assistenzhunde zahlt die Invalidenversicherung einen Pauschalbetrag von 15 500 Franken. Allerdings haben derzeit nur Erwachsene ein Anrecht darauf. Es gebe immer wieder Fälle, in denen ein Assistenzhund bei Kindern und Jugendlichen aus medizinischer Sicht angezeigt wäre, schrieb Müller in seinem Vorstoss. So könnten Epilepsie-Begleithunde kommende Anfälle erkennen und vor diesen warnen. (sda)

Rechte von Behinderten sollen kantonal geregelt sein

(Zuger Zeitung)

Eine Motion fordert von der Zuger Regierung ein kantonales Behindertengleichstellungsgesetz

In Sachen Behindertengleichstellungsgesetzgebung geht es momentan im Kanton Basel-Stadt grosse Schritte vorwärts: Gemäss «SRF Regional-journal Basel» ist ihre Gesetzgebung auf Kantonsebene schweizweit eine Neuheit.

Geht es nach Luzian Franzi-ni (ALG/Zug), Isabel Liniger(SP/Baar) und Fabio Iten (CVP/Unterägeri) soll der Kanton Zug dem Beispiel folgen. Mit der kürzlich eingereichten Motion für ein kantonales Behindertengleichstellungsgesetz wollen die Kantonsparlamentarier den Regierungsrat beauftragen, ein Gesetz, welches die allgemeinen Bestimmungen und materiellen Grundsätze für die Behindertengleichstellung umfasst, auszuarbeiten. Analog zu jenem im Kanton Basel-Stadt. Luzian Franzini findet: «Es ist Zeit, das sein reicher Kanton wie Zug, alle Menschen gleich behandelt, insbesondere Menschen mit einer Behinderung.» Das Recht auf gleichen Zugang zu allen Lebensbereichen wie Arbeit, Bildung, Freizeit, Kommunikation,Mobilität und Wohnen sowie zu Bauten, Anlagen, Einrichtungen und öffentlich angebotenen Leistungen müsse garantiert werden, zählt Franzini auf.

Rechtsgrundlage auf Bundesebene

Im neuen Gesetz sollen demnach die Rechtsansprüche für Menschen mit Behinderung verankert und gesetzgeberische Lücken im kantonalen Kompetenzbereich geschlossen werden, schreiben die Motionäre in ihrem Vorstoss. Geltende Rechtsgrundlagen in der Schweiz sind laut Motion die Bundesverfassung mit dem Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen und dem Nachteilsausgleichsanspruch zur Beseitigung von Benachteiligung.«Heute geschieht viel auf der freiwilligen Basis. Die Verpflichtung dazu wird aus dem Bundesgesetz abgeleitet», erklärt Luzian Franzini. Er verweist auch auf die von der Schweiz 2014 ratifizierte UNO -Behindertenrechtskonvention. Diese wirke aber nicht direkt auf bundesrechtliche und kantonale Gesetze, wissen die Motionäre. «Wichtig ist uns, dass sich Menschen mit einer Behinderung aufgrund eines Gesetzes ihre Rechte einfordern können und Behindertenorganisationen ein Verbandsbeschwerderecht erhalten.», sagt Franzini.

Leitfaden der Universität Basel

Gemäss dem Vorstoss liegen insbesondere die direkten Steuern, die Gerichtsorganisation,das Polizeiwesen, der Strafvollzug, das Schulwesen, das Gesundheitswesen, die Sozialhilfe,das Bauwesen und die regionale Infrastruktur «weitgehend oder vollständig» in der Gesetzgebungskompetenz der Kantone.«Beispielsweise soll nun im Kanton Basel-Stadt vorgeschrieben werden, dass öffentliche Veranstaltungen generell barrierefrei zu organisieren sind, sofern dies wirtschaftlich zumutbar ist», erklärt Luzian Franzini.

Neben dem Auftrag an den Regierungsrat die Gesetzeslücken zu schliessen, möchten die Motionäre, dass überprüft wird,ob zur Umsetzung und Koordination eine kantonale Fachstelle für die Rechte für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden sollte. Weiter verweisen die Motionäre darauf, dass die juris-tische Fakultät der UniversitätBasel momentan einen Leitfa-den zuhanden aller Kantoneausarbeitet. Dieser soll am Beispiel von Basel-Stadt das Behindertengleichstellungsrecht in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen stärken.
Andrea Muff


Braucht es im Kanton Zug eine Fachstelle für Behindertenrechte?Bild: Stefan Kaiser
(Zug, 27. Dezember 2013)

 

Veranstaltung «Für sich und andere sorgen»: Mehr Unterstützung für betreuende und pflegende Angehörige gefordert

(innerschweizonline.ch)


Regierungsrat Guido Graf begrüsst die Teilnehmenden.

 

Über 100 Teilnehmende haben den zweiten Anlass der Veranstaltungsreihe «Für sich und andere sorgen» besucht. Dieser richtete sich an betreuende und pflegende Angehörige. Informiert wurde über die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Betreuung sowie über die finanzielle Absicherung von betreuten und betreuenden Angehörigen. Fachorganisationen orientierten über Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten. Regierungsrat Guido Graf forderte mehr Unterstützung für betreuende und pflegende Angehörige jeder Altersklasse.

Rund 4000 Luzernerinnen und Luzerner pflegen und betreuen regelmässig ihre Angehörigen. Mit der Veranstaltungsreihe «Für sich und andere sorgen» will das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons diesen Personen Wertschätzung entgegenbringen, Informationen vermitteln, über Entlastungs- und Unterstützungsangebote orientieren und den gegenseitigen Austausch fördern. Der zweite Anlass fand am 12. Februar 2020 im Businesspark Sursee statt.

An der diesjährigen Veranstaltung lag der Fokus auf den Themen Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Betreuung sowie die finanzielle Absicherung von betreuenden und betreuten Angehörigen. Dazu gab es zwei Fachreferate (siehe Programm). Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf forderte dazu auf, die Situation von betreuenden und pflegenden Angehörigen zu verbessern. «Es braucht bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Betreuung. Und es braucht finanzielle Entschädigung für die Angehörigenbetreuung und -pflege.»

Finanzielle und soziale Absicherung gefordert


Die Teilnehmenden informieren sich an den Marktständen der Fachorganisationen über Unterstützungs- undEntlastungsangebote..

 

Die Politik mache zwar erste Schritte in die richtige Richtung, aber das sei noch nicht genug, so Graf. «Betreuende und pflegende Angehörige im Erwerbsalter brauchen finanzielle und soziale Absicherung sowie bedarfsgerechte, bezahlbare und niederschwellige Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich», sagte er. Betreuende Angehörige im Rentenalter wiederum müssten von finanziellen Sorgen befreit werden. «Eltern mit schwerkranken Kindern soll – nebst dem Betreuungsurlaub – noch besser geholfen werden. Und auch Kinder und Jugendliche, die einen Elternteil, ein Geschwister oder einen Grosselternteil betreuen, brauchen Unterstützung.»

