Warum die IV-Detektive nicht vors Volk kommen

(Aargauer Zeitung / GesamtRegio)

von Tobias Bär — Nordwestschweiz


Die Referendumsfrist wird wohl ungenutzt verstreichen. (Symbolbild)

Zur Verfügung gestellt Trotz rechtsstaatlicher Bedenken zur Überwachung von IV-Bezügern gibt es kein Referendum. Die Gegner sind sich sicher, dass eine Volksabstimmung kaum zu gewinnen wäre.Im August 2017 beugte sich die Sozialkommission des Ständerats ein erstes Mal über den Gesetzesentwurf zur Überwachung von IV-Bezügern und anderen Sozialversicherten. Vergangene Woche, nur sieben Monate später, haben die eidgenössischen Räte die Vorlage verabschiedet. Das ist Gesetzgebung in einem Tempo, das im politischen System der Schweiz Seltenheitswert hat. Der Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli, macht den Tatendrang von National- und Ständerat gar zum Gegenstand eines Vorstosses. Der Zürcher will unter anderem vom Bundesrat wissen, welche anderen Gesetzesrevisionen in derart kurzer Zeit durch das Parlament «gepeitscht» wurden. Rechtsstaat ist kein Grund.

Die Grünen hatten vergangene Woche vor der Beratung im Nationalrat ebenso vor der «unverhältnismässigen» Vorlage gewarnt wie der Arbeitnehmer-Dachverband Travail.Suisse. Letzterer brachte die Möglichkeit eines Referendums ins Spiel, sollte die Vorlage nicht überarbeitet werden. Die Änderungswünsche von SP und Grünen hatten dann aber nicht den Hauch einer Chance. So brauchen die Sozialversicherungen für die Überwachung von mutmasslichen Betrügern keine vorgängige richterliche Genehmigung – es sei denn, sie wollen Peilsender zur Standortbestimmung einsetzen. Und die Versicherten dürfen an allen Orten beobachtet werden, die von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar sind, also etwa auf ihrem Balkon. Diese Bestimmungen treten in Kraft, sofern die Referendumsfrist, die voraussichtlich kommende Woche startet und Anfang Juli abläuft, ungenutzt verstreicht.

Danach sieht es derzeit entgegen der Ankündigung von Travail.Suisse aus. Gemäss Präsident Adrian Wüthrich würde der Dachverband zwar ein Referendum unterstützen. Von sich aus werde man aber kein solches ergreifen. «Es braucht Zeit, die Mitgliedsverbände auf ein Referendum einzustimmen. Wegen des vom Parlament angeschlagenen Tempos fehlt uns diese Zeit», sagt Wüthrich. Ausserdem wäre es schwierig, im Abstimmungskampf mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit zu punkten, während die Befürworter Missbrauchsfälle bewirtschaften. Ähnlich tönt es bei Julien Neruda, Geschäftsleiter des Dachverbandes der Behindertenorganisationen Inclusion Handicap: «Unsere Botschaft ist schwieriger zu vermitteln. Wir sind ebenfalls für die Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch. Dafür dürfen aber keine rechtsstaatlichen Prinzipien aufgegeben werden.» Ihn würde es erstaunen, sollte das Referendum ergriffen werden, so Neruda.

Soll das Volk über die Überwachung von IV-Bezügern abstimmen?
55% Ja
45% Nein

Die SP-Nationalrätin Silvia Schenker (BS), die sich an vorderster Front für ein abgeschwächtes Gesetz eingesetzt hat, meint zwar ebenfalls: «Die Abstimmung wäre schwer zu gewinnen.» Sie glaube aber, dass die Bevölkerung durchaus zu haben sei für die Verteidigung der Privatsphäre. Gemäss SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi (SG) wurde die Frage des Referendums in der Parteispitze nicht vertieft diskutiert. «Diese Vorlage wurde im Eilzugtempo durchgebolzt und ist rechtsstaatlich bedenklich. Man kann aber nicht jede fragwürdige Vorlage mit dem Referendum bekämpfen.» Womöglich müsse man sich auf die Reform der Ergänzungsleistungen fokussieren, so Gysi. Nach den vom Nationalrat beschlossenen Kürzungen dränge sich eher ein Referendum auf.

