Die Hälfte der Eingliederungsmassnahmen geht an Minderjährige

(SozialversicherungAktuell)

Im Jahr 2017 bezogen 432 000 Personen Leistungen der Invalidenversicherung (IV) – 2000 weniger als im Vorjahr. Dies in Form von Eingliederungsmassnahmen, Renten oder Hilflosenentschädigungen. Von den 403 000 Leistungsbeziehenden in der Schweiz nahmen 54 Prozent (219000 Versicherte) eine Rente und so Prozent (203 000 Versicherte) eine Eingliederungsmassnahme in Anspruch; es kam teilweise zu Überlappungen. Prozent (45 000 Versicherte) bezogen eine Hilflosenentschädigung.

Im Berichtsjahr wurden insgesamt IV-Leistungen im Betrag von 9.2 Mrd. Franken bezogen. Davon entfielen 5.5 Mrd. Franken auf Renten, 0.6 Mrd. auf Taggelder und 0.5 Mrd. auf Hilflosenentschädigungen.

Die Eingliederungsmassnahmen inklusive Hilfsmittel schlugen mit 1.8 Mrd. Franken zu Buche.

Den Ausgaben stehen Einnahmen von 10 Mrd. Franken gegenüber, woraus ein Umlageergebnis von 0.8 Mrd. resultiert. Im Betriebsergebnis von 1.1 Mrd. Franken ist auch der Kapitalertrag des IV-Fonds (5 Mrd. Franken) enthalten. Die Schuld der IV gegenüber dem AHV-Ausgleichsfonds belief sich Ende 2017 noch auf 10.3 Mrd. Franken.

Von einer nachhaltigen Trendwende darf aber nicht gesprochenwerden. Denn ab 2018 entfallen durch das Auslaufen der Zusatzfinanzierung MWST-Einnahmen Mrd. Franken) und die Übernahme der Schuldzinsen (28.1 Mio. Franken) durch den Bund. Ohne diese Zusatzfinanzierung hätte die IV 2017 ein Defizit von 0.4 Mrd. Franken ausgewiesen.

Leistungsbeziehende

Versicherte unter 20 Jahren weisen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Leistungsbeziehenden auf. Hier handelt es sich grösstenteils um medizinische Massnahmen in Folge eines Geburtsgebrechens. Versicherte im mittleren Alter sind seltener mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert, die zu IV- Leistungen führen. Wenn doch, handelt es sich vorallem um Massnahmen zur beruflichen Eingliederung sowie um Renten. Versicherte zwischen dem 40. und 64. Altersjahr sind am häufigsten von gesundheitlichen Problemen betroffen. Sie beziehen zum grössten Teil eine IV-Rente, teilweise mit Hilflosen entschädigung. Zudem nimmt der Bedarf an Hilfsmitteln hier mit steigendem Alter deutlich zu.

Eingliederung …

Von den 203 000 Personen, die IV Eingliederungsmassnahmen beanspruchten, waren io6 300 minder-
jährig. Teilwiese waren pro Person mehrere Massnahmen erforderlich. Im Schnitt wurden pro Massnahme 8453 Franken ausgegeben (Details siehe Tabelle). 2008, mit der 5. IVG-Revision, wurden zwei neue Instrumente zur beruflichen Eingliederung errichtet: die Frühinterventions- und die Integrationsmassnahmen. Im Berichtsjahr haben sie 16800 Versicherte in Anspruch genommen. Generell lässt sich feststellen, dass sich die Anzahl beruflicher Eingliederungsmass- nahmen seit 2007 mehr als verdoppelt hat. 66 059 Personen haben Hilfsmittel im Betrag von insgesamt 207 Mio. Franken bezogen. Es handelt sich hauptsächlich um Hörgerate (23 700), Schuhwerk und orthopädische Fusseinlagen (15 800), Rollstühle (to 600), gefolgt von je knapp 5000 Orthesen (Stütz-apparate) und Perücken.


IV-Statistik

 

… vor Rente

Im Dezember 2017 wurden rund 249 200 Invalidenrenten ausbezahlt; dazu kamen 70 000 Kinderrenten. Von den Rentenbeziehenden waren 55 Prozent Männer. Schweizer/innen und Angehörige von Staaten, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, können die IV-Rente auch im Ausland beziehen. Dies betrifft 30 500 Invaliden- und 10 800 diesbezügliche Kinderrenten. Das bedeutet, dass 88 Prozent aller Rentenbeziehenden in der Schweiz wohnen.

Drei Viertel der im Dezember 2017 ausgerichteten IV- Renten sind ganze Renten (Invaliditätsgrad ab 70 Prozent). 14 Prozent waren halbe Renten, 6 Prozent Dreiviertel- und 5 Prozent Viertelsrenten. Hauptursache für die Berentungen sind in der Schweiz Krankheiten (174 300 Personen), wogegen Geburts- gebrechen (28 400) und Unfälle (16 000) als Invalidi- tätsursache eher eine untergeordnete Rolle spielen. Die Mehrzahl der aufgrund einer Krankheit zugesprochenen Invalidenrentenwaren psychisch beding (59 Prozent aller krankheitsbezogenen IV-Renten). Die Berentungsquote hängt, wie auch der Gesund- heitszustand, eng mit dem Alter zusammen. Während von den unter 35-Jährigen weniger als 2 Prozent der Wohnbevölkerung (18 Jahre bis Rentenalter) eine IV-Rente bezogen haben, machte der Anteil von Personen kurz vor dem Erreichen des Renteneintrittsalters 12.2 Prozent (Männer) respektive 10.2 Prozent (Frauen) aus. Im Schnitt hat im Dezember 2017 der Anteil der IV-Rentenbeziehenden gemessen an der Wohnbevölkerung im entsprechenden Alter 4.1 Prozent betragen.

Im Jahr 2017 sind 17 Neurenten zu verzeichnen. Von diesen Rentenbeziehenden waren 5600 ausländischer Nationalität. 300 Neurentner/innen mit Wohnsitz im Ausland sind schweizerische und 1900 ausländische Staatsangehörige (solche von Vertragsstaaten). 87 Prozent der Bezüger/innen lebten in der Schweiz, was gemessen an der Wohnbevölkerung im fraglichen Alter einen Anteil von 2.8 Promille ausmacht. Wie auch im Rentenbestand variiert der Ansatz je nach Altersgruppe.

Hilflosenentschädigung

Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die in den alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd in erhebliche Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen sind, können eine Hilflosenentschädigung (HILO) beantragen. Im Jahr 2017 wurden von der IV insgesamt 36000 HILO an Erwachsene ausgerichtet. 44 Prozent sind auf ein Geburtsgebrechen, 52 Prozent auf Krankheit und 4 Prozent auf einen nicht UVG-versicherten Unfall zurückzufüh- ren.

Je nach Schwere der Hilflosigkeit wird eine Entschädigung leichten, mittleren oder schweren Grads ausgerichtet. Knapp die Hälfte sind Entschädigungen leichten Grads und gegen ein Drittel solche mittleren Grads. Ein Fünftel sind Entschädigungen schweren Grads. Unabhängig vom Schweregrad der Hilflosigkeit steigt die Nachfrage nach einer Entschädigung mit fortschreitendem Alter.
Gertrud Bollier, gebo Sozialversicherungen AG.

Gleichstellungs-Initiative

(Basellandschaftliche Zeitung)

Regierung legt Gegenvorschlag vor

Die Basler Regierung hat ein neues Behindertenrechtegesetz in die Vernehmlassung geschickt. Es bildet den Gegenvorschlag zur Volksinitiative «für eine kantonale Behindertengleichstellung». Die Inhalte seien vergleichbar. Die Initiative wolle jedoch die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Verfassung festschreiben.

Basel-Stadt hat laut Regierung als erster Kanton die Rechte von Menschen mit Behinderungen analysiert, um Gesetzeslücken zu schliessen. Als Rahmengesetz umfasse das neue Gesetz die allgemeinen Bestimmungen und materiellen Grundsätze für die Behindertengleichstellung. Überdies äussert sich das Behindertenrechtegesetz zu Rechtsansprüchen und Verfahren und es regelt auch die Umsetzung. Die Vorlage enthält daneben auch Anpassungen in bestehenden Spezialgesetzen. Dabei geht es etwa um die Bereiche Wohnen, Bildung, Kultur und soziale Sicherheit.

Die Initiative «Für eine kantonale Behindertengleichstellung» war im Oktober 2017 mit 3417 gültigen Unterschriften eingereicht worden. Lanciert hatte es das Behindertenforum der Region Basel. In Baselland ist eine gleichlautende Initiative mit 1759 gültigen Unterschriften ebenfalls zustande gekommen. (SDA)

IV fällt mit jedem vierten Fall durch

(ZentralschweizamSonntag)

Luzern Gerade mal die Hälfte aller IV-Entscheide sind 2017 noch vom Kantonsgericht voll gestützt worden. Ein Experte erklärt dies damit, dass das Bundesgericht mehrfach die Spielregeln geändert hat.

Die Chancen, mit einer Beschwerde gegen einen IV-Entscheid vor dem Kantonsgericht Luzern durchzukommen, sind statistisch gesehen gut. Dieses hat seit 2014 in jedem vierten IV-Fall den Entscheid der Vorinstanz aufgehoben. Jeder fünfte Fall wurde zur weiteren Abklärung an die IV- Stelle zurückgewiesen. Gemäss Andreas Dummermuth, Präsident der kantonalen Ausgleichskassen, ist diese hohe Rückweisungsquote ein schweizweites Phänomen. Er macht dafür zwei Ursachen aus. Zum einen ist die Zahl der Fälle seit 2014 aufgrund der 6. IV-Revision angestiegen: Viele Rentenansprüche mussten überprüft werden, weshalb die Fallzahlen massiv angestiegen sind. Das zeigt sich auch am Bundesgericht: Über 750 IV-Fälle hat dieses im letzten Jahr entschieden. Kein anderer Bereich im Sozialversicherungsrecht führt zu derart hohen Fallzahlen. Der zusätzlichen Arbeitslast sei aber in vielen Kantonen nicht mit zusätzlichen personellen Ressourcen Rechnung getragen worden – mit dem Resultat, dass man unterdotiert sei.

Der zweite Punkt seien Änderungen der Rechtsprechung durch das Bundesgericht. «Wenn sich die Spielregeln ändern, hat das Rückwirkungen auf alle Fälle, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig sind», so Dummermuth. Mit der Folge, dass die geänderte Rechtsprechung in den höheren Instanzen zum Tragen kommt. Das Ganze kann zu einer Verlängerung der Verfahren führen, wie ein aktueller Fall zeigt: Eine Luzernerin kämpfte sechs Jahre, bis ihr doch noch eine volle IV-Rente zugesprochen wurde. (red)

Der Slogan «Keine Rente unter 30» ist vom Tisch

(Neue Zürcher Zeitung)

Gastkommentar
von THOMAS IHDE UND ROGER STAUB

In der eben veröffentlichten, im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen durchgeführten Studie «Berufliche Eingliederung aus Versichertenperspektive» kommt der Studienautor Niklas Baer zu einem simplen Schluss: «Der Erfolg von IV-Eingliederungsmassnahmen bei psychisch Kranken ist gering.»

Für die Schweizerische Stiftung Pro Mente Sana kommt auch der neueste Befund nicht unerwartet. Psychische Erkrankungen treten oft früh im Leben auf und führen dazu, dass Betroffene häufiger ihre Lehre abbrechen und/oder keine höhere Bildung in Angriff nehmen können. Muster von familiären Problemen in der Jugend setzen sich als Probleme in der Schule und später am Arbeitsplatz fort.

Zur Erinnerung: Baer hat schon 2009 eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass eine von drei Personen, die infolge psychischer Probleme eine Rente beziehen, bei Eltern mit psychischen Problemen aufgewachsen ist. Dazu gehen psychische Probleme bei vier von fünf Betroffenen mit deutlichen physischen Beeinträchtigungen einher. Schwere psychische Probleme führen zum Verlust des sozialen Umfelds, ungefähr jeder zehnte Betroffene fühlt sich sehr alleine und von der Gesellschaft ausgeschlossen und hat keine Person seines Vertrauens.

Wenn Eingliederung heute gelingen soll, dann nur – das zeigt die Studie Baer eindrücklich auf – wenn eine Reihe von günstigen Faktoren zusammenwirken. Die Beziehung zwischen IV-Berater und Versichertem ist zentral, die Eingliederungsmassnahmen müssen zum Versicherten passen, und ohne Koordination zwischen IV, Arzt, Arbeitgeber und Angehörigen geht es nicht. Wir sind aufgrund unserer Erfahrung überzeugt, dass es möglich ist, mehr Eingliederungserfolg zu erzielen.

Probleme in der Jugend setzen sich in der Schule und später am Arbeitsplatz fort.

Es muss uns aber bewusst sein, dass psychische Krankheiten den Menschen doppelt, nämlich sowohl als Individuum als auch als soziales Wesen, betreffen: Psychische Krankheiten beeinträchtigen das Selbst und die Beziehungsfähigkeit. Gesundung ist möglich, aber nur, wenn die existenziellen Grundbedürfnisse abgedeckt sind (Wohnen, Ernährung) und Betroffene nicht vereinsamt bleiben. Einsamkeit macht so krank wie starker Alkoholkonsum oder Rauchen! Und, ganz zentral, Gesundung braucht Zeit, viel Zeit. Jeder Wechsel in der Zuständigkeit für «den Fall» kann einen Rückfall auslösen. Ebenso wie zu viel Druck. Oder das Gefühl des Ausgeliefertseins, das gemäss Studie Baer ein Viertel bis ein Drittel der psychisch kranken Versicherten empfinden. Wir müssen gerade für junge Erwachsene mit grossen psychischen Problemen neue Wege suchen, um die Genesung möglich zu machen. Zuerst ist die Lebensgrundlage zu sichern etwa mit einer Übergangsrente. Seit 10 Jahren bilden der Verein Ex-In Bern und die Pro Mente Sana jedes Jahr eine Gruppe von Peers aus: Menschen mit überwundener psychischer Erschütterung qualifizieren sich in einer 1,5 Jahre dauernden Weiterbildung zum «Experten aus Erfahrung». Jungen, psychisch erkrankten Erwachsenen wollen wir einen erfahrenen Begleiter zur Seite stellen, der sein Erfahrungswissen dem Versicherten weitergeben kann und ihn über lange Zeit begleitet.

Mit gesicherter Existenz und einer stabilen Beziehung zu einer Vertrauensperson kann die betroffene Person ihren eigenen Genesungsweg suchen und gehen und nach Gelingen dieser Schritte auch wieder in die Arbeitswelt eingegliedert werden. In dieser Reihenfolge und ohne populistische Slogans wie «Keine Rente unter 30». Vergessen wir nicht, dass eine Investition in die Genesung von jungen, psychisch kranken Menschen im Erfolgsfall uns allen die Finanzierung von vielen Jahren Invalidenrente sparen kann.

Thomas Ihde leitet die Psychiatrischen Dienste der FMI-Spitäler in Interlaken und ist Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Pro Mente Sana in Zürich; Roger Staub ist Geschäftsleiter der Stiftung Pro Mente Sana.

Inklusion

(SozialAktuell)

Abstimmungsunterlagen in einfacher Sprache!

Damit Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ihre politischen Rechte wahrnehmen können, müssen die Abstimmungsunterlagen auch in einfacher Sprache zur Verfügung stehen. Zwei Vertreterinnen von insieme Schweiz waren vor Ort, als diese Forderung Anfang Juni in der Bundeskanzlei übergeben wurde. Die Inklusionskommission der nationalen Arbeitsgruppe UN- Behindertenrechtskonvention fordert, dass ab 2020 die Erläuterungen zu den Abstimmungsunterlagen in einfacher Sprache vorliegen. Ausserdem sollen Publikationen, welche Menschen mit Behinderung direkt betreffen, in einfache Sprache übersetzt werden. In diese Kategorie würde zum Beispiel das Behindertengleichstellungsgesetz fallen. Die Gruppe bot der Bundeskanzlei bei der Umsetzung des Vorhabens ihre Unterstützung an.

insieme.ch

Betreuende und pflegende Angehörige – eine Vernehmlassung wirderöffnet, eine Interessengemeinschaft wird gegründet

(SDA)

Der Bundesrat eröffnet heute die Vernehmlassung über das Legislativpaket, das den betreuenden und pflegenden Angehörigen – insbesondere den berufstätigen unt er ihnen – Erleichterungen bringen soll. Die « nationale Interessengemeinschaft für betreuende und pflegende Angehörige » will die Interessen der betreuenden und pflegenden Angehörigen auf nationaler Ebene vertreten. Sie wurde von Organisationen gegründet, die sich bereits heute für diese Angehörigen einsetzen. weniger Jeden Tag unterstützen, helfen und begleiten in der Schweiz 1.9 Millionen Menschen ein Kind oder einen Erwachsenen. Ein grosser Teil von ihnen ist berufstätig. Dieses doppelte Engagement mit einander zu vereinbaren, führt zu zahlreichen Schwierigkeiten. Der vom Bundesrat angekündete Gesetzesentwurf mit dem Ziel, die Situation betreuenden und pflegenden Angehörigen zu erleicht ern, wird von allen Organisationen, Verbänden und Ligen, die sich für diese Angehörige einsetzen, sehnsüchtig erwartet.

Mit der Gründung der ersten « nationalen Interessengemeinschaft für betreuende und pflegende Angehörige » (oder IG-Betr. Angehörige) setzen sich das Schweizerische Rote Kreuz, die Krebsliga Schweiz, Pro Infirmis, Pro Senectute und Travail.Suisse auf nationaler Ebene für die Interessen der betreuenden und pflegenden Angehörigen ein. Die
Gründungsorganisationen sorgen bereits heute tagtäglich für die betreuenden und pflegenden Angehörigen, sei es mit Entlastungsangeboten, Informationen oder direkt en Beratungen.

Abgestützt auf ein grosses Netzwerk von Experten, ist das erste Ziel der neuen Interessengemeinschaft, die vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzesänderungen im Rahmen der bis 19. Oktober 2018 laufenden Vernehmlassung zu evaluieren und dazu Stellung zu nehmen. Jedes seiner Mitglieder ist zudem frei, gemäss dereigenen spezifischen Ausgangslage eigene Positionen zu formulieren.

Behinderte sollen Wahlfreiheit erhalten

(Neue Zürcher Zeitung)

Der Kantonsrat sagt Ja zu einer Motion, die auf einen Systemwechsel bei der Betreuung zielt


Mehr Selbstbestimmung für behinderte Menschen ist das Ziel des parlamentarischen Vorstosses / BRYNN ANDERSON / AP

 

MICHAEL VON LEDEBUR

Selbstbestimmung, Grundrechte, Wahlfreiheit: Es waren grosse Worte, die im Rathaussaal fielen. Der Kantonsrat diskutierte darüber, ob Menschen mit Behinderungen selbständiger entscheiden dürfen, wie und wo sie betreut werden.

Die Allianz, die sich für einen Systemwechsel starkmachte, war fraktionsübergreifend – und rhetorisch erdrückend.

Am weitesten ging Maria Marty (edu., Volketswil): Das heutige System sei «schockierend». Menschen mit B ehinderungen müssten die Wahlfreiheit haben. Wenn schon nicht im Körper der Mutter, dann wenigstens in der Frage der Betreuung, fügte sie mit einem Schlenker zur Abtreibungsfrage hinzu Dass die Idee breiten Rückhalt geniessen würde, hatte sich abgezeichnet, fusste sie doch auf einer Motion von FDP, SP und EVE Künftig sollen nicht mehr Heime, in denen Menschen mit Behinderungen betreut werden, unterstützt werden, sondern die Menschen selbst.

Sie sollen Wahlfreiheit haben, wie sie ihre Betreuung organisieren wollen. Vom Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung ist die Rede. Es sei eine Wahlfreiheit, die bei Nichtbehinderten im Krankheitsfall selbstverständlich sei, gab Motionärin Beatrix Frey (fdp., Meilen) zu bedenken. Viele Menschen mit Behinderungen zögen eine autonome Lebensgestaltung einem Aufenthalt in einer Behinderteninstitution vor. Andere wiederum seien darauf angewiesen.

Kein Freipass für Träume

Der Systemwechsel bringe nicht nur den Einzelnen mehr Selbstbestimmung, sondern tue auch den Institutionen gut, so Frey weiter. «Es wird mehr unternehmerische Freiheit geben.» Um Finanzpolitik gehe es nicht: Es handle sich weder um eine Sparübung noch um einen Freipass zu Verwirklichung von Lebensträumen.

Der Systemwechsel solle kostenneutral vonstattengehen.

Mit-Motionär Daniel Frei (sp., Niederhasli) sagte, für die Heime bedeute der Wechsel temporär Wettbewerbsdruck, aber die Institutionen seien in der Lage, dies zu meistern. Bezüglich Finanzierung sagte der dritte Motionär, Markus Schaaf (evp., Zell), es sei zu früh, über Zahlen zu sprechen. Aber es handle sich keineswegs um eine Utopie. Er verwies auf andere Kantone, die denselben Weg beschritten. Ruth Frei (svp., Wald) meldete als einzige Wortführerin im Saal Skepsis an, gerade bezüglich der Finanzierung. Sie rechnete vor, dass heute nur 15 Prozent aller Menschen mit Behinderungen im Kanton Zürich in Institutionen betreut würden.

Das sind 10 000 Personen. Die übrigen kämen bis heute nicht in den Genuss der 333 Millionen Franken, die der Kanton jährlich für die Institutionen ausgebe. Prinzip der Giesskanne droht Künftig soll es eine individuelle Bedarfsabklärung für jeden einzelnen Betroffenen geben. Frei sprach in der Debatte vom Giesskannenprinzip, das drohe. Im Gespräch mit der NZZ sagte sie, dass der Systemwechsel womöglich mehr Gerechtigkeit bringe. «Aber es wird bestimmt Mehrkosten geben.» Dies gelte es seriös abzuklären. Es wäre besser gewesen, abzuwarten, bis gesicherte Erkenntnisse aus anderen Kantonen vorlägen, gerade bezüglich der Kosten. Das sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall.

Ihre eigene Fraktion, die SVP, folgte Frei. Alle anderen Fraktionen nahmen die Motion an und erteilten der Regierung den Auftrag zum Gesetzesentwurf. Sicherheitsdirektor Mario Fehr (sp.) sagte, der Regierungsrat nehme die Motion gerne entgegen – auch wenn die Ausarbeitung «nicht ganz so einfach» werden dürfte.

M Zero AG ruft Pflegemittel «ZOGGS Fogbuster & Lens Cleaner» für Schwimmbrillen zurück

(Bundesamt für Gesundheit/BAG)
Medienmitteilungen 14.06.2018

In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) ruft die M Zero AG eine Charge des Pflegemittels für Schwimmbrillen «ZOGGS Fogbuster & Lens Cleaner» zurück. Eine Verwendung des Produkts kann zu Reizungen und Brennen der Augen führen. Die betroffenen Kunden erhalten den Kaufpreis rückerstattet.

Welche Gefahr geht von den betroffenen Produkten aus?

Aufgrund eines Herstellungsfehler kann die Verwendung der betroffenen Produkte zu Reizungen und Brennen der Augen führen.

Welche Produkte sind betroffen?

Vom Produktrückruf betroffen ist die Charge 105R des Pflegemittels für Schwimmbrillen «ZOGGS Fogbuster and Lens Cleaner» (Artikelnummer 300661). Die betroffenen Produkte wurden in der Schweiz im Sportfachhandel zwischen Februar und Mai 2018 verkauft.

Die Chargennummer «105R» ist auf der Rückseite der Verpackung ersichtlich (vgl. Bild).

 

Was sollen betroffene Konsumentinnen und Konsumenten tun?

Die Kunden sind gebeten, die betroffenen Produkten nicht mehr zu verwenden und an ihren Fachhändler oder an die M Zero AG zu retournieren. Sie erhalten den Kaufpreis zurückerstattet. Auch Kunden, welche die Chargennummer nicht kennen und das Produkt nach dem 31. Januar 2018 erworben haben, sollen es nicht mehr verwenden.

Schweizer in Ausschuss der UNO gewählt

(Basler Zeitung / SDA)

Bern/New York. Der an der Universität Basel tätige Rechtswissenschaftler und Menschenrechtsexperte Markus Schefer ist gestern in New York in die UNO-Kommission für die Rechte von Personen mit Behinderungen gewählt worden. Dies teilte der Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz Inclusion Handicap mit. Man erhoffe
sich von seiner Wahl eine Signalwirkung für die Umsetzung der UNO-
Behindertenrechtskonvention in der Schweiz. Schefer seinerseits stellte fest, dass er sich dafür einsetzen werde, dass die Umsetzung der Konvention tatkräftig vorangetrieben werde.

Rechte im Spannungsfeld

(Walliser Bote)

Autonomie. Wie kann die Wahlmöglichkeit von Menschen mit Behinderung gewährleistet werden? SYMBOLBILD KEYSTONE

 

Menschen mit Behinderung, die tun und lassen können, was sie wollen: So könnte das Grundkonzept des 2013 eröffneten Pigna-Parks in Zürich zusammengefasst werden. Doch wie sieht selbstbestimmtes Wohnen von Menschen mit Behinderung überhaupt aus? Dieser Frage widmet sich im Wallis ein Verein

MARTIN SCHMIDT
Die Zeiten, in denen Menschen mit einer Behinderung in Heimen untergebracht wurden, wo sie ein Leben abseits der Gesellschafts fristeten, gehören in der Schweiz zum Glück der Vergangenheit an. Doch auch wenn sie nicht mehr ähnlich Gefängnisinsassen eingesperrt werden, sind auch heute noch lange nicht all ihre Rechte gewährleistet. Auch in der Schweiz nicht Und genau hier setzt der Verein für «Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit einer Behinderung», der am 19. Oktober 2017 von neun Studierenden der HES -SO Valais/Wallis gegründet wurde, an.

Keine Wahlmöglichkeit
Gemäss dem Verein sind die vorherrschenden institutiona-lisierten Wohnangebote oft durch strikte Anforderungen im Hinblick auf die Finanzierung und durch eine relativ starre Alltagsplanung gekennzeichnet. So bestünde für die Menschen faktisch oft keine Wahlmöglichkeit.

Menschen mit Behinderung sollen gemäss der UNO-Behindertenrechts- konvention, die in der Schweiz am 15. Mai in Kraft getreten ist, aber dieselben Rechte zustehen. Die Konvention spricht unter anderem von der Schaffung von Chancengleichheit, individueller Autonomie und Unabhängigkeit, der Freiheit, eigene Entscheidungen fällen zu können, der Möglichkeit, am bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können und der Wahl des eigenen Wohnorts. Aber auch von der Erkenntnis über die Vielfalt der Menschen mit einer Behinderung. Und genau dieser Punkt erschwert die Umsetzung der Rechte in vielen Fällen enorm: «Hier stehen wir in einem Spannungsfeld», sagt denn auch Patrick Bayard, Vorstandsmitglied des Vereins für «Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit einer Behinderung». «Auf einer Seite hat ein Mensch mit Behinderung das Recht auf Autonomie. Anderseits braucht dieselbe Person aber auch Betreuung», ergänzt der angehende Sozialarbeiter.Doch was soll der Person abgenommen werden, was soll man sie selbst erledigen lassen? «Das muss von Fall zu Fall beleuchtet werden», antwortet Bayard.

Sich selbst überlassen
Eine ganz eigene Antwort hat man dafür in einem Zürcher Heim gefunden. Dort wurde im Jahr 2013 mit dem Pigna-Park ein Projekt lanciert, bei dem Menschen mit einer schweren kognitiven Beeinträchtigung frei in einem 4000 Quadratmeter grossen Park bewegen können. Man überlässt die Bewohner einfach mal sich selbst. Freiheit bedeute dort, tun und lassen zu können, was jeder und jede einzelne Person möchte.

Dabei sollen die Bewohner ihre Autonomie fern der üblichen pädagogischen Förderkonzepte ausloten. Das alles geschieht zwar unter Aufsicht ihrer Betreuer. Diese greifen aber bloss ein, wenn jemand wirklich Hilfe benötigt


Patrick Bayard

 

Was soll der Person abgenommen werden, was soll man sie selbst erledigen lassen?»

Der Walliser Filmemacher Willi Franz Kurth hat das Leben im Pigna-Park während mehreren Monaten filmisch begleitet. Das Ergebnis ist eine 70- minütige Dokumentation, die heute Abend 18.30 Uhr im Kino Astoria aufgeführt wird. Gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit Fachleuten der Behindertenhilfe und mit Führungs-kräften der Behindertenhilfe im Wallis. Mit der Organisation des Filmabends samt Podium will der Verein die Bevölkerung, aber auch die Fachkreise für die Thematik sensibilisieren. Man will aufzeigen, dass alternative Wohnund Beschäftigungsformen erfolgreich sein können, auch wenn sie von den bisherigen institutionellen Konzepten abweichen. «Vielleicht wäre ja ein ähnliches Konzept auch hier im Wallis möglich», so Bayard. Bei den Institutionen und beim Kanton würden die Vereinsmitglieder mit ihren Ideen grundsätzlich auf offene Ohren stossen, so Bayard.

Umzug aus dem Wallis?
Etwas schwieriger dürfte es sich bei der freien Wahl des Wohnorts gestalten: Bayard macht sich für eine freie Wahl über die Kantonsgrenzen hinaus stark. «Es gibt junge Leute mit einer Behinderung, die beispielsweise lieber in städtischeren Orten wie Bern leben würden», sagt er. In diesem Punkt ist Daniel Abgottspon, Direktor von Insieme Oberwallis, nicht ganz gleicher Meinung: Man lege zwar grossen Wert darauf, dass sich die Wohnungsangebote von Insieme nicht bloss auf die Zentren konzentrieren. «Unsere Wohnungen verteilen sich von Bitsch bis nach Gampel», sagt Abgottspon. Er bezweifelt aber, dass es auch Sinn machen würde, Personen ausserhalb des Kantons zu betreuen. Zu sehr wären sie an ihr Umfeld und ihre Verwandten gebunden. Das Thema der Wahlmöglichkeiten ist für Abgottspon aber generell von Bedeutung: «Dafür braucht es aber gewisse Voraussetzungen. Auch vonseiten des Personals», sagt er. «Je mehr Autonomie man Menschen mit Behinderung gewährt, umso mehr spiele jeweils auch das Argument der Sicherheit eine Rolle»,so Abgottspon. Bei Insieme lege man aber grundsätzlich viel Wert darauf, dass die Menschen in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Das bedeutet, dass man den Leuten auch ihre Wahlmöglichkeiten vergegenwärtige.

«HEBT MARIO AB?»
Heute Abend wird im Kino Astoria in Visp der Dokumentarfilm «Hebt Mario ab?» des Oberwalliser Filmemachers Willi Franz Kurth aufgeführt. Rund ein Jahr lang begleitete Kurth die Heimbewohner mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen im Pigna- Park in Zürich. Im Anschluss folgt eine Podiumsdiskussion mit Fachleuten zum Thema «Selbstbestimmtes Wohnen»