Fachorganisationen informieren über Unterstützungs- und Entlastungsangebote

Um die Teilnehmenden vor Ort über Unterstützungs- und Entlastungsangebote im Kanton Luzern zu informieren, waren folgende Fachorganisationen mit Marktständen vor Ort: Alzheimer Luzern, Association Spitex privée Suisse ASPS, Infostelle Demenz, Interessengemeinschaft Tages- und Nachtstrukturen, Nutzergemeinschaft Zeda, Palliativ Luzern, Pro Infirmis Luzern, Ob- und Nidwalden, Pro Senectute Luzern, Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Luzern, SOS Dienst Luzern, Spitex Kantonalverband Luzern, Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz und WAS Ausgleichskasse Luzern. Diese Fachorganisationen haben den Anlass breit mitgetragen.

Anerkennung und Dank

Regierungsrat Guido Graf war es ein Anliegen, den betreuenden und pflegenden Angehörigen im Namen des Luzerner Regierungsrats Wertschätzung auszudrücken. «Das, was Sie – oftmals tagtäglich und rund um die Uhr im Verborgenen – leisten, ist von unschätzbarem Wert für Ihre Angehörigen und unsere Gesellschaft. Ohne Ihr Engagement könnten Ihre Angehörigen nicht so lange selbstbestimmt daheim leben», so Graf. «Die Kosten der öffentlichen Hand wären bedeutend höher. Es gäbe auch nicht genügend Fachkräfte. Herzlichen Dank für Ihr grosses Engagement.»

Weiterer Anlass 2021

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Für sich und andere sorgen» ist am 3. März 2021 eine weitere Veranstaltung geplant. Der erste Anlass fand im Februar 2019 statt.

Durchgeführt werden die Anlässe von der Dienststelle Soziales und Gesellschaft und dem Programm «Gesundheit im Alter» der Dienststelle Gesundheit und Sport – in Zusammenarbeit mit Fachorganisationen. Unterstützt werden die Anlässe von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz.

Anhang

Bild 1: Regierungsrat Guido Graf begrüsst die Teilnehmenden.
Bild 2: Die Teilnehmenden informieren sich an den Marktständen der Fachorganisationen über Unterstützungs- und Entlastungsangebote.

Strategiereferenz Diese Botschaft/Massnahme dient der Umsetzung des folgenden Leitsatzes in der LuzernerKantonsstrategie: Luzern steht für Zusammenhalt

Unterstützen Sie dieses unabhängige Onlineportal mit einem, Ihnen angemessen erscheinenden Beitrag

Dieser Beitrag wurde unter homepages und informationen der gemeinden des kantons luzern , informationen derstaatskanzleien/polizei usw. der innerschweizer kantone abgelegt am 12. Februar 2020 von Leonard Wüst .

Mutter vor Zerreissprobe

(Walliser Bote)

Porträt einer Mutter mit einem autistischen Sohn

Autismus ist eine tief greifende Entwicklungsstörung, die meist durch angeborene Besonderheiten im Bereich der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung entsteht. Das ist die Defi nition von Autismus.

Aber was bedeutet es für Eltern, mit einem autistischen Kind den Alltag zu bestreiten? Darüber spricht Greta Petkeviciene. Wie geht man damit um, wenn ein Kind nie seine Arme nach einem ausstreckt? Was empfi ndet eine Mutter, wenn sie nie ein Zeichen der Zuneigung erfährt?


Starke Frau Greta Petkeviciene erzählt, was es heisst, ein autistisches Kind zu begleiten. FOTO MENGIS MEDIA/ANDREA SOLTERMANN

 

Es ist ein schwieriger Weg, ein autistisches Kind zu begleiten. Greta Petkeviciene erzählt aber nicht nur von den aufreibenden Situationen. Sie kann allem etwas Gutes abgewinnen. Sie spricht auch davon, dass sie stolz ist zu sehen, wo ihr Sohn heute steht. Sie hat allen Grund, stolz zu sein.


Dankbar. Greta Petkeviciene: «In der Schweiz muss man hart arbeiten, aber das soziale System ist grossartig.» FOTO MENGIS MEDIA/ANDREA SOLTERMANN

 

BRIGERBAD | Ein Leben mit einem autistischen Kind ist nicht immer einfach. Das weiss Greta Petkeviciene aus eigener Erfahrung. Wer jetzt meint, hier ein Klagelied zu lesen, irrt sich.

NATHALIE BENELLI
Greta Petkeviciene, eine elegante Frau, die dunklen Haare zu einem strengen Knoten gebunden, führt in ihr Zuhause. Eine 1-Zimmer- und eine 2-Zimmer-Wohnung mit Verbindungstür. Hier lebt sie zusammen mit ihrem 20 jährigen Sohn Lukas. Den grösseren Raum überlässt sie ihm. Sie sagt: «Ich brauche nicht viel. Ich bin in Litauen in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. In meiner Familie waren menschliche Wärme und Würde wichtiger als materielle Dinge.» Im Flur hängt ein Bilderrahmen mit Familienfotos. Auf einem Foto sind Mutter und Sohn in den Bergen zu sehen. Die Hand von Lukas ruht auf den Schultern der Mutter. Ein Bild, wie es wohl in vielen Familienalben zu finden ist. Doch diese Aufnahme ist nicht Ausdruck einer spontanen Zuneigungsbekundung zwischen Mutter und Sohn. Das Foto ist gestellt, denn Lukas ist nicht in der Lage, Gefühle zum Ausdruck zu bringen; er ist Autist.

Greta Petkeviciene lebt seit elf Jahren im Wallis. Litauen verliess sie bereits als junge Frau. Sie folgte ihrem Mann, einem Profisportler, nach Deutschland. Es war ein Leben mit vielen Umzügen, die Sportlerkarrieren so mit sich bringen. Mit dreissig wurde sie schwanger. Sie und ihr Mann freuten sich auf das Wunschkind. Nach der Geburt gratulierten die Ärzte zu einem gesunden Sohn: Hände, Füsse, alles da. Atmung, Herzschlag, alles gut. Doch Greta Petkevicienes erster Gedanke war: «Was ist mit seinem Kopf, seinem Geist, seiner Seele?» Intuitiv spürte sie, dass es ein besonderes Kind war.

Irgendetwas stimmte nicht

Lukas war ein unruhiges Kleinkind. Er schrie Tag und Nacht. «Ich suchte nach Ursachen. Zuerst dachte ich, er hat Bauchweh. Dann glaubte ich, das Zahnen mache ihm zu schaffen. Nach und nach merkte ich aber, dass Lukas sich nicht wie andere Kinder entwickelte.» Greta Petkeviciene trug ihn ständig bei sich, immer auf der linken Seite. Gegen einen Seitenwechsel protestierte er mit noch lauterem Schreien.
«Er rebellierte, wenn ich andere Kleider oder Frisuren trug. Auf alles Neue reagierte er heftig. Obwohl ich ständig Körperkontakt mit ihm hielt, lehnte er nie seinen Kopf an mich. Nie umschlang er mich mit seinen Ärmchen oder zeigte irgendeine Regung von Zuneigung. Er hielt keinen Blickkontakt mit mir. Aus seinem
Mund kamen ausser Geschrei keine anderen Laute. Ich war für ihn ein funktionierender Gegenstand, aber keine Mama.» Irgendetwas stimmte nicht mit Lukas.

Nach einer umfassenden Abklärung in einer Klinik in Düsseldorf stand die Diagnose im Raum: frühkindlicher Autismus. Niemand konnte ihr sagen, wie sich Lukas weiterentwickeln würde. Würde er je sprechen sprechen lernen? Könnte er jemals ein selbstständiges Leben führen?