«Volk unterstützt Überwachung»
CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (AG), die das Überwachungsgesetz befürwortet, führt den wahrscheinlichen Verzicht auf ein Referendum auf die 5. IV-Revision zurück. Mit dem Gesetz erhielten die IV-Stellen die Möglichkeit, ungerechtfertigten Leistungsbezug zu bekämpfen. Das Volk stimmte 2007 mit einer Mehrheit von 59 Prozent zu. Damit sei klar, «dass die Bevölkerung versicherungsbetrügerische Machenschaften nicht schützen will und notwendige Instrumente zu deren Aufdeckung akzeptiert», sagt Humbel.

Hindernisfreier Verkehr: Die Gemeinden sind in der Pflicht

(Schweizer Gemeinde)

Hindernisfreier Verkehr: Die Gemeinden sind in der Pflicht Ohne Zusatzmassnahmen können die vom Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Der SGV leistet mit Tipps Hilfestellung für die Gemeinden. Denn: Ende 2023 ist die Barrierefreiheit Pflicht.


Autonomes Ein- und Aussteigen: Der Kanton Zürich gehört zu jenen Kantonen, die mit gutem Beispiel vorange hen. Bild: Amt für Ver-kehr des Kantons Zürich.

Florene Zufferey Übersetzung: Denise Lachst Für die behindertengerechte Anpassung von Bauten und Anlagen sowie Fahrzeugen räumt das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), in Kraft seit 2004, eine Frist von 20 Jahren ein. Bis Ende 2023 müssen in der Schweiz also alle Menschen hindernisfrei reisen können. Seit 2004 sind zwar bei der Anpassung der Kommunikationssysteme und bei der Billettausgabe Verbesserungen erzielt worden. Doch viele Haltestellen und öffentliche Verkehrsmittel sind nicht für alle Menschen ohne die Hilfe Dritter zugänglich. Zudem bestehen zwischen den Kantonen beträchtliche Unterschiede. Werden keine zusätzlichen Massnahmen ergriffen, können die Ziele des BehiG nicht rechtzeitig erreicht werden. Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) möchte vor allem den Gemeinden dabei behilflich sein, das Gesetz fristgerecht umzusetzen. Denn es liegt in der Verantwortung der Gemeinden, dass der öffentliche Verkehr bis Ende 2023 barrierefrei zugänglich ist, soweit sich die Bus- und Tramhaltestellen auf Gemeindegebiet befinden1. Sind die Ziele zur Anpassung der Infrastruktur am 1. Ja- nuar 2024 nicht erreicht, haben Direktbe- troffene das Recht, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder einem Zivilgericht die Beseitigung einer Benachteiligung und die erforderlichen Anpassungen zu verlangen, und dies im Rahmen der Verhältnismässigkeit bereits vor Ab- lauf der Übergangsfristen. Zudem besteht ein Verbandsbeschwerderecht2.

Die Verantwortung der Gemeinden Tram- und Bushaltestellen kommt Priorität zu: Es liegt in der Verantwortung der Gemeinden, zumTeil in Zusammenarbeit mit dem Kanton die notwendigen Anpas- sungen vorzunehmen, damit die gemein- deeigene Infrastruktur die gesetzlichen
Vorgabe erfüllt. Die Gemeinden können sich zur Umsetzung des BehiG an die zuständigen kantonalen Stellen wenden. Diese können die Gemeinden beraten und sie bei der Bestimmung der Haltestellen, die angepasst werden müssen, unterstützen. Die Gemeinden sind ebenfalls angehalten, die Verkehrsunternehmen gleich zu Beginn des Planungsprozesses einzubeziehen. Ob eine Haltestelle neu gebaut oder umgebaut wird, hängt entscheidend davon ab, was die Diskussionen zwischen der Gemeinde und dem Verkehrsunternehmen ergeben haben. Zudem sind technische Vorgaben zu beachten (Artikel 15 BehiG). Daher muss für jede Haltestelle einzeln eine Analyse durchgeführt werden, welche die verschiedenen Parameter (Verkehrsbelastung, Bus- und Nutzerfrequenz, Rollmaterial usw.) berücksichtigt.

Die Höhe der Bordkante Die hauptsächlichen Parameter für eine barrierefreie Haltestelle sind die Bordkantenhöhe sowie das Rollmaterial. Soll das Fahrgestell des Busses bei der Ein- und Wegfahrt die Bordkante nicht touchieren, muss die Geometrie einer Haltestelle entsprechend angepasst werden. Aktuell besteht kein allgemeingültiger Konsens über die «ideale» Bordkantenhöhe, weil die Haltestellen sehr unterschiedlich konfiguriert sind. Es gilt aber, Artikel 13 der Verordnung des UVEK über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs zu beachten. Dieser verlangt, dass die Spaltbreite zwischen der Bordkante und dem Einstiegbereich in den Fahrgastraum des Busses nicht mehr als 7,5 Zentimeter und die Niveaudifferenz nicht mehr als 5 Zentimeter betragen darf.

