Ein Politiker allen Hindernissen zum Trotz

(Neue Zürcher Zeitung)

Der Gemeinderatskandidat Islam Alijaj
will das Thema Behinderung sexy machen

Islam Alijaj leidet seit seiner Geburt an einer Zerebralparese. Das hält ihn nicht davon ab, für die SP für den Zürcher Gemeinderat zu kandidieren.

Eigentlich sprach im Leben von Islam Alijaj wenig für eine Laufbahn in der Zürcher Politik. Der gebürtige Kosovare leidet aufgrund einer Zerebralparese seit seiner Geburt an einer Sprachstörung und einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Manchmal fragt er sich selber:

«Wie komme ich bloss auf diese Idee?» Doch zwei Schlüsselmomente in Alijajs Biografie führten dazu, dass sein Name heute auf der SP-Kandidatenliste für die Gemeinderatswahlen steht. Der erste dieser Momente machte Alijaj bewusst, dass er anders ist als die anderen. Im Teenageralter arbeitete er an Hausaufgaben aus der Sonderschule. Neben ihm sassen sein jüngerer Bruder und seine Cousins, ebenfalls mit Schularbeiten beschäftigt. Alijaj blickte auf die Arbeitsblätter und stellte fest: Mit 16 Jahren löste er Matheaufgaben für 12-Jährige. «Da habe ich eine Krise bekommen», sagt Alijaj rückblickend. Doch «Lomi», wie seine Freunde ihn nennen, liess sich nicht unterkriegen – im Gegenteil. Auf die Krise folgte ein Ent-wicklungsschub, der ihn für sein weiteres Leben prägen sollte.

Unbeirrte Hartnäckigkeit

Innert zwei Jahren holt er den Stoff von drei Schuljahren nach. Er gewinnt Selbstvertrauen, wird unabhängiger, lernt als Jugendlicher ohne Gehhilfe zu laufen. Denn: «Wie will man mit einem Rollator eine Frau kennenlernen?» Die Entwickung geschieht nicht ohne Druck von aussen. «Man wollte mich in eine geschützte Werkstatt versorgen. Ich wusste: Wenn ich jetzt nicht Gas gebe, komme ich nicht mehr heraus aus diesem Kreis.» Stattdessen absolviert er gemeinsam mit Jugendlichen ohne Behinderung eine KV-Lehre. Es ist die Zeit, in der Alijaj eine unbeirrte Hartnäckig keitentwickelt, die beinahe trotzig wirken kann. Er merkt, dass jeder sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen kann. Und er lernt, seinen Körper zu akzeptieren: «Mir ist bewusst, dass ich in einem Gefängnis gefangen bin», sagt er heute. «Doch meine Schwäche, meine Behinderung, ist zu meiner Stärke geworden.»

Bei seiner Geburt in Kosovo hatte er Glück im Unglück, wie er es knapp 32 Jahre später ausdrückt. Ein Sauerstoffmangel führte zu Schäden im Gehirn. Die kognitiven Fähigkeiten wurden nicht beeinträchtigt, doch wird er zeitlebens an einer Sprach- und Bewegungsstörung leiden. Als Einjähriger kam er zusammen mit der Mutter und seinen zwei älteren Brüdern in die Schweiz, wo der Vater seit den achtziger Jahren als Saisonnier gearbeitet hatte. Albisrieden wurde die neue Heimat der Familie Alijaj.

Verhindertes Studium

Der zweite Schlüsselmoment brachte Alijaj in die Politik. Nach seiner KV-Lehre wollte er ein Studium beginnen. Wirtschaft oder Wirtschaftsinformatik, so sein Plan. Mit einem Hochschulabschluss und entsprechenden Hilfestellungen hätte er eine Chance im ersten Arbeitsmarkt gehabt, war der damals 22-Jährige überzeugt. Doch Vertreter seiner Lehrfirma und der Invalidenversicherung überredeten ihn, dass eine IV-Rente und eine geschützte Arbeitsstelle besser für ihn seien, erinnert sich Alijaj. Erst im Nachhinein erfuhr er, dass Betriebe für jeden besetzten ArbeitsplatzBeiträge von der IV bekommen. Zudem hängt die Höhe der IV-Rente vom Ausbildungsgrad ab. Alij aj fühlte sich hintergangen.

«Meine Schwäche, meine Behinderung, ist zu meiner Stärkegeworden.»
Islam Alijaj Kandidat der SP für den Gemeinderat.

Weder sein Arbeitgeber noch die Invalidenversicherung hätten Inteesse an seinen Ausbildungsplänen gehabt, sagt er. «Finanzielle Fehlanreize aufseiten der Institutionen haben mich um mein Studium gebracht», ist Alijaj überzeugt. «Dieses Ereignis hat mich schlagartig politisiert.»

Mit derselben Hartnäckigkeit, die ihn von der Sonderschule zum KV-Abschluss gebracht hat, verfolgt er fortan eine politische Karriere. Sein Hauptaugenmerk richtet er auf die Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung. Mit seinen Frontalangriffen gegen Behindertenorganisationen machte er sich dabei nicht nur Freunde. Diemgrössten Hürden für eine politische Tätigkeit von Behinderten sieht er in den fehlenden Strukturen und im mangelnden Bewusstsein der Leute. Man müsse akzeptieren, dass Politikerinnen und Politiker mit einer Behinderung Unterstützung brauchten, um eine faire Chance im Wettbewerb zu haben. Alijaj selbst hat eine Verbal-assistentin, die bei Anlässen seine Reden vorliest. Zudem spüre er die Unterstützung der Parteileitung. Ganz gleichwertig behandelt fühlt er sich trotzdem nicht. Bei einer Delegiertenversammlung wollte er beispielsweise neben seiner Assistentin am Rednerpult stehen. Wegen einer Treppe konnte er die Bühne aber nicht erklimmen.

«Das Thema Behinderung ist immer noch nicht sexy. Ich will es endlich sexy machen», sagt Alijaj, der sich als Zugpferd für eine gesellschaftliche Verändrung sieht, die durchaus vergleichbar mit der Emanzipationsbewegung der Frauen sei. Behinderte Menschen gälten weitherum als arm, hilflos und asexuell. Andiesem Bild will er rütteln. Spricht er über sein eigenes politisches Engagement, fallen reihenweise Wörter wie «Erfolg», «Leistung» und «Ambitionen». Doch seine Zielstrebigkeit wirkt uneigennützig, er denkt über die Grenzen der eigenen Biografie hinaus. «Mit meiner eigenen Karriere ist noch nichts erreicht», sagt Alijaj. Für eine Gleichstellung von Menschen mit Behinderung müsse sich die gesamte Gesellschaft wandeln. «Alleine schaffe ich das nicht.»