«Man schlug mir vor, meinen Sohn mit starken Medikamenten zu behandeln. Doch das wollte ich nicht. Lukas leidet nicht an einem körperlichen Defizit, das man mit einer Operation oder Medikamenten beheben kann. Es geht um seine Wahrnehmung, seine Seele.» Unerfahren sei sie gewesen, sagt sie dazu. Doch für sie war klar: «Ich habe dieses Kind geboren und ich stehe dafür ein, dass mein Sohn die Realität so gut wie möglich erleben kann ohne Ritalin und Psychopharmaka. Er sollte das leben können, was aus ihm herauswollte und konnte. Ich setzte auf Therapien und Menschen, nicht auf Medikamente.» Eine Entscheidung für einen schwierigen Weg…

Welt mit starren Mustern

Lukas bewegte sich in seiner Welt mit starren Mustern. Die gleichen Schritte,
die gleichen Handbewegungen – hundert Mal, tausend Mal, bis zur Erschöpfung. Stundenlange monotone Abläufe, Lichtschalter ein, Lichtschalter aus, diktierten seine Tage. «Störte irgendetwas diese Muster, begann er zu schreien oder er reagierte mit Aggression und Selbstverletzungen.»

«Ich wusste oft nicht, wie wir die Tage überstehen sollten»
Greta Petkeviciene

Mit der Einschulung begann ein langer Leidensweg. Sie sagt: «Niemand hielt ihn für tragbar. Lukas war so schwierig, kein Kindergarten in Deutschland wollte ihn. Entlastung fand ich bei Aufenthalten bei meiner Familie in Litauen.» Ganz banale Alltagshandlungen wurden zur Nervenprobe. «Ich erntete viele böse Kommentare, wenn Lukas in einem Einkaufszentrum zu schreien begann oder seinen Kopf auf den Boden schlug. Ich wurde beschimpft, dass ich ein verwöhntes, ungezogenes Kind hätte. Ich habe die Konfrontation nie gescheut. Ich bin dagestanden und habe erklärt: ‹Mein Sohn ist Autist.›» Sie ging zu Eltern nach Hause, deren Kinder Lukas demütigten oder ihn auslachten. «Ich sagte zu ihnen: ‹Es gibt so viele Krankheiten oder Beeinträchtigungen. Es kann jeden treffen. Erklären Sie das Ihren Kindern.›»

Manchmal kam aber auch sie an ihre Grenzen: «Ich wusste, wie unser Tag beginnen und wie er enden würde. Alles war nach Lukas’ fixen Regeln und Stundenplänen durchgetaktet. Ich wusste aber oft nicht, wie wir die Tage überstehen sollten.»

«Mein Sohn zeigt…»

Greta Petkeviciene unterbricht ihre Schilderungen. Ihr Blick wird leer. Dann sagt sie: «Ich will ehrlich sein. Es gab Tage, da dachte ich: ‹Ich habe diesem Kind das Leben geschenkt. Aber ich mag auch das Ende. Sein oder mein Ende.›»

Der Umzug vor elf Jahren ins Wallis brachte vorerst ein bisschen Ruhe in ihr Leben. Lukas wurde in der Heilpädagogischen Schule in Glis aufgenommen. Doch dann ging ihre Ehe in die Brüche. «Heute kann ich das verstehen. Mein Mann und ich hatten keine Zeit füreinander. Es ging zu viel schief. Für mich war das Verlassenwerden sehr hart. Nach einem langen Verarbeitungsprozess kann ich nun in Dankbarkeit auf unsere Ehe zurückschauen.»

Alleine mit einem autistischen Kind stand Greta Petkeviciene vor den Ruinen ihrer Existenz. «Von heute auf morgen stand ich vor dem Nichts. Ich musste dringend eine Arbeit finden. Ohne die Unterstützung von ‹insieme Oberwallis› (heutiger Name: ‹Mit- Mänsch Oberwallis›) hätte ich das nicht geschafft. Lukas war den Tag über gut aufgehoben und konnte einige Nächte in der Woche im Internat bleiben. Ich war bereit, alle Arbeiten anzunehmen, die ich bekam. Ich habe viel geputzt.»

«Als ich wirklich Hilfe brauchte, hat man mich nicht fallen lassen»
Greta Petkeviciene

In anderen Ländern wäre ich zugrunde gegangen, sagt sie. «In der Schweiz muss man hart arbeiten, aber das soziale System ist grossartig. Ich habe hier so viele gute Menschen getroffen. Als ich wirklich Hilfe brauchte, hat man mich nicht fallen lassen. In diesem Land sind wir privilegiert. Ich weiss meinen Sohn in einem geschützten Umfeld und ich kann als Frau entscheiden, alleine zu leben. Niemand bedroht mich. Diese Selbstbestimmung und Freiheit ist ein grosser Luxus.»

Mit 15 kam Lukas ins Kinderdorf in Leuk. Dort hat er sich langsam zum selbstständigen jungen Mann entwickelt. «Er hat mich losgelassen», sagt Greta Petkeviciene.

Lukas ist jetzt 20 Jahre alt. Er hat einen begleiteten Arbeitsplatz in einer Werkstätte der Stiftung MitMänsch Oberwallis. Er ist zuverlässig, pünktlich und höflich. «Ich glaube, er ist ein glücklicher Mensch.» Wenn er am Abend von der Arbeit kommt, bleibt er in seinen Räumen, wo alles seinen Platz hat. «Wir reden nicht miteinander. Man kann mit ihm kein Gespräch führen. Er sagt auch nie,dass er mich gern hat, aber das erwarte ich auch nicht. Ich kann ihm klare Ansagen durchgeben. Komplette Sätze versteht er nicht» sagt die 51-Jährige.

«Ich habe von meinem Sohn viel gelernt»
Greta Petkeviciene

«Ich beklage mich nicht über das, was ich in den letzten Jahren durchgemacht
habe. Trotz der ganzen Tragik bin ich stolz auf meinen Sohn. Aber wünschen würde ich unser Schicksal niemandem. Ich habe vieles nicht erlebt, was andere Mütter erleben dürfen. Ich konnte meinen Sohn nichts lehren, sondern ihn nur begleiten.Aber ich und die Menschen, die ihm begegnen, lernen viel von ihm. Ich empfinde eine grosse Dankbarkeit, dass ich Menschen getroffen habe, die mir Flügel gaben, dank denen ich fliegen konnte. Für mich hat sich vieles zum Guten entwickelt. Ich geniesse die kleinen, wiedergewonnenen Freiräume. Ich pflege soziale Kontakte, gehe ab und zu ins Kino oder in ein Theater. Zudem hatte ich das Glück, eine interessante Arbeit zu finden, bei der ich in Kontakt mit Menschen sein kann. Ich arbeite im Schlosshotel als Rezeptionistin und Allrounderin. Mein Chef Andreas Furrer vertraute mir und stellte mich an, ohne meine Diplome zu sehen. Er sagte: Du bist eine starke Frau, du schaffst das.»

Zu weit in die Zukunft blicken mag sie nicht. «Ich nehme einen Tag nach dem anderen. Ich erwarte nichts. Ich habe schon so viel Gutes erfahren, jetzt ist die Reihe an mir, den Menschen etwas zu geben.»