Die Verhältnismässigkeit Bei einer Anpassung gilt das Prinzip der Verhältnismässigkeit (Abschnitt 3 des BehiG). Bei der Interessenabwägung geht es unter anderem um die Frage, obder für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis zu den Anpassungen steht; Kantone und Verkehrsunternehmen können detailliert Auskunft geben. Spezielle Bedeutung kommt den Bushaltestellen in der Nähe von Institu tionen für Menschen mit Behinderungen oder von Altersheimen zu. Das BehiG gilt für öffentlich zugängliche Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs wie auch für öffentlich zugängliche Gebäude und Dienstleistungen, Aus- und Weiterbildung. Entsprechende Informationen finden sich auch auf der Website des Büros BASS unter dem Link «Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen»3.

Infos:
1 Büro fürArbeits- und Sozialpolitische Studien BASS AG. Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen – BehiG, Integraler Schlussbericht, S. 65.
2 BASS/ZHAW. Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderun-gen – BehiG, Kurzfassung, S. 18.
3 www.tinyurl.com/ybpphtxc Das Amt für Verkehr des Kantons Bern bietetden Gemeinden mit einem Verzeichnis sämtlicher Haltestellen Hilfe zur Beurteilung der
Verhältnismässigkeit. Gemeinden können berechnen, ob eine Anpassung angezeigt ist oder nicht: www.tinyurl.com/yc3tfr2v

Für eine unabhängige Lebensführung
Die Schweiz ist dem 2006 von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) im April 2014 beigetreten. Das CRPD gewährleistet Menschen mit Behinderungen den Genuss aller Men- schenrechte sowie die Teilhabe am öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leben. Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volleTeilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen, um ihnen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschliesslich Informations- und Kommunikations-technologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. In der Schweiz ist das Behindertengesetz (BehiG) seit Januar 2004 in Kraft. Obwohl es verlangt, dass bis Ende 2023 die Massnahmen für ei- nen barrierefreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln umgesetzt sein müssen, ist die Schweiz noch weit von diesem Ziel entfernt.

Quelle: EDA

«Kundgebung Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen» 1,8 Mio. Menschen fordern Gleichstellung: Jetzt!

(AGILE.CH)

In der Schweiz gilt gleiches Recht für alle. Stimmt nicht! Die rund 1,8 Mio. Menschen mit Behinderungen müssen immer noch für ihr Recht auf Gleichstellung kämpfen. Heute trafen sich Betroffene und Angehörige auf dem Bundesplatz in Bern zur nationalen Kundgebung und forderten «Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen: Jetzt! 20 Jahre warten ist genug.»

Vor 20 Jahren, im März 1998, gingen 8000 Menschen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen auf die Strasse. Heute taten sie es wieder. Unzählige Menschen sind dem Ruf von AGILE.CH und ihren Mitglied- und Partnerorganisationen gefolgt und wollten wissen, wie gleichgestellt Menschen mit Behinderungen heute in der Schweiz leben, und was die Gemeinden für die Gleichstellung ihrer Einwohnerinnen und Einwohner mit Behinderungen tun.

Dazu hat AGILE.CH im Vorfeld alle 2254 Gemeinden der Schweiz angeschrieben und um Zustellung von Unterlagen gebeten, die aufzeigen sollten, wie die einzelne Gemeinde die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen umsetzt.

Medienmitteilung lesen

«Reform der Ergänzungsleistungen (EL)» Entwürdigende Leistungskürzungen und Lebensführungskontrollen

(AGILE.CH)

Der bürgerlich dominierte Nationalrat setzt nicht nur einen knallharten Sparkurs durch. Er verschärft auch die Lebensführungskontrolle gegenüber Personen, die auf EL angewiesen sind. Damit ist nicht nur das am Anfang des EL-Reformprozesses geäusserte Ziel völlig verfehlt, das bisherige Leistungsniveau zu erhalten. EL-Beziehende werden auch entwürdigt. Der Ständerat ist gefordert, das Boot wieder zu entladen.

