«Wir wollen weg vom Arme-Leute-Image»

(Walliser Bote)

Interview Procap-Chef Christophe Müller hat ein klares Ziel


Sieht eine positive Entwicklung. Christophe Müller, Geschäftsführervon Procap Oberwallis.FOTO WB

 

Christophe Müller, Procap feiert ihr 75-Jahr-Jubiläum,inwiefern hat sich die Organisation verändert?

«In der Anfangszeit waren die Sozialversicherungen noch nicht so weit ausgebaut wie heute. Die Procap musste also viel Direkthilfe leisten. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Heute macht die Procap vor allem Beratungen und organisiert gesellschaftliche Anlässe. Dazu wurden die Strukturen deutlich professionalisiert.»

Die Wahrnehmung vonMenschen mit einem Handi-cap hat sich gewandelt…

«Genau. Wir wollen mehr weg vom Image, dass Handicapierte alles arme Leute sind, denen man ein paar Almosen gibt. Viele Betroffene sind berufstätig. An dieser Inklusion in das gesellschaftliche Leben arbeiten wir schon lange.Unter unseren über 1000 Mitgliedern sind beispielsweise 200 Solidarmitglieder ohne Handicap. Bei den Anlässen, die wir organisieren, unterscheiden wir nicht zwischen Menschen mit oder ohne Handicap.»

Was ist nötig, damit sich Menschen mit Handicap dazugehörig und nicht als Randgruppe fühlen?

«Erst einmal braucht es das Denken, dass sie nicht anders sind. Man muss sie so nehmen, wie sie sind. Schliesslich machen sie es bei uns genauso. Dazu gehört auch,dass man ihnen gegenüber nicht immer nach gibt. Man muss ihnen genauso Schranken setzen wie jedem anderen. In dieser Hinsichthat sich in der Vergangenheit aber schon einiges getan.»

Inwiefern?

«Einerseits ist der Anteil der Menschen mit Handicap, die an unseren Anlässen teilnehmen, zurück-gegangen. So fuhren wir früher jeweils mit drei oder vier Bussen nach Meran – inzwischen reicht einer. Viele Handicapierte reisen ganz normal. Ein weiteres Indiz:Unser Bauberater musste im letzten Jahr bloss für eine Person individuelle bauliche Anpassungen planen. Das ist ein Zeichen dafür,dass die Gesetze greifen. Neue Wohnungen müssen so gebaut werden,dass sie ohne Probleme angepasst werden können oder bereits komplett schrankenfrei sind.»

Wie steht es um die Akzeptanz von Handicapierten inder Arbeitswelt?

«Die verschiedenenIV-Revisionen haben hier Möglichkeiten geschaffen. Bei vielen Arbeitgebern herrscht jedoch die Angst vor, dass man jemanden mit Handicap, einmal eingestellt, nicht mehr entlassen kann Dem ist nicht so. Wird jemand für eine Funktion eingestellt, die er nicht erfüllen kann,kann diese Position genauso neu besetzt werden. Der Arbeitgeber muss für die Inklusion aber auch die restliche Belegschaft mit ins Boot holen. Diese Integration ersetzt aber keine Werkstätten wie ein Atelier Manus. Die wird es immer brauchen. Und auch dort braucht es Wahlmöglichkeiten fürHandicapierte.»
(Interview.mas)

Revision der Invalidenversicherung
IV-Reformunter Sparzwang

Die geplante Revision der IV hat gute und schlechte Seiten, sagt Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten. Das Dossier kommt demnächst in den Ständerat. Beat Rieder betont, dass man dort keine Vorlage durchwinken werde, die nicht sozialverträglich sei. Er betont aber auch den Sparzwang.

Mit über zehn Milliarden steht die Invalidenversicherung (IV) beim AHV-Fonds in der Kreide. Das ist nicht nur für die IV, sondern auch für die AHV ein Problem.«Wir müssen den finanziellen Druck aus diesen Werken herausnehmen. Nur so können sie in Zukunft richtig arbeiten», sagt Ständerat Beat Rieder an der Generalversammlung von Procap. Die AHV-Steuervorlage sowie die geplante IV-Revision würden nicht überall auf Gegenliebe stossen. Doch sie würden die Werke entlasten. Wenn dieser Kompromiss nicht durchkomme, habe das Konsequenzen, ist Rieder überzeugt.

«Wir wissen aus den letzten Diskussionen, dass mitder Reform auf Einsparungen abgezielt wird», sagtStaatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten, die noch vor Rieder ihr Wort an die Versammelten richtet. In einigen Bereichen werde sie sicher Verbesserungen bringen. So will die Reform gerade für junge Leute Anreize schaffen. Doch mit den geplanten Kürzungen bei den Kinderrenten oder bei den Reise-Entschädigungen vonKindern mit Geburtsgebrechen beinhalte die Revision klare Verschlechterungen für die Betroffenen. Dazu höre sich das geplante stufenlose IV-Rentensystemzwar gerecht an, da sich dadurch eine Erwerbstätigkeit in jedem Fall auszahlen soll, doch auch hier sieht sie Sparabsichten verborgen. Waeber-Kalbermattenwünscht sich für dieses wichtige Dossier deshalb eine richtige Debatte. Dabei seien alle gefordert: der Verband, die Regierung sowie demnächst der Ständerat.

«Ich bin überzeugt, dass der Ständerat die IV-Revi-sion sehr genau anschauen wird und keine Vorlagedurchlässt, die nicht sozialverträglich ist», versichert Rieder im Anschluss.(mas)

KOMMENTAR
Wunschdefizit
Die Sozialversicherungen stehenunter Dauerdruck. Bei der AHV beträgt die prognostizierte Finanzierungslücke bis 2030 sieben Milliarden, bei der IV liegtein Schuldenberg von zehn Milliarden. Ohne grosse Reformen droht die Insolvenz, tönt es vonüberallher. Die Defizite sind fürdie Mitte- und Rechtsparteienein gefundenes Fressen und sogar erwünscht, damit gekürzt werden kann. Die Löcher in den Sozialwerken werden dann schön verteufelt – womit man völlig ausser Acht lässt, dass sie auf einer ganz anderen Stufe stehen, als Ausgaben für Kampfflugzeuge. Für den Kauf von Fliegern muss der Bund andere Ausgaben zurückstellen. Bei den Sozialversicherungen hingegen handeltes sich im Prinzip um eine reine Umverteilung. Das heisst: Der Bund kassiert das Geld bei den einen ein und gibt es an die Pensionierten und jene weiter, die nicht an der Arbeitswelt teilnehmen können. So haben am Ende alle ihren Lebensunterhalt gedeckt. Der Bund müsste bloss den Missbrauch verhindern.Dann könnte er die Sozialwerke auch gleich ins Bundesbudget aufnehmen. Ein wirtschaftlich gesundes Land muss in der Lage sein, für seine Handicapierten und Rentner aufzukommen.Sonst versagt das Land irgendwo ganz gewaltig.(Martin Schmidt)

«Euch geht die Arbeit nicht aus»

(Walliser Bote)

Jubiläum Auch nach 75 Jahren bleiben die Herausforderungen für den Verband Procap Oberwallis gross

BRIG-GLIS Die Selbsthilfe-organisation für Menschen mit einem Handicap, Procap Oberwallis,feiert ihren 75. Geburtstag – und kann auf teilweise turbulente Jahre zurückblicken.

Der scheidende Verbandspräsident, Valentin Pfammatter,startete die Jubiläums-General-versammlung in der Simplonhalle in Brig mit einem Blick in die Vergangenheit: Es warder Herbst 1944, als sich im Café Adler in Brig eine kleine Gruppe von Menschen mit einem Handicap mit dem Ziel traf, im Oberwallis einen Invalidenverband (OIV) zu gründen. Auslöser war die prekäre finanzielle Situation, mit der die Betroffenen zu kämpfen hatten. Entsprechend setzten sich die Mitglieder in den folgenden Jahren für die Einführung einer Invalidenversicherung (IV) und die Schaffung von Arbeit für Handicapierte ein.

IV-Gesetz tritt in Kraft

Nach langem Kampf war es 1960 schliesslich so weit und das lang ersehnte IV-Gesetz tratin Kraft. Es folgten Höhen und Tiefen. Noch im selben Jahrs plittete sich der Oberwalliser Verband in zwei Sektionen,Brig-Goms und Visp-Siders, auf.«Man hat sich gegenseitig die Mitglieder abgeworben», erzählt Pfammatter. Schon im Folgejahr kommt es zur Wiedervereinigung. Wirklich Ruhekehrte aber erst ein, als Nationalrat Hans Wyer 1967 Statuten ausarbeitete. In den 70erJahren zieht die Beschäftigung beim OIV merklich an. Einerseits erhält der Verband vom Militärdepartement den Auftrag zum Stricken von Militärsocken. Dazu baut man aufInitiative von Vizepräsident Meinrad Heldner eine Werkstatt für Holzarbeiten. Aus der erfolgreichen Werkstatt entsteht später die Stiftung Atelier Manus. Daneben wird der Verband immer mehr im Bereich der Beratung aktiv – sei es mit Blick auf die Ansprüche aus den Sozialversicherungen,behindertengerechtes Bauen oder Rechtsberatungen. Ein weiteres Angebot, das immer mehr an Beliebtheit gewann,waren die verschiedenen Mitglieder-Ausflüge.2002 wurde der OIV schliesslich in Procap umgetauft.

«Solides Fundament»

«Nach 75 Jahren steht der Ver-ein auf einem soliden Fundament – auch in finanzieller Hinsicht»,hält Pfammatter fest. Ein Erfolg, zu dem Ständerat Beat Rieder in einer kurzen Ansprache herzlich gratuliert.Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten nutzt die Gelegenheit, um die Wichtigkeit von Procap als Partner für alle Menschen mit einem Handicap und für den Staat Wallis hervorzuheben. «Dabei wird euch die Arbeit nicht ausgehen», ist sie überzeugt.

Doch Stillstand sei trotz der Erfolge nicht erlaubt, hält Christian Escher, Geschäftsführer beim Atelier Manus,fest. Man müsse stetig vorwärts gehen und sich immer neu erfinden – und die Menschen sensibilisieren, damit sie die Qualitäten anderer nicht nur auf einen einzelnen Bereich, wie seine schulischen Leistungen, reduzierten. Jeder habe eine faire Chance ver-dient.(mas)


Alte und neue Vorstandsmitglieder. Hintere Reihe, von links: Heinrich Zengaffinen, MartinKalbermatter, Valentin Pfammatter, Geschäftsführer Christophe Müller. Vorne, von links: PiaSchwery, Georges Locher, Martina Eyer und Damian Loretan.FOTOS WB

 


«Jeder sollselbstbestimmtund uneinge-schränkt am gesellschaftlichenLeben teilneh-men können»Staatsrätin Esther Waeber- Kalbermatten


«Ein Blick in dieGeschichte vonProcap zeigt: DieOrganisation hatriesige Erfolgevorzuweisen»Ständerat Beat Riede

Drei Wechsel im VorstandPräsident Valentin Pfammatter sowie Heinrich Zengaffinen und Karl Stucky sind als Vorstandsmitglie-der zurückgetreten. Pfammatter und Zengaffinenengagierten sich während neun Jahren, Stucky warsieben Jahre im Vorstand aktiv. Die drei wurden ander GV gebührend verabschiedet.

Für die Periode 2019 bis 2022 wurden Martin Kalbermatter aus Niedergesteln, Martina Eyer (Naters)und Damian Loretan (Termen) neu in den Vorstand gewählt. Kalbermatter ist Grossrat und Direktor desHaus der Generationen in Steg. Er übernimmt das Präsidium. Eyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterinim Departement für Gesundheit, Soziales und Kultur,Loretan Zeichner EFZ Architektur. Vervollständigtwird der Vorstand von den bisherigen Mitgliedern Georges Locher (Vizepräsident) und Pia Schwery

Fünf Tage Vorsprung bei der Stellenbewerbung

(Tages-Anzeiger)

Arbeitsmarkt Der Inländervorrang solle auch für Menschen mit Behinderungen gelten, fordern 30 Ständerät.

Seit Sommer 2018 erhalten Arbeitslose einen zeitlichen Vorsprung bei der Bewerbung auf bestimmte Stellen. Die Arbeitgeber müssen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) offene Stellen für Berufsgruppen mit hoher Arbeitslosigkeit fünf Arbeitstage vor der öffentlichen Ausschreibung melden. Ziel ist es, dass möglichst viele Stellen durch inländische Arbeitskräfte besetzt werden.

Für Tausende Stellensuchende mit gesundheitlichen Problemen oder einer Behinderung gilt dieser Inländervorrang jedoch nicht. Diese Menschen würden heute kategorisch vom Inländervorrang ausgeschlossen, kritisiert SP-Ständerätin Pascale Bruderer. Dabei seien Menschen mit Behinderungen doppelt so oft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wie solche ohne ein Handicap. Bruderer verlangt deshalb mit einem Vorstoss, dass die IV-Stellen künftig zeitgleich Zugangzu den bei den RAV gemeldeten Stellen erhalten. «Denn es darf keine Rolle spielen, weshalb jemand auf Stellensuche ist. Auch die IV-Stellensuchenden müssen vom Inländervorrang profitieren.» Bruderers Motion wurde am Donnerstag eingereicht und von 30 Mitgliedern des Ständerats unterschrieben. Die Annahme der Motion durch beide Räte ist deshalb so gut wie sicher.Die IV versucht jährlich mehrere Zehntausend Menschen mit gesundheitlichen Problemen in den Arbeitsmarkt zu bringen oder ihren Arbeitsplatz zu erhalten.Das Prinzip lautet «Eingliederung vor Rente». Die IV verfügt dazu über eine eigene Arbeitsvermittlung. Sie hilft bei der Erstellung eines Bewerbungsdossiers oder bei der Vorbereitung auf Einstellungsgespräche.

2018 gelang es der IV, rund 21000 Personen im Arbeitsmarkt einzugliedern. Allerdings handelt es sich in zwei Drittel der Fälle um den Erhalt eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses, das aufgrund gesundheitlicher Probleme gefährdet war. An knapp 7000 Personen konnte die IV eine Stelle in einem neuen Unternehmen vermitteln.

Für Bruderer ist offen, wie die zeitgleiche Information der IV-Stellen künftig gewährleistet wird. Die beste Möglichkeit sei,dass die IV Zugang zu den Stellenplattformen der RAV erhalte und diese auf geeignete Stellen für ihre Klienten absuche. Die geltende Regelung sieht vor, dass die RAV den Arbeitgebern innert dreier Tage für die gemeldeten offenen Stellen Dossiers von Arbeitslosen zustellen.Die Arbeitgeber müssen dann «geeignete» Kandidaten zum Vorstellungsgespräch einladen. Bei Verstössen drohen Bussen von bis zu 40 000 Franken.

37 000 offene Stellen

Der Schweizerische Arbeitgeberverband begrüsst die Ausweitung des Inländervorrangs auf die IV-Stellensuchenden. Diesen biete sich so eine zusätzliche Chance auf einen Arbeitsplatz.Zudem könne ein wichtiges Potenzial ausgeschöpft werden,um den aufgrund der demografischen Entwicklung drohen den Arbeitskräftemangel zu reduzieren, sagt Martin Kaiser vom Arbeitgeberverband.

Ende Februar waren bei den RAV 37 000 offene Stellen gemeldet. Davon unterstanden 23 000 der Meldepflicht. Es handelt sich vor allem um Stellen in der Gastronomie und Hotellerie so wieder Baubranche. Zurzeit müssen offene Stellen für Berufsarten gemeldet werden, deren Arbeitslosenquote über 8 Prozent liegt.

Ab nächstem Jahr liegt dieser Schwellenwert bei 5 Prozent. Den sogenannten «Inländervorranglight» hat das Parlament zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative der SVP beschlossen. Wie erfolgreich die RAV bei der Vermittlung der inländischen Stellensuchenden sind, dazu liegt noch keine Auswertung vor.


Pascale Bruderer, AargauerSP-Ständerätin. Foto: Keystone

 

Gesetzlich verbindliches Leitbild „Leben mitBehinderung“ des Kantons Solothurn

(Der Weg / Mitgliedermagazin SBV)

Nach einem 2004 vom Solothurner Regierungsrat verabschiedeten Leitbild und Handlungskonzept für Menschen mit Behinderungen hat das kantonale Amt für soziale Sicherheit 2018 zwecks Erarbeitung eines neuen Leitbilds „Leben mit Behinderung“ eine Fachkommission eingesetzt, die bis etwa Mitte 2019 gesetzlich verbindliche Leitsätze formulieren soll. Nebenanderen Institutionen der Betroffenen wie Pro Infirmis und diversen Fachexperten involviert ist mit Thomas Biedermann auch die regionale Interessenvertretung der SBV-Sektion Aargau-Solothurn. Erklärte LeitbildZiele sind Massnahmen im Zeichender Gleichstellung behinderter undnicht behinderter Menschen, die den Paradigmenwechsel von Integration zu Inklusion unterstützen und die Sensibilisierung der Gesellschaft stärken, vor allem aber die Umsetzbarkeit auf institutioneller und politischer Ebene gemäss Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), UNO-BRK und kantonalem Sozialgesetz garantieren.
(rer)

Eine Sprache wie die Lautsprache

(Curaviva)

Gehörlose Menschen hätten eigentlich Anrecht auf Gebärdensprachdolmetscher

Das Behindertengleichstellungsgesetz erlaubt gehörlosen Menschen, Gebärdensprachdolmetscher zu beanspruchen, wenn diese in der Kommunikation mit der Umwelt zwingend sind.Der Bedarf ist längst nicht abgedeckt. Und wer die Dienste bezahlt, ist immer wieder strittig.

Die meisten Leserinnen und Leser werden wohl kurz geschmunzelt haben. Über die Nachricht selbst, die Ende des letzten Jahres in fast allen Schweizer Zeitungen und News-Portalen zu lesen war, dürften die wenigsten aber länger nachgedacht haben. Die Meldung: Zur Gebärde des Jahres sei – analog zu den Wörtern und Unwörtern des Jahres in der gesprochenen Sprache – vom Gehörlosenbund «Alain Berset»gekürt worden, eine Handbewegung mit Daumen und Zeigefinger am Kopf vorbei. Eine Anspielung auf Bersets (Nicht-)Frisur.

Die Auszeichnung einer «Gebärde des Jahres» – im letzten November vom Gehörlosenbund zum dritten Mal vergeben – ist allerdings mehr als ein lustiges Aperçu. Der Gehörlosenbund macht damit auch darauf aufmerksam, dass die Gebärdensprache eine Sprache ist wie die gesprochene Sprache auch – und entsprechend Trägerin einer Kultur, die sich verändert, die Einflüsse neu integriert.

In der breiten Bevölkerung ist diese Tatsache allerdings noch lange nicht angekommen, trotz Behindertengleichstellungs-gesetz und Uno-Behindertenrechtskonvention, die auch in der Schweiz gehörlosen Menschen oder Menschen mit starken Höreinschränkungen das Recht auf die Gebärdensprache undentsprechend das Recht auf Dolmetscherdienste einräumen,um mit der hörenden Welt kommunizieren zu können.

Die Schweiz hinkt hintennach

Da allerdings hat die Schweiz noch einiges nachzuholen. Zwargibt es in der Schweiz rund 120 Gebärdensprachdolmetscher für gut 10000 Gehörlose oder schwer eingeschränkte Hörbehinderte. Das reiche gerade, sagt man beim Gehörlosenbund,schliesst aber das Tessin und die Romandie aus, weil es dort an Dolmetschern mangelt, da es keine Ausbildungsangebote gibt. Im Vergleich zum Ausland -etwa mit Dänemark -sei aber auch die Zahl der Dolmetscherinnen und Dolmetscher in der Deutschschweiz noch immer gering. Die nur etwas über hundert Dolmetscherinnen und Dolmetscher würden sicherlich kein lückenloses Angebot garantieren können, würden alle Gehörlosen konsequent Gebärdensprachdolmetscher anfordern, wenn sie ein Recht darauf haben: für Gemeindeversammlungen etwa, für Familienfeste, beim Arztbesuch, im Verkehr mit Ämtern. «Das Bedürfnis nach Gebärdensprachdolmetscherinnen und-dolmetschern ist nicht abgedeckt», sagt HeidiStocker. Sie ist Dozentin beim Studiengang Gebärdensprachdolmetschen an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH)in Zürich. Wie viele Dolmetscher es tatsächlich bräuchte, würden alle Gehörlosen immer ihr Recht einfordern, könne sie zwar nicht beziffern. «Aber der Schweizerische Gehörlosenbund fordert eine Vordoppelung der aktuellen Anzahl, das wäre auf jeden Fall ein Anfang.» Dass in der Schweiz das Bewusstsein dafür fehlt, dass die Gebärdensprache eine eigene Sprache ist – und in der Schweiz in fünf Dialekten gesprochen wird -, hat auch mit der über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte in Taubstummenschulen und-anstalten praktizierten Pädagogik zu tun. Zwar waren im

Von Urs Tremp
19. Jahrhundert in der Schweiz die Gehörlosen langsam vom Stigma der «Bildungsunfähigkeit» befreit worden und man attestierte ihnen Anspruch auf Bildung. Die Taubstummenschulen aber verfolgten einen Lautsprachunterricht, die Gebärdenals alternative Kommunikationsform waren verboten und den meisten Lehrern unbekannt.

Pädagogik des 19. Jahrhunderts

«In den Taubstummenanstalten lernen die Kinder auf ganz eigen gerichtete Weise nicht etwa nur anständige Sitte, gefälligen Umgang, nützliche Hausbeschäftigungen allerart, sie lernen mit den Augen hören, indem sie die Lippenbewegung der Sprechenden beobachten und sogar selber deutlich sprechen. Ihr Verstand wird gebildet und mit Kenntnissen versehen. So viel vermag weiser Unterricht und fromme Erziehung selbst bei Taubstummen!» So schrieb es der Aargauer Pädagoge, Philosoph und Pionier der Gehörlosenschule, Heinrich Zschokke, in den dreissiger Jahren des 19.Jahrhunderts. Und noch hundert Jahre später beschrieb der deutsche Psychiater den «Taubstummen» als «leicht erregbar,der mit seinem mimischen Ausdruck einen nervösen Eindruck macht».

Bis spät ins 20. Jahrhundert galt die Gebärdensprache im besten Fall als Krücke, die gehörlosen Menschen sollten Lippenlesen, Buchstaben lesen und sich akustisch ausdrücken lernen.Dass der Spracherwerb für gehörlose Menschen ganz anders funktioniert, schien lange niemand für wichtig zu halten. Noch in den achtziger Jahren – so berichtete eine gehörlose Frau vor einigen Jahren in der Zeitschrift «Beobachter» – habe sie in der Schule zur Strafe hundertmal den Satz«Ich darf nicht gebärden» von der Tafel abschreiben müssen.Erst in den letzten zwanzig Jahren hat ein grundsätzliches Umdenken stattgefunden.Noch ist zwar die Gebärdensprache keine offiziell anerkannte Landessprache (wie etwa in Neuseeland). In den kantonalen Verfassungen von Zürich und Genf wird sie immerhin erwähnt. Die Innerrhoder Landsgemeinde hat im vergangenen Frühjahr live in Gebärdensprache übersetzt. Und die Stadt Bern hat vor Kurzem damit angefangen, auf der städtischen Internetseite wichtige Informationen in Gebärdensprachvi-deos zu verbreiten.

Bezüge sind limitiert

Der Gehörlosenbund wünscht sich allerdings weitere derartige Dienstleistungen. Die Vermittlung von Gebärdensprach-dolmetschern liegt in der Schweiz bei der Organisation Pro -Com, einer Stiftung, welche diese Aufgabe vor knapp zwanzig Jahren von den Gehörlosenvereinigungen übernommen hat.Die Kosten für die Dolmetscherdienste übernimmt in der Regel die Invalidenversicherung (IV). Allerdings sind die Bezüge für einzelne Versicherte limitiert, sodass praktisch jedes Gesuch wieder neu bewertet werden muss. Ruedi Graf, Regional-leiter Deutschschweiz beim Gehörlosenbund, sagt: «Die Her-ausforderung ist nicht nur der Mangel an Dolmetschern,sondern auch die Finanzierung der Dolmetscherleistungen.Ich zeige dies am Beispiel Arbeitsplatzförderung: Heute bezahlt der Staat für Zugang, Informationen, interne Schulungenund so weiter maximal 1763 Franken pro Monat. Das sind etwa 12 Dolmetscherstunden pro Monat. Ein Gehörloser mit einer verantwortungsvollen Aufgabe braucht sicher mehr als das.Also behindert diese Regel aktiv die Inklusion von gehörlosenund hörbehinderten Menschen in den Arbeitsmarkt.» Konkret:Wer gehörlos ist und eine Kaderposition mit entsprechend mehr Sitzungen und Kommunikationsbedarf bekleidet,kommt damit schnell an die Grenzen. Er oder sie muss auf einen kulanten Arbeitgeber hoffen, muss selbst in die Taschegreifen oder kann für Dolmetscherdienste ausserhalb der Erwerbsarbeit (Freizeit, Verein) Geld aus einen Spezialfonds derIV beantragen.

Gehörlosigkeit ist keine Behinderung

Gehörlosigkeit sei keine Behinderung, sagt Graf. Wer gehörlosist, werde behindert. «Wir werden noch oft für nicht voll genommen.» Was das konkret heisst, zeigt die jährlich erhobene Liste der Diskriminierungsfälle des Schweizerischen Gehörlosenbundes. Im letzten Jahr waren es 76 Fälle, die eingegangen sind. Bei den weitaus meisten ging es um die Finanzierungvon Hilfsmitteln, zu denen auch die Dolmetscher gehören.Eine Krankenkasse etwa weigerte sich, die Dolmetscherkos-ten bei der Psychotherapie einer hörbehinderten Person zu übernehmen.

Mit dieser Liste macht der Schweizerische Gehörlosenbund Druck, dass die Einschränkungen aufgehoben werden und der effektive Bedarf an Dolmetschereinsätzen vom Bundbezahlt wird, wie es das Behindertengleichstellungsgesetz und die Uno-Behinderten-rechtskonvention eigentlich vorsehen würden. Zudem soll der administrative Aufwand reduziert werden. Heute müssen Gehörloseweit voraus planen, für wann sie einen Dolmetscher engagieren möchten. «Viele Gehörlose scheuen den Aufwand», sagt Sabine Von lanthen von ProCom. «Kurzfristige Einsätze sind fast nur in Notfällen möglich.» Eine hoch flexible Dolmetscherorganisation würde freilich eine massiv höhere Zahl von Dolmetscherinnen und Dolmetschern bedingen. Derzeit sind es pro Jahr etwas mehr als ein Dutzend Studierende, die an der Interkantonalen Hochschulefür Heilpädagogik (HfH) in Zürich den Studiengang Gebärdensprachdolmetschen aufnehmen.
Heidi Stocker von der HfH macht allerdings ein Dilemma aus:Man hätte zwar gerne mehr Studierende und bewirbt den Lehrgang auch aktiv. «Doch das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Die langfristige Finanzierung der Dienstleistung GSD ist nicht gesichert. Setztsich unsere Gesellschaft die grösstmögliche Teilhabe gehörloser Menschen an ihr tatsächlich als ernsthaftes Ziel, so muss hier angesetzt werden.»

Teilhabe ist nicht gesichert

Ein – zumindest vorläufig – noch ziemlich
frommer Wunsch. Eine Studie der ZHAW im Kanton Zürich hatim vergangenen Herbst gezeigt, dass nur bei Bau und Mobilitätsfragen Menschen mit einer Behinderung systematisch mit einbezogen werden. «Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung», stellten die Studienverfasser fest, «erhalten nicht die erforderliche Hilfe bei Barrieren im Alltag.» Gebärdendolmetscher gebe es zu wenige.

Gehörlose müssen weit voraus planen, wenn sie einen Dolmetscher engagieren möchten.Noch in den achtziger Jahren galt für Gehörlose:«Ich darf nicht gebärden.»«Das Bedürfnis nach Gebärdensprach-dolmetscherinnen und -dolmetschern ist nicht abgedeckt.


Taubstummenanstalt Turbenthal (1913), Gebärdensprach-dolmetscherin (2017): Von der Laut- zur Gebärdensprache.

 


Studentinnen und Studenten des Studienlehrgangs Gebärdensprachdolmetschen an der HfH in Zürich: Es gibt noch zu wenige.

 

«Für Blinde ist das ein Desaster»

(Basellandschaftliche Zeitung)

Gleichstellung Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap über den Centralbahnplatz VON JONAS HOSKYN

Der Behindertendachverband Inclusion Handicap hat Einsprachegegen die Umbaupläne beim Basler Bahnhofsplatz erhoben. Was sinddie Gründe dafür?

Caroline Hess-Klein: Der Umbau berücksichtigt die Anliegen von Menschen mit einer Behinderung zu wenig.Bestehende Probleme werden nicht gelöst undes entstehen neue Benachteiligungen. Für die Betroffenen sind die Mängel gravierend,vor allem für Personen, die stark sehbehindert sind oder eine Gehbehinde-rung haben. Für eine blinde Person ist die Situation am Centralbahnplatz schon jetzt gefährlich und es bessert sich gar nichts.

Was konkret stimmt aus Sicht derBehindertenverbände nicht?

Wir kritisieren drei Punkte: So entspricht das Leitsystem für blinde Menschen, also die Markierungen am Boden, nicht den heutigen Standards, es hat Lücken. Der Übergang vom Perron zur Strasse ist mit einem Blinden stock nicht ertastbar. Dies ist sehr gefährlich.Dieses Problem gibt es bereits jetzt, gemäss den Plänen würde es auch nicht behoben. Weiter hat der geplante Um bau der Perrons zur Folge, dass beim langen Flexitytram bei der ersten und der letzten Türe der Abstand zum Perron deutlich zu gross und zu hoch ist.

Kann man sich da nicht auf den Standpunkt stellen, dass es genügend andere Türen gibt, die behindertengerecht sind?

Die eine Tür ist genau dort, wo blinde Personen warten. Das Aufmerksamkeitsfeld, mit denen sie sich mit dem Blindenstock orientieren, führt sie direkt zur Tür mit dem breiten Spalt.Kommt hin zu, dass man von den klaren Vorgaben des Behindertenrechtsohnehin nur abweichen darf, wenn überwiegende Gründe dafür sprechen.Etwa wenn es technisch nicht machbarist. Es ist uns bewusst, dass die Situa-tion mit den Tramkurven am Central-bahnplatz diese Abstände erschwert.

Aber es ist überhaupt nicht klar, ob die Verantwortlichen überhaupt nach Lösungen gesucht haben. Wir sind der Ansicht, dass hier noch Spielraum vorhanden ist, um die Situation zu verbessern.

Wie gravierend sind diese Kritik-punkte?
Muss man nun in Baselnochmals ganz von vorne anfangenoder lässt sich das ohne grössereUmstände anpassen?

Die Massnahmen, die wir in unsererEinsprache fordern, sind mit verhältnismässig einfachem Aufwand zu realiseren. Die Verbesserungen für Blindesind alles Punkte, die man problemlos anpassen kann, ohne dass das Projekt verzögert wird. Die Einsprache ist vielmehr die Konsequenz, dass man sich bisher zu wenig mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat. Aber ich bin zuversichtlich, dass man nun eine pragmatische und gute Lösung findet.

In Basel hofft man offenbar darauf,dass man noch rechtzeitig eine Einigung findet und Inclusion Handicapdie Einsprache zurückzieht. Wie sehen Sie das?

Wenn Lösungen in verbindlicher Form auf dem Tisch liegen, gibt es für uns keinen Grund mehr, die Einsprache aufrechtzuerhalten. Im Moment ist das noch nicht passiert. Aber der Wille beiden BVB ist offenbar da.

Die Verantwortlichen in Basel, namentlich das Bau- und Verkehrsde-partement und die BVB, betonen regelmässig, dass sie im Austauschmit den Behindertenverbänden stehen. Warum wurden diese Fragennicht früher geklärt?

Wenn ich mir das vorliegende Projekt anschaue, ist klar, dass keine Fachleute aus dem Behindertenwesen ernsthaft miteinbezogen worden sind. Sonst hätte man nun sicher das Desaster mit den fehlenden Markierungen für sehbehinderte Personen nicht.


Hätte man eine Lösung finden kön-nen, wenn man früher auf Sie zugekommen wäre?

Ganz klar. Hätte man uns zu einem frühen Zeitpunkt kontaktiert, hätten vielePunkte problemlos berücksichtig werden können, wegen denen wir nun Ein-

BAUBEWILLIGUNG

Bund fordert Antworten vom Kanton

Das Bundesamt für Verkehr(BAV) will vom Tiefbauamtund den BVB Antworten zuderen Praxis im Zusammenhang mit Bauarbeiten am Tramnetz und der Infrastruktur. Bis anhin wurden in Basel Bauprojekte, welche den Ersatz der Tramschienen und die Anpassung derHaltestelle an das Behindertengleich-stellungsgesetz betrafen, mit einer kantonalen Baubewilligung und auch ohne kantonale Planauflage bewilligt. Entsprechend gab es für Betroffenekeine Möglichkeit für Einsprachen. Beim Grossprojekt Centralbahnplatz aber intervenierte das Bundesamt für Verkehr und verlangte ein Plangeneh-migungsverfahren. Nun will das BAV die Basler Praxis überprüfen und abklären, ob weitere Tramhaltestellen ohne korrekt ausgestellte Baubewilligung umgebaut wurden. «Falls dem sowäre, würde das BAV die weiteren Schritte abklären», so ein Sprecher.Grundsätzlich sei für Arbeiten im Bereich Tram eine Plangenehmigung des BAV notwendig. Wenn der nicht-eisen-bahnrechtliche Teil überwiegt, könneaber auch der Kanton die Bewilligungausstellen. (HYS)

Nicht alle Ustermer Bürger haben politische Rechte

(Zürcher Oberländer)

Uster Bald sind Wahlen. Doch manche Menschen mit schwerer geistiger Beeinträchtigung dürfen nicht wählen gehen.Sie haben keine politischen Rechte. Auch in der Stadt Uster nicht, welche die lnklusion von Behinderten fördern will.

Laura Cassani
Nicht alle Ustermerinnen und Ustermer werden in zwei Wochen einen Wahlzettel in die Urne werfen und mitbestimmen,wie der Kantons- und Regie rungsrat künftig zusammengesetzt sein sollen. Die einen, weilsie am Sonntag verschlafen oderweil sie sich nicht für Politik interessieren, andere, weil sie keinen Schweizer Pass haben.

Es gibt aber auch Menschenmit Schweizer Pass, die vielleicht gerne politisch mitentscheiden würden – es aber nicht dürfen.Menschen,die als dauernd urteilsunfähig gelten und unter umfassender Beistandschaft stehen, sind in der Schweiz vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen. Das sind in der Regel Menschen mit schwerer geistiger oder psychischer Behinderung.

«Risiko der Demokratie»

In der Stadt Uster, die sich als Inklusionsstadt positionieren unddie Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in den kommenden Jahren besonders fördern will (siehe Box), leben und arbeiten viele Menschen, die umfassend bebeistandet sind. Unter anderem im Werkheim oder inder Stiftung Wagerenhof.

Schweizer Behindertenorganisationen fordern, dass Unterstützungsangebote geschaffenwerden, die es auch diesen Menschen erlauben, ihre politischen Rechte wahrzunehmen. Die heutige Situation widerspreche der Uno-Behindertenrechtskonvention. Das Argument: Auch urteilsfähige Bürgerinnen und Bürger seien nicht immer in der Lage sich eine rationale Meinung über eine politische Vorlage zu bilden.«Dass viele trotzdem stimmen gehen, gehört zum normalen Risiko einer Demokratie», wird der Jurist Pierre Margot – cattin im «Tages-Anzeiger» zitiert.

Die Politik vermissen?

Patrick Stark, Geschäftsleiter des Werkheims Uster,sagt: «Ichweiss bei uns von niemandem,der es vermisst, dass er oder sienicht abstimmen oder wählen darf.» Das heisse aber nicht, dasses das nicht gebe. Und auch inder Stiftung Wagerenhof hat manes laut Gesamtleiter Andreas Dürst noch nie erlebt, dass jemand hätte wählen wollen, derdas nicht durfte.

Von Stark und Dürst wird die Forderung nach politischen Rechten auch für umfassend Bebeistandete nicht ausdrücklich wiederholt. Werkheim-Leiter Stark bleibt allgemein: «Unsist es ein grosses Anliegen, dassdie Menschen im Werkheim anden gesellschaftlichen Prozessenteilhaben können. Dazu gehörtauch, dass sie politische Rechtewahrnehmen können.» Wagerenhof-Leiter Dürst würde sicheine Einzelfallprüfung wünschen: «Wenn eine Person das Stimm- und Wahlrecht wünscht,sollte sie ihre politischen Rechte unabhängig von ihrer Beistandschaft ausüben dürfen.»

Auf Bundesebene ein Thema

Die Behindertenorganisationen fordern nicht nur, dass alle Schweizerinnen und Schweizer die gleichen Rechte haben – egal,ob mit oder ohne Behinderung.Sie setzen sich auch dafür ein dass allen geistig Behindertendas Abstimmen und Wählen leichter gemacht wird. Das Parlament verpflichtete den Bundesrat Ende 2017, Massnahmen zu prüfen, um bestehende Hindernisse abzubauen. Ein erster Erfolg.

«Demokratie muss man lernen», sagt Patrick Stark. Auchim Kleinen. Im Werkheim gibtes deshalb einen Betriebsrat, wogewählte Abgeordnete die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen an den geschützten Arbeitsplätzen vertreten. «Am Anfang hat sich gezeigt, dassviele sich nicht gewohnt waren,andere Personen in ein Amt zu wählen.» Im Wagerenhof findet regelmässig eine Gesprächsrunde statt, in der auch aktuelle politische Fragestellungen thematisiert werden können. Sie heisst «Mir redä mit» – wobei berück-sichtigt werden muss, dass ein Gross teil der Bewohnerinnenund Bewohner im Wagerenhof keine verbale Sprache zur Verfügung haben.

«Kein präsentes Thema»

Doch das Interesse für Politik istunter den Ustermerinnen undUstermern mit Behinderung offenbar nicht sehr gross. Ein Werkheim-Bewohner, der kaum eine Sitzung des Ustermer Gemeinderats verpasst und jetzt sogar für den Kantonsrat kandidiert, sei die Ausnahme, so Stark.Auch im Wagerenhof sei Politik«kein präsentes Thema», sagtDürst.In beiden Ustermer Institu-tionen ist allerdings – politisches Interesse hin oder her – klar:

Menschen mit geistiger Behin-derung brauchen Unterstützung,wenn sie ihre politischen Rechte ausüben. Manchmal sei es nurschon schwierig zu verstehen, obman Ja oder Nein auf den Zettel schreiben muss, wenn mangegen eine Vorlageist,sagt Werkheim-Geschäftsleiter Stark.Die Betreuungspersonen böten individuelle Unterstützung. «Es ist uns wichtig, niemandemunsere eigene Meinung aufzudrücken.»

Nur schon den Sachverhaltzu erklären, also kein Ja, Nein oder die Wahl einer bestimmten Politikerin zu empfehlen, sei herausfordernd, gesteht Stark. Die Befürchtung, dass Betreuungspersonen auf die Wahlentschei-dung Einfluss nehmen könnten,sei nicht ganz von der Hand zuweisen, sagt auch Dürst. Er fügtaber an: «Auch durch die Sozialisation in der Familie oder ineinem sonstigen sozialen Um-feld findet eine gewisse Beein-flussung statt.»

Leichte Sprache nötig

Würden die Behörden eine ein-fachere Sprache verwenden,wäre schon viel geholfen. Darinsind sich die beiden UstermerFachleute einig. Wagerenhof-Leiter Dürst findet gar, dass Wahl-und Abstimmungsunterlagen«unbedingt»insogenannter«Leichter Sprache» verfasst wer-den müssten. Das ist eine Sprache, die klaren Grundsätzen folgt- etwa möglichst keine Nebensätze zu verwenden. Und zudemvon einer Gruppe von Betroffenen vor der Veröffentlichung ge-prüft wird. Für Dürst steht fest:«Nur wenn Unterlagen in geschrieben sind,ist für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung politische Teil-habe überhaupt möglich.»

Auf dem Weg zur Inklusionsstadt

Bis ins Jahr 2021 wird in Usterjährlich fast eine Viertelmillion investiert, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung zu fördern. Uster will zur Inklusionsstadt werden. Dabei soll auch die politische Partizipation von Ustermerinnen und Ustermern – nicht nur solchen mit geistiger Beeinträchtigung – gefördert werden, sagt Elisabeth Hildebrand, die seit letztem Herbst lnklusionskoordinatorin der Stadt ist. Einen konkreten «Massnahmenkatalog» gebe es keinen,vielmehr würden «Mut und Selbst-vertrauen» in verschiedenen Projekten und auch in Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen gefördert.Hildebrand betont, dass das Thema der politischen Rechte für umfassend bebeistandete Menschen nicht kommunal geregelt werde. Trotzdem sagt sie:«Ich bin der Meinung, dass wir mehr Demokratie wagen können.»Es gehe nicht nur um das Recht,wählen und abstimmen zu dürfen,sondern auch gewählt zu werden.«Vielfalt soll sich auch bei den gewählten Vertreterinnen und Ver-tretern abbilden.» (lac)

Gar nicht mal so leicht, die Leichte Sprache

(Bieler Tagblatt)

Lesen Biel spielt mal wieder eine Vorreiterrolle. Diesmal darin, Bücher in «Leichter Sprache,» an den Mann und die Frau zu bringen.Die Stadtbibliothek stellt ihr Pilotprojekt demnächst vor. Doch der Weg zu wirklich leicht verständlicher Sprache ist steinig.

Clara Gauthey
Ziemlich viele Menschen haben einProblem mit diesen blöden Schachtelsätzen. Mit diesem gestelzten Genitiv. Mitden nicht enden wollenden, unaussprechlichen Wörtern wie «Motorfahrzeughaftpflichtversicherung». Mit der Typografie der Serifenschriften wie Sie sie hier in Ihrer Tageszeitung immerwieder finden – ausser in den Todesanzeigen. Und mit den stets randvoll gefüllten Zeilen, der schier unleserlichen Füllean Buchstaben.

Manche Leute, vermutlich mehr, als eszugeben, verstehen die Welt nicht mehr ganz. Das reicht vom Strassenschild inBeamtensprache über Gesetzesparagrafen und Wahlunterlagen bis hin zur Tageszeitung oder dem neuen Buch von XY. Und logischerweise fühlt sich dabeimanch einer, genauer, jeder sechste Leser oder Leserin zwischen 16 und 65 Jahren, wie ein Zuschauer hinter der Glasscheibe, der nicht reinkommt.

Von «Heidi» bis Robert Seethaler

Doch es gibt vielleicht eine leise Hoffnung für jene, die sich mit all jenem schwertun. Für den Schlaganfallpatienten, den Lernbehinderten, den, der die Sprache neu erlernt oder solche, welchesich nicht mehr lange konzentrieren können oder an beginnender Demenz leiden. Aber auch Gehörlose, deren Muttersprache eben Gebärdensprache und nicht die Schriftsprache ist.

Mit einer neuen, wenn auch über-sichtlichen Abteilung in der Bieler Stadtbibliothek soll solchen Menschen derSpass am Lesen wiedergegeben werden,ein zweisprachiges Angebot mit rund 100 Titeln steht zur Ausleihe. Zwei geschulte Mitarbeiterinnen weisen Interessierte ein und händigen ihnen die Benutzerregeln in Leichter Sprache aus.Eine Übersetzungsarbeit, welche sich über Monate hinzog, mit Texten, die zwischen dem Zürcher Büro für Leiche Sprache der Pro Infirmis und der Stadtbibliothek hin- und hergingen. «Es isteben gar nicht so leicht mit der LeichtenSprache», sagt der Direktor der Stadtbibliothek, Clemens Moser. Doch es ist vollbracht: In zwei kleinen Kästchen befinden sich Titel wie «Heidi», «Der Graf von Monte Christo», «Sherlock Holmes» oder«Ein ganzes Leben» von Robert Seethaler. Stefan Zweigs Novellen sind vertreten, Nele Neuhaus‘ «Unbeliebte Frau«.

Gutes und weniger Gutes

Und wie funktioniert das, wenn so einBuch in Leichte Sprache (siehe auchInfobox) «übersetzt» wird? Da gibt esgute und weniger gute Beispiele. Undnatürlich gibt es Verlage, die gar nichterst in diesem Bereich aktiv werden wollen, gerade der englischsprachige Markt zeige sich nicht sehr interessiert, Tite lübersetzen zu lassen, sagt ein Verleger einfach formulierter Belletristik – zu gross der Markt der Anglosphäre, zu arrogant. Dabei kommt die Leichte Spra-che seit den 70er-Jahren von dort.

Und die Autoren? Einer, der sich zuder Übertragung seines Buches geäussert hat, ist Arno Geiger. Nachdem sein Buch «Der alte König in seinem Exil» in Leichter Sprache erschien, sagte er:«Die Vereinfachung der Sätze und die Streichungen haben natürlich Spuren hinterlassen. Aber die Art des Denkens und stellenweise die Art des Erzählens:Da ist etwas erhalten geblieben. Der Geist des Buches ist spürbar.» Leichte Sprache vermag durchaus, literarisch zu sein.

Gottfried Keller geht gar nicht gut

Und dann gibt es Versuche mit einem Gottfried Keller, welche man nicht ganz versteht. Denn Wer soll nach der Lektüre dieses ersten Satzes noch einsteigen? «An dem schönen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an Seldwyl vorüberzieht, lagen vor Jahren auf einem grösseren Erdhügel drei lange Äcker, gleich drei riesigen Bändern nebeneinander.» Wow. Das zieht rein. Das ist schlicht eine Verschlimmbesserung,die keiner braucht. Wenn dergleichenunter dem Label «Easy Readers» und der Kategorie «mittelschwer» läuft,kann man eigentlich nur schmunzeln.

Hauptsache, das Gras ist grün

Immer wieder gaben Versuche, Dingein Leichte Sprache zu übertragen, Anlass zu Hohn und Spott. «Krüppelsprache», «Kindersprache» hiess es da schon mal. Oder ein Magazin verwies neckend auf den literarischen Wert der Übersetzung der Fifa-Fussball-Regeln:«Auf dem Boden vom Fussballfeld muss Gras sein. Das Gras darf auch aus Plastik sein. Aber nur wenn es erlaubtes Gras aus Plastik ist. Das Gras muss entweder echt sein oder aus Plastik. Manchmal darf aber auchbeides gemischt sein. Hauptsache das Gras ist grün:»

Oder die Versuche, Paragrafen aus dem deutschen Strafgesetzbuch zu vereinfachen: «Das ist auch verboten: über andere Leute Lügen erzählen. Die Verleumdung ist ähnlich wie die üble Nachrede. Nur schlimmer. Denn diesmal habe ich mit Absicht gelogen. Ich wusste, dass es eine Lüge war.»

Lustig? Erhellend? Oder noch immer zu kompliziert? Aber da ist ja noch Arno Geiger. Der Geist seines Buches überden demenzkranken Vater ist auch in einfachen Sätzen erhalten geblieben.Und vielleicht erfüllt sich dereinst die Hoffnung, die Geiger in einem Interview äusserte: «Lesen und Schreiben sind für mich so wichtig wie Salz und Brot. Lesen und Schreiben haben mir seit meiner Kindheit geholfen, mich als Person zu entwickeln. Die Chancen, die mit Lesen und Schreiben verbunden sind, sollen möglichst allen Menschen offen stehen. Deshalb unterstütze ich dieses Projekt.» Viel mehr muss darüber gar nicht gesagt werden. Oder, in den Worten der Leichten Sprache: «Die Geschichte von meinem Vater möchte ich hier erzählen. Seine Geschichte ist auch ein Teil von meiner eigenen Geschichte.Und eigentlich ist die Geschichte meines Vaters auch ein Teil von uns allen.»

Info: Am Montag, 18. März, 18 Uhr, wird die leicht zu lesende Bibliothek im Rah-men der Re-Labalisierung der Stadtbibliothek durchs Forum für Zweisprachigkeit präsentiert; Isabelle Freymond spielt zwei kurze bilingue Stücke.


Leichte Sprache ist ein Hilfsmittel wie ein Rollstuhl – und den bezeichnet man auch nicht als verhunztes Velo. Den noch hat sie es schwer in der öffentlichen Wahrnehmung.PW/A

 

Leichte Sprache

Die Leichte Sprache bezieht sich aufdie Schriftsprache und orientiert sich an den Sprachniveaustufen nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen Al (elementare Sprachan-wendung) bis B1 Kennzeichen: Einfache Hauptsätze(Subjekt, Prädikat, Objekt), Vermeidung doppelter Negation («keine schlechte Wahl») und von Konjunktiv, Genitiv,Passivsätzen, grössere Schrift (ab14 Punkt), keine Serifenschrift, welche schlechter lesbar ist, möglichst unvollständig gefüllte Zeilen, gleiche Wörter für gleiche Dinge, komplexe Wörter mit Bindestrichen gliedern
Infoblatt zu Leichter Sprache des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) unter www.ebgb.ch, Themen der Gleichstellung> E-Accessibility> Barrierefreie digitale Kommunikation> Leichte Sprache (PDF) Belletristik in Leichter Sprache gibtes u.a. vom deutschen Verlag Spass am Lesen und neu in der Stadtbibliothek auf Französisch und deutsch (gau)

Kritik von der Ratslinken

(Walliser Bote)

IV-Rentnerinnen und-Rentner sollen für ihre Kinder weniger Geld erhalten. Der Nationalrat hat sich am Donnerstag dafür ausgesprochen, die Kinderrenten zu kürzen.

Mit 106 zu 66 Stimmen bei 10Enthaltungen hiess die grosse Kammer eine Regelung gut,welche die Sozialkommission in die Revision des IV-Gesetzes eingebaut hatte. Es geht umdas Geld für Kinder von IV-Rentnern, das heute «Kinderrente» genannt wird und künftig «Zulage für Eltern» heissen soll. Die Zulage sollvon 40 auf 30 Prozent der Rente gesenkt werden.

Neben der SVP und der FDP unterstützte auch die Mehrheit der Mitteparteien die Kürzung.Die Befürworterinnen und Befürworter argumentierten, bei der Invalidenversicherung seien weiterhin Sparmassnahmennötig. Mit der Senkung der Kinderrenten könnten 112 Millionen Franken im Jahr eingespart werden.

Ausserdem führten die heutigen Renten bei kinderreichen Familien zu falschen Anreizen.Es dürfe nicht sein, dass Familien mit IV-Rente bessergestelltseien als Familien, die ihren Unterhalt selbst verdienten,sagte Ruth Humbel (CVPIAG).Bei einer vollen IV-Rente von 2370 Franken betrage die Kin-derrente heute 948 Frankenpro Kind. Unter Umständen kämen noch Familienzulagen von einem erwerbstätigen Eltern teil hinzu.

Unverantwortlich und beschämend

Gegen die Kürzung stellte sichdie Ratslinke. Es gehe um über70 000 Kinder von IV-Bezügernund über 26 000 Kinder vonAHV-Bezügern,sagte Maya Graf (Grüne/BL). Eine Kürzungwäre unverantwortlich und beschämend. Sie könnte Familienin Not bringen. Die Betroffenen müssten Ergänzungsleistungen beantragen, wo mit die Kosten lediglich verlagert würden.Silvia Schenker (SP/BS) bezeichnete die geplante Rentenkürzung als «unnötige Machtdemonstration gegenüber den Schwächsten». Bereits heute sorge eine Regelung dafür, dasses nicht zu einer Überversicherung komme.

Mehr Ergänzungsleistungen

Sozialminister Alain Berset sprach sich ebenfalls dafür aus,in diesem Punkt beim geltenden Recht zu bleiben. Fast dieHälfte der IV-Bezüger habeschon heute Anspruch auf Er-gänzungsleistungen, gab er zubedenken.Würden die Kinderrentengesenkt, rechne der Bund mitZusatzkosten bei den Ergäzungsleistungen von 47 Millionen Franken. Ausserdem seider Bund dabei, das System der Kinderrenten zu analysieren.Das Parlament sollte das Resultat abwarten.

Stufenloses Rentensystem

Auf Bundesratskurs blieb de Rat beim stufenlosen Renten-system, das er guthiess – eben-falls gegen den Willen der Linken. Das Ziel ist, dass Menschenmit Behinderungen ihre Restarbeitsfähigkeit nutzen. Arbeit soll sich für IV-Bezüger in jedem Fall lohnen. Heute ist das wegen Schwelleneffekten nicht immer der Fall.

In einem idealen Arbeits-markt wäre dagegen nichtseinzuwenden, sagte Schenker.Es mangle aber an geeigneten Arbeitsplätzen. Sie kenne viele,die sehr gerne arbeiten würden, wenn sie eine Stelle finden würden.

Vollrente ab 70 Prozent

Eine Vollrente soll – wie heute- ab einem Invaliditätsgrad von70 Prozent zugesprochen werden. Bei der letzten IV-Revision,die das Parlament 2013 versenkte, war diese Frage heftigumstritten. Der Nationalrat sprach sich dreimal für 70 Prozent aus, der Ständerat dreimal für 80 Prozent.

Bereits laufende Renten sollen nach dem neuen Systemberechnet werden, wenn dieversicherte Person bei Inkrafttreten noch nicht 60 Jahre altist und sich der Invaliditätsgrad um mindestens 5 Prozent-punkte ändert. Minderheitenbeantragten, alle über 50-Jährigen auszunehmen oder dasstufenlose System nur für Neu-renten anzuwenden. Diese Anträge lehnte der Rat aber ab.

Keine Quote für Unternehme Nein sagte der Nationalrat ferner zu einem Antrag von lin-ker Seite für eine Quote. Er willUnternehmen mit mehr als 250 Angestellten nicht verpflichten, mindestens ein Prozent Arbeitnehmende mit einer Behinderung zu beschäftigen.Schenker argumentierte vergeblich, alle Eingliederungs-bemühungen nützten nichts,wenn es an Arbeitsplätzen für die Betroffenen mangle.Die bürgerlichen Fraktionen plädierten für Freiwillig-keit. Eine Verpflichtung wäre kontraproduktiv, sagte Bruno Pezzatti(FDPIZG).Kommissionssprecher Christian Lohr(CVPITG) gab zu bedenken, eskönnte für die Betroffenen stigmatisierend sein, wenn sie als«Quotenbehinderte» eingestellt würden. Der Bundesrat soll in-des mit den Dachverbänden der Arbeitswelt Vereinbarungen abschliessen können. Das hat der Rat mit 95 zu 93 Stimmen knapp gutgeheissen.

Fokus auf Jugendliche

Bereits am Mittwoch hatte der Nationalrat über Massnahmen entschieden, welche die Eingliederung Jugendlicher und psychisch Kranker fördern sollen – namentlich durch die Früherfassung. Dass es hier noch Verbesserungspotenzial gibt, war unbestritten.

Künftig sollen Jugendliche schon ab dem 13. Altersjahr der IV gemeldet werden können,wenn der Eintritt ins Berufs-leben gefährdet ist. Der IV gemeldet werden sollen zudem nicht nur arbeitsunfähige, sondern auch von einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit bedrohte Personen. Das Ziel ist,dass die IV Unterstützungs-massnahmen ergreifen kann.

Ja sagte der Nationalrat ferner zu Änderungen bei den Taggeldern für junge Erwachsene. Um den Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu erhöhen, solldas Taggeld der Höhe einesLohns für Lernende angeglichen werden. Weitere Gesetzes-änderungen betreffen Geburtsgebrechen. Der Nationalrat ist einverstanden damit, dass für diese klare Kriterien im Gesetzverankert werden. Ergänzt hatder Rat Regeln, um die Qualität von Gutachten im Auftrag der IV sicherzustellen.

In der Gesamtabstimmunghiess der Nationalrat die Vor-lage mit 133 zu 0 bei 55 Ent-haltungen gut. Der Stimmeenthalten haben sich SP undGrüne sowie die beiden EVP-Vertreter. Nun ist der Ständeratam Zug.sda


Session. Die Nationalräte Andrea Gmür (CVP/LU), Philipp Matthias Bregy (CVP/VS), Leo Müller(CVP/LU) und Benjamin Roduit (CVP/VS) diskutieren während der Debatte in der grossen Kammer.FOTO KEYSTONE

 

Nationalrat will Kinderrenten kürzen

(ZürcherOberländer/sda)

Invalidenversicherung IV-Rentnersollen für ihre Kinder weniger Geld erhalten. Der Nationalrat hatsich gestern wie erwartet dafür ausgesprochen, die sogenannten Kinderrenten zu kürzen. Und siein «Zulage für Eltern» umzube-nennen. Die Zulage soll von 40 auf 30 Prozent der Rente gesenkt werden. Neben der SVP und der FDP unterstützte auch die Mehrheit der Ratsmitte die Kürzung. Nunist der Ständerat am Zug.