MITMÄNSCH OBERWALLIS

Der Verein «MitMänsch Oberwallis» engagiert sich seit seiner Gründung 1964 für Menschen mit Beeinträchtigung, deren Eltern und Angehörige. Vor 2018 hiess der Verein insieme Oberwallis.
Kontakt: Verein «MitMänsch Oberwallis», Holowistrasse 86, Postfach 107,3902 Glis. Telefon: 027 921 11 30, info@mitmaensch.ch


AUTISMUS WALLIS

Am 20. April 2012 wurde der Verein Autismus-Wallis gegründet. Der Verein setzt sich für Früherkennung, Förderung und Integration von Autismus- Spektrum-Störung ein. Kontakt: Autismus-Wallis, Napoleonstrasse 64, 3902 Glis. info@autismus-wallis.ch


Frühkindlicher Autismus
Qualitative Beeinträchtigungen wechselseitiger sozialer Interaktionen

Die Beziehungsaufnahme zu Personen, Ereignissen und Dingen ist stark auffällig und bedeutet eine extreme Kontaktstörung. Betroffene können soziale und emotionale Signale nicht angemessen erkennen, einschätzen und anwenden. Einfühlungsvermögen (Empathie) in andere Menschen ist kaum vorhanden. Frühe Symptome: kein Antwortlächeln, keine oder wenig Aufnahme von Blickkontakt, fehlende Unterscheidung von Eltern und anderen Personen, keine antizipatorischen Handlungen (z. B. Ausstrecken der Arme, wenn es hochgenommen werden will), kein «Rückversichern» (soziales Referenzieren) bei den Eltern, kein Teilen von Erfahrungen (Gegenstand bringen oder darauf zeigen, um die Eltern darauf aufmerksam zu machen).

Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation

Fehlen oder starker Mangel sozialen Gebrauchs sprachlicher Fertigkeiten. Auch besteht ein Mangel an emotionaler Resonanz auf verbale und nonverbale Annäherungen durch andere Menschen. Die nonverbale Kommunikation und Sprachmelodie sind stark beeinträchtigt.

Repetitive und stereotype Verhaltensmuster

Betroffene zeigen meist einen hohen Widerstand gegen Veränderungen, sie können in Angst-, Panikoder Aggressionszustände geraten, wenn sich in ihrer Umgebung etwas ändert. Viele Betroffene zeigen Stereotypien, die als Selbststimulation von Sinnesbereichen gedeutet werden können (z. B. Augenbohren, Auf-und-ab-Hüpfen, Flattern der Hände vor den Augen). Das Spiel ist meist nicht funktional, sondern mechanisch (z. B. am Rad des Autos drehen, anstatt das Auto fahren lassen).

Manifestation vor dem 3. Lebensjahr

Darüber hinaus unspezifische Probleme wie Befürchtungen, Phobien, Schlafstörungen, Essstörungen, Wutausbrüche, Aggressionen und selbstverletzendes
Verhalten.
QUELLE: AUTISMUS WALLIS


Dokumente des Zeitgeschehens

(Die Botschaft)

BERN (ua) – Immer, wenn die Post neue Briefmarken herausgibt, wird einem klar,wie viele Ereignisse und Jubiläen Jahr für Jahr in der Schweiz gefeiert werden.


100 Jahre Pro Infirmis

 

Auf den ersten Blick scheint etwas verkehrt zu sein: Egal, wie man die Jubiläumsbriefmarke von Pro Infirmis aufklebt, ein Gesicht und ein Schriftzug stehen immer auf dem Kopf. Es gibt kein Oben oder Unten, kein Richtig oder Falsch und folglich auch kein Behindert oder Nicht-behindert.

Pro Infirmis, die schweizweit grösste Fachorganisation für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen, wurde 1920 in Olten gegründet. Sie setzt sich für eine kohärente Behindertenpolitik auf Basis der UNO-Behindertenrechtskonvention ein und ist Kompetenzzentrum für Fragen rund um Behinderungen,

Ihr Ziel ist eine inklusive Gesellschaft,in der jede Person akzeptiert wird, wie sie ist, und in der Vielfalt als Stärke anerkannt wird. Denn wenn jede und jeder ohne Hürden am Leben teilnehmen und sich entfalten kann, profitieren alle.In der Schweiz leben 1,8 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Pro Infirmis unterstützt sie im Alltag und fördert ihre Selbstbestimmung. Auch in Zukunft will man die Zusammenarbeit mit den Betroffenen und ihren Angehörigen suchen und den Dialog ins Zentrum stellen.

Die Sondermarke hat einen Taxwert von 100 und einen Zuschlag von 50 Rappen. Dieser kommt zum Grossteil Pro Infirmis zugute, 10 Prozent fliessen in den Briefmarkenfonds für kulturelles und soziales Engagement der Post

Wie viel darf ein Leben kosten?

(NZZ am Sonntag)


Die 21 Monate alte Estelle aus den USA leidet unter spinaler Muskelatrophie. Ihre Versicherung bezahlt 2,1 Millionen US-Dollar für die Behandlung mit Zolgensma. (Walpole, 6.8.2019)

 

Der Pharmakonzern Novartis verlost eine millionenteure Therapie fürtodkranke Kinder. Ethiker kritisieren diese Lotterie. Doch für dieEltern sind Bürokratie und hohe Medikamentenpreise viel schlimmer.Von Birgit Voigt und Regula Freuler

Drama liegt Cedric Lienhart offensichtlich nicht. Der junge Mann wirkt gefasst,zum Gespräch hat er akkurat sortierte Unterlagen mitgebracht: Statistiken,Grafiken, Berichte. Dochso sachlich er erzählt, so tragisch ist die Geschichte seiner Familie. Sein anderthalbjähriger Sohn Felipe leidet unter spinaler Muskelatrophie (SMA). Je nach Schweregrad endet diese seltene Form von Muskelschwund ohne Behandlung tödlich: Die Patienten ersticken.

Seit einigen Monaten setzen Eltern von SMA-Kindern ihre Hoffnungen auf eine neue Gentherapie namens Zolgensma. Sie soll die Funktion des fehlenden oder defekten Gens- der Ursache von SMA – ersetzen. Das Medikament muss nur einmal gespritzt werden.

Dem kleinen Felipe Lienhart nützt das allerdings nicht viel: Zolgensma ist bis jetzt erst in den USA zugelassen – und kostet 2,125 Millionen US-Dollar. Doch nun hat der Hersteller Novartis eine aussergewöhnliche Aktion gestartet: Im Laufe dieses Jahres sollen 100 Dosen von Zolgensma weltweit im Lotterieverfahren verteilt werden, und zwar gratis. Die erste Verlosung fand am vergange-nen Montag statt.

Die Aktion hat Empörung ausgelöst.Novartis spiele mit der Hoffnung der Familien, kritisieren Ethiker. Andere sagen, der Konzern fahre eine Kampagne, um Behördenunter Druck zu setzen und damit die Zulassungsverfahren in anderen Ländern zu beschleunigen. Auch Nicole Gusset, Präsidentin der Patientenorganisation SMA Schweiz, übt Kritik. «Wir halten die Verlosung für unangemessen, da es Voraussetzungen für solche Programme gibt, etwadass keine andere Therapie erhältlich ist»,sagt Gusset. «Doch diese haben wir, nämlich Spinraza.»