Im November 2015 schlug der Bundesrat in seiner Vernehmlassungsvorlage rund 171 Millionen Franken weniger Leistungen bei den EL vor. Mit den Beschlüssen des Nationalrates ist das Kürzungsvolumen auf fast eine Milliarde Millionen Franken angestiegen (soweit Zahlen bekannt: 944 Mio. Franken). Gekürzt wird bei den anrechenbaren Krankenkassenprämien und beim Lebensbedarf für Kinder. Das Vermögen – so denn welches vorhanden ist – muss weit mehr als heute aufgebraucht werden. Zudem wird mehrfach bestraft, wer sein gespartes Geld nicht nach den Vorstellungen der EL-Stellen verwendet. Obwohl angeblich Schwelleneffekte verringert werden sollen, wird das Einkommen des nicht EL-berechtigten Ehepartners in Zukunft zu 100% beim Einkommen angerechnet. Mit dieser Massnahme haben vor allem pflegende Angehörige in Zukunft weniger Anreiz, auch noch einer bezahlten Arbeit nachzugehen.

Medienmitteilung lesen

Menschen mit Behinderungen: Zu wenig zum Leben

(Inclusion-Handicap)

Der Nationalrat hat die EL-Reform in eine reine Sparvorlage verwandelt – entgegen der Absicht des Bundesrates, der keine Abstriche beim Leistungsniveau wollte. Die beschlossenen Kürzungsvorschläge treffen IV-Bezügerinnen und -Bezüger besonders hart. Er nimmt in Kauf, dass viele Menschen mit Behinderungen in den finanziellen Ruin getrieben werden.

Die Existenzsicherung ist in der Verfassung verankert. Dazu braucht es Ergänzungsleistungen, wenn die erste Säule nicht ausreicht. Doch dies stellt der Nationalrat mit seinen Entscheiden in Frage. Besonders hart trifft es eine grosse Anzahl von Menschen mit Behinderungen: Knapp die Hälfte der IV-Beziehenden sind auf EL angewiesen, um finanziell über die Runden zu kommen.

Medienmitteilung vom 15.03.2018 Inclusion Handicap lesen

Mehr Informationen zur EL-Reform

Das Parlament öffnet der Willkür Tür und Tor

(Inclusion Handicap)

Versicherungen dürfen den Rechtsstaat aushöhlen, Versicherte stehen unter Generalverdacht, und ihnen werden elementare Grundrechte verweigert – die «gesetzliche Grundlage zur Überwachung von Versicherten», die heute der Nationalrat beschlossen hat, ist eines Rechtstaates nicht würdig. Behördenwillkür ist vorprogrammiert und die Privatsphäre der Versicherten wird in unzulässiger Weise verletzt, wenn der Ständerat nicht noch korrigierend einschreiten wird. Versicherungsmissbrauch darf nicht mit Missbrauch bekämpft werden.

Personen, die Sozialversicherungsleistungen beziehen, haben häufig harte Schicksalsschläge zu verkraften. Finanziell kommen sie nur mühselig über die Runden; insbesondere IV-Bezügerinnen und -Bezüger finden nur knapp ein Auskommen. Zu allem Überfluss stehen sie unter dem Generalverdacht, die Leistungen unrechtmässig zu beziehen. Doch statt dem Generalverdacht entgegenzuwirken und seiner rechtsstaatlichen Verantwortung nachzukommen, will der Nationalrat Behördenwillkür erlauben, die eines Rechtsstaates nicht würdig ist.

Medienmitteilung vom 12.03.2018 inclusion Handicap lesen

EL-Reform: Übersicht der finanziellen Auswirkungen publiziert

(Das Schweizer Parlament)
Medienmitteilung 05. März 2018

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) hat an ihrer Sitzung vom 21. bis 23. Februar 2018 die Vorberatung zur EL-Reform (16.065) abgeschlossen. Über ihre Anträge hat die Kommission mit einer Medienmitteilung informiert. Als Beilagen werden Übersichten zu den finanziellen Auswirkungen veröffentlicht.

Finanzielle Auswirkungen EL-Reform im Jahr 2030 gemäss den Beschlüssen der SGK-N vom 21.02.2018 (PDF)

Entwicklung der finanziellen Auswirkungen der Massnahmen der EL-Reform, welche die Ergänzungsleistungen betreffen (PDF)

Die BVB sindrollstuhlfreundlicher

(Basler Zeitung)

Transportunternehmen versieht Bus- und Tramhaltestellen mit Piktogrammen und informiert Rollstuhlfahrer. Von Martin Regenass.

