IV darf im Fitnesscenter spionieren

(Saldo)

Eine 35-jährige Frau aus dem Kanton St. Gallen hatte einen Autounfall. Sie beantragte Leistungen der Invalidenversicherung. Ein Detektiv observierte die Frau verdeckt während vier Tagen im Auftrag der IV. Er filmte sie durch ein Fenster eines Fitnesscenters. Die Frau verlangte, dass die IV den Detektivbericht nicht verwenden darf Das Filmen sei ein Eingriff in die Privatsphäre. Das Versicherungsgericht gab der 35-Jährigen recht. Anders das Bundesgericht. Das Fitnesscenter sei, obwohl kostenpflichtig,ein öffentlicher Raum. Zudem sei es vom Fenster aus mit blossem Auge einsehbar. Die IV dürfe dort überwachen.
Bundesgericht, Urteil 8C 837/2018 vom 15. Mai 2019

Der lange Weg zum selbstbestimmten Leben

(Neue Zürcher Zeitung)

Die Schweiz hat sich verpflichtet, Behinderten mehr Autonomie zuermöglichen – doch nur wenige können in der eigenen Wohnung leben

SIMON HEHLI
Johanna Ott sitzt vor dem Spiegel in ihrer Wohnung im Kulturpark in Zürich-West. Ohne Make-up aus dem Haus zu gehen, ist keine Option – doch selber schminken kann sich die 35-Jährige nicht. Ihr Assistent Jorge de la Cruz übernimmt das, wie die allermeisten Handgriffe in Otts Alltag. Wegen Sauerstoffmangel bei der Geburt ist sie körperlich schwer beeinträchtigt, sie hat keine Kontrolle über die Bewegungen ihrer Arme und Beine.

Jorge stammt aus Kolumbien, erwar dort Arzt und holt nun in der Schweiz die Ausbildung nach, um auchhier als Mediziner arbeiten zu dürfen.Er hilft Johanna Ott auch beim Essen, beim Anziehen, bei der Körperpflege – und er dolmetscht. Denn wer sie nicht gut kennt, versteht ihre Worte kaum. Johanna Ott ist völlig abhängig von ihrem Assistenten, hat aber das Sagen: Sie ist die Arbeitgeberin des Südamerikaners.

Glücklich dank Selbständigkeit

Ott kann vor allem dank dem 2012 eingeführten Assistenzbeitrag selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben. Sie bekommt von verschiedenen Sozialversicherungen ein Assistenzbudget und stellt mit dem Geld Assistenten an, die fast die ganze Woche abdecken. Jorge ist einer von derzeit sechs Beschäftigten, die sie hat. Ott ist glücklich, dass sie nicht in einem Heim leben muss. Unter der Woche verbringt sie Stunden am Computer und schreibt Kurzgeschichten oder Gedichte, indem sie das Programm mit Augenbewegungen steuert. Dass sie ihr Leben so frei gestalten kann, ist jedoch alles andere als selbstverständlich.

Johanna Ott ist einer von rund 2000 Menschen mit Behinderung im ganzen Land, die derzeit vom Assistenzbeitrag profitieren. Betroffene sollen selber bestimmen dürfen, ob sie in einem Heim oder in einer eigenen Wohnung leben möchten – das sieht auch die Uno-Behindertenrechtskonvention vor, welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Die Wahlmöglichkeit ist de facto aber eingeschränkt. Laut Bundesamt für Statistik wohnen 43 000 Behinderte im Alter zwischen 15 und 64 Jahren in einer speziellen Institution oder einem allgemeinen Pflegeheim. Lange nicht alle von ihnen würden zwar in einer eigenen Wohnung zurechtkommen – doch der Kreis der Kandidaten dürfte weit grösser sein als jene rund 2000 Personen, die heute mit Assistenz leben.

Es gibt zwei gravierende Probleme:die Finanzen – und die Schwierigkeit,eigene Angestellte führen zu müssen, inklusive des Rekrutierens, des Bezahlens von Löhnen und Sozialabgaben oder des Erstellens eines Dienstplans.

Managen ist anspruchsvoll

Daniel Kasper ist Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit in Olten. Erhat das Modellprojekt des Vereins «Leben wie du und ich», der Johanna Ott und vier weitere Menschen mit Behinderung unterstützt, in einer Studie untersucht, die er im September an einer Tagung vorstellt. Dass die Bewohnerdes Kulturparks die Regie ihres eigenen Lebens übernehmen könnten, sähen alle sehr positiv. «Doch das Arbeitgebersein ist auch sehr anspruchsvoll und gleicht der Führung eines kleinen Unternehmens, ohne KV-Ausbildung ist das fast nicht zu machen», sagt Kasper. Entscheidend sei deshalb die Hilfe, die «Leben wie du und ich» bei der Organisation und beim Management der Assistenzteams leisten könne.

Umso schwerer haben es Menschen mit Beeinträchtigung, die beim Managen der Angestellten auf sich alleine gestellt sind. Doch für mindestens so problematisch hält Kasper die finanziellen Rahmenbedingungen. Die IV bezahlt pro Tag maximal acht Betreuungsstunden zu einem Ansatz von 33 Franken,das ist für viele Betroffene zu wenig. Den Rest sollten eigentlich kantonal geregelte Sozialversicherungen wie die Ergänzungsleistungen decken. Doch laut«Leben wie du und ich»-Projektleiterin Adelheid Arndt funktioniert das nicht:Die Fehlbeträge bei den Projektteilnehmenden lägen bei jährlich 20 000 bis 50 000 Franken, je nach Schwere der Behinderung. «Das können wir als spendenfinanzierter kleiner Verein nicht ewig tragen.»

Daniel Kasper sagt deshalb: «Das Leben mit Assistenz ist gefährdet, wenn esso weitergeht, müssen viele Betroffene zurück ins Heim.» Er kritisiert, die Behörden unternähmen zu wenig, um die Uno-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Dies hält er auch deshalb für kurzsichtig, weil er davon ausgeht, dass die Kosten für die Betreuung von Behinderten in einem Heim mindestens so hoch sind wie im Modell mit Assistenz, dies wegen der teuren Overheads in den Heimen. Wissenschaftliche Untersuchungen, die diese Vermutung belegen könnten, gibt es bis jetzt allerdings nicht.

«Administrativer Albtraum»

Auch Benolt Rey, Mitglied der Geschäftsleitung des Behindertenverbands Pro Infirmis, beobachtet «riesige» Unterschiede zwischen den Kantonen.«In der Westschweiz und im Tessin ist die Bereitschaft viel grösser, die Kosten zu decken, die über die IV-Finanzierung hinausgehen.» Das gelte auch für eine andere Alternative zu den Heimen, das begleitete Wohnen. Doch die Finanzierung sei ein «administrativer Albtraum»:Bis zu neun verschiedene Sozialsystemeteilten sich die Kosten.

Für Adelheid Arndt und ihre Kollegin Jennifer Zuber vom Verein «Leben wie du und ich» ist der politische Stillstand (siehe Box) frustrierend. «Wir haben mit unserem Projekt in Zürich bewiesen, dass ein gutes autonomes Leben mit Assistenz möglich ist, auch die gesellschaftliche Akzeptanz ist längst da»

Weil sich aber der Bund und die Kantone bei der Finanzierung den Schwarzen Peter zuspielten, drohe dem Projekt nach vier Jahren das Aus.

Als positives Zeichen wertet Arndt,dass der Zürcher Kantonsrat vor einem Jahr entschieden hat, von der Objekt-zur Subjektfinanzierung überzugehen:Künftig sollen nicht mehr Heime, in denen Menschen mit Behinderungen betreut werden, das Geld erhalten, sondern die Menschen selbst. Damit hätten alle – nicht nur jene, die heute schon mit Assistenz wohnen – die Wahlfreiheit, wie sie ihre Betreuung organisieren wollen. Schon länger ist ein solcher Systemwechsel in Bern geplant. Doch Sozialdirektor Pierre Alain Schnegg(svp.) schiebt die Umsetzung immer weiter hinaus, derzeit ist sie für 2023 vorgesehen. Grund: die Angst vor Mehrkosten in der Höhe von Dutzenden Millionen Franken.