Grundsätzlich ist sich auch Novartis des ethischen Problems bewusst, das mit der Lotterie verbunden ist. Dave Lennon, Präsident von Avexis, jener Biotech-Firma, die Zolgensma entwickelt hat und 2018 von Novartis gekauft wurde, sagt: «Die Frage,wer am meisten von der Behandlung profitiert, stellt ein grosses Dilemma dar. Soll das Neugeborene behandelt werden? Es hat noch gar keine Symptome, aber den höchsten Langzeitnutzen. Oder soll das 11-monatige Kind das Medikament bekommen, das schon sehr krank ist? Wir sind offen für bessere Verfahren, solange sie die Bedingungen der US-Zulassung beachten.»

Die Eltern hingegen stossen sich weniger am Losverfahren. Auch Cedric Lienhart nicht. Für ihn ist es einfach eine neue Möglichkeit im Rennen gegen die Zeit. «Felipe bleibt noch ein halbes Jahr Zeit, danach ist diese Chance vorbei», sagt er. Derzeit erhält sein Sohn eine Behandlung mit Spinraza,dem einzigen anderen, erhältlichen Medikament. Es ist seit 2017 hierzulande auf dem Markt. Spinraza muss anfangs im monatlichen, später im vier monatlichen Rhythmus in den Rückenmarkskanal injiziert werden. Das ist nicht nur eine schmerzhafte Angelegenheit, sondern auch mit Risiken behaftet. Denn das Kind erhält fürdie Lumbalpunktion eine Narkose, die zu Atemstillstand führen kann. «Einmal haben wir diese Krisensituation schon erlebt»,erzählt Cedric Lienhart, der neben Felipe noch zwei ältere Kinder hat. Ausserdem besteht die Gefahr, dass die vielen Punktionen im Laufe der Jahre zu schwerwiegenden Infektionen führen.

Spinraza wird nach langem Zögern vonder Invalidenversicherung in der Schweiz bezahlt. Grund für die über Jahre dauernden Verhandlungen mit dem Anbieter war der geforderte Preis. Jede Injektion kostet 92 000 Franken. Geht man von einer lebenslang nötigen Behandlung aus, kostet Spinraza den Versicherer nach zehn Jahren Therapie rund 700 000 Franken mehr als die einmalige Gentherapie Zolgensma von Novartis. Ob diese aber wirklich eine dauerhafte Reparatur des Gendefektes bewirkt,weiss im Moment niemand, weil noch keine Langzeitstudien vorliegen – auch dieser Umstand wird von Ethikern bemängelt.

Felipes Eltern kämpfen trotzdem darum,ihr Kind mit der neuen Gentherapie behandeln zu lassen. Doch die bürokratischen Hürden scheinen zu hoch. Felipes Arzt hat ein Gesuch zur Kostenübernahme für Zolgensma bei der Invalidenversicherung gestellt. Diese «prüft» und lässt sich Zeit mit einem Entscheid – Zeit, die das Kind nicht mehr hat. Aus diesem Grund hat der behan-delnde Arzt nun auch den Versuch gestartet,Felipe bei der Zolgensma-Lotterie zu regis-trieren. Dabei stiess er allerdings auf unklare Kriterien. So verlangte Novartis im Registrierungsformular den Nachweis eines speziali-sierten SMA-Zentrums, das die Therapie verabreichen könnte. «Felipes Arzt kam bei dieser Bedingung aber nicht weiter», sagt Lienhart.

Den Eindruck, dass hier übertrieben hohe Hürden aufgebaut werden, weist Novartis zurück. «Wir haben verschiedene medizinische Zentren in Europa, die sich gerade registrieren, um bereit zu sein, falls sie einen ausgewählten Patienten bekommen», sagt ein Mediensprecher des Pharmakonzerns auf Anfrage. Auch Martin Knob lauch, der Geschäftsführer der Schweizerischen Muskelgesellschaft, ist zuversichtlich: «Ich bin überzeugt, dass sich die neuromuskulären Zentren aller grossen universitären Kliniken dafür qualifizieren.»

Laut Novartis sind in den letzten Tagen erste Patienten per Los ausgewählt worden.«Die Ärzte der betreffenden Patienten sind informiert», sagt der Mediensprecher. Er will aber keine weiteren Angaben dazu machen,wie viele Behandlungen erfolgen werden und in welchen Ländern.

Doch Unklarheiten finden sich nicht nur bei Novartis. Auch die Haltung der zuständigen Schweizer Behörden zur allfälligen Behandlung der kleinen Patienten mit derneuartigen, wenig erprobten Therapie ist widersprüchlich. Die Heilmittelbehörde Swissmedic erklärt einerseits, dass nach neuem Heilmittelrecht für einzelne Patienten nicht zugelassene Arzneimittel importiert werden dürfen.

Doch das neue Heilmittelgesetz erlaubt die Ausnahme nur, wenn es kein bereits inder Schweiz zugelassenes Therapeutikum gibt. Genau dies ist hier aber der Fall, nämlich mit Spinraza. Die Verabreichung des Medikaments ist jedoch, wie geschildert, mithohen Risiken behaftet. Die Frage, ob die Gentherapie Zolgensma in der Schweiz über ein Patientenzugangsprogramm angeboten werden darf, ist deshalb offen. Doch genau eine solche Bestätigung fordert wiederum das Novartis-Zugangsprogramm von den zuständigen Behörden.

Grund der ganzen Schwierigkeiten rund um den Zugang zu solchen Gentherapien sind die hohen Preise. Ob sie sich bei Medikamenten gegen spinale Muskelatrophie längerfristig durchsetzen lassen, ist noch nicht entschieden. Auch der Pharmakonzern Roche will bald eine solche Therapie auf den Markt bringen. Das dürfte die Preise unter Druck bringen.

Unabhängig von der Preisdebatte läuft inder Schweiz noch eine weitere Diskussion:Soll man alle Neugeborenen standardmässig auf spinale Muskelatrophie testen? Laut Martin Knoblauch sind Fachleute von der Notwendigkeit überzeugt und wollen jetzt darauf hinarbeiten.

In den USA sind solche Neugeborenen-Screenings schon eingeführt. In der Schweiz hingegen muss die Krankheit erst sichtbar werden, bevor gehandelt wird. Für die Patienten und ihre Angehörigen ist das fatal,denn je früher Kinder behandelt werden,desto besser sind ihre Chancen auf eingesundes Leben. «Bei einer sofortigen Behandlung hätte Felipe die Aussicht auf dieselbe Entwicklung gehabt wie andere Kinder», sagt Cedric Lienhart.

Seltenes Leiden

Mindestens fünf Kinder werden jährlich in der Schweiz mit spinaler Muskelatrophie geboren. Allgemein ist eines von 10 000 Neugeborenen betroffen.

Bewilligungen für 45 Sozialdetektive

(NZZ am Sonntag)

Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat in den letzten vier Monaten 45 Sozialversicherungsdetektiven eine Bewilligung erteilt. 23 Anträgeseien noch in Arbeit, sagt eine Sprecherin des Bundesamts auf Anfrage. Seit der Änderung des Sozialversicherungsrechts,die am 1. Oktober 2019 in Kraft getreten war, dürfen Versicherungsdetektive in der Schweiz nur noch mit einer Bewilligung des Bundes arbeiten. Die Detektive sind vor allem für die Invalidenversicherung, die Suva und für Privatversicherungen tätig. (luh.)