Basel.
Kaum jemand, der folgende Szene in der Stadt nicht schon beobachtet hat: Ein Fahrgast rennt aufs Tram und obschon der Chauffeur ihn wahrnimmt, bimmelt die Glocke und das Tram fährt davon. So alleingelassen fühlen sich manchmal auch Rollstuhlfahrer. Denn wie die Basler Verkehrsbetriebe (BVB)gestern an einer Medienkonferenz mitteilten, gäbe es dazu immer wieder Rückmeldungen von gehbehinderten Menschen in Roll- stühlen. So würden sie bei der einen Tramhaltestelle mitgenommen, bei einer anderen hingegen nicht. Das soll sich nun ändern. In den nächsten Wochen versehen die BVB sämtliche Haltestellen, die von Rollstuhlfahrern benutzt werden können, mit Piktogrammen. Zusätzlich druckt das Transportunternehmen eine Broschüre mit sämtlichen Linien und Haltestellen. Auch auf der Webseite sind die Haltestellen eingetragen.

Wie Bruno Stehrenberger, Leiter Infrastruktur bei den BVB, erklärt, seien 76 Prozent der Tram- und 88 Prozent der Bushaltestellen behindertenfreundlich eingerichtet. Dieser viel höhere Wert als früher ist auch dem fast flächendeckenden Einsatz von Nieder flurfahrzeugen zu verdanken.

Die Haltestellen haben die BVB in zwei Kategorien eingeteilt. Einerseits in jene, bei denen Rollstuhlfahrer autonom einsteigen können, da sich die Kanten der Haltestellen auf derselben Höhe befinden wie die Türkanten. Andererseits in jene Haltestellen, bei denen der Chauffeur aussteigen und eine Klapprampe ausziehen muss, weil sich die Haltekante noch nicht auf derselben Höhe befindet wie die Türkante. Im zweiten Fall müssen sich die Rollstuhlfahrer dementsprechend beim Chauffeur bemerkbar machen. «In der Regel klappt das gut», sagt Francesco Bertoli. Der Präsident des Behindertenforums ist selber auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. «Bis anhin waren für uns nur 25 Prozent der Tramhaltestellen befahrbar. Dieser Wert hat sich nun umgekehrt. Das ist erfreulich.»

Unterschieden werden müsse explizit zwischen Elektrorollstühlen und Handrollstühlen. Denn für Elektrorollstühle gibt es bei Rampen einen gewissen Neigungswinkel, der nicht überschritten werden darf, weil sonst der Fahrer samt dem Gefährt kippt. So haben die BVB zusammen mit Bertoli denn auch sämtliche Haltestellen in Bus und Trams abgefahren, um zu testen, ob die Neigungswinkel fürElektrorollstühle passend oder zu steil sind. In Zukunft wird die Rollstuhlgängigkeit noch zunehmen, denn bis 2023 muss das Behindertengesetz des Bundes umgesetzt werden, das an sämtlichen Haltestellen eine ebenerdige Einstiegsmöglichkeit vorsieht. Gemäss Stehrenberger benutzen täglich rund 40 Menschen in einem Rollstuhl Busse und Trams.

www.bvb.ch


Klapprampe ausgefahren. Ein Tramchauffeur zeigt beim Bahnhof St. Johann
mit Elektrorollstuhlfahrer Francesco Bertoli, wie das Zusteigen geht. Foto M. Regena

«Kein Mensch ist nur blond oder blauäugig»

(HR-Today / deutsche Ausgabe)

Nils Jent ist Titularprofessor für Diversity Management und Direktor angewandte Forschung am Center for Disability and Integration an der Universität St. Gallen. In dieser Funktion kämpft er gegen die Diskriminierung von Behinderten im ers¬ten Arbeitsmarkt und für eine entsprechende ethische Werteveränderung.von Corinne Päper


Für Inklusioin brauche es einen Wertwandel, sagt Nils Jent, Titularprofessor für Diversity Management. (Bild:123RF)

«Menschen mit Behinderungen sind auf dem ers¬ten Arbeitsmarkt kaum gefragt», konstatiert Nils Jent, Professor für Diversity und Ability Management sowie Direktor der angewandten Forschung des Centers for Disability and Integration der Universität St. Gallen. «Sie erscheinen bei der Mitarbeitersuche nicht auf dem Radar der Arbeitgeber.» Zum einen spiele der Markt für Arbeitskräfte mit einer Behinderung nicht, weil sich die marginale Nachfrage und das kaum existierende Angebot nicht fänden.

«Vermeindliche Defizite» stehen im Vordergrund Sogar dann nicht, wenn diese Arbeitskräfte gleich qualifiziert sind wie Nichtbehinderte. Zum anderen stünden «ihre vermeintlichen Defizite» bei den Arbeitgebern im Vordergrund. «Eine Wertveränderung hat noch nicht stattgefunden.» Weil sich Arbeitgeber auf deren Defizite konzentrieren, statt das Potenzial zu sehen, liege viel menschliches Potenzial brach.