Tabuthema Sexualität

Neben seiner politischen Tätigkeit ist Alijaj Initiator eines Fördervereins, der Menschen mit Behinderung bei der Verwirklichung ihrer Karriereträume helfen soll. Die Suche nach Investoren ist in vollem Gang. Energie für diese Doppel-belastung tankt er bei seiner Familie. Als Vater von zwei gesunden Kindern sorge er mit seiner Behinderung immer wieder für verwunderte Blicke. «Das Thema Sexualität und Behinderung ist nach wie vor ein Tabu», sagt er. «Ich bin jetzt schon gespannt auf die Reaktionen beim ersten Elternabend.»

Politik sei ein Strategiespiel, sagt Alijaj, der Emmanuel Macron (für seine Mentalität und sein politisches Geschick), Pascale Bruderer (für ihre Offenheit und ihre kommunikativen Fähigkeiten) oder Alfred Escher (für seine Visionen) als politische Vorbilder bezeichnet. Auch wenn er selber dem Stereotyp des Reden schwingenden, aal- glatten Politikers nicht entspricht: Hinter den hellwachen Augen und dem spitzbübischen Lachen steckt ein Politiker durch und durch. Alijaj ist ein kritischer Geist, der seine Ansichten mit Nach druck vertritt. Er hat keine Probleme anzuecken – auch nicht in der eigenen Partei. Sein Selbstvertrauen und seine Direktheit sind entwaffnend. Ohne zu zögern, fordert er für den Zürcher Gemeinderat eine Behindertenquote von 10 bis 20 Prozent. Er ist Realist genug, um den Wunschtraum als solchen zu er- kennen. Aber auch dickköpfig genug, um ihn trotzdem auszusprechen.

Der neue FV-Dosto darf mit Fahrgästen fahren.

(SBB)
Medienmitteilung, 16.02.2018

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 14. Februar 2018 entschieden, dass die SBB die neuen Fernverkehrs-Doppelstockzüge FV-Dosto für Fahrten mit Kundinnen und Kunden einsetzen darf.

Die SBB begrüsst den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) und wird Ende Februar den neuen Fernverkehrs-Doppelstockzug für Fahrten mit Kundinnen und Kunden einsetzen.

Somit kann die SBB nun, bevor die neuen Züge zum Fahrplanwechsel im Dezember 2018 vollumfänglich in den neuen Fahrplan integriert werden, die Züge im Alltagsbetrieb auf Funktionstauglichkeit und Zuverlässigkeit testen. Die Züge werden in einer ersten Phase als Interregio auf der Strecke Zürich HB–Bern und/oder als RegioExpress auf der Strecke Zürich HB–Chur eingesetzt. Zu einem späteren Zeitpunkt kommen die neuen Züge schrittweise zwischen St. Gallen–Bern–Genève Aéroport und auf anderen Intercity-Linien zum Einsatz.

SBB offen für lösungsorientierten Dialog.

Die Behindertenorganisation Inclusion Handicap hat im Januar eine Verbandsbeschwerde gegen die Ende November 2017 vom Bundesamt für Verkehr (BAV) erteilte befristete Betriebsbewilligung der FV-Dosto Züge eingereicht. Die Beschwerdeführer haben überdies vorsorgliche Massnahmen zur Umgestaltung der teilweise bereits produzierten Fahrzeuge beantragt. Die SBB hat am 2. Februar 2018 dem Gericht ihrerseits beantragt, ohne weitere Anhörung den Einsatz der FV-Dosto mit Kunden zu erlauben und die aufschiebende Wirkung der Verbandsbeschwerde in diesem Umfang zu entziehen. Dem Antrag wurde für sechs Fahrzeuge (zwei IC 200, zwei IR 200 und zwei IR 100) stattgegeben. Die Anträge der Beschwerdeführer auf Erlass vorsorglicher Massnahmen zur Umgestaltung der teilweise bereits produzierten Fahrzeuge wurden demgegenüber abgewiesen. Die SBB begrüsst diesen Entscheid, der eine sachliche und vertiefte Diskussion der vielfältigen konstruktiven und regulatorischen Anforderungen an interoperables Rollmaterial im Rahmen des Hauptverfahrens erlaubt.

Seit Beginn des Projekts findet eine aktive Abstimmung mit den Behindertenorganisationen statt. Sie wurden in die Fahrzeug-Konzeption einbezogen. Die Organisationen besichtigten bereits im ersten Halbjahr 2011 das 1:1 Holzmodell (Maquette) des Zuges und konnten es begehen, mit dem Rollstuhl befahren und kommentieren. Bei diesem Modell war die Rampenneigung gemäss der heutigen Ausführung des Zuges und nach Überzeugung der SBB auch gemäss der geltenden Normen gebaut. Damals erfolgten keine Einwendungen zur Rampensituation.

Die SBB bleibt weiterhin in einem lösungsorientierten Dialog mit den Behindertenorganisationen.

Die SBB nimmt das Thema Behindertengleichstellung sehr ernst. Oftmals geht die SBB bei der Umsetzung über das gesetzlich geforderte und die in den Nachbarländern/der EU geltenden Standards hinaus. Die SBB investiert erhebliche Mittel in die Behindertentauglichkeit ihres Rollmaterials und, wo nötig, in ergänzende Einstiegshilfestellungen. So unterhält die SBB das SBB Call Center Handicap, das mobilitätseingeschränkten Kundinnen und Kunden bei der Planung und Durchführung von Zugreisen zur Seite steht. Reisende im Rollstuhl, Geh- und Sehbehinderte sowie geistig Behinderte erhalten kostenlose Unterstützung beim Ein- und Aussteigen. Allein im Jahr 2017 organisierte die SBB für rund 9 Millionen Franken über 142 000 solcher Einstiegshilfestellungen. Dafür standen schweizweit 77 Mitarbeitende im Einsatz. Aktuell können 78 Prozent aller möglichen Verbindungen mit dem Rollstuhl genutzt werden, d.h. entweder selbständig oder mit Unterstützung von unseren Mitarbeitenden. Auch waren per Ende 2017 mehr als die Hälfte aller SBB-Bahnhöfe barrierefrei. Davon profitierten 76 Prozent der Reisenden.