Radio zum Glück

(AAKU Aargauer Kulturmagazin)

Happy Radio verleiht den Menschen mit einer Beeinträchtigung eine Stimme und ermöglicht ihnen eine aktive und selbstbestimmte Teilhabe an der Schweizer Medienwelt.

Seit Anfang Jahr ist die sechsköpfige Redaktion von Happy Radio offiziell Teil von Radio Kanal K. Im Februar wird das im Zofinger OXIL gefeiert. Höchste Zeit, sich kennenzulernen! AAKU hat sich mit den Radiomacher*innen getroffen.

Am Gleisfeld von Aarau, zwischen Industriehallen, Scheddächern und hohen Schornsteinen befindet sich das Redaktionsgebäude von Radio Kanal K. Im dritten Stock sitzt die Redaktion von Happy Radio. Die sechs Redaktor*innen und die Redaktionsbegleiterin Lena Glanzmann besprechen gerade die kommende Livesendung, die aus dem OXIL während des Festivals Hört, Hört, Hörstube! ausgestrahlt wird. Dies ist für die meisten der Redaktor*innen eine Premiere. Denn ansonsten wird die monatliche Sendung,die sie auf Kanal K in den Äther schicken und über Kabel in die Aargauer Stuben senden, im Voraus aufgezeichnet.Entsprechend ist eine leichte Nervosität spürbar. Schneidenund Arrangieren geht für einmal nicht. Was aber genau aufdem Programm steht, wird an dieser Stelle nicht verraten.Stattdessen nehmen sich die Radiomacher*innen Zeit, sich uns vorzustellen.

Die Stimme hinter den Kochtipps

Daniela Leutenegger, wie sind Sie zum Radiogekommen?

Als sich meine Reitgruppe aufgelöst hat, habe ich mir einneues Hobby gesucht, und dann bestand die Möglichkeit,Radio zu machen. Das hat mich interessiert.

Sind Sie schon lange dabei?

Ja, schon einige Jahre. Durch die vielen Sendungen, bei denen ich mitgewirkt habe, konnte ich grosse Fortschritte machen. Ich habe gelernt, mit Ton und Technik umzugehen und wie man ein Mischpult bedient.

Was macht Ihnen am meisten Spass beim Radio-machen?

Wenn ich mit spannenden Leuten ein Interview machenkann. Und die Kochtipps.

Kochtipps?

Ja, ich habe schon ganz viele gute Menüs vorgestellt,die sehr gut rübergekommen sind. Hauptsächlich traditionelle Schweizer Küche.

Hören Sie auch privat viel Radio?

Ich höre allgemein gerne Schlager und Mundartmusik,aber auch Gospel. Ich bin auch in einem Chor und singesehr gerne selbst.

Was war bis jetzt das beste Erlebnis in Ihrer Radio-karriere?

Das war das Interview, das ich mit Schlagerstar Leonardmachen konnte, auch das mit Stefan Roos hat mir beson-ders gefallen.


Daniela Leutenegger

 

Wen möchten Sie als Nächstes interviewen?

Vincent Gross, bei dem rüttelt es grade ziemlich, der ist ja auf Tournee. Ich hoffe, dass es klappt, ich habe bereits alle Fragen vorbereitet. Schwierig ist es, einen Termin zu finden. Einmal war er krank, dann auf Tournee. Als es ihm dann ging dann konnte ich nicht, weil ich selbst ein Konzert hatte.

Was erwartet uns bei der «Hörstube»?

Wir werden sicher ein Best-of unseres Schaffens zeigen,damit die Leute, die uns nicht kennen, uns mal ein Feedback geben können und uns sagen, wo wir uns noch steigern könnten.


Silvio Rauch

 

Der Lyrikrezitator

Silvio Rauch, wie sind Sie zum Radio gekommen?

Die Personen hinter dem Forum Lichtblick in Graubünden, bei dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ihre Kunst präsentieren können, hatten den Wunsch, Radio zu machen. Wir hatten dann bei Radio Grischa angefragt, ob wir einen Kurs besuchen könnten, und so erhielten wir eine Radioausbildung und einen Sendeplatz. Bereits in den Siebzigerjahren hatte ich mir eine Revox-Bandmaschine gekauftund selber Beiträge gemacht.

Was für Beiträge machen Sie denn?

Meine Spezialität sind Gedichtrezitationen, etwa die Wortspielereien von Heinz Erhardt.

Hören Sie selbst viel Radio?

Hauptsächlich beim Autofahren und dann vor allem Talksendungen, wie etwa «Persönlich» auf SRF. Diese kommt ohne musikalische Unterbrüche aus. Mich nervt es immer,wenn an der spannendsten Stelle unterbrochen wird.

Wen würden Sie gerne mal interviewen?

Mein Kollege Dölf Keller und ich hatten ja eine gemeinsame Sendung «Der flotte Dreier». Hier haben wir einige Prominente vor dem Mikrofon gehabt. Franz Hohler, Peach Weber, Emil Steinberger. Das war köstlich. Letzterer hat zu unserer Freude eine Viertelstunde länger gesprochen alsgeplant -wir mussten ihn leider schneiden. Wenn ich noch auswählen könnte, würde ich gerne Birgit Steinegger interviewen. Für sie hätte ich noch ein paar Fragen. Etwa, warum sie so selten ernste Rollen gespielt hat. Ich hatte sie mal in einem Fernsehspiel gesehen, da hat sie eine ernste Rolle gespielt, und das war super.

Und, schon angefragt?

Wir hatten mal angefragt. Für ein Hörspiel hat sie beieinem anderen Projekt mitgemacht, ein Interview wollte sieaber nicht. Da haben wir uns entschieden, dass wir nicht weiter nachhaken.

Worüber sollte im Radio mehr berichtet werden?

Über soziale Probleme, etwa Barrierefreiheit für Menschen mit Beeinträchtigung oder auch über das Leben der Obdachlosen. Bei Happy Radio würde ich gerne noch themenzentrierter arbeiten.

Was machen Sie bei der «Hörstube»?

Ich werde eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert lesen. Und ich freue mich auf das Feedback, bis jetzt fehlt uns das ein bisschen.

Der Techniker

Peter Estermann, wie sind Sie zum Radio gekommen?

Mich hat die Radiotechnik immer interessiert, mit diesen Mischpulten, die Revox-Mikrofone. Seit vier Jahren bin ich bei Happy Radio dabei.

Was sind Ihre Lieblingssendungen?

Hauptsächlich Informationssendungen, egal auf welchem Sender. Und natürlich Musik. Bei der Musikwelleschalte ich oft ein.


Peter Estermann

 

Was machen Sie besonders gerne?

Die Technik. Ich bin eher im Hintergrund, mache aber auch gerne Interviews.

Und wen hätten Sie gerne mal vor dem Mikro?

Einen Sänger oder einen bekannten Sportmoderator.Wobei ich das schon gemacht habe. Jann Billeter konnte ich schon mal interviewen. Lukas Studer würde ich etwa mal fragen, wie er überhaupt Sportmoderator geworden ist.