Doch welche Folgen hat die Diskriminierung von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt? «Werden Menschen auf ein paar wenige Merkmale reduziert, wird dies ihrer Individualität keineswegs gerecht», sagt Jent. «Kein Mensch ist nur blond und blauäugig und hat als einziger den idealen Wissensrucksack für einen Arbeitgeber.» Normierung führe zum Ausschluss und zur Diskriminierung von Menschen. «Das ist nicht nur ökonomisch fragwürdig, sondern ethisch verwerflich.» Ausserdem ignoriere eine homogen zusammengesetzte Belegschaft die Vielfalt des Unternehmensumfelds sowie die Vielfalt der Kunden. Würden Letztere nicht in einer vielfältigen Zusammensetzung der Mitarbeitenden gespiegelt, münde dies in letzter Konsequenz in «einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in einem immer komplexer werdenden Umfeld».


Nils Jent, Professor für Diversity und Ability Management. (Bild: zVg)

Die Wirtschaftliche Perspektive reicht nicht
Nebst der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit führe Diversity Management zu höheren Absatzmöglichkeiten, steigere die Kundenzufriedenheit durch besseres Marketing und Kundenverständnis, fördere die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Mitarbeitenden durch gegenseitiges Lernen und gegenseitigen Wissensaustausch und erhöhe so auch die Chancen, auf einem erweiterten Arbeitsmarkt qualifiziertes Personal zu finden.

Nicht zuletzt profitiere das Unternehmen durch sein Engagement von einem besseren Unternehmensimage. Werde Diversity Management einzig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, würden «Gleichbehandlung, Antidiskriminierung und damit auch Inklusion zur Nebensache». Gemäss Jent schrecken Arbeitgeber vor einer Anstellung von Menschen mit Behinderung zurück, weil sie diese als Leistungseingeschränkte wahrnehmen und die äusserst unterschiedlichen Behinderungsarten kaum auseinanderdividieren. Gefragt werde, «was nicht geht», statt zu klären, was ein Behinderter besonders gut könne, möglicherweise sogar besser als ein durchschnittlicher Nichtbehinderter.

«Ein bisschen Inklusion» funktioniert nicht
So hätten etwa Menschen mit Asperger-Syndrom oft ausserordentliche Befähigungen im Bereich von IT-Routinen, die weit über jene üblicher IT-Fachkräfte hinausgehen. Diese sogenannten komparativen Kompetenzen könne ein Unternehmen im Zusammenspiel mit vorhandenen Muss-Kompetenzen gezielt einsetzen. Etwa, indem Behinderte und Nichtbehinderte gemäss dem «Working Partnership Model» des Centers for Disability and Integration der Universität St. Gallen ihre diametral verschiedenartigen Befähigungen in einer Arbeitspartnerschaft so einbringen, dass sich deren Vorteile kumulieren, während sich die Nachteile aufheben.

«Ein bisschen Inklusion» funktioniere jedoch nicht, diese müsse auch gelebt werden. Das bedeute, gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten. «Nur sie können ihre Bedürfnisse und ihre teils speziellen Befähigungen realistisch einschätzen und wiedergeben», so Jent. Inklusion bedeute, dass «alle Gesellschaftsmitglieder in gleichwertigem Miteinander auf gleicher Augenhöhe konstruktiv zum Nutzen aller mitwirken».

Damit Inklusion in der Arbeitswelt gelinge, müssten bauliche, infrastrukturelle und adminis-trative sowie informationstechnologische Barrieren abgebaut werden und vor allem müsse ein Wertewandel stattfinden. Letzterer ziele darauf ab, den defizitorientierten Blickwinkel zum ressourcenorientierten zu lenken. «Gelingt es, den Fokus auf die vorhandenen Fähigkeiten der behinderten Menschen zu richten, ist man auch in der Lage, die Arbeitsstrukturen anzupassen, damit ihre Stärken und Fähigkeiten zum Tragen kommen und sie einen wertvollen Beitrag leisten können», so Jent. Kosten, die durch diese Anpassungen entstehen, «sind nicht den Menschen mit Behinderungen anzukreiden, die sich als Arbeitskräfte einbringen möchten». Vielmehr seien diese «notwendige Aufwendungen zur Beseitigung von Altlasten, Versäumnissen und Diskriminierungen der Vergangenheit».