Muslimische Seelsorge im Testbetrieb Zürich: Pilotprojekt zeigt positive Resultate

(admin.ch)

Der Einsatz von muslimischen Seelsorgern im Asylzentrum des Bundes in der Stadt Zürich wird sowohl von den Asylsuchenden als auch von den Mitarbeitenden und der christlichen Seelsorge positiv beurteilt. Der Bericht zur Evaluation des Pilotprojektes hält zudem fest, dass sich die Kriterien und Anforderungen für die Auswahl der muslimischen Partnerorganisationen und der Seelsorgenden bewährt haben. Für einen allfälligen Auf- und Ausbau der muslimischen Seelsorge in anderen Bundesasylzentren muss jedoch die Aus- und Weiterbildung muslimischer Seelsorgender verbessert und die Finanzierungsfrage geklärt werden. Im Testbetrieb Zürich wird das Pilotprojekt bis Ende Juni 2018 verlängert.

Das seit dem 1. Juli 2016 laufende Pilotprojekt im Testbetrieb des Bundes in Zürich wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) in enger Zusammenarbeit mit den reformierten und katholischen Landeskirchen und dem israelitischen Gemeindebund (SIG) erarbeitet. Es sollte geprüft werden, ob der Einsatz von muslimischen Seelsorgern einen Nutzen bringt und ob die flächendeckende Einführung in den Bundesasylzentren möglich wäre. Mit der Umsetzung wurde die Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) betraut. Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) an der Universität Freiburg hat das Projekt wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Mehrwert in den Asylzentren und darüber hinaus

Das SZIG hält in seinem Bericht fest, dass die muslimische Seelsorge aus Sicht der Asylsuchenden, der Mitarbeitenden in der Betreuung und der christlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger einen klaren Mehrwert bringt. Dieser Mehrwert zeige sich innerhalb des Asylzentrums, gehe aber über diesen Kontext hinaus. Die muslimischen Seelsorger seien ein Brückenbauer zwischen den Herkunftsländern der Gesuchsteller und der Schweiz und vermittelten diesen ein offenes, humanistisches Verständnis des Islam.

Der Kriterienkatalog und das Anforderungsprofil für die Auswahl der muslimischen Partnerorganisation als auch der Seelsorgenden haben sich gemäss dem Bericht grundsätzlich bewährt. Um einen Auf- und Ausbau der muslimischen Seelsorge in den anderen Asylzentren des Bundes angehen zu können, brauche es zunächst einen Klärungs- und Dialogprozess mit weiteren muslimischen Partnerorganisationen. Auch wenn diese heute noch nicht über eine mit den Landeskirchen vergleichbare Legitimation verfügten und sie unterschiedlich gut organisiert seien, gebe es in verschiedenen Kantonen durchaus Erfahrungen in der Kooperation zwischen staatlichen Einrichtungen, den Landeskirchen und Muslimen; auf diese könne zurückgegriffen werden.

Ziel ist ein Lehrgang für christliche und muslimische Seelsorgende

Das Anforderungsprofil an die muslimischen Seelsorgenden decke zudem nur das absolut notwendige Fachwissen im Bereich der Seelsorge und der Religion ab. Daher müsse zunächst die fachliche Aus- und Weiterbildung für muslimische Geistliche und Seelsorgende verbessert werden. Angestrebt wird ein Lehrgang in der Schweiz, der den Fokus auf die Seelsorge, das Verhältnis von Kirche und Staat sowie die Interreligiosität legt. Er soll christlichen wie auch muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern offen stehen. Die Landeskirchen begrüssen den Aufbau eines solchen Lehrganges.

Eine offene Frage ist, wie die muslimische Seelsorge künftig finanziert werden könnte. Auf Bundesebene bestehen heute keine gesetzlichen Grundlagen für die Übernahme dieser Kosten. Bei der christlichen Seelsorge sind es die Landeskirchen, welche die Kosten tragen. In den Gesprächen mit den muslimischen Organisationen hat sich jedoch gezeigt, dass diese ausser Stande sind, die Finanzierung der muslimischen Seelsorge zu sichern.

Aktive Mitarbeit der Landeskirchen im Pilotprojekt

Heute wird die seelsorgerische Tätigkeit in den Bundesasylzentren durch den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK), die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Christkatholische Kirche der Schweiz (CKS) und den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) in Zusammenarbeit mit den kantonalen Landeskirchen erbracht. Diese Organisationen haben 2002 mit dem damaligen Bundesamt für Flüchtlinge (heute SEM) die „Rahmenvereinbarung für die regionalen Seelsorgedienste in den Empfangsstellen für Asylsuchende“ abgeschlossen. Die Landeskirchen haben viel Arbeit beim Aufbau des Pilotprojektes für die muslimische Seelsorge geleistet und sind an der Weiterentwicklung der Seelsorge im interreligiösen und muslimischen Kontext interessiert.

Alles, was ihr über Angststörungen wissen müsst

(friday-magazine.ch)

Immer mehr Celebs erzählen von ihrer Angststörung. Doch was ist das eigentlich für eine Krankheit? Wir haben bei der Expertin nachgefragt.

Von: Marie Hettich

Seit Franziska Seyboldt 12 ist, ist die Angst ihr ständiger Begleiter – beim Arzt, beim Fliegen, in der U-Bahn, aber auch manchmal, wenn sie in einem gemütlichen Café sitzt. In ihrem neuen Buch „Rattatatam, mein Herz“ erzählt die deutsche Autorin ihre Angstgeschichte – und in ihrer Geschichte werden sich unzählige Menschen wiedererkennen. Denn allein in der Schweiz leiden laut Pro Infirmis rund 800’000 Menschen an einer Angststörung – also jeder Zehnte. Frauen sind doppelt so häufig betroffen.

Die Krankheit der Millennials?

Auch Celebs machen aus ihrer Angst immer seltener ein Geheimnis: Lena Dunham war 2014 eine der ersten, die die psychische Krankheit in aller Öffentlickeit thematisierte. Selena Gomez und Zayn Malik mussten aufgrund heftiger Panikattacken Konzerte absagen, Kendall Jenner bekannte sich letztes Jahr in „Keeping up with the Kardashians“ zu ihrer Angststörung, die sie manchmal die ganze Nacht nicht einschlafen lässt.

Angst wird als die Krankheit der Millennials beschrieben – vor allem in den USA kursiert der Begriff „Generation Anxiety“. Doch kann man wirklich von einer ganzen Generation sprechen? Woran erkennt man, ob die eigene Angst noch in einem normalen Rahmen oder schon krankhaft ist? Und woran liegt es, dass Frauen viel häufiger an einer Angststörung erkranken? Wir haben mit Dr. Annette Brühl von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich gesprochen.

