(Schweizer Gemeinde)
Hindernisfreier Verkehr: Die Gemeinden sind in der Pflicht Ohne Zusatzmassnahmen können die vom Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Der SGV leistet mit Tipps Hilfestellung für die Gemeinden. Denn: Ende 2023 ist die Barrierefreiheit Pflicht.
Autonomes Ein- und Aussteigen: Der Kanton Zürich gehört zu jenen Kantonen, die mit gutem Beispiel vorange hen. Bild: Amt für Ver-kehr des Kantons Zürich.
Florene Zufferey Übersetzung: Denise Lachst Für die behindertengerechte Anpassung von Bauten und Anlagen sowie Fahrzeugen räumt das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), in Kraft seit 2004, eine Frist von 20 Jahren ein. Bis Ende 2023 müssen in der Schweiz also alle Menschen hindernisfrei reisen können. Seit 2004 sind zwar bei der Anpassung der Kommunikationssysteme und bei der Billettausgabe Verbesserungen erzielt worden. Doch viele Haltestellen und öffentliche Verkehrsmittel sind nicht für alle Menschen ohne die Hilfe Dritter zugänglich. Zudem bestehen zwischen den Kantonen beträchtliche Unterschiede. Werden keine zusätzlichen Massnahmen ergriffen, können die Ziele des BehiG nicht rechtzeitig erreicht werden. Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) möchte vor allem den Gemeinden dabei behilflich sein, das Gesetz fristgerecht umzusetzen. Denn es liegt in der Verantwortung der Gemeinden, dass der öffentliche Verkehr bis Ende 2023 barrierefrei zugänglich ist, soweit sich die Bus- und Tramhaltestellen auf Gemeindegebiet befinden1. Sind die Ziele zur Anpassung der Infrastruktur am 1. Ja- nuar 2024 nicht erreicht, haben Direktbe- troffene das Recht, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder einem Zivilgericht die Beseitigung einer Benachteiligung und die erforderlichen Anpassungen zu verlangen, und dies im Rahmen der Verhältnismässigkeit bereits vor Ab- lauf der Übergangsfristen. Zudem besteht ein Verbandsbeschwerderecht2.
Die Verantwortung der Gemeinden Tram- und Bushaltestellen kommt Priorität zu: Es liegt in der Verantwortung der Gemeinden, zumTeil in Zusammenarbeit mit dem Kanton die notwendigen Anpas- sungen vorzunehmen, damit die gemein- deeigene Infrastruktur die gesetzlichen
Vorgabe erfüllt. Die Gemeinden können sich zur Umsetzung des BehiG an die zuständigen kantonalen Stellen wenden. Diese können die Gemeinden beraten und sie bei der Bestimmung der Haltestellen, die angepasst werden müssen, unterstützen. Die Gemeinden sind ebenfalls angehalten, die Verkehrsunternehmen gleich zu Beginn des Planungsprozesses einzubeziehen. Ob eine Haltestelle neu gebaut oder umgebaut wird, hängt entscheidend davon ab, was die Diskussionen zwischen der Gemeinde und dem Verkehrsunternehmen ergeben haben. Zudem sind technische Vorgaben zu beachten (Artikel 15 BehiG). Daher muss für jede Haltestelle einzeln eine Analyse durchgeführt werden, welche die verschiedenen Parameter (Verkehrsbelastung, Bus- und Nutzerfrequenz, Rollmaterial usw.) berücksichtigt.
Die Höhe der Bordkante Die hauptsächlichen Parameter für eine barrierefreie Haltestelle sind die Bordkantenhöhe sowie das Rollmaterial. Soll das Fahrgestell des Busses bei der Ein- und Wegfahrt die Bordkante nicht touchieren, muss die Geometrie einer Haltestelle entsprechend angepasst werden. Aktuell besteht kein allgemeingültiger Konsens über die «ideale» Bordkantenhöhe, weil die Haltestellen sehr unterschiedlich konfiguriert sind. Es gilt aber, Artikel 13 der Verordnung des UVEK über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs zu beachten. Dieser verlangt, dass die Spaltbreite zwischen der Bordkante und dem Einstiegbereich in den Fahrgastraum des Busses nicht mehr als 7,5 Zentimeter und die Niveaudifferenz nicht mehr als 5 Zentimeter betragen darf.
Die Verhältnismässigkeit Bei einer Anpassung gilt das Prinzip der Verhältnismässigkeit (Abschnitt 3 des BehiG). Bei der Interessenabwägung geht es unter anderem um die Frage, obder für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis zu den Anpassungen steht; Kantone und Verkehrsunternehmen können detailliert Auskunft geben. Spezielle Bedeutung kommt den Bushaltestellen in der Nähe von Institu tionen für Menschen mit Behinderungen oder von Altersheimen zu. Das BehiG gilt für öffentlich zugängliche Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs wie auch für öffentlich zugängliche Gebäude und Dienstleistungen, Aus- und Weiterbildung. Entsprechende Informationen finden sich auch auf der Website des Büros BASS unter dem Link «Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen»3.
Infos:
1 Büro fürArbeits- und Sozialpolitische Studien BASS AG. Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen – BehiG, Integraler Schlussbericht, S. 65.
2 BASS/ZHAW. Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderun-gen – BehiG, Kurzfassung, S. 18.
3 www.tinyurl.com/ybpphtxc Das Amt für Verkehr des Kantons Bern bietetden Gemeinden mit einem Verzeichnis sämtlicher Haltestellen Hilfe zur Beurteilung der
Verhältnismässigkeit. Gemeinden können berechnen, ob eine Anpassung angezeigt ist oder nicht: www.tinyurl.com/yc3tfr2v
Für eine unabhängige Lebensführung
Die Schweiz ist dem 2006 von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) im April 2014 beigetreten. Das CRPD gewährleistet Menschen mit Behinderungen den Genuss aller Men- schenrechte sowie die Teilhabe am öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leben. Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volleTeilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen, um ihnen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschliesslich Informations- und Kommunikations-technologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. In der Schweiz ist das Behindertengesetz (BehiG) seit Januar 2004 in Kraft. Obwohl es verlangt, dass bis Ende 2023 die Massnahmen für ei- nen barrierefreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln umgesetzt sein müssen, ist die Schweiz noch weit von diesem Ziel entfernt.
Quelle: EDA