Ohne Beweis keine Rente

(Schweizer Versicherung)

Eine Praxisänderung des Bundesgerichts zur Zahlungs-verpflichtung der IV bei Depressionen wirft Wellen.Von Clemens Furrer

Depressionen sind eine weit verbreitete Krankheit gerade auch in wirtschaftsintensiven Ländern wie der Schweiz. Während wohl jeder schon Phasen der Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Lustlosigkeit durchgemacht hat, kann sich dies bei manchen zu einer veritablen Krankheit verschlimmern, die es für sie unmöglich erscheinen lässt, einem Erwerbseinkommen nachzugehen. In solchen Fällen springt die Invalidenversicherung (IV) ein. Allerdings war das bisher ein heikles Unterfangen, denn auch die IV steht unter Spardruck und der Nachweis nicht mathematisch exakt beweisbarer Krankheiten wie ungeklärte Schmerzen oder Depressionen war im Einzelfall oft schwierig zu erbringen.

Die rigide Rechtsprechung zu unerklärlichen Schmerz- störungen hatte das Bundesgericht bereits 2015 geändert. Nun zieht es auch bei Depressionen nach. Während Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen bisher nur dann eine IV-Rente erhalten hatten, wenn ihr Leiden als therapieresistent gilt, lässt das Bundesgericht nun ein «strukturiertes Beweisverfahren» zu und betrachtet somit das tatsächliche berufliche Leistungsvermögen und nicht nur die medizinische Diagnose bzw. Therapierbarkeit.

Von Rückenbeschwerden zur Depression Der damals 38-jährige Aslan (Name fiktiv) meldete sich im Jahr 2004 wegen Rückenbeschwerden bei der IV an und erhielt eine Rente. Im Jahr 2012 liess die IV Aslan begutachten. Nachdem auch der Regionale Ärztliche Dienst dazu Stellung genommen und eine Aktenbeurteilung aus psychiatrischer Sicht abgegeben hatte, verfügte die IV im August 2016 die Renteneinstellung, wogegen Aslan sich bis vor Bundesgericht wehrte. Das Bundesgericht kommt in seinem neuen Urteil 8C_130/2017 vom 30.11.2017 zum Schluss, sämtliche psychischen Erkrankungen sollten einem strukturierten Beweisverfahren unterzogen werden, um die funktionellen Folgen sämtlicher psychischer Befunde anhand des strukturierten Beweisverfahrens gesamthaft zu beurteilen.

Vor Bundesgericht war unbestritten, dass aus somatischer Sicht keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Streitig war, ob die Renteneinstellung zu Recht erfolgte. Der depressiven Störung massen die Gutachter in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit keine primäre Bedeutung bei. Sie begründeten eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit vorrangig mit der diagnostizierten chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Die kantonale Vorinstanz erkannte dem Gutachten vollen Beweiswert zu, wich dabei jedoch von der attestierten Arbeitsu fähigkeit ab.

Arbeitsfähig trotz Störung?
Fraglich ist vor Bundesgericht, ob die psychischen Beschwerden eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit begründen. Nach Auffassung des Bundesgerichts bestätigt die Weiterentwicklung der Diagnosen, dass die diagnostische Einordnung einer psychischen Störung allein das objektiv bestehende tatsächliche Leistungsvermögen eines Patienten nicht festlegt.

In der Praxis findet sich im Nachgang zu BGE 141 V 281 der Schluss, es handle sich, wenn die Diagnosekriterien keinen bestimmten Schweregrad der Befunde verlangten, um ein leichtgradiges Krankheitsgeschehen, das von vornherein keine rechtserhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bewirken könne. Da vorliegend die Arbeitsunfähigkeit durch eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mithin also eine Störung ohne Bezug zu einem Schweregrad der Befunde in den Diagnosekriterien begründet wird, bedarf dies in den Augen des Bundesgerichts einer grundsätzlichen Klärung. Bei der chronischen Schmerzstörung wird ein über Monate bestehender Schmerz in mehreren anatomischen Regionen beschrieben. Die Schmerzen werden durch eine Wechselwirkung von körperlichen und psychischen Faktoren hervorgerufen. Psychische Faktoren haben dabei einen wesentlichen Einfluss auf Schweregrad und Aufrechterhaltung der Schmerzen.

Nach neuer Überzeugung des Bundesgerichts fehlt der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ein Bezug zum Schweregrad der Erkrankung. Idee des durch Indikatoren geleiteten strukturierten Beweisverfahrens ist es, danach zu fragen, ob die vorhandenen Funktionseinbussen durch die erhobenen Befunde abgedeckt und erklärbar sind. Die angegebene Beeinträchtigung in den verschiedenen Funktionsbereichen darf dabei nur durch die diagnoseerheblichen Befunde begründet sein. Zentral ist die Notwendigkeit des «diagnoseninhärenten Schweregrads» mit der Schlussfolgerung, dass – wie das Bundesgericht mutmasst – «deutlich zu häufig eine anhaltende Schmerzstörung diagnostiziert» wird, ohne dem geforderten Schweregrad genügend Beachtung zu schenken. Nur wo bereits in den Diagnosekriterien ein Bezug zum Schweregrad gefordert wird, erlaubt nach höchstrichterlicher Überzeugung ein nicht erreichter Schweregrad gegebenenfalls bereits den Ausschluss einer krankheitswertigen Störung. Indes will das Bundesgericht dies nicht auf sämtliche psychiatrischen Diagnosen verallgemei- nernd anwenden. Fehlt in der Diagnose die Schweregradbezogenheit, sieht das Gericht die Schwere der Störung in ihrer rechtlichen Relevanz erst bei deren funktionellen Auswirkunge

Arbeitsfähigkeit im Fokus Das Bundesgericht sieht aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht die Schwere einer Erkrankung als entscheidend, sondern deren Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit. Selbst dort, wo Ärzte therapeutische Massnahmen eruieren, stellt sich nach Auffassung des Gerichts im Sozialversicherungsrecht einzig die Frage der Arbeitsfähigkeit. Je nach Krankheitsbild, so das Gericht jetzt neu, bestehe trotz Therapiebedarf eine erwerblich verwertbare Leistung. Das Gericht veranschaulicht diese Überlegung exemplarisch anhand abnormer Gewohnheiten oder Störungen der Sexualpräferenzen. Je nach Ausprägung ist selbst für den Laien eine schwere psychische Störung erkennbar und dennoch drängt sich ein Bezug zur Arbeitsunfähigkeit nicht auf. Nach neuer höchstrichterlicher Lesart ist es somit verfehlt, ein Leiden als leicht einzustufen, weil diagnostisch kein Bezug zum Schweregrad gefordert ist und ihm schon deshalb eine versicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzusprechen.

Der davon zu unterscheidende funktionelle Schweregrad einer Störung, der sich nach deren konkreten funktionellen Auswirkungen und insbesondere danach beurteilt, wie stark die versicherte Person in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen schmerzbedingt beeinträchtigt ist, überschneidet sich da- bei teilweise mit den Ausführungen zur Diagnosestellung. Somit lässt das Bundesgericht auch bei schweren psychischen Leiden nicht automatisch auf eine ausgeprägte funktionelle Einschränkung schliessen.

Nach neuer höchstrichterlicher Auffassung resultiert unabhängig von der klassifikatorischen Einordnung einer Krankheit aus einer Diagnose allein also keine verlässliche Aussage über das Ausmass der mit dem Gesundheitsschaden zusammenhängenden funktionellen Leistungseinbusse bei psychischen Störungen. Entscheidend bleibt vielmehr die Frage der funktionellen Auswirkungen einer Störung. Daher kann nach nun neuer Lesart des Gerichts eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsschätzung, zumindest ohne einlässliche Befassung mit den spezifischen normativen Vorgaben und ohne entsprechende Begründung, den rechtlich geforderten Beweis des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit nicht erbringen.

Abklärung der funktionellen Folgen
Das Bundesgericht stellt mit Verweis auf Urteil 8C_841/2016 klar, dass ab jetzt auch affektive Störungen, einschliesslich der leichten bis mittelschweren depressiven Erkrankungen, einzelfallweise dem strukturierten Beweisverfahren unterstellt werden. Somit sind grundsätzlich sämtliche psychischen Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren zu unterziehen. Diese Abklärungen enden stets mit der Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anh der rechtserheblichen Indikatoren auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen. Aufgabe der Rechtsanwendung ist also nicht, die medizinischen Befunde einzeln oder separat zu prüfen, sondern gesamthaft die funktionellen Folgen einer oder mehrerer psychischer Leiden zu würdigen.

Das Gutachten im Fall von Aslan gibt nach Meinung des Bundesgerichts nicht hinreichenden Aufschluss über die im Vordergrund stehenden Standardindikatoren. Eine schlüssige Beurteilung der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit war im konkreten Fall nicht möglich. Das Gericht ordnete daher ein neues interdisziplinäres Gutachten an und wies den Fall an die Vorinstanz zurück.