Was ist für Sie das schönste Erlebnis in der Radio-karriere?

Das dauert noch an. Für mich ist es sehr schön, dasganze Journalismusmetier kennengelernt zu haben undweiterhin diese Tätigkeit ausüben zu können.

INKLUSION FÖRDERT KULTURELLE INNOVATION

Noch heute ist für Menschen mit Behinderungen – ob als Kulturbesucherinnen und -besucher, Kunst- und Kulturschaffende oder Mitarbeitende in Kulturbetrieben – das aktive Engagement im kulturellen Leben in der Schweiz leider keine Selbstverständlichkeit. Fakt ist: Die Gleichstellung und aktive Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft sind ein gesetzlich verankertes Recht der Bürger*innen. Fakt ist aber auch: In einer Zeit, in der Sparmassnahmen sowie steigender Konkurrenz- und Qualitätsdruck den Kulturalltag dominieren, schöpfen weder Kulturakteure noch ihr Publikum aus dem Vollen.

Ungehinderter Zugang, kulturelle Teilhabe und gelebte Offenheit sind deshalb wichtige Kernanliegen vieler Kulturinstitutionen. Ihre kulturelle Mission als Orte des Austauschsund der Reflexion über aktuelle Fragen und Lebensbedingungen unserer Gesellschaft prädestiniert die Kulturinstitutionen dazu, sich als Vorreiter aktiv für die gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderungen einzusetzen. Inklusion fordert einen Paradigmenwechsel und fördert Innovation. Denn neue Perspektiven ermöglichen immer auch neue Potenziale und damit neue kulturelle Zugänge.

Mit der Fachstelle «Kultur inklusiv» bietet Pro Infirmis inklusiven Kulturinstitutionen und solchen, die es werden wollen, Hilfestellungen und zeigt auf, wie aus innovativen Zugängen zu Kunst und Kultur gelebte Vielfalt entstehen kann. Dafür zeichnet sie diese mit dem gleichnamigen Label aus, wennsie sich längerfristig zur Umsetzung von verbindlich festgelegten inklusiven Massnahmen in den fünf Handlungsfelderndes Labels freiwillig verpflichten. So setzen die Kulturinstitutionen die Inklusion als Thema in ihrem Kulturprogramm um,achten darauf, dass ihre Angebote inhaltlich zugänglich sind,das heisst, dass sie Hilfsmittel zur Sicht- und Hörbarkeit sowie Verständlichkeit bereitstellen, sie stellen den hindernisfreien Zugang und klare Orientierungsmöglichkeiten baulich sicher,bieten inklusive Arbeitsangebote und kommunizieren ihreinklusive Haltung aktiv. Ein ganzheitlicher Zugang zu Kultur erfordert nicht zwingend Mehraufwand. In jedem Fall aber generiert er Mehrwert. Von Walter Zuber, Pro Infirmis.

Welche Themen sollten in den Nachrichten mehrbehandelt werden?

Ich finde, es sollte mehr positive Nachrichten geben.Beispielsweise ein Newsportal nur mit erfreulichen Meldungen. Denn wir Menschen sollten froh sein, dass wir am Morgen gesund aufstehen können.

Der Macher von «Der flotte Dreier»

Dölf Keller, wie sind Sie zum Radio gekommen?

Ich bin seit Beginn bei Happy Radio dabei. Davor habe ich auch schon Radio gemacht, jedoch hat mir die Regel-mässigkeit gefehlt, die ich nun bei Happy Radio mit einer Sendung im Monat habe. Hier kann ich recherchieren, Texte schreiben, moderieren und auch schneiden, was mir sehr gefällt. Ich habe neben Happy Radio auch eine eigene Sendung auf Kanal K, «Der flotte Dreier», eine Talkshowmit prominenten Gästen, die ich nach dem Aussteigen von Silvio Rauch derzeit alleine weiterführe.

Wen möchten Sie noch in Ihre Talkshow einladen?

Den DJ Bobo fände ich interessant. Ein paar Grosse hatteich ja schon. Auch Nick Hartmann möchte ich gerne interviewen oder Trauffer, den Musiker.

Was war Ihr Highlight in der Radiokarriere?

Das Interview mit einem Hirnforscher war sehr gelungen.Auch die Sendung mit Emil ist mir in sehr guter Erinnerung.

Worüber sollten die Medien mehr berichten?

Über Behinderung, Sexualität oder den Tod sollten mehr Sendungen gemacht werden. Ich selbst war auch schon Gast bei Radio SRF bei einer Themensendung zusammen mit Nationalrat Christian Lohr.

Wohin könnte sich Happy Radio noch entwickeln?

Ich würde gerne einstündige Themensendungen machen und mich richtig vertiefen. Also etwas wegkommen von den kurzen Beitragsformaten. Und schön wäre es, schweizweit auszustrahlen; etwa in Kooperation mit den Unikom-Radios.

Haben Sie als Radiomacher mit Beeinträchtigung grössere Schwierigkeiten, an die Personen heranzukommen?

Es ist schon vorgekommen, dass ein Gast den Interviewtermin mit mir vergessen hatte und deswegen die nächste Sendung ausfiel. Das hat mich schon enttäuscht. Etwa Elena Müller schreibe ich seit Monaten an, doch bis jetzt hat sichkein Termin ergeben. Oft ist auch das Management der Promis mühsam, das überall dreinredet.

Leidenschaft Radio

Anthony Fiorentini, wie sind Sie zum Radiogekommen?

Zuerst vorne weg, der meiste Kontakt findet bei mir überdie sozialen und klassischen Medien statt. Dadurch nehme ich Anteil an der Öffentlichkeit. Von klein auf habe ich Radio gehört, habe dazu meine Hausaufgaben gemacht. Mediensind meine soziale Anlaufstelle Nummer eins.

Was hören Sie am liebsten?

Radio Pilatus und Sunshine sind meine Lieblingssenderund da vor allem Informationssendungen und sämtliche Prominews. Aber auch Verkehrsmeldungen und Polizeinachrichten höre ich gerne.

Welcher Promi interessiert Sie am meisten?

Mit Till Schweiger bin ich über Facebook in Kontakt. Gerade lese ich das Buch seiner Exfrau «Im Herzen barfuss».

Wen würden Sie gerne noch interviewen?

In der Schweiz wäre es die Exfrau von Eros Ramazzotti,Michelle Hunziker. Sie spricht ja auch italienisch, das würde mir gefallen. Aber Sie wissen ja, dass die vom Berner Hinterland kommt. Das ist bestimmt noch schwierig, die zu uns ins Studio zu holen. Aber sag niemals nie. Wir finden immer eine Lösung.


Anthony Fiorentini

 


Dolf Keller

 

Preisüberwacher will tiefere Kosten für Hörgeräte

(Neue Zürcher Zeitung)

Stefan Meierhans pochtauf öffentliche Beschaffungspolitik(sda)

In der Schweiz kosteten Hörgeräte ab Werk 2018 im Median 600 Franken, wie der Preisüberwacher Stefan Meierhans in seinem am Donnerstag veröffentlichten Newsletter schreibt.Schaut man bei den drei wichtigsten Herstellern je die zehn meistverkauften Modelle an, bewegen sich die Preise ab Werk zwischen 88 und 1620 Franken. Auf dem privaten Markt betragen die Ab Werk-Preise in Frankreich 81 Prozent,in Deutschland 76 Prozent, in Dänemark 69 Prozent und im Vereinigten Königreich 66 Prozent der Schweizer Preise.Nur in den USA sind die Hörgeräte mit108 Prozent teurer als in der Schweiz.

Tiefer sind die Preise gemäss dem Preisüberwacher, wenn staatliche Stellen die Hörgeräte beschaffen und abgeben. Er pocht deshalb auf eine öffentliche Beschaffungspolitik und erinnert an die Forderung in gleicher Richtung der Eidgenössischen Finanzkontrolle.Mit dem ersten Teil der 6. IV-Revision verfüge der Bund über die entsprechenden gesetzlichen Instrumente, hält der Preisüberwacher fest. Der Preisüberwacher empfiehlt, Hörgeräte über eine Bundesstelle zentral zu beschaffen, direkt bei den Herstellern und nach einer Ausschreibung. Abgegeben werden könnten sie in «grossen regionalen Zentren», um den Vertrieb effizienter zu machen.

In der Schweiz zahlen AHV und IV für Hörgeräte seit Juli 2011 eine Pauschale für ein einfaches Gerät und dessen fachkundige Wartung. Dennoch blieben die Preise im internationalen Vergleich hoch. Der Schweizer Marktist ganz in privaten Händen. Laut Merkblättern von AHV und IV können Hörgeschädigte den Anbieter frei wählen und das Gerät in der Schweiz oder im Ausland kaufen. Es muss allerdings auf der Liste der zugelassenen Geräte des Bundesamtes für Sozialversicherungen stehen. Kostet es mehr als die Pauschale von AHV oder IV, müssen die Versicherten die Differenz bezahlen.

40 Jahre Anlauf für die IV

(Walliser Bote)

Olten: 100 Jahre Pro Infirmis: Als Handicapierte noch «Anormale» hiessen


Plakataktion. Hilfsorganisation Pro Infirmis macht mit einer Plakatausstellung in verschiedenenStädten der Schweiz auf ihr Anliegen aufmerksam. Foto vom 27. Februar 1979 in Zürich. GestalterRobert Siebald, Präsident, alt Bundesrat Ernst Brugger und Fotograf Peter Huber (von links).FOTO KEYSTONE

 

Vor 100 Jahren wurde in Olten eine Organisationmit dem haarsträubenden Namen «Schweizerische Vereinigung für Anormale» (SVfA) gegründet. Es gibt sie noch heute. Seit 1935 heisst sie Pro Infirmis.
IRENE WIDMER, SDA

Dem Begriff «anormal» ist die Ausgrenzung eingeschrieben,denn nur das «Normale» war jahrhundertelang gottgewollt.In der Antike durften Väter mit Mängel behaftete Kinder aussetzen oder töten lassen. Und noch Luther empfahl, «Wechselbälger» – behinderte Babys,welche der Teufel mit gesunden ausgewechselt hatte – zu ersäufen, da sie nur seelenloses Fleisch («massa carnis») seien.

Bewunderte «Krüppel» gab es zwar immer schon: Hephaistos, der griechische Gott des Feuers, war gehbehindert, aufeinem Auge blind und entstellt.Trotzdem wurde er als Schmied von den Göttern geschätzt. Auch die einäugigen Zyklopen waren nützlich, beispielsweise weil sie Blitze schmiedeten für Zeus. Ebenfalls halb blind und dennoch mächtig war der nordische Hauptgott Odin. Und der armlose Kunstschreiber Thomas Schweicker war im 16. Jahrhundert eine Legende,ebenso wie 200 Jahre später der taube Beethoven.

Von Menschen, die früher vom herzlosen Volk «Krüppel»,«Idioten», «Kretins» oder Blödsinnige» genannt wurden,unterschieden sich diese «Superbehinderten» vor allem dadurch, dass sie integriert waren- etwas, was sich auch die Pro Infirmis auf die Fahne geschrieben hat: «Pro Infirmis ist die grösste Fachorganisation der Schweiz für Menschen mit einer Behinderung und setzt sich für eine inklusive Gesellschaft ein», weiss Wikipedia.

Über 40 Jahre Anlauf für die IV

Die vor 100 Jahren gegründete SVfA war ursprünglich der Dachverband von verschiedenen in der Behindertenfürsorge tätige Gruppen und sollte Vorstösse auf Bundesebene und das Sammelwesen koordinieren. Während der Industrialisierung hatten sich die kleinen Behindertenorganisationen vermehrt: Kinderarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen brachten neue Beeinträchtigungen hervor, während gleichzeitig Grossfamilien, in deren Schoss Behinderte gut aufgehoben waren,auseinanderfielen.

In Fabriken, Gewerbevereinen und einzelnen Quartieren wurden solidarische Kranken-, Invaliden- und Sterbekassen eingerichtet, die behinderte Mitglieder finanziell unterstützten. Der Ruf nach einer übergeordneten Invalidenversicherung (IV) wurde laut. Tatsächlich wurde das Traktandum 1919 im Parlament erörtert, doch die Finanzierung war strittig, die Pläne gingen bachab. Immerhin entrichtete der Bund ab 1923 der Pro Infirmis Subventionen,mit denen sie die Bedingungen in den Behinderteneinrichtungen verbesserte.

Im Mai 1925 lehnte das Schweizer Stimmvolk eine Volksinitiative für eine Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)ab,stimmte aber ein halbes Jahr später einem Verfassungsartikel zu, der dem Bund erlaubte,eine Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) auszuarbeiten – unter Vorbehalt der Realisierung einer IV zu einem späteren Zeitpunkt. Doch bis dahin sollte es noch 35 Jahre dauern.

Zuerst Beratungen,später auch Geld

Inzwischen arbeitete die SVfA / Pro Infirmis schon mal vor.1929 wurden erste Beratungsstellen eröffnet, 1943 gab es schweizweit schon deren elf,heute sind es um die 50.

Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung 1960 veränderte sich die Rolle von Pro Infirmis. 1966, bei Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen, erhielt die Pro Infirmis Subventionen,um auch finanzielle Leistungenan Menschen mit Behinderung (FLB) zu entrichten. Pro Infirmis setzt sich seither für eine bessere Betreuung von behinderten Menschen durch die Invalidenversicherung und insbesondere für Eingliederungsmassnahmen ein. Seit den 1990er-Jahren forderte sie wiederholt eine bessere Integration und die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Mit der Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes 2004 war das teilweise erreicht.

Man lernt nie aus

Die Finanzierung der Dienstleistungen erfolgt zu rund 60 Prozent über Leistungen der öffentlichen Hand und zu 40 Prozent aus privaten Mitteln.

Jährlich führt Pro Infirmis gemäss Jahresbericht 245 000 Beratungen durch. Sie richtet 15,8 Millionen Franken Direkthilfe aus, ermöglicht knapp 1000 Menschen begleitetes Wohnen, entlastet während 90 000 Stunden Angehörige und vermittelt in «Bildungsklubs» jährlich Wissen an 2700 Personen. In «Wohnschulen»lernen zudem zwei Dutzend Leute, wie man selbstständig haushaltet. Und in «Büros für Leichte Sprache» in Zürich,Freiburg und Bellinzona werden jährlich 1400 Stunden lang
Texte entwirrt.