(HR-Today / deutsche Ausgabe)
Nils Jent ist Titularprofessor für Diversity Management und Direktor angewandte Forschung am Center for Disability and Integration an der Universität St. Gallen. In dieser Funktion kämpft er gegen die Diskriminierung von Behinderten im ers¬ten Arbeitsmarkt und für eine entsprechende ethische Werteveränderung.von Corinne Päper
Für Inklusioin brauche es einen Wertwandel, sagt Nils Jent, Titularprofessor für Diversity Management. (Bild:123RF)
«Menschen mit Behinderungen sind auf dem ers¬ten Arbeitsmarkt kaum gefragt», konstatiert Nils Jent, Professor für Diversity und Ability Management sowie Direktor der angewandten Forschung des Centers for Disability and Integration der Universität St. Gallen. «Sie erscheinen bei der Mitarbeitersuche nicht auf dem Radar der Arbeitgeber.» Zum einen spiele der Markt für Arbeitskräfte mit einer Behinderung nicht, weil sich die marginale Nachfrage und das kaum existierende Angebot nicht fänden.
«Vermeindliche Defizite» stehen im Vordergrund Sogar dann nicht, wenn diese Arbeitskräfte gleich qualifiziert sind wie Nichtbehinderte. Zum anderen stünden «ihre vermeintlichen Defizite» bei den Arbeitgebern im Vordergrund. «Eine Wertveränderung hat noch nicht stattgefunden.» Weil sich Arbeitgeber auf deren Defizite konzentrieren, statt das Potenzial zu sehen, liege viel menschliches Potenzial brach.
Doch welche Folgen hat die Diskriminierung von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt? «Werden Menschen auf ein paar wenige Merkmale reduziert, wird dies ihrer Individualität keineswegs gerecht», sagt Jent. «Kein Mensch ist nur blond und blauäugig und hat als einziger den idealen Wissensrucksack für einen Arbeitgeber.» Normierung führe zum Ausschluss und zur Diskriminierung von Menschen. «Das ist nicht nur ökonomisch fragwürdig, sondern ethisch verwerflich.» Ausserdem ignoriere eine homogen zusammengesetzte Belegschaft die Vielfalt des Unternehmensumfelds sowie die Vielfalt der Kunden. Würden Letztere nicht in einer vielfältigen Zