Gewerbeverband gegen Verschärfung

(Aargauer Zeitung / Fricktal)

Der Basler Gewerbeverband wehrt sich gegen die Einführung eines kantonalen Behindertenrechtegesetzes. Die Regierung hat einen Gegenvorschlag zur kantonalen Initiative «Für eine kantonale Behindertengleichstellung» in die Vernehmlassung geschickt. Basel-Stadt soll als einer der ersten Kantone ein umfassendes Rahmengesetz im Bereich der Behindertengleichstellung erhalten.

Der Gewerbeverband befürchtet eine «bürokratische Einzelfallkontrol- le zulasten der KMU-Wirtschaft». Darauf würden einige Passagen im regierungsrätlichen Bericht hinweisen. So könnte ein Restaurant beispielsweise dazu verpflichtet werden, seine Speisekarte in Brailleschrift anzubieten, schreibt der Gewerbeverband. Ein Negativbeispiel in Sachen «verhältnismässigem Vollzug» stelle die Umsetzung des Behindertengesetzes bei der Ausgestaltung von öV-Haltestellen dar, «was hiermit als warnendes Beispiel dienen soll». Vor allem wehrt sich der Gewerbeverband aber auch gegen eine erneute «hoch dotierte kantonale Fachstelle». Eine solche sei 2015 vom Grossen Rat abgeschafft worden und solle nun mit ausgebautem Pflichtenheft und Personalaufwand wieder eingeführt werden.

Ohnehin verfüge Basel-Stadt im interkantonalen Vergleich schon heute über sehr weitgehende Schutzbestimmungen im Bereich der Behindertengleichstellung. Neben dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes erwähnt der Gewerbeverband das kantonale Baugesetz, welches sehr detaillierte Anforderungen an das behindertengerechte Bauen stelle. (BZ)

Menschen mit Beeinträchtigung monieren: «Wir werden nicht ernst genommen»

(Aargauer Zeitung / Aarau-Lenzburg-Zofingen)

von Kelly Spielmann


Im Kommissionszimmer diskutieren die Nationalräte Beat Flach, Irène Kälin, Thierry Burkart und Christian Lohr mit den Beeinträchtigten über ihre Anliegen.

 

Bei «insieme inklusiv» setzen sich neun Menschen mit Beeinträchtigung für ihre Rechte ein – und diskutieren dafür im Bundeshaus mit Nationalräten.

Cinzia Perri ist wütend. Sie wendet ihren Blick vom Zugfenster ab, blickt zu ihren Mitreisenden und kratzt etwas Farbe von ihren lackierten Fingernägeln. «Viele Leute denken, wir können nichts, sind blöd. Die denken: Die sind weniger gut, weil sie behindert sind», sagt sie. Eric Reitmaier unterbricht sie. Das Wort «behindert» mag er nicht. «Wir haben eine kognitive Beeinträchtigung, wir sind nicht behindert», betont er.

Er stört sich daran, dass viele Jugendliche den Ausdruck als Beleidigung verwenden. Robin Zimmermann nickt. Ihm liegt dieses Anliegen besonders am Herzen, wie Alexander May von insieme Aarau-Lenzburg erklärt. «Er hat uns in der Gruppe darauf aufmerksam gemacht, dass das Wort verletzend sein kann.» Robin Zimmermann selber sagt nicht viel. Jedenfalls nicht vor Fremden. Doch er hat seine eigene Meinung – und die ist ihm wichtig.


insieme inklusiv: Kurt Stöckli, Robin Zimmermann, Laura Murciano, Pia Gysi, Nina Wiederkehr, Tamara Hofstetter, Cinzia Perri, Eric Reitmaier, Gruppenleiter Alexander May und Projektleiter Jan Habegger mit Hund Cliff (von oben nach unten).

 

Deshalb macht er, wie acht weitere Mitglieder von insieme Aarau-Lenzburg, bei «insieme inklusiv» mit. «Mit dem Projekt möchte insieme die UNO Behindertenrechtskonvention innerhalb der regionalen Vereine umsetzen», erklärt May, der Moderator der Gruppe. Den Mitgliedern soll mehr Teilhabe und Mitgestaltung ermöglicht werden. Denn, wie May sagt: «Sie können mehr, als viele Menschen ihnen zutrauen.» Die Teilnehmer unternehmen in der Gruppe beispielsweise Ausflüge, die sie mit punktueller Unterstützung selber organisieren. Jeder habe dabei die Möglichkeit, seine Stärken einzusetzen. Robin Zimmermann sei am Computer stark, Tamara Hofstetter ein Organisationstalent. Die geplanten Ausflüge werden jeweils bei insieme Aarau-Lenzburg in das Programm aufgenommen.

«Noch keine Gleichstellung»

Ein wichtiges Thema sind auch die Rechte von Menschen mit einer Beeinträchtigung. So waren drei Mitglieder im August im Ausschuss der UNO-Behindertenrechtskonvention, um ihre Anliegen zu vertreten. Mit diesem Thema hängt denn auch der aktuelle Ausflug zusammen: Die Gruppenmitglieder besuchen Nationalräte im Bundeshaus.

Die ursprüngliche Idee hinter dem Ausflug: Die Teilnehmer sollen die Gemeinsamkeiten bei der Mitbestimmung als Mitglied in einem Verein und als Bürger eines Staates erkennen. Beim Gespräch mit den Nationalräten sollen sie ausserdem die Möglichkeit haben, über ihre Anliegen und Probleme zu diskutieren. Doch der erste Punkt im Programm ist, den Nationalräten von der Tribüne aus zuzusehen. Während einer Stunde beobachten sie die Diskussion über Lohngleichheit – ein interessantes Gespräch für die insieme-Mitglieder, die sich selber täglich mit dem Thema Gleichberechtigung auseinandersetzen müssen. Sei es am Bahnhof, auf der Strasse oder im Berufsalltag: «Man nimmt uns einfach nicht gleich ernst wie die anderen», so Cinzia Perri.

Auch von Seite des Staates sehen die Teilnehmer Probleme. Denn: die Schweiz ist der UNO-Behindertenrechtskonvention beigetreten. Damit verpflichtet sie sich, Hindernisse für Menschen mit Beeinträchtigungen zu beheben, sie gegen Diskriminierungen zu schützen und Gleichstellung in der Gesellschaft zu fördern. «Und auch heute ist das in der Schweiz noch nicht der Fall», so Alexander May. Zu dieser Problematik hoffen die Teilnehmer auf Antworten von den Nationalräten. Verständlich, dass die Gruppe aufgeregt ist, als sie endlich von der Tribüne geholt und zum Treffen in ein Kommissionszimmer geführt wird.

Zu wenig Ergänzungsleistungen?

«Leider gibt es zurzeit politische Mehrheiten in diesem Gebäude, die lieber weniger Geld ausgeben, statt es am richtigen Ort auszugeben.» So die Meinung von SP-Nationalrat Cédric Wermuth zum Thema Ergänzungsleistungen. Kurt Stöckli, der bei «insieme inklusiv» dabei ist, ärgert sich über diese. «Wenn man selbstständig in einer Wohnung leben will und nicht im Heim, bekommt man zu wenig Geld», findet er. Dabei sei das ja günstiger. Davon, ausgiebig über sein Anliegen zu reden, kann man ihn kaum noch abbringen. «Wenn ich mal in meinem Element bin, kann mich nichts mehr stoppen», lacht er. Stöcklis Stärke ist das Diskutieren. Wichtig sei für die Gruppe gewesen, verschiedene politische Einstellungen anzutreffen.

Deshalb sind neben Wermuth noch Irène Kälin (Grüne), Beat Flach (GLP), Thierry Burkart (FDP) und Christian Lohr (CVP) dabei. Eingeladen war auch Hansjörg Knecht (SVP). Er hatte zwar zugesagt, habe aber vergessen, den Termin in die Agenda einzutragen. Deshalb kam er nicht zum Treffen. Die anwesenden Nationalräte befassten sich aber intensiv mit den Fragen der Teilnehmer.

Beeinträchtigt, nicht behindert

Pia Gysi will abstimmen und fordert ein Abstimmungsheft in einfacher Sprache – Beat Flach würde dies begrüssen, denn «auch wir verstehen die komplexe Sprache manchmal nicht». Cinzia Perri möchte vielleicht einmal heiraten und deshalb nicht auf einen Teil der Rente verzichten müssen – Kälin gibt ihr recht, denn «das Leben wird nicht günstiger, wenn man verheiratet ist». Nina Wiederkehr möchte nicht behindert genannt werden, weil sie das verletzt. Das kann besonders Christian Lohr nachvollziehen: «In über 90 Prozent aller Artikel, in denen ich vorkomme, wird erwähnt, dass ich behindert bin.» Burkart meint, dass es möglich wäre, bei Gesetzesrevisionen den Begriff durch Menschen mit Beeinträchtigung zu ersetzen. Flach fügt an: «Man darf ungeniert sagen: Ich bin nicht behindert. Ich habe eine Beeinträchtigung.» Nina Wiederkehr wiederholt: «Ich bin nicht behindert!» Neben ihr sitzt Robin Zimmermann – und nickt.

Nur Profis sollen schnüffeln dürfen

(Tages-Anzeiger)

Zwei Monate vor der Abstimmung über Observationen bei IV und Suva klärt der Bundesrat Einzelheiten: Sozialdetektive brauchen eine Bewilligung. Und ihre Namen werden veröffentlich.

Fabian Schäfer

Man kann es als vertrauensbildende Massnahme sehen. Am 25. November stimmt das Volk darüber ab, ob, wo und wie Sozialversicherungen wie die IV und die Suva verdächtige Bezüger observieren lassen dürfen. Gegen das Gesetz wurde das Referendum ergriffen. Gestern hat der Bundesrat informiert, wie er die Details in der Verordnung voraussichtlich festlegen will.

Insbesondere geht es um die Frage, wer als Detektiv in diesem heiklen Bereich tätig sein darf. Der Bundesrat schlägt vor, dass neu alle Versicherungsdetektive eine Bewilligung des Bundesamts für Sozialversicherungen benötigen. Dieses wird eine öffentlich einsehbare Liste mit allen Sozialdetektiven führen.

Eine Bewilligung erhält, wer eine Polizeischule oder eine «gleichwertige» Ausbildung, in einer Detektivschule etwa, absolviert hat. Weiter verlangt der Bundesrat zwei Jahre Berufserfahrung sowie einen Nachweis über die nötigen Rechtskenntnisse. Um die Vertrauenswürdigkeit sicherzustellen, will er nur Personen zulassen, die weder vorbestraft sind noch einen Eintrag im Betreibungs- und Konkursregister haben. Alle diese Belege müssen die Detektive regelmässig neu einreichen, denn die Bewilligung ist nur fünf Jahre gültig. Die Gebühr für die Erneuerung beträgt 700 Franken.

«Verpasste Chance»

Bisher kannte der Bund keine vergleichbaren Regeln, denen die Detektive der IV und der Suva genügen mussten. Ein Teil der Kantone hingegen hat bereits solche Vorschriften für Privatdetektive. Gemäss Isabelle Rogg vom Bundesamt für Sozialversicherungen gehen die kantonalen Regelungen aber zumindest teilweise weniger weit als die Anforderungen, die der Bundesrat plant. Vor allem das Kriterium der Polizeiausbildung sei relativ anspruchsvoll, sagt Rogg. «Damit kommt klar zum Ausdruck, dass in diesem Bereich nur Personen mit Erfahrung und einer adäquaten Ausbildung arbeiten dürfen.»

Allerdings gibt es auch Kantone, die höhere Hürden vorsehen. So müssen die Berner Sozialinspektoren, die im Bereich der Sozialhilfe tätig sind, eine Ausbildung auf Tertiärstufe haben, also an einer Hochschule oder einer höheren Fachschule.Interessant wäre, wie die Versicherungen die bundesrätlichen Pläne beurteilen, doch sie halten sich bedeckt. Die Suva teilt mit, es sei zu früh für eine Stellungnahme. Der Versicherungsverband hält generell fest, schon heute seien auf diesem Gebiet «etliche Personen» mit Polizeiausbildung tätig. Die Gegner des Gesetzes wiederum haben bereits eine glasklare Haltung: «Die Verordnung schränkt die Willkür nicht ein», sagt Dimitri Rougy vom Referendumskomitee. Der Mitglied des Referendumskomitees Bundesrat habe eine grosse Chance verpasst, das Gesetz bleibe ein Freipass für die Versicherungen: Weder bei den Orten, an denen überwacht werden darf, noch bei den technischen Geräten gebe es zusätzliche Schranken. Das sei enttäuschend.

Mehr Rechte für Versicherte

Aus Sicht des Bundes hingegen ist es ein Fortschritt für die Versicherten, wenn die Anforderungen an die Sozialdetektive einheitlich und klar geregelt sind. Der Bund sieht noch in einem zweiten Punkt eine Besserstellung für die potenziell Betroffenen: Neu werden diese in jedem Fall informiert, wenn sie beobachtet worden sind – auch dann, wenn sich der Verdacht nicht erhärten liess. Bisher mussten die Versicherungen in diesen Fällen nicht informieren. Auch zu diesem Punkt legt der Verordnungsentwurf die Details fest. Insbesondere müssten die Versicherungen den unnötigerweise Überwachten Einsicht in das vollständige Observationsmaterial geben und ihnen auch Kopien aushändigen. Die Versicherten können danach selber entscheiden, ob das Material vernichtet oder – da es ihre Position stärkt – aufbewahrt wird.

Das neue Gesetz ist nötig, weil der Gerichtshof für Menschenrechte 2016 befand, die Schweiz habe hier keine genügende Rechtsgrundlage. Zurzeit führen IV und Suva keine Observationen mehr durch.

 

Nur im Garten? Oder auch in der Stube?

Observationen Die grosse Streitfrage hat der Bundesrat nicht geklärt: Wo überall dürfen die Detektive der IV oder der Suva aktiv werden? Im gestern veröffentlichten Verordnungsentwurf ist dazu nichts zu lesen, obwohl eine Klärung vor dem Abstimmungskampf nützlich wäre. Zur Begründung verweist das Bundesamt für Sozialversicherungen auf den Gesetzestext, der vorgebe, welche Details in der Verordnung zu regeln seien. Die Frage des Überwachungsperimeters gehöre nicht dazu.

Somit wird der Disput um die Auslegung der Vorlage andauern. Zentrale Frage: Dürfen Sozialdetektive mit diesem Gesetz mehr als die Polizei? Ja, sagen mehrere Rechtsprofessoren. Sie verweisen auf eine auffällige Differenz zwischen dem neuen Gesetz und der Strafprozessordnung: Diese erlaubt Observationen nur «an allgemein zugänglichen Orten». Sozialdetektive hingegen dürften auch an Orten überwachen, die «von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar» sind. Damit steht für die Kritiker fest, dass Detektive etwa in eine Stube filmen könnten, die von der Strasse aus einsehbar ist. Zudem sei das Gesetz so knapp und unpräzis formuliert, dass es auch den Einsatz von Richtmikrofonen, Teleobjektiven oder Drohnen erlaube.

Bundesrat und Parlament hingegen haben stets argumentiert, das Ziel sei eine analoge Regelung zur Strafprozessordnung. Warum haben sie dann diese auffällige räumliche Erweiterung hinzugefügt? Dies begründen die Bundesjuristen mit einem Bundesgerichtsurteil, das sie so auslegen, dass auch die Polizei private Orte überwachen darf, die vom öffentlichen Raum aus einsehbar sind. Folglich seien beide Regelungen in der Wirkung gleichwertig. Observationen im Garten oder auf einem Balkon seien möglich, nicht aber im Innern eines Hauses. Erlaubt seien nur übliche Kameras und Mikrofone. Offen bleibt, warum das Parlament all dies nicht präziser geregelt hat, um die Angriffsflächen zu verkleinern. (fab)

«Angriff auf die Grundrechte»

(Walliser Bote)

Die Gegner des Gesetzes zur Überwachung von Sozialversicherten haben am Montag in Luzern ihre Abstimmungskampagne gestartet. Mit dem Referendum kämpfen sie gegen die «willkürliche Überwachung». Als Ort des Geschehens wählte das Komitee den Platz vor dem CSS-Hauptsitz.

«Wollen wir eine Welt, in der man nicht mehr krank sein darf, ohne dass man damit rechnen muss, von einem Detektiv überwacht zu werden? Wo eine Drohne vor dem Fenster schwebt?» Die Frage stellte der Zürcher Anwalt Philip Stolkin am Montagmorgen vor dem Hauptsitz der CSS Krankenkasse in Luzern zum Auftakt der Abstimmungskampagne gegen das «Sozialdetektiv-Gesetz».

Unter Generalverdacht

Mit dem Gesetz sei jeder ein potenzieller Betrüger und jeder, der Leistungen von Sozialversicherungen beziehe, werde unter Generalverdacht gestellt, sagte Stolkin. «Wir werden mit Herz, Seele und Verstand dafür einstehen, dass möglichst alle die rechtsstaatlichen Bedenken mindestens zur Kenntnis zu nehmen.» Das Komitee setzte sich zum Ziel, bis zur Abstimmung am 25. November eine Million Gespräche zu führen.

Zum Kampagnenstart reiste auch SP-Nationalrätin Silvia Schenker (BS) nach Luzern. Hautnah habe sie miterlebt, wie die Versicherungen Einfluss genommen hätten auf diese Gesetzgebung, sagte sie. Die Versicherungslobby habe massives Interesse an diesem Paragrafen. Schenker: «Wir werden sie mit dieser Abstimmung aber stoppen.» Co-Kampagnenleiter Dimitri Rougy nannte das Gesetz «einen Angriff auf die Grundrechte, den wir nicht einfach so akzeptieren». Die Versicherungslobby könne Millionen Franken in den Abstimmungskampf investieren. «Die haben wir nicht. Aber wir haben eine Bewegung», sagte Rougy. Hinter den drei Referenten hielten gegen zwei Dutzend Personen Plakate mit durchgestrichenen Fotokameras, Schlüssellöchern und Videokameras in die Höhe.

Ungewollt Gastgeberin

Dass das Referendumskomitee den Ort der Medienkonferenz vor dem CSS-Hauptsitz gewählt habe, könne man als Provokation sehen, sagte Rougy im Vorfeld gegenüber Keystone-SDA. Die Veranstaltung sei aber bewilligt, Polizei und CSS seien kontaktiert worden.

Die Versicherung liess denn auch mitteilen, sie fungiere ungewollt als Gastgeberin für den Anlass. Die CSS sei aber die falsche Zielscheibe der Gegner des Observationsgesetzes, denn der Heilkostenbereich, der den absolut grössten Teil ihres Geschäfts ausmache, sei gar nicht betroffen. Der Parlamentsentscheid sei für die Kasse aber nachvollziehbar.

Unterschriften innert Kürze

Lanciert wurde das Referendum von einer Bürgerinnen- und Bürgergruppierung um die Autorin Sibylle Berg – einer «parteiunabhängigen Bewegung von 25 000 Personen», die innert 62 Tagen über 75 0000 Unterschriften sammelte, wie das Komitee in einer Medienmitteilung schreibt. Die Abstimmungskampagne wollen die Verantwortlichen dezentral führen.

Das «Sozialdetektiv-Gesetz» war vom Parlament in der Frühjahrssession verabschiedet worden war. Es ermöglicht Sozialversicherungen, Versicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Die Regeln gelten für die Invalidenversicherung (IV), die Unfall-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung.

Die Gegner kritisieren unter anderem den «Schlüsselloch»-Paragrafen, der die Überwachung von frei einsehbaren Privaträumen erlaube. Zudem könnten die Widerstand.


Der Kampf gegen das «Sozialdetektiv-Gesetz» läuft.FOTO KEYSTONE

 

Versicherungen selber entscheiden, wer durch Privatdetektive beschattet werde. Das gebe ihnen mehr Rechte, als die Polizei sie habe.sda

Ein Freudenfest für Behinderte und Nichtbehinderte

(fricktal24.ch)

Von: Hans Berger

Die Aargauer Meisterschaft im Behindertensport vom vergangenen Samstag in Frick verdeutlichte es eindrücklich: Erst wenn das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung alltäglich geworden ist, kann es auch auf gesellschaftlicher Ebene funktionieren. Der Weg dorthin ist allerdings noch weit, doch der Sporttag offenbarte, dass ein Miteinander auf gleicher Augenhöhe möglich ist. Aber nicht nur deshalb war die Aargauer Meisterschaft ein Freudentag, sondern auch, weil die ungebremste Freude der Athletinnen und Athleten die Strahlkraft der Sonne beinah übertraf.


Aargauer Meisterschaft im Behindertensport in Frick

 

Inklusion ist eben mehr als nur die Umsetzung des Zusammenlebens von behinderten und nichtbehinderten Menschen. Mehr als nur ein Gesetz. Mehr als nur ein neues Fremdwort. Inklusion macht offensichtlich Spass, wie an der Aargauer Meisterschaft im Behindertensport in Frick zweifelsfrei festzustellen war, wo sich rund 160 BehindertensportlerInnen und hundert freiwillige HelferInnen barrierefrei begegneten.

Wider dem Fricker Geist
Der Grundstein zur UNO-Menschenrechtskonvention wurde bereits 1948 gelegt, die UN-Behindertenrechtskonvention aber erst am 3. Mai 2008 in Kraft gesetzt und von der Schweiz gar erst am 15. Mai 2014. Dies obwohl schon 1960 Paralympische Spiele instituiert wurden.

in diesem Zusammenhang ist eine im Jahr 2016 von der Behinderten-Organisation Pro Infirmis publizierte Studie, die besagt, dass die Bevölkerung die Situation von Menschen mit Behinderung in der Schweiz eher kritisch sieht. 55 % der Befragten denken, dass in der Schweiz zu wenig Rücksicht auf Menschen mit Behinderung genommen wird. Obwohl die Bundesverfassung Diskriminierung von Menschen mit Behinderung verbietet, findet fast die Hälfte der Befragten, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung sei ziemlich bis sehr verbreitet. Die stärkste Diskriminierung erfahren nach Einschätzung der befragten Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung.

Teamplayer
Die Situation auf der Sportanlage Ebnet in Frick war demnach geradezu paradiesisch. Hier wurde dem Geist der Paralympischen Spiele nachgelebt und wie dort galt die Devise „Dabeisein ist alles“.

Die Teams aus Aarau, Brugg, Reinach, Wettingen, Wohlen-Lenzburg, Zofingen, Zurzach und dem Fricktal schienen dann auch keine Konkurrenten zu sein als vielmehr Partner eines vergnüglichen Anlasses, was aber die dem Motto der drei Musketiere „Einer für alle, alle für einen“ nachstrebenden TeilnehmerInnen dennoch nicht davon abhielt, ihr Bestes zu Gunsten ihrer Crew zu geben. Der Sieg, so der Eindruck, war eher sekundär. Dennoch ging niemand leer aus, weil am Schluss alle TeilnehmerInnen eine vom Gewerbe Region Frick-Laufenburg gesponserte Medaille bekamen.

Eine Genügsamkeit, die den Nichtbehinderten als Vorbild dienen kann, da auf der Sportanlage Ebnet in Frick ausschliesslich echte „Teamplayer“ agierten, egal, ob nun beim morgendlichen Streetball, Korbball, Kugelstossen, Ballweitwurf, Medizinballstossen, Speerwerfen sowie Hoch- und Weitsprung oder am Nachmittag beim Dinosaurier-Gruppenwettkampf.

Zuversicht
Vor allem Personen mit schweren Behinderungen sind heute oft gezwungen, in einer Institution zu leben, da sie ihre Betreuung in einer eigenen Wohnung nicht finanzieren können. Ihr Recht auf Selbstbestimmung ist damit eingeschränkt.

Die vorgängig erwähnte Studie von Pro Infirmis zeigt, dass eine klare Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich einverstanden ist, dass Menschen mit Behinderung ihre Wohnform selber wählen. Umgekehrt lehnt eine Mehrheit die Aussage ab, dass Menschen mit Behinderung am besten im Behindertenheim aufgehoben seien. Eines Tages könnte demnach die Inklusion zum Alltag gehören.

Die Aargauer Meisterschaft im Behindertensport hat bewiesen, dass mit gutem Willen diese Vorstellung nicht utopisch ist. Zugegeben – recht krass formuliert ist dies allerdings erst dann der Fall, wenn das Wort Behinderung keine Abgrenzung mehr ist und die Meinung vorherrscht: „Es gibt nur Menschen, die mehr oder weniger behindert sind“.

Mehr Geld für die Miete

(St. Galler Tagblatt)

Ergänzungsleistungen Seit 2016 gibt es im Kanton St. Gallen keine ausserordentlichen Ergänzungsleistungen mehr, mit denen höhere Mietkosten ausgeglichen wurden. Nach vielen Verzögerungen könnte nun die Lösung kommen.

Mit ausserordentlichen Ergänzungsleistungen wurden im Kanton St. Gallen Senioren und Behinderte unterstützt, die höhere Mieten bezahlen mussten, als eine Bundesregelung abdeckt, die seit 2000 nicht mehr angepasst worden war. Seither waren die Mietzinsen im Durchschnitt um rund 20 Prozent angestiegen.

St. Gallen gehörte zu den insgesamt sechs Kantonen, die aus eigenem Antrieb auf das Problem reagiert hatten: Statt Mieten bis zu 1100 Franken wie der Bund deckte der Kanton über ausserordentliche Ergänzungsleistungen Mietkosten bis 1467 Franken ab. 2013 wurden diese Leistungen aber vom St. Galler Kantonsrat im Rahmen eines Entlastungspakets gestrichen. Das Argument lautete damals, der Bund plane eine Anpassung der anrechenbaren Mietkosten, die St. Galler Lösung brauche es bald nicht mehr.

Die Massnahme war heftig umstritten. Mit einigen Anpassungen gelang es Regierung und Kantonsrat, die Behindertenverbände von einem Referendum abzuhalten. Die Behindertenverbände kritisierten dabei zwar eine Ungleichbehandlung zwischen den Senioren und Behinderten mit Besitzstandwahrung und denjenigen, die künftig ohne diese Zusatzleistung auskommen mussten, verzichteten aber auf weiteren Widerstand. Schon bald zeigte es sich, dass es bei der Bundeslösung zu Verzögerungen kommt. 2015 reichte die SP-Grüne-Fraktion im St. Galler Kantonsrat eine Motion ein und forderte darin einen Verzicht auf die Sparmassnahme, «bis die anrechenbaren Mietzinsmaxima vom Bund erhöht werden».

Die Regierung und die Mehrheit des Kantonsrats winkten ab. Die Massnahme treffe wirklich niemanden mehr überraschend, sagte Regierungsrat Martin Klöti (FDP) 2016. Man könne sich darauf einstellen. Es stimme zwar, dass der Bund mit seiner Lösung auf sich warten lasse, sie sei aber in Aussicht gestellt. In Bern wurde allerdings weiter um die Revision der Ergänzungsleistungen gestritten. «Es dauerte sehr lange», sagte Peter Hüberli, der damals die Behindertenverbände als Sprecher vertrat.

Einigung zwischen den Räten

Ob es mit der Wartezeit wirklich vorbei ist, steht allerdings noch nicht fest. Am Dienstag hat sich nun aber der Nationalrat in der Differenzbereinigung der Revision der Ergänzungsleistungen mit Anpassungen bei den anrechenbaren Mietkosten einverstanden erklärt. Nach dem vom Ständerat unterstützten Vorschlag des Bundesrats würden bei den Ergänzungsleistungen die Mietkosten für Alleinstehende in der Stadt künftig bis zu 1370 Franken ausgeglichen. Für Agglomerationen würde der Satz von 1325 Franken und auf dem Land von 1210 Franken gelten. Damit könnten 86 Prozent der EL-Bezüger ihre Miete decken, hiess es in der Botschaft. Die Beträge lägen tiefer als jene der früheren ausserordentlichen Ergän- zungsleistungen des Kantons, stellt Hüberli fest. Noch immer könne die Vorlage scheitern, falls sich die Räte in anderen Punkten nicht einig würden. Kommt die Vorlage durch, rechnet er damit, dass die neuen maximal anrechenbaren Mietzinskosten ab 2019 oder 2020 gelten. (sda)

Einigung bei Knackpunkt der EL-Reform

(Neue Zürcher Zeitung)

Die Beiträge an die Mietzinsen von Bezügern von Ergänzungsleistungen sollen wesentlich erhöht werden. Der Nationalrat schwenkt auf die Linie des Ständerats ein. Doch es bleiben gewichtige Differenzen.For. Bern Dass es so nicht mehr weitergehen kann mit den Ergänzungsleistungen (EL), ist in beiden Kammern unbestritten. Die Ausgaben der Sozialversicherung haben sich seit 2000 verdoppelt. Gründe dafür sind die Zunahme der Bezüger aufgrund der Alterung der Bevölkerung und Reformen wie die 5. IV-Revision. IV-Rentner, denen infolge dieser Revision die Leistungen gekürzt wurden, sind seither teilweise auf EL angewiesen. Bund und Kantone richten an jene Menschen EL aus, bei denen die IV- oder AHV-Rente nicht zur Existenzsicherung ausreicht.

Der Nationalrat möchte die Ausgaben der EL stärker drosseln als der Ständerat. Die Beschlüsse der grossen Kammer würden zu Minderausgaben von rund 330 Millionen Franken für Bund und Kantone im Jahr 2030 führen. Demgegenüber will der Ständerat rund 180 Millionen einsparen. Dieser Unterschied bleibt nach der ersten Runde der Differenzbereinigung bestehen.

Freisinnige gaben Ausschlag

In einem wichtigen Punkt der Reform ist der Nationalrat am Montag auf die Linie des Ständerats eingeschwenkt. Ursprünglich wollte die grosse Kammer jene Beträge, welche EL-Bezüger an ihre Wohnungsmieten anrechnen dürfen, lediglich um monatlich 100 Franken erhöhen. Das heute gültige Maximum für Alleinstehende beträgt 1100 Franken pro Monat. SVP und FDP hielten an ihrer Position fest. Mit den Ansätzen des Ständerats könnte sich eine vierköpfige Familie, die eine IV-Rente und EL bezieht, künftig in Städten wie Bern oder Basel eine Miete von bis zu 2156 Franken vergüten lassen, sagte FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti. Dies sei monatlich rund 1000 Franken mehr als heute. Linke und CVP wandten dagegen ein, das Mietzinsmaximum sei seit 2000 nicht mehr erhöht worden und decke deshalb nicht mehr die vom Bundesrat anvisierten 90 Prozent der Mietkosten. Derzeit beträgt der Deckungsbeitrag an die Miete für Alleinstehende 68 Prozent.Bei den Familien liegt er laut Bundesverwaltung bei 30 bis 50 Prozent, je nach Zahl der Kinder. Vier Enthaltungen und drei Ja-Stimmen bei der FDP gaben schliesslich den Ausschlag, dass sich der Antrag der CVP mit der Unterstützung von links knapp mit 99 zu 91 Stimmen durchsetzte. Damit können neu rund 86 Prozent der EL-Bezüger ihre Mietkosten decken.

Die nun von beiden Räten beschlossene Variante führt zu Mehrkosten von jährlich 200 Millionen Franken. Ursprünglich sah der Nationalrat Mehrausgaben von 90 Millionen Franken vor.

Keine Leistungen bei Vermögen

In zahlreichen Punkten sind sich die beiden Kammern indes noch nicht einig geworden. So will der Nationalrat die Ansätze für Kinder bis 11 Jahre von 840 auf 590 Franken pro Monat senken. Der Ständerat will bei den heutigen Ansätzen bleiben. Ein Kompromissantrag der CVP scheiterte knapp mit 99 zu 91 Stimmen. Der Nationalrat hält daran fest, keine EL zu gewähren, wenn jemand über 100 000 Franken Vermögen hat.Zudem will die grosse Kammer den EL-Anspruch um 10 Prozent kürzen, falls das aus der zweiten Säule bezogene Kapital vorzeitig verbraucht worden ist.

Für eine bessere Anerkennung der Angehörigenbetreuung

(redcross.ch)

Die Anfang dieses Jahres neu gegründete «Nationale Interessengemeinschaft für betreuende und pflegende Angehörige» weist mit Nachdruck auf die Bedeutung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung hin. Zu den fünf Gründungsmitgliedern gehört auch das SRK.


1,9 Milionen Menschen in der Schweiz unterstützen, betreuen und begleiten täglich ein Kind oder eine erwahsene Person.

 

Die Mitglieder der Interessengemeinschaft für betreuende und pflegende Angehörige (IG-Betr. Angehörige) sind in ihrer täglichen Arbeit mit den Herausforderungen der Angehörigenbetreuung und -pflege konfrontiert und unterstreichen die Notwendigkeit einer starken Positionierung im Hinblick auf die bis zum 16. November laufende Vernehmlassung. Insgesamt befürworten die Mitglieder der IG-Betr. Angehörige die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen, beurteilen sie aber als unzureichend.

Freiwillig betreuen und pflegen
Wenn eine schwere Krankheit oder eine Behinderung nahestehende Personen trifft, sind die Angehörigen der betroffenen Person an vorderster Front gefordert. Dies sind die betreuenden und pflegenden Angehörigen, ohne die unsere Gesellschaft nicht überlebensfähig wäre. Die Angehörigen von Personen, die an einer schweren oder chronischen Krankheit oder an einer Behinderung leiden, sehen sich in der Pflicht, die Betroffenen zu begleiten und mitunter auch zu pflegen. Sie tun dies freiwillig, setzen dabei aber oftmals ihr eigenes inneres Gleichgewicht und ihre Gesundheit aufs Spiel.

Zahl der betreuenden Angehörigen nimmt weiter zu
Insgesamt 1,9 Millionen Menschen in der Schweiz – oder 35% der ständigen Wohnbevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren – unterstützen, betreuen und begleiten täglich ein Kind oder eine erwachsene Person. Ihre Zahl dürfte aufgrund der Alterung der Bevölkerung in Zukunft weiter ansteigen.

Für die fünf Gründungsmitglieder der IG-Betr. Angehörige stehen wir bei der Bewältigung dieser Herausforderung noch ganz am Anfang, und weitere Massnahmen auf Bundesebene sind zwingend erforderlich.

– Die IG begrüsst das Engagement des Bundesrates und seine Absicht, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit (Betreuung und Pflege) der betreuenden und pflegenden Angehörigen zu unterstützen, und befürwortet die vorgeschlagenen Massnahmen;
– Die IG wünscht, dass die Betreuerinnen und Betreuer von behinderten Personen bei den beiden Urlaubsarten nicht ausgeschlossen werden, und verlangt, dass andere alltägliche Situationen im Massnahmenpaket des Bundes besser berücksichtigt werden;
– Die IG wird auf die Lücken in diesem ersten Massnahmenpaket hinweisen, insbesondere auf das Fehlen eines Erholungsurlaubs für alle betreuenden und pflegenden Angehörigen sowie von Betreuungszulagen; diese Lücken sind Gegenstand von zwei parlamentarischen Initiativen, die vom Parlament überwiesen wurden.

Weiterführende Informationen

– Dossier IG betreuende und pflegende Angehörige (pdf)
– Vernehmlassungseröffnung: Eidgenössisches Departement des Innern

Eine Sparübung, die ins Geld geht

(Blick)

Der Nationalrat will die Ergänzungsleistungen zusammenstreichen Doch Gegner warnen, dass die Rechnung teurer statt billiger wird.

Zum Auftakt der Herbstsession geht es im Nationalrat heute um die Schwächsten: Behinderte, Waisen, IV-Bezüger und deren Kinder sowie Rentner und Ehepartner, die nur die AHV zum Leben haben. Sie alle können Ergänzungsleistungen (EL) beziehen. Geld, um ihnen ein Leben auf dem Existenzminimum zu garantieren.

Weil die EL-Ausgaben in den letzten Jahren gestiegen sind, soll das System nun reformiert werden. Die Stossrichtung der Reform hat die bürgerliche Mehrheit der vorberatenden Kommission vorgegeben: Der Kostenanstieg bei der EL soll gestoppt werden.

FDP-Fraktionschef Beat Walti (49) kündigt an: «Die FDP wird im Rat dafür einstehen, dass das starke Ausgabenwachstum gebremst wird», so der Zürcher. «Denn anders, als die Linken behaupten, werden die Ergänzungsleistungen nicht abgebaut, im Gegenteil: Ziel der Übung ist, dass deren Zuwachs in vertretbaren Grenzen gehalten wird.» Doch genau diese Grenzen bringen die Betroffenen selbst zum Verzweifeln:Sie pochen wie Ständerat und Bundesrat auf die Erhöhung der Mietzinsmaxima und wehren sich gegen die Kürzung von Kinderrenten.

An vorderster Front opponiert Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen, gegen die Pläne. «Die Politiker schiessen sich ins eigene Bein. Sie sparen zwar mit dieser Reform viel Geld», sagt Sprecher Marc Moser. «Aber auf lange Sicht wird es mit einzelnen Punkten lohnen- der, Ergänzungsleistungen zu beziehen als zu arbeiten. Und im Extremfall sorgt man sogar dafür, dass die Zahl der Betrüger steigt.» Denn mit der Sparvorlage würden Ehepartner von EL-Bezügern «bestraft, wenn sie arbeiten wollen», sagt Moser. Und zwar deshalb: Bei verheirateten Personen werden bei der Berechnung, ob und wie viel EL jemand bekommt, die Ausgaben und Einnahmen beider Partner berücksichtigt.

Heute fliesst das Einkommen des Ehegatten, der nicht selber eine Rente bezieht, zu zwei Dritteln ein. Der Ständerat beschloss eine 80-prozentige Anrechnung. Die vorberatende Kommission des Nationalrats Heute debattiert schlägt wie der Bundesrat der Nationalrat über vor, dass das Einkommen von die Reformder arbeitenden Ehegatten zu 100 Erganzungsleistungen Prozent angerechnet werden soll.

«Das ist kontraproduktiv», kritisiert Moser. «Für den Ehepartner ergibt sich daraus ein negativer Anreiz zu arbeiten. Das Paar oder die Familie hätte unter dem Strich weniger Geld zur Verfügung, wenn der Ehepartner arbeitet, als wenn er das nicht tut», sagt er. Der Grund: Einkommen müssen versteuert werden, Ergänzungsleistungen aber nicht. «Somit torpediert die Kommissionsmehrheit mit diesem Vorschlag ihre eigenen Sparbemühungen», so Moser.


Marc Moser, Inclusion Handicap / Beat Walti, FDP-Fraktionschef

 


Heute debattiert der Nationalrat über die Reform der Ergänzungsleistungen

 

Beispiel: Bei Familie Müller arbeitet der Mann 100 Prozent, seine 50-jährige Frau 40 Prozent. Sie haben drei Kinder im Alter von 11, 13 und 15 Jahren. Wegen einer Krebserkrankung verliert Herr Müller seine Arbeit, später erhält er eine IV-Rente und EL. Frau Müller pflegt ihren Mann zu Hause, zusätzlich zu externer Unterstützung. Mit der Reform wird jeder Franken, den Frau Müller verdient, ihrem Mann bei der EL abgezogen. Auf den Lohn muss sie.

Streit um Mietzins-Maxima

Bern – Sie sind der grosse Zankapfel bei der Reform der Ergänzungsleistungen (EL): die Mietzinsmaxima. Für EL-Bezüger, deren Bruttomiete höher ist als die anrechenbaren Maximalbeiträge von 1100 Franken für Alleinstehende und 1250 Franken für Ehepaare, funktioniert die Existenzsicherung durch die EL nicht. «Sie müssen sich ihre Miete vom Mund absparen», so Inclusion-Handicap-Sprecher Marc Moser. «EL-Beziehende werden damit in die Armut getrieben.» Der Ständerat will deshalb die anrechenbaren Maximalbeträge erhöhen, die SozialSteuern zahlen. «Gibt sie deswegen den Job auf, wird sie nach einigen Jahren grosse Mühe haben, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Ihr Risiko, später selber EL zu beziehen, steigt deutlich an», warnt Moser.

Daneben kritisiert Pro Handicap einen weiteren Punkt der Vorlage. Nach Ansicht der Organisation werden künftig Leute bestraft, die sich ihre Pensionskasse haben auszahlen lassen.Denn die Kommission empfiehlt, in solchen Fällen diekommission des Nationalrats (SGK) ist nur für minimale Erhöhungen – die nicht ausreichen:Vom Vorschlag des Nationalrats würden rund 11000 Haushalte profitieren, rechnet die Al Katja Richard tersorganisation Pro Senectute vor. «Bei rund 31000 Haushalten wären die Mieten nach wie vor höher als die gesetzlichen Mietzinsmaxima.» Zudem sollen die Kantone weiter kürzen dürfen. «So würden die Maxima in den Städten mit1080 Franken für Alleinstehende sogar tiefer zu liegen kommen als vor der Revision», warnt Pro Senectute.

Ergänzungsleistungen um zehn Prozent zu kürzen.

«Dabei wird ausgeblendet, wie hoch das bezogene Pensionskassenguthaben war oder wie sparsam die Person mit dem Geld umgegangen ist», so Moser. So würden einer 82-jährigen Frau die EL gekürzt, obwohl sie 45 Jahre Beiträge bezahlt und monatlich lediglich 500 Franken Pensionskassenguthaben verbraucht hat.«Dies ist ein absurder Vorschlag!», empört sich Moser. Cinzia Venafro

Die IV ist nicht über den Berg

(Neue Zürcher Zeitung)

Das Sozialwerk hätte 2017 ohne Zusatzgelder tiefrote Zahlen geschrieben – die Prognosen zum Schuldenabbau waren zu optimistisch.

TOBIAS GAFAFER

Die Entschuldung der IV hat sich wiederholt verzögert. Dennoch sieht der Bund die Sanierung auf Kurs. Bürgerliche Sozialpolitiker werfen Innenminister Alain Berset Schönfärberei vor. Um die Invalidenversicherung ist es ruhiger geworden. Die 2009 vom Volk angenommene Finanzspritze von jährlich über einer Milliarde Franken hat dem hochverschuldeten Sozialwerk Luft verschafft. Bundesrat Alain Berset sieht die Finanzen im Lot. Auf den ersten Blick ist dies tatsächlich der Fall: 2017 erzielte die IV laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein positives Umlageergebnis von 797 Millionen Franken. Zudem konnte sie ihre Schulden um rund eine Milliarde abbauen. Auf den zweiten Blick aber zeigt sich: Das positive Ergebnis kam lediglich zustande, weil der Bund nochmals Geld in die Sozialversicherung pumpte und die Schuldzinsen übernahm. Sonst hätte ein strukturelles Defizit von rund 380 Millionen Franken resultiert. Wie die IV dieses im laufenden und im nächsten Jahr beseitigen soll, bleibt fraglich. Zumal die Zusatzfinanzierung über die um 0,4 Prozentpunkte erhöhte Mehrwertsteuer 2017 ausgelaufen ist.

Vor allem aber schiebt das marode Sozialwerk immer noch einen Schuldenberg von 10 Milliarden Franken bei der AHV vor sich her. Der Bundesrat wollte diesen ursprünglich bis 2024 abbauen, als er 2005 die 5. IV-Revision und die Zusatzfinanzierung verabschiedete. Die Annahme beruhte auf einer unbefristeten Mehrwertsteuererhöhung um 0,8 Prozentpunkte, was dem Parlament zu weit ging. Seither wurde das Ziel mehrfach hinausgeschoben. Mit der IV-Revision 6b, die auch Sparmassnahmen umfasste, plante die Regierung eine Entschuldung bis zum Jahr 2025. Doch der Nationalrat versenkte das Massnahmenpaket unter der Ägide von Alain Berset. Der Sozialdemokrat erklärte die Kürzungen, die noch sein Vorgänger Didier Burkhalter (fdp.) aufgegleist hatte, kurzerhand für überflüssig.

In den Unterlagen zur Weiterentwicklung der IV, die im Parlament hängig ist, hiess es dann, die Schulden würden bis im Jahr 2028 getilgt. Auch dies erwies sich als zu optimistisch. Gemäss den aktuellsten Projektionen soll das Sozialwerk nun bis im Jahr 2031 schuldenfrei sein. Die Finanzperspektiven des BSV gehen jedoch davon aus, dass im Durchschnitt jährlich netto 60 000 Personen zuziehen (Einwanderer minus Auswanderer). Für die IV war es denn auch eine schlechte Nachricht, dass 2017 weniger Zuwanderer als erwartet kamen. Auch 2018 bestätigte sich der Trend bis anhin. Beobachter rechnen nicht mit einer raschen Wende.

Sparmassnahmen wieder Thema

Sozialpolitiker sind denn auch besorgt. Der Abbau der Schulden der Sozialversicherung habe sich verlangsamt, sagt Nationalrat Bruno Pezzatti (fdp., Zug). «Alain Berset hat die Tendenz, die Entwicklung schönzureden.» Die zu optimistischen Prognosen mahnten zur Vorsicht. Vor diesem Hintergrund wollen die Bürgerlichen die Sparmassnahmen, die mit der gescheiterten Reform 6b geplant waren, bei der Weiterentwicklung der IV wieder aufnehmen. Auch der Arbeitgeberverband macht Druck: Indem die vollständige Tilgung der Schulden schleichend aufgeschoben werde, vergrössere sich das Problem der AHV, sagt Fr6d6ric Pittet, stellvertretender Leiter Sozial politik. In der Tat wächst die Finanzirungslücke der ersten Säule bereits wegen der demografischen Entwicklung und mangels Reformen. «Der Schuldenabbau bei der IV muss zwingend bis spätestens 2030 vollzogen sein, wie es auch dem Volk versprochen worden ist», sagt Pittet. Ohne die Entlastungsmassnahmen bei den Kinderrenten und Reisekosten gehe dies nicht.

Das BSV spielt den Ball zurück ans Parlament. Dieses habe die vorgeschlagenen Sparmassnahmen abgelehnt und müsse entscheiden, ob es sie wieder aufnehmen wolle, sagt Sprecher Rolf Camenzind. Zwar könnten diverse Beschlüsse, darunter die Aufnahme neuer Geburtsgebrechen und das Stabilisierungsprogramm, die Entschuldung leicht verzögern. Die Sanierung der IV bleibe aber auf Kurs. Tatsächlich hat die Zahl der Neurentner nach dem «Spitzenjahr» 2003 dank einer Reihe von Reformen stark abgenommen – wenngleich sie in Zürich und anderswo jüngst wieder angestiegen ist. Auch das strukturelle Defizit, das 2011 eine Milliarde Franken betrug, ging in den vergangenen Jahren zumindest zurück. Zudem soll die Zahl der IV-Rentner mit der Weiterentwicklung sinken.

Laut dem BSV steigen die Einnahmen stärker als die Ausgaben, womit sich die IV in Zukunft aus eigener Kraft finanzieren könne. Die tiefere Nettomigration habe auf die Entschuldung nur einen geringen Einfluss. Setzt sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren aber fort, wären die Folgen für alle umlagefinanzierten Sozialversicherungen gross, wie Alain Berset in einem Interview mit der NZZ sagte. Denn die IV ist stark über Lohnbeiträge finanziert.

Behindertenverbände warnen

Die Behindertenverbände argumentieren, man habe bei der IV bereits genug gespart – und warnen vor neuen Kürzungen. «Die Zitrone ist ausgepresst», sagt Marc Moser von Inclusion Handicap. Der Zugang zu den Leistungen sei in den letzten Jahren stark erschwert worden, die Praxis habe sich massiv verschärft. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass die Sanierung nicht auf gutem Weg sei.

Ob dies auch das Parlament so sieht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die nationalrätliche Sozialkommission entscheidet, ob sie Sparvorschläge in die Weiterentwicklung der IV aufnehmen will. Grundsätzlich bestreiten deren Stossrichtung trotz Differenzen weder die Behindertenverbände noch die Bürgerlichen und die Arbeitgeber. Die Vorlage soll die Arbeitsintegration von jungen Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen und von Psychischkranken verbessern. Doch die Aufnahme von Sparmassnahmen könnte das Risiko erhöhen, dass im Parlament erneut die ganze Reform scheitert.


Hochverschuldete IV

 


Nicht nur wer im Rollstuhl sitzt, ist handicapiert, sondern auch die IV ist es.
ADRIAN BAER / NZZ