Frau Brühl, wovor haben Menschen mit einer Angststörung eigentlich Angst? Oft vor etwas sehr Konkretem: vor Spinnen oder Menschenmassen zum Beispiel. Da kommt dann aber noch die Angst vor der Angst hinzu: Man beginnt, Orte zu meiden, in denen die Angst – auch in Form einer Panikattacke – auftauchen könnte. Im Falle der Spinne also zum Beispiel den Keller.

Wie kann es passieren, dass einem eine kleine Spinne plötzlich so viel Angst bereitet? Die Spinne wird im Kopf aufgebauscht – vor dem inneren Auge ist sie plötzlich riesig und gefährlich. Personen mit Höhenangst schätzen die Höhe im Vergleich zu Gesunden auch völlig verzerrt ein – der Abgrund ist um ein Vielfaches tiefer als er tatsächlich ist.

Woran merke ich, ob meine Angst noch normal oder schon krank ist? Vor allem an den Vermeidungsstrategien und Einschränkungen im Alltag. Wenn ich mich abends um 18 Uhr am rappelvollen HB nicht wohlfühle, ist das keine Angststörung. Wenn ich die Situation dort allerdings so sehr fürchte, dass ich einen grossen Bogen um den HB mache und morgens und abends eine ganze Stunde extra Fahrzeit in Kauf nehme, ist das ein Problem.

Gibt es Ihrer Meinung nach die Generation Anxiety, von der vor allem in den USA die Rede ist? Mit solchen verallgemeinernden Begriffen bin ich vorsichtig. Aber der Druck, etwas Besonderes zu sein, und damit auch die Angst vor dem Versagen, ist bei den Jugendlichen heute definitiv stärker ausgeprägt als früher. Unglaubliche 90% aller Eltern halten ihre Kinder heutzutage für hochbegabt – diese Riesenerwartungen muss man erst einmal erfüllen können!

Kann auch Social Media eine Angststörung auslösen? Eine Studie hat erst kürzlich ergeben, dass Menschen, die viel in den Sozialen Medien unterwegs sind, ein grösseres Risiko haben, an einer Depression oder Angststörung zu erkranken. Aber auch hier muss man fragen: Wer verbringt eigentlich so viel Zeit am Smartphone? Sind das vielleicht nicht sowieso vor allem Menschen, die zu Depressionen und Angststörungen neigen?

Woran liegt es, dass Frauen häufiger betroffen sind? Das ist noch nicht komplett erforscht. Entweder liegt es daran, dass Frauen wirklich anfälliger für Angststörungen sind – oder aber daran, dass sie einfach schneller Hilfe in Anspruch nehmen und Männer hingegen länger die Zähne zusammenbeissen.

Aber dann wären im Endeffekt ja genauso viele Männer in Behandlung? Naja, Männer versuchen häufig, ihre Ängste mit Alkohol zu bekämpfen – und sind dann schlussendlich nicht wegen der Angst in Behandlung, sondern wegen ihrer Alkoholsucht.

Und wenn wir davon ausgehen, dass Frauen anfälliger sind: Womit könnte das zu tun haben? Hormone könnten eine Rolle spielen – das sieht man ja auch an Stimmungsschwankungen im Zyklus. Dabei muss man aber klar sagen, dass Frauen nicht – wie früher angenommen – von Natur aus emotionaler sind. Sogar das Gegenteil konnte nachgewiesen werden: Männerhirne reagieren zum Teil stärker auf verschiedene emotionale Trigger.

Welche Rolle spielt die Erziehung bei der Angst? Jungs gehen häufig mit ihrer Angst von klein auf konfrontativer um, weil sie oft Sätze wie „Stell dich nicht so an“ oder „Sei ein tapferer Junge“ zu hören bekommen. Mädchen hingegen wird eher gesagt „Ach du Armes, das ist ja völlig verständlich, dass du Angst hast!“

Wenn die Eltern extrem ängstlich sind – kann sich das auf das Kind übertragen? Normalerweise übernimmt der Vater ja den – sagen wir mal – wilderen Elternpart: er tobt mit dem Kind herum, wirft es auch mal hoch, und so weiter. Wenn er aber sehr vorsichtig ist, lernt das Kind: Weil meine beiden Eltern nicht mutig und spielerisch auf Situationen zugehen, sollte ich das lieber auch nicht tun. Zumindest bei Menschen, die die Veranlagung mit sich bringen, kann so eine Angststörung entstehen.

Also ist es, wie so oft, auch eine Frage der Veranlagung? Absolut. Schon bei drei- bis vierjährigen Kindern kann man sehen, wer eher vorsichtig und ängstlich ist – und das ist dann ganz klar angeboren.

PD Dr. med. Annette Brühl leitet an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich das Zentrum für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie.

Völlig unverhältnismässig

(Links /SP St-Gallen)

Samthandschuhe bei Steuerbetrug, aber Kanonen bei Sozialversicherungsbetrug. So schizophren entschied der Ständerat.

Im Dezember hat der ansonsten besonnene Ständerat eine weitgehende Überwachung bei Verdacht von Sozialversicherungsbetrug beschlossen. Erst in letzter Minute gelang es, die Sache in einigermassen rechtsstaatliche Bahnen zu lenken. Auch der Nationalrat muss noch darüber befinden. Blenden wir zurück: Im Oktober 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz gerügt, dass esür Überwachungsmassnahmen in Fällen von mutmasslichem Sozialversicherungsbetrug keine genügende Gesetzesgrundlage gebe. Die Ständeratskommission für soziale Sicherheit und Gesundheit hat dann mittels Eilverfahren die Gesetzgebung aufgegleist. Und dabei jegliches Mass verloren.

Rechtsstaat beschädigt

Die Kommission hat drastische Massnahmen vorgeschlagen, welche die Persönlichkeitsrechte verletzen. Personen, die verdächtigt werden, zum Beispiel die IV zu betrügen, sollen ohne richterliche Anordnung über wacht werden können. Dabei können auch Bild- und Tonaufnahmen gemacht werden. Zudem sind technische Hilfsmittel wie etwa GPS-Tracker zulässig. Immer als letzte Massnahme zwar, aber ohne richterlichen Beschluss und auch auf Anordnung von Privaten. Zum Beispiel von den Krankenversicherungen.

So weit geht nicht einmal der Nachrichtendienst bei Terrorverdacht. Die Kommission scheint jeglichen Bezug zum Rechtsstaat verloren zu haben. Vergeblich kämpften unsere Genossinnen, allen voran Paul Rech- steiner, dafür, dass es für die Überwachung eine richterliche Anordnung braucht. Nach einem öffentlichen Aufschrei und Referendumsdrohungen hat dann das Ständeratsplenum jegliche Überwachungsmass- nahmen doch noch dem richterlichen Entscheid unterstellt.

Kein GPS-Tracker für Steuerbetrug

Wie absurd und menschenfeindlich diese Gesetzgebung ist und wie unterschiedlich mit dem Verdacht auf Missbrauch umgegangen wird, zeigt der Vergleich mit der Steuerhinterziehung. Bei den Sozialversicherungen gibt es jährlich rund 25o bis 27o Überwachungen. Die Ausgaben der Versicherungen können dadurch um 4 bis Millionen Franken gesenkt werde. Jedoch wurde in einem Drittel der Fälle ohne brauchbare Resultate, also völlig unnötig überwacht. Dank einer Steueramnestie haben in den letzten sieben Jahren go’000 Personen insgesamt 31,5 Mrd. Franken Vermögen den Steuerbehörden nachgemeldet. Aktiv danach gefahndet wurde nicht. Ausser Nachsteuern
hatten diese Personen nichts zu befürchten.

Der Ständerat hat im Winter 2017 eine Verschärfung des Steuerstrafrechts beerdigt. Dass das Steueramt automatisch einen Bankauszug bekommen soll, wird als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet. Dieselben Leute finden es aber nötig und völlig okay, wenn Bezügerinnen von Versiche rungsleistungen mit einem GPS-Tracker verfolgt werden können und Kameras heimlich ihr ganzes Leben aufzeichnen. Ja, so geht das bei uns.

Den Staat bei den Steuern «bschiisse» ist ein Kavaliersdelikt. Bei den Sozialversicherungen hingegen darf die Privatsphäre massivst tangiert werden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Steuer- und Sozialversicherungsbetrug sind beide verwerflich. Es sind Delikte, die geahndet werden müssen. Aber bitte sehr mit rechtstaatlichen Mitteln. Die Persön- lichkeitsrechte und der Rechtsstaat dürfen in der Strafverfolgung nicht einfach ausgehebelt werden.

Der Zugang zu den Medien ist eine völkerrechtliche Pflicht

(Link / Magazin der SRG)

Die No-Billag-Initiative ist ein Angriff auf Errungenschaften, die für Menschen mit einer Sinnesbehinderung von grosser Bedeutung sind. Nicht nur, aber auch deshalb stehen die Behindertenorganisationen engagiert für ein Nein zur Initiative ein.

GASTKOMMENTAR:PASCALE BRUDERER WYSS


Für blindeBürgerinnen undBürger sind qualitativ hochstehende Radiosendungen wie zum Beispiel das Wenn wir am 4. März über die No-Billag-Initiative abstimmen, dann betrifft dies den Alltag und das Medienangebot von sehr vielen Menschen. Einige davon sind aber besonders betroffen, denn für Menschen mit Sin nesbehinderung würde der Zugang zu politischen Informationen auf einen Schlag massiv eingeschränkt.

Die SRG SSR bereitet einen grossen Teil ihrer Sendungen so auf, dass auch Menschen mit einer Sinnesbehinderung Zugang dazu haben. Die Verpflichtung, barrierefrei zugängliche Sendungen anzubieten, wurde 2004 im Rahmen der Totalrevision in das Radio- und Fernsehgesetz integriert. Seither hat die SRG die Anzahl der barrierefrei aufbereiteten Sendungen kontinuierlich erhöht, und gemäss aktueller Vereinbarung ist bis 2022 eine weitere Steigerung vorgesehen: 80 Prozent der TV-Sendungen sollen bis dann untertitelt und jährlich 900 Stunden Sendungen mit Audiodeskription versehen werden. Letzteres sind «Hörfilme», bei denen das bewegte Bild laufend erläutert wird. Diese Angebote erlauben blinden und sehbehinderten sowie gehörlosen und schwerhörigen Menschen einen möglichst gleichberechtigten Zugang zum TV-Angebot. Namentlich die Informationssendungen haben eine zentrale Bedeutung für die politische Meinungsbildung: Für blinde Bürgerinnen und Bürger sind qualitativ hochstehende Radiosendungen wie zum Beispiel das «Echo der Zeit» wichtige Informa tionsquellen. Die «Tagessschau» in Gebärdensprache wiederum erfreut sich bei gehörlosen Personen grosser Beliebtheit.

Der Zugang zu den Medien im Allge- meinen sowie zur politischen Information im Speziellen ist eine völkerrechtliche Pflicht, welche die Schweiz mit der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechts-konvention eingegangen ist. Sendungen, die dies auch für Menschen mit Sinnesbehinderungen sicherstellen, sind allerdings nicht rentabel und deshalb auf eine öffentliche Finanzierung angewiesen. Genau diese Grundlage will die No-Billag-Initiative jedoch entziehen! Das würde den Alltag sehr vieler Menschen betreffen, jene mit einer Sinnesbehinderung jedoch noch stärker als manch andere.

Als Präsidentin von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen, setze ich mich deshalb klar für ein Nein zu No Billag ein. Ich danke Ihnen für Ihre Solidarität und Unterstützung.

Morgan Schwab Horsehbehindert «Mit den Gebühren werden auch die Untertitel, die Gebärdendolmetscher-Einblendungen und die Audiodeskription bezahlt. Wir Menschen mit Sinnes behinderungen wollen auch teilhaben. Wir wollen die Argumente der Menschen und Parteien erfahren – dafür ist zum Beispiel die (Arena) untertitelt. Ohne SRF gibt es das nicht mehr. Ohne Gebühren haben wir keinen Zugang mehr zum Fernsehen.»

Cheflohn? Sagen wir nicht!

(K-Tipp)

Hilfswerke: Wenn es um den Lohn des Geschäftsführers geht, hört bei vielen die Transparenz auf

Schweizer spenden gerne – und viel.

Darum möchten sie auch gerne wissen, was mit ihrem Geld geschieht. Doch bei den Löhnen wird oft geschwiegen. Der Spendenmarkt ist ein Milliardenmarkt: Im Jahr 2016 flossen den Hilfswerken in der Schweiz rund 1,79 Milliarden Franken an Spendengeldern zu.Das zeigt die Spenden-statistik der Schweizerischen Zertifizierungsstelle für gemeinnützige Organisationen, Zewo. Pro Kopf der Bevölkerung sind das fast 213 Franken. Recht viel Geld also – das nach dem Willen der Leute möglichst sinnvolleingesetzt werden soll. «Daher ist es absolut legitim, dass sich Spenderinnen und Spender für die Löhne in unserer Organisation inte- ressieren», sagt Beat Gerber, Mediensprecher der Schweizer Sektion von Amnesty International.

Die Einzellöhne werden verheimlicht

Diese Meinung scheint man nicht überall zu teilen. Dalässt eine Umfrage des K-Tipp vermuten: Nur 16 der 30 angeschriebenen Non-Profit-Organisationen gaben auf die Frage nach dem Jahreslohn des Ge schäftsführers Auskunft (siehe Grafik). Drei Hilfswerke reagierten nicht. Die übrigen vermeldeten lediglich, wie viel alle Mitglieder der Geschäftsleitung zusammen verdienen, und ergänzten sinngemäss: «Löhne von Einzelpersonen werdennicht kommuniziert.»

Rega: Im Durchschnitt Fr. 329000.-
Zu dieser Gruppe gehört auch die Schweizerische Rettungsflugvvacht Rega. Ihre sieben Geschäftslei- tungsmitglieder erhielten im Jahr 2016 eine Gesamt- vergütung von 2,304 Millionen Franken. Das ergibt im Durchschnitt rund 329 000 Franken pro Person. Sprecher Adrian Schindler macht geltend, die Rega lasse sich nicht mit einem klassischen Hilfswerk vergleichen. «Vielmehr entspricht sie von der Organisation her einer Fluggesellschaft mit drei verschiedenen Flugbetrieben und einem eigenen medizinischen Bereich von der Grösse eines mittleren Kantonsspitals.»

Bei jenen Organisationen, die das Salär ihres Chefs bezifferten, reicht die Spannweite von knapp 60 000 Franken (Heilsarmee) bis zu 275 000 Franken (Paraplegiker-Stiftung)brutto pro Jahr. Gut 250 000 Franken waren es – ohne Spesenpauschale – bei Markus Mader, dem Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes. Sprecherin Sabine Zeilinger verweist auf die organisatorische, personelle und finanzielle Verantwortung des Direktors.

Angst vor der Wut der Spender Unbestritten ist: Non-Profit-Organisationen unterscheiden sich stark, was Faktoren wie Umsatz, Mitarbeiterzahl und ihre Aufgaben betrifft. Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen an dieChefs. Trotzdem müssen sich alle die Frage stellen: Dürfen die Spender wissen, wie viel der Chef verdient? Oder könnten sie sich vor den Kopf gestossen fühlen?

Ein allzu üppiges Chefsalär könnte sich nämlich negativ auf das Spendenaufkommen auswirken. «Wenn es sich um ein grosses Hilfswerk handelt, liegt die obere Schmerzgrenze für die meisten Spender bei einem Lohn von 200 000 bis 250 000 Franken», sagt Markus Gmür, Professor am Institut für Verbandsmanagement der Uni Freiburg. Voraussetzung sei «eine realistische Vorstellung» von den Anforderungen an eine solche Stelle. «Wissenschaftliche Studien, die etwaige Vorbehalte von Spendern in der Schweiz direkt abgefragt hätten, gibt es meines Wissens aber bisher nicht.»

(Gery Schwager)

Auszeichnung für inklusive Kunst

(Zuger Zeitung)

Das Kunsthaus Zug setzt sich für einen möglichst hindernisfreien Zugang zu den Kulturangeboten für alle Menschen ein. Dafür wird es nun als erstes Museum in der Zentralschweiz von Pro Infirmis ausgezeich.

Das Label heisst «Kultur inklusiv». «Es steht für eine Kultur ohne Hindernisse für alle Interessierten», schreibt die Trägerschaft Pro Infirmis auf ihrer Internetseite. Es gehe um einen möglichst hindernisfreien Zugang zu den Kulturangeboten und um die ermöglichte kulturelle Teilhabe von allen Menschen- auch von Menschen mit Behinderungen.

Dass das Kunsthaus Zug mit dem Label ausgezeichnet wurde, geht gemäss Medienmitteilung aufverschiedene Projekte zurück.

So beispielsweise auf den Ausstellungscontainer «Kunsthaus Zug mobil», der die Kunst zu denMenschen an über 40 Orten in der Schweiz und im Ausland brachte. Oder auch das «Ship of Tolerance», bei welchem rund 2500 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit unterschiedlichem kulturellen und sozialen Hintergrund am Projekt beteiligt waren,darunter Bewohnerinnenund Bewohner eines Alterszentrums, Behinderteninstitutionen, Asylsuchende und Erwerbslose. Auch das Projekt «Die Sammlung auf Wunsch. Lieblingswerke», bei derauch Bewohner und Mitarbeitende der Zuwebe teilnahmen, wird in der Mitteilung erwähnt.

Offenheit von allen Sandra Winiger, Leiterin der Kunstvermittlung sieht die besondere Herausforderung bei der Planung und Durchführung von partizipativen Projekten vor allem darin, Situationen zu schaffen, die den Menschen ermöglichen, sich einzubringen. Viele seien sich das nicht gewohnt, trauten sich nicht zu, dass sie etwas Relevantes zu sagen hätten. Dazu brauche es Offenheit vonallen – den Kunstschaffenden,
den Mitarbeitenden und den Besucherinnen und Besuchern

«Die Resultate von solch partizi- pativ verstandenen Projekten sind nicht voraussehbar. Damit muss man umgehen können. Hier liegt die Herausforderung – vor allem aber das Geschenk von solchen Projekten».

Das Kunsthaus Zug setzt künftig auch neue inklusive Akzente in der Vermittlung seiner Ausstellungen. Mit dem Angebot «Gesprächsstunde Kunst» wird das Museum niederschwellige Zugänge testen, die auch Personen ohne Kunst- und Museums- erfahrung oder mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen erreichen sollen, wie es in der Mitteilung heisst. Eine Kunstvermittlerin steht für Erklärungen in einfacher Sprache zur Verfügung. Das neue Vermittlungsformat wird bereits im Rahmen der nächsten Ausstellung «Wien zu Europa – Klimt und Schiele zu Ldger und Klee» durchgeführt.

Christian Lohr: «Wir Behinderten sind keine Bremsklötze»

(Bluewin.ch)


Christian Lohr: «Das Menschen mit Beeinträchtigungen zu wenig ernst genommen werden, wäre eine Pauschalisierung und würde jenen nicht gerecht werden, die es gut machen.» Bild: Keystone

von Bruno Bötschi, Redaktor

Rollstuhlfahrer können die neuen, modernen SBB-Doppelstock-Züge nicht allein verlassen. Werden behinderte Menschen in der Schweiz zu wenig ernst genommen? Ein Gespräch mit CVP-Nationalrat Christian Lohr, der selbst mit körperlichen Beinträchtigungen lebt.

Die SBB-Doppelstockzüge von Hersteller Bombardier sollten seit über vier Jahren im fahrplanmässigen Einsatz sein und mehr Sitzplätze auf Hauptverkehrsachsen wie Zürich-Bern bringen.

Jetzt, kurz vor dem Einsatz der ersten Kompositionen, drohen wegen eines möglichen Konstruktionsfehlers Millionenkosten und eine weitere Verspätung, wie Recherchen der TV-Sendung «10vor10» zeigen: Rollstuhlfahrer können bei den Zügen nicht selbstständig aussteigen.

Nun fordert der Behindertendachverband Inclusion Handicap teure Anpassungen und zieht die SBB vor das Bundesverwaltungsgericht.

Herr Lohr, Sie waren an der Besichtigung der neuen SBB-Doppelstock-Züge am 22. Dezember 2017 ebenfalls mit dabei. Wissen Sie, weshalb es erst dann zur Einberufung kam?

Christian Lohr: Nein, das weiss ich nicht. Ich habe mich gewundert, warum die Begehung so spät stattfand.

Wirklich wahr, dass der Behindertendachverband Inclusion Handicap seit Jahren vergeblich eine Begehung gefordert hatte?

Das stimmt. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Begehung am Ende wenig Sinn mache. Und jetzt stehen wir Behinderten quasi als Buhmänner da. Ich verstehe wirklich nicht, warum dieBegehung so spät stattgefunden hat. Mir ist auch klar, man kann so etwas nicht ganz am Anfang eines Projektes manchen, weil man gewisse Dinge Eins zu Eins sehen und erleben muss. Aber es müsste, und das ist auch einer meiner Kritikpunkte, im Interessen von allen Beteiligten sein, dass man eine solche Begehung deutlich früher organisiert. Es geht schliesslich nicht nur um die Interessen der Betroffenen, sondern auch um die des Herstellers Bombardier, der SBBund des Bundesamtes für Verkehr. Ja, alle müssten daran interessiert sein, dass es am Ende nicht zu unschönen Diskussionen kommt. Ich sage das auch, weil ich weiss, dass es auch anders geht: Bei der Entwicklung des Giruno-Zuges von der Stadler Rail wurden wir viel früher in die Entwicklung miteinbezogen.

Bei der Begehung im Dezember zeigte sich, dass die Rampen in den neuen SBB Zügen mit Handrollstühlen nicht ohne Hilfe befahrbar sind. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das bemerkt haben?

Ich dachte, das darf nicht wahr sein. Ich würde mir wirklich wünschen, dass man unsere Anliegen ernster nimmt,auch weil ich diese Diskussionen seit Jahrzehnten führe. Früher hiess es, wegen zwei, drei Zentimetern sollten sich die Betroffenen nicht so anstellen. Aber genau diese zwei, drei Zentimeter entscheiden darüber, ob Menschen mit Beeinträchtigungen den ÖV selbstständig nützen können oder nicht.

Ein Skandal oder nicht?

Ich bin ein Politiker, der das Wort «Skandal» vorsichtig einsetzt. Ein Skandal ist es, wenn Menschenleben bedrohtmsind. Aber ein unschöner Akt ist dieser Fall ganz sicher und ja, es ist sehr, sehr befremdend.

Sie sind Vizepräsident von Pro Infirmis, der grössten Fachorganisation der privaten Behindertenhilfe in der Schweiz.Ganz grundsätzlich: Wie haben Sie in den letzten Jahren die Zusammenarbeit zwischen SBB und Behindertenverbänden erlebt?

Ich spüre, dass man auf der Seite der SBB offener ist und die Bereitschaft zugenommen hat, uns Betroffenen einzubeziehen. Trotzdem fehlt es immer wieder an der letzten Konsequenz. Oder wenn Probleme auftauchen, kommen die Verantwortlichen ins alte Fahrwasser. Es wird dann argumentiert: «Ja, das ist jetzt halt dumm gelaufen.» Aber ich muss es nochmals betonen: Es geht bei diesen drei Zentimetern mehr oder weniger nicht umein Nice-to-have, sondern um die Frage, ob Menschen mit Beeinträchtigungen vom Bahnverkehr ausgeschlossen werden oder nicht.

Christian Lohr: «Wer die Gesundheitsversorgung in der Schweiz für Menschen mit Beeinträchtigungen oberflächlich betrachtet, kann sie als recht gut bezeichnen. Schaut man allerdings etwas in die Tiefe, sind gravierende Lückenauszumachen.»

Im Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligung von Menschen (BeHiG) von 2004 heisst es, dass durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen für behinderte Menschen die selbständige Benutzung von Zügen ermöglicht respektive erleichtert werden solle …

… und trotzdem müssen wir bei der obersten Spitze der SBB immer wieder vorstellig werden und für Verständnis

kämpfen. Ich bin regelmässig mit SBB-Chef Andreas Meyer in Kontakt und versuche ihm einzuschärfen, wie wichtig unsere Anliegen sind.

Werden Behinderte in der Schweiz zu wenig ernst genommen?

Ich würde es so formulieren: Man sollte die Thematik noch ernster nehmen. Das Menschen mit Beeinträchtigungen zu wenig ernst genommen werden, wäre eine Pauschalisierung und würde jenen nicht gerecht werden, die es gutmachen. Und es gibt viele Behörden, Unternehmen und andere Organisationen in der Schweiz, die in diesem Bereich super Arbeit leisten.

«Die Eingliederung von Behinderten hat vor allem in unseren Köpfen noch nicht genügend Platz gefunden», sagt Pascale Bruderer, Präsidentin von Inclusion Handicap. Sehen Sie das auch so?

Es stimmt, das Bewusstsein der Hindernisfreiheit ist noch zu wenig verbreitet in der Schweiz, daran müssen wirunbedingt arbeiten.

In Grossbritannien gibt es ein Antidiskriminierungs-Gesetz, das sich auch auf bauliche Einrichtungen auswirkt. Wäredas eine Lösung für unser Land?

Ein Gesetz verändert die Rahmenbedingungen, aber wirkliche Veränderungen geschehen nur, wenn auch dieGrundhaltung verändert wird. Wer die Gesundheitsversorgung in der Schweiz für Menschen mit Beeinträchtigungen oberflächlich betrachtet, kann sie als recht gut bezeichnen. Schaut man allerdings etwas in die Tiefe, sind gravierende Lücken auszumachen. In der Schweiz hat jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit. Aber der Gedanke vom Gemeinsinn und damit eben auch, dass das Thema «Behinderung» Teil unserer Gesellschaftspolitik sein sollte, ist noch zu wenig verbreitet. Ich persönlich gebe mich deshalb auch nie als Behindertenpolitiker aus, sondern als Gesellschaftspolitiker. Ich will nicht nur für die Behinderten, ich will innerhalb der Gesellschaft etwas verändern.

Behinderte werden oft mit Invaliden gleichgesetzt.

Dem ist leider so. Und das Schlimmste ist – und das ist unserer Gesellschaft absolut unwürdig – Menschen mit Beeinträchtigungen werden oft nur als Kostenfaktoren angesehen.

Wenn ich mit dem Zug verreisen will, löse ich ein Ticket und steige in den Zug. Und Sie als Rollstuhlfahrer, wasmüssen Sie tun, bevor Sie zum Beispiel eine Reise von Ihrem Wohnort Kreuzlingen nach Bern ins Bundeshaus antreten können?

Zuerst schaue ich daheim auf dem Computer nach, welche Züge ich nehmen kann. Das hat die SBB super organisiert: Die App zeigt sofort an, welche Züge ich als Rollstuhlfahrer benützen kann. Danach rufe ich beim SBB Call Center Handicap unter der Gratisnummer 0800 007 102 an und von dort aus wird dann meine Reise mit den von mir gewünschten Zügen organisiert.

Angenommen Sie sind im Bundeshaus an einer Sitzung, die kurzfristig länger dauert, und Sie können denvereinbarten Zug nicht erreichen. Was tun Sie in so einem Fall?

Ich gehe aus der Sitzung raus und rufe bei der SBB an, dass ich eine Stunde später fahren will. Das funktioniert einwandfrei. Ich muss ausdrücklich betonen, dieses Angebot der SBB ist im internationalen Vergleich absolut top.
Bei aller Kritik, finde ich, soll man auch sagen, wenn etwas gut ist.

Inclusion Handicap hat Beschwerde gegen die Betriebsbewilligung für die neuen SBB-Doppelstock-Züge eingereicht. Nun drohen eine Verzögerung bei der Einführung der neuen Doppelstockzüge und höhere Kosten. Rechtfertigt sich die Beschwerde trotzdem?

Ich bin ein Mensch, der Lösungen nicht gerne über den Gerichtsweg anstrebt. Aber in diesem konkreten Fall hat die Beschwerde ihre Berechtigung. Wir können über diese fehlenden Zentimeter nicht einfach hinwegsehen. Ich persönlich habe zudem die Absicht, das Gespräch mit den SBB-Verantwortlichen zu suchen. Ich finde, es kann einfach nicht sein, dass man ein Projekt so laufen lässt und dann quasi in der letzten Phase solche Exzesse aufführen muss.

Zur Person: Christian Lohr
Christian Lohr , 55, ist seit 2011 Nationalrat. Er gehört der CVP an. Daneben ist er als Publizist und Dozent anverschiedenen Fachhochschulen tätig. Zudem ist er Vorstandsmitglied in Behinderten- und Behindertensportverbänden. 1994 bis 2008 war er Präsident von Plusport Behindertensport Schweiz. Seit 1999 ist er Mitglied des Präsidiums von Pro Infirmis. Lohr ist ledig und lebt im thurgauischen Kreuzlingen.

10’000 Kinder kamen zwischen 1957 und 1962 mit schwersten Behinderungen zur Welt. Der Grund: Ihre Mütter hatten während der Schwangerschaft das Beruhigungsmittel «Contergan» geschluckt. Thalidomid heisst der Wirkstoff, der im Schlafmittel Contergan und in anderen Medikament en enthalten war und schwere Missbildungen
bei Embryonen verursachte. Auch die Mutter von Christian Lohr bekam Anfang der 1960er-Jahre ein Medikamentverschrieben, das Thalidomid enthielt.

Behindertenverbände fordern Nachbesserungen an neuen SBB-Zügen

Unbegleitet reisende Menschen mit Behinderungen stossen in den neuen SBB-Doppelstockzügen auf zu viele Hindernisse. Inclusion Handicap, der Dachverband der Behinderten-Organisationen der Schweiz, hat wegen dieser Mängel Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) bewilligte den Einsatz der neuen Züge Ende 2017 provisorisch für vorerst ein Jahr. Eine erneute Prüfung will das BAV durchführen, wenn alle geplanten Funktionalitäten der Züge betriebsbereit sind, wie es damals hiess.

Die SBB bestellte 2010 62 Doppelstock-Fernverkehrszüge für 1,9 Milliarden Franken bei Bombardier. Es handelte sich um den teuersten Auftrag in der Geschichte der Bahn. Ursprünglich hätten die ersten Züge 2013 geliefert werden sollen. Es kam aber immer wieder zu Verspätungen.

Das Nachrichtenmagazin «10vor10» des Schweizer Fernsehens (SRF) berichtete am Montagabend über die Beschwerde gegen die SBB, die Herstellerfirma Bombardier und das Bundesamt für Verkehr (BAV). Wie Inclusion Handicap bestätigte, will der Verband auf diesem Weg erreichen, dass die Anpassungen vorgenommen werden, bevor alle Züge fertig gebaut sind.

Emission «10 vor 10» sur SRF: «Die Rollstuhlfalle der SBB» (en allemand uniquement)

Drei Tasten aussen

Der Dachverband hat eine Liste von Mängeln erstellt: Die Rampen vom Zug auf den Perron seien so steil, dass Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer ohne Hilfe nicht aussteigen könnten, schreibt er. Und die Tasten, um im Zug die Türen zu öffnen, seien vom Rollstuhl aus nicht erreichbar.

Die Tasten aussen an den Zügen müssen gemäss der Forderung so gestaltet sein, dass Sehbehinderte sie benutzen können. Weiter stören Inclusion Handicap zu stark spiegelnde Monitore – dort müssten Hörbehinderte beispielsweise Informationen zum Fahrplan lesen. Und das nicht ebene Oberdeck der Züge erschwere das Sich-Fortbewegen.

Die Beschwerde von Inclusion Handicap richtet sich gegen die provisorisch erteilte Betriebsbewilligung für die Züge. Das liege im Interesse der SBB, schreibt die Organisation.

Denn die überwiegende Mehrheit der Züge sei noch nicht gebaut, und die verlangten Anforderungen könnten ohne unnötige Kosten umgesetzt werden. Inclusion Handicap stützt sich beim Vorgehen auf das Behindertengleichstellungsgesetz.

Source sda/blick