Johanna Ott kommt nur dank der Hilfe ihres Assistenten Jorge de la Cruz im Alltag zurecht JOEL HUNN /NZ

 

Es fehlt Geld für Angehörige und die Nach

hhs.Die nationale Politik beschäftigt sich mit zwei Aspekten, die für die Zukunft der Assistenz wesentlich sind. Einerseits geht es um die Nachtdienste. Die IV sieht dafür eine Pauschale von 88 Franken 55 vor. Diesetiefe Vergütung verunmögliche es, geeignete Personen zu finden, kritisiert BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti in einer Interpellation. Der Bundesrat verweist in seiner Antwort auf die Arbeitsgruppe «Optimierung Assistenzbeitrag», die das Bundesamt für Sozialversicherung eingesetzt hat – und die unter anderem die Frage der Nachtpauschale klären soll. Zudem pocht CVP-Nationalrat Christian Lohr darauf, dass auch Familienmitglieder von Behinderten Geld für Assistenzdienste erhalten. Aus Sicht von Benoit Rey von Pro Infirmis wäre das essenziell,um dem Ideal eines selbstbestimmten Lebens näherzukommen. «Manche Behinderte müssen in ein Heim, weil die Angehörigen auf ein Erwerbseinkommen angewiesen sind und sich nicht um sie kümmern können – das würde sich mit der Reform ändern.» Zudem könnte auch der administrative Aufwand abgegolten werden, den manche Angehörigen heute haben, weil sie das Koordinieren des Assistenzdienstes übernehmen. Die parlamentarische Initiative von Lohr fand bereits im Juni 2015 eine Mehrheit im Nationalrat; seither hat sich jedoch nichts mehr getan.

Etappensieg für die Gehörlosen in der Schweiz

(Solothurner Zeitung)

In der Schweiz leben rund 10 000 gehörlose Menschen. Eine Million ist leicht- bis hochgradig schwerhörig. Diese Menschen stossen im Alltag auf viele Hürden. Es geht beispielsweise um die Frage, ob die Invalidenversicherung die Kosten für Gebärdendolmetscher übernimmt, wenn Gehörlose etwa für Weiterbildungen oder am Arbeitsplatz auf solche angewiesen sind. Oder darum, dass gehörlosen Personen bei medizinischen Notfällen ein solcher Dolmet-scherzur Verfügung steht.«Stellen Sie sich vor: Sie sind im Spital und alle um Sie he-um sprechen Chinesisch» – so fasst der Schweizerische Gehörlosenbund die Situation zusammen.

Eine Verbesserung erhofft sich der Verband von der rechtlichen Anerkennung der drei Gebärdensprachen, die hierzulande existieren: Der Deutschschweizer Gebärdensprache,der Langue des Signes Française und der Lingua dei Segni Italiana. Heute wird die Gebärdensprache nur in den Kantonsverfassungen von Genf und Zürich erwähnt, eine Anerkennung auf nationaler Ebene kennt die Schweiz noch nicht – als eines der letzten Länder in Europa, wie der Gehörlosenbund festhält.

Dreimal häufiger arbeitslos

Parlamentarier von den Grünen, der SP und der CVP haben die Forderung des Gehörlosenbunds aufgenommen und im Juni gleichlautende Vorstösse eingereicht. Darin fordern die Politiker den Bundesrat auf, Möglichkeiten für eine rechtliche Anerkennung der drei Gebärdensprachen aufzuzeigen. An seiner vorletzten Sitzunghat der Bundesrat seine Bereitschaft dazu signalisiert.Er empfiehlt die Vorstösse zur Annahme – zur Freude des Gehörlosenbundes. Man hoffe nun auf eine Mehrheit im Nationalrat, damit die rechtliche Anerkennung und damit die bessere Integration der Gehörlosen Realität werde, sagt Sprecherin Sandrine Burger. Heute seiendie Lese- und Schreibkompetenzen der gehörlosen Personen aufgrund der Kommunikaionsbarrieren wesentlich niedriger als in der Gesamtbevölkerung – mit der Konsequenz, dass sie dreimal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Im jüngsten Bericht des Bundesrates zur Situation von Menschen mit Behinderung ist von Verbesserungen in den letzten Jahren die Rede. So unterzeichnete die SRG 2017 eine Vereinbarung mit den Verbänden für sinnesbehinderte Menschen: Das Angebot an untertitelten Sendungen soll bis 2022 schrittweise auf 8o Prozent ausgebaut werden. Zu den konkreten Massnahmen, die mit der rechtlichen Anerkennung einhergehen müssten, gehören gemäss Gehörlosenbund-Sprecherin Sandrine Burger ein angepasster Empfang im Spital, Dolmetscher in der Schule oder politische Infor-mationen in Gebärdensprache.«Wir wollen einfach nicht, dass die Gebärdensprache offiziell anerkannt wird und sich danach im Alltag nichts ändert -wie das in manchen Ländern leider der Fall ist», sagt Burger.
Tobias Bär

Zwei St. Galler Ärzte kassierten je 1,8 Millionen für IV-Gutachten

(SonntagsBlick)

THOMAS SCHLITTLER
Die Gesundheitskommission des Ständerats diskutiert am Dienstag über die «Weiterentwicklung der IV». Aufs Tapet kommen dabei auch medizinische Gutachten, aufgrund derer entschieden wird, ob eine Person arbeitsfähig ist oder nicht. «Diese Gutachten sind matchentscheidend bei der Frage, ob jemand Leistungen der IV erhält oder nicht», sagt der Zuger Versicherungsanwalt Rainer Deecke (39).

Die konsultierten Ärzte werden direkt von den IV-Stellen bezahlt. Behindertenverbände und Versi-cherungsanwälte monieren deshalb, viele Gutachter seien nicht unabhängig. Einer dieser Kritikerist der St. Galler Anwalt Ronald Pedergnana (57):«Gutachter, die im Sinne der IV ein Gutachten abfassen, kriegen wieder und massenhaft Aufträge. Andere werden nicht einmal berücksichtigt.»

Als Beleg führen die Gegner der heutigen Gutachter-Praxis ins Feld,dass einzelne Mediziner auffallendhäufig IV-Gutachten ausstellendürfen. Gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip verlangten sie inverschiedenen Kantonen entspre-chende Auswertungen.

Die aus Zürich gelieferten Zahlen sind besonders bemerkenswert: Zwischen 2012 und 2017 erhielt etwa die St. Galler Ärztin C. S. * von der Sozialversicherungsanstalt (SVA) des Kantons Aufträge im Wert von 1,86 Millionen Franken. Ihr Berufskollege T. W.*,ebenfalls mit Sitz in St. Gallen, hatte bei der SVA Zürich im gleichen Zeitraum ein Auftragsvolumen von 1,82 Millionen Franken.

Besteht bei einer solchen Füllevon Aufträgen nicht die Gefahr,dass die begünstigten Ärzte vonden IV-Stellen abhängig werden und ihre Gutachten in deren Sinne ausfallen – also eher streng?

Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sieht das nicht so – und betont, dass die kantonalen IV-Stellen in den letzten Jahren grosse Anstrengungen unternommen hätten, um die Verteilung möglichst ausgewogen vorzunehmen.BSV-Sprecher Harald Sohns: «Die IV-Stellen vergeben keine Aufträge an bestimmte Gutachter, weil diese die Arbeitsoder Erwerbsunfähigkeit strenger beurteilen.Das macht keinen Sinn, denn die Gutachten müssen bis vor das höchste Gericht Beweiskraft haben.»

Anwalt Rainer Deecke widerspricht: «Die Gutachter erfüllen beinahe richterliche Funktionen.Da den Gerichten das medizinische Fachwissen fehlt, kommt es in der Praxis äusserst selten vor, dass den IV-Gutachten der Beweiswert abgesprochen wird.» Deecke, neben seiner Tätigkeit als Anwalt auch Präsident von touché.ch, einer Patientenorganisation,die Menschen mit chronischen Schmerzen unterstützt,fordert deshalb, dass IV-Ärzte in Zukunft in der ganzen Schweiz Rechenschaft über ihre Gutachten ablegen müssen.«Es darf erwartet werden, dass nicht in der Dunkelkammer begutachtet wird.»

In einem Brief fordert er die Gesundheitskommission des Ständerats auf, dafür zu sorgen, dass die Daten zu den Resultaten der IV-Gutachten in Zukunft in der ganzen Schweiz transparent erhoben werden. «Andernfalls setzt sich dieBehörde dem stetigen Verdachtaus, Gutachter ergebnisorientiert auszuwählen.»

Für den Kanton Basel-Stadt liegen die geforderten Informationen bereits vor, zumindest für das erste Halbjahr 2018. Bei der IV-Stellewaren in diesem Zeitraum 210 psychiatrische Gutachten eingegangen. Ein Viertel davon wurde von nur zwei Ärzten erstellt.

Nur in 24 beziehungsweise 26 Prozent ihrer Fälle konstatierten sie eine Arbeitsunfähigkeit von 40 Prozent oder mehr.Alle anderen Gutachter dagegen kamen im Schnitt bei 57 Prozent ihrer Gutachten auf eine Arbeitsunfähigkeit von 40 Prozent odermehr. *Namenbekannt


Kostenzusammenstellung der 1V-StelleZürich: Zwei Ärzte kassierten je 1,8 Mio. Fr.für 1V-Gutachten.

 

Eltern mit schwer kranken Kindern sollen Urlaub erhalten

(Berner Zeitung / Ausgabe Stadt+Region Bern)

Angehörigenpflege Eltern mit pflegebedürftigen Kindern können auf Entlastung und bessere finanzielleUnterstützung hoffen. Trotz Widerstand der Arbeitgeber hat der Pflegeurlaub im Parlament gute Chancen.

Markus Brotschi
Erkrankt ein Kind an Krebs oder erleidet es einen schweren Unfall, gerät das ganze Familienleben aus den Fugen. Heute haben die berufstätigen Eltern meist keine andere Möglichkeit, als unbezahlten Urlaub zu nehmen oder sich krankschreiben zu lassen. Der Bundesrat hat deshalb dem Parlament einen Betreuungsurlaub sowie weitere Massnahmen vorgeschlagen, um pflegende Angehörige zu entlasten.

Die Vorlage kommt im September in den Nationalrat und hat dort gute Chancen auf eine Mehrheit, obwohl SVP und FDP vor den Zusatzkosten für die Arbeitgeber warnten. Die Sozialkommission des Nationalrates hat am Freitag der Vorlage zur Angehörigenbetreuung mit 12 zu 8 Stimmen zugestimmt. Wichtigstes Elementist ein maximal 14-wöchiger Betreuungsurlaub für Väter und Mütter. Damit können gemäss Schätzungen des Bundesrats jährlich rund 4500 Familien für eine gewisse Zeit entlastet werden. Der gesamte Urlaub muss innerhalb von 18 Monaten bezogen werden. Sind beide Elternteile erwerbstätig, können sie den Betreuungsurlaub aufteilen.

Ausgerichtet werden 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens. Finanziert wird der Betreuungsurlaub mit der Erwerbsersatzordnung (EO).Die jährlichen Kosten betragen 74 Millionen Franken. Diese sollten gemäss Bundesrat ohne Erhöhung der EO-Beiträge aufgebracht werden können.

Für leichtere Krankheitsfälle im Familienkreis sollen Arbeitgeber künftig bezahlte Kurzurlaube gewähren müssen, um ein Kind, die Lebenspartnerin oder nahe Verwandte zu betreuen. Pro Krankheitsfall ist ein Urlaub von drei Tagen möglich,es können im Jahr maximal zehn Tage bezogen werden.

Auch bei Spitalaufenthalt

Die Kommission beschloss zudem eine finanzielle Verbesserung der Situation von Eltern mit schwer behinderten Kindern. Diese Familien erhalten zwar von der Invalidenversicherung eine Hilflosenentschädigung sowie allenfalls auch einen Intensivpflegezuschlag. Diese Leistungen werden jedoch heute sistiert,wenn das Kind ins Spital muss.Dieser Unterbruch verursacht den betroffenen Eltern häufig finanzielle Ausfälle von einigen Hundert bis zu einigen Tausend Franken im Monat, je nach Dauer des Spitalaufenthalts. Und dies, obwohl die Fixkosten für die Eltern gleich bleiben.

Der Bundesrat hat auf Drängen der Behindertenverbände vorgeschlagen, dass bei Spitalaufenthalten von einem Monat die Leistungen künftig weiter bezahlt werden. Diese Lösung hätte allerdings ausgerechnet jenen Eltern mit schwerstbehinderten Kindern nur wenig geholfen.Denn Kinder mit schweren Geburtsgebrechen müssen immer wieder längere Zeit ins Spital.

Die Kommission hat deshalbauf Antrag von Benjamin Roduit(CVP) beschlossen, dass Hilflosenentschädigung und Intensivpflegezuschlag auch nach 30 Tagen Spitalaufenthalt weiter bezahlt werden, wenn das Spital jeweils nach Ablauf eines Monats bestätigt, dass zur Pflege des Kindes die Präsenz der Eltern im Spital notwendig ist.

Museumsführung in Gebärdensprache

(Schweiz am Wochenende / Zuger Zeitung)

Zug Am Sonntag, 1. September2019, um 14 Uhr findet im Museum Burg Zug eine Premiere statt. Erstmals in der Geschichte des Museums wird eine öffentliche Museumsführung simultan in Deutschschweizer Gebärdensprache übersetzt und somit hörgeschädigten Menschen der Zugang zur Museumsführung ermöglicht.

Die Zuger Historikerin Stephanie Müller, die die Sonderausstellung «Ernstfall! Die Schweizim Kalten Krieg» mitgestaltete,führt Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung und in die Zeit des Kalten Krieges. Der Inhalt der Führung wird durch eine Dolmetscherin der Stiftung procom simultan in Gebärdensprache übersetzt. Die Veranstaltung dauert 70 Minuten und ist sowohl für hörende als auch nicht hörende Gäste geeignet.

Hindernisfreier Zugangzur Kultur für alle

Die Ausstellung zeigt die Stimmungen in der Schweiz zur Zeit des Kalten Krieges auf und bringt weltpolitische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Spannungen in der Schweiz zur Sprache. Sie thematisiert wechselseitige Schweizer Feindbilder und beleuchtet die entstehenden gesellschaftlichen Gegensätze.

Die Idee zur Führung mit Simultanübersetzung in Gebärdensprache entstand im Rahmen der Diskussion der Zuger Museen und Kulturbetriebe rund um das Label Kultur inklusiv von Pro Infirmis. Kultur inklusiv setzt sich für einen hindernisfreien Zugang zu Kultur von allen Menschen ein, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung. Die Führung wird am 9. Januar2020 um 18 Uhr ein weiteres Mal durchgeführt. Die Ausstellung läuft bis am 26. Januar2020. (ras/pd)

Pro Infirmis zeigt Emojis mit Behinderung

(persoenlich.com)

Die Organisation lanciert eine Emoji-Edition, um die Gesellschaft für Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren.Unter den 230 neuen Emojis gebe es zwar Emojis mit Behinderung, doch die Behinderung werde primär mitHilfsmitteln wie einem Rollstuhl oder einem Blindenstock dargestellt. Menschen mit Behinderung liessen sichjedoch nicht auf Hilfsmittel wie Hörgeräte oder Prothesen reduzieren, sondern sollen als Menschen, die am Alltagteilnehmen und selbstverständlich zur Gesellschaft gehören, dargestellt werden: Sie tanzen und essen, reisen undlachen, lieben und weinen, wie alle anderen Menschen auch. Die Emoji-Welt müsse das entsprechend abbilden,heisst es in einer Mitteilung.


Emojis mit Behinderung

 

Klicken zum VergrössernPro Infirmis und die Agentur CRK lancieren deshalb bestehende und beliebte Emojis neu auch mit Behinderung.Dann würden Nutzerinnen und Nutzer nicht nur die Hautfarbe wählen und bestimmen können, ob sein Emojischwarz, braun oder weiss sein soll, sondern auch, ob mit oder ohne Behinderung. Die Idee zu den Emojis sei alsReaktion auf einen Artikel im «Tages-Anzeiger» entstanden.Unicode zementiere mit seinen vorgeschlagenen Emojis bestehende Unterschiede und Vorurteile, anstatt sie zuüberwinden. Damit Menschen mit Behinderung als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sichtbar werden,müsse eine Emoji-Edition diesem Umstand Rechnung tragen. Menschen mit Behinderung würden in ihrem Alltagauf viele Hindernisse stossen, und hierfür möchte Pro Infirmis die Gesellschaft sensibilisieren. (pd/log)

Kantonsrat zeigt Herz für Behinderte

(Schaffhauser Nachrichten)

Die Gleichstellung und bessere Inklusion von Menschen mit einer Behinderung soll jetzt im KantonSchaffhausen angegangen werden. In zwei Jahren sollen Lösungen auf dem Tisch liegen.

Mark Liebenberg
SCHAFFHAUSEN.Im Kanton Schaffhausen gibt es zwar einen Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung. Doch für die Betroffenen liege Vieles im Argen. Dies stellte kürzlich die Behindertenkonferenz Schaffhausen fest und reichte eine Petition zur besseren Inklusion ein. Bei der Kantonsregierung und dem Kantonsparlament hat man den Handlungsbedarf erkannt. Mit 41 zu 1 Stimme stimmte das Parlament gestern dem Plan zu, in den kommenden zwei Jahren sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens einer genauen Analyse zu unterziehenund danachentsprechende Massnahmen vorzuschlagen.

Dabei soll die Behindertenkonferenz aktiv mitarbeiten. Was konkret ändern muss, könnte dann unter anderem auch in einem Gleichstellungsgesetz geregelt werden und in der Schaffung einer Koordinationsstelle beim Kanton münden. Hinter dem Vorgehen stehen alle Fraktionen, wenngleich es einige Enthaltungen aus der SVP-EDU-Fraktiongab. Sie warnten davor, das Fuder zu überladen und zu viel Bürokratie und zu viele Gesetze zu schaffen.

Die zweijährige Evaluationsphase bietet laut Regierung die Chance, aus Erfahrungen aus jenen Kantonen zu lernen, wo zur Zeit Behindertengleichstellungsgesetze ausgearbeitet werden.

Wo sind eigentlich die Menschen mit Downsyndrom?

(SonntagsBlick)

Im Alltag der meisten spielen Menschen mit Beeinträchtigungen kaum eineRolle. Auch, weil sie häufig in Heimenleben. Dabei wäre das oft nicht nötig.

DANA LIECHTI
In vielen Schweizer Haushalten spielen sie ab kommender Woche die Hauptrolle: die sechs jungen SRF-Protagonisten mit Downsyndrom. Doch flimmern sie nicht gerade über den Fernsehbild schirm, verschwinden Menschen mit Trisomie 21 schnell wieder vonder Bildfläche. Im Alltag haben die wenigsten etwas mit Personen wie Laura Züger (Artikel unten) zu tun. Das liegt vor allem daran, dass viele Menschen mit Trisomie 21 in Heimen und geschützten Werkstätten leben und arbeiten. Zu viele? Käthi Rubin, Geschäftsführerin des Vereins Insieme Kanton Bern sagt:«Viele Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung – nicht nur jene mit Trisomie 21 – leben und arbeiten in Institutionen, obwohl sie das nicht müssten.» Das liege unter anderem an einer Leistungsgesellschaft, in der Menschen mit Behinderung nur wenige Chancen haben, am normalen Arbeitsmarkt teilzuhaben. Und an finanziellen Fehlanreizen: Die Kantone finanzieren im Wesentlichen nur stationäre Angebote. Für privates Wohnen oder eine Assistenz bei der Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen die Betroffenen kaum finanzielle Unterstützung. Obwohl sie in unserer Gesellschaft immer mehr Akzeptanz erfahren, werden Menschen mit Beeinträchtigungen auf diese Weise weiterhin diskriminiert – und faktisch gezwungen, in Heimen zu leben oder zu arbeiten.

Käthi Rubin sagt: «Mit anderen Modellen, vor allem mit der Einführung einer Subjektfinanzierung, würden viel weniger Personen mit Behinderungen in Heimen leben und arbeiten – da hat die Politik eine grosse Aufgabe, das zu ändern.» Wie viele der 5000 Personen mit Trisomie 21 in der Schweiz in Institutionen leben, kann das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Anfrage nicht angeben. Um richtige Integration zu erreichen, sei ein gesellschaftlicher Wandel nötig. Käthi Rubin fordert, dass mehr Wohn- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen ausserhalb der geschützten Stätten geschaffen werden: «Es sollte selbstverständlich sein, dass auch Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt mitarbeiten dürfen und mitten in unseren Wohnquartieren als unsere Nachbarn leben.» Hier sieht Rubin auch die Einrichtungen selbst in der Verantwortung:«Eigentlich sollten die Institutionen diese Menschen fragen, was sie gerne tun möchten und sie dann darin unterstützen und begleiten.»

Zwar gebe es Institutionen, die sich darum bemühten, dass die von ihnen betreuten Personen auch ausserhalb der geschützten Stätten wohnen und arbeiten können. Und es gebe auch schon einige Betriebe, die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung anbieten würden. Das sei aber noch die Ausnahme. Viele Institutionen bewegten sich nicht vom Fleck, bedauert Käthi Rubin. Und viele Unternehmen würden sich nach wie vor davor verschliessen, Personen mit Behinderungen einzustellen.

Käthi Rubin geht es nicht darum,dass Menschen mit Behinderung genau dieselben Jobs machen wie jene ohne. Aber: «Sie sollten, wenn sie möchten, beispielsweise ein oder zwei Tage die Woche mitarbeiten dürfen.» Das würde auch ihre Sichtbarkeit erhöhen:«Wenn Menschen mit Behinderung zum Beispiel in einer Bäckerei arbeiten möchten, sollte das möglich sein.Dann sähe man sie auch regelmässig, und es wäre nichts Aussergewöhnliches mehr.»

Auf diese Weise könnten natürliche Begegnungen entstehen – und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft zur Normalität werden.


Das Down-syndrom
Beim Downsyndrom kommt das 21. Chromosom in der menschlichen Zelle nicht wie gewohnt zweifach, sondern dreifach vor. Betroffene haben in der Regel eine leichte bis mittlere geistige Behinderung. Dank der Medizin können gesundheitliche Einschränkungen heute gut behandelt werden. Namensgeber für das «Downsyndrom» ist der englische Arzt J. L. Down. Er beschrieb 1866 als Erster die Merkmale. In der Schweiz kommen pro Jahr etwas weniger als hundert Babys mit Downsyndrom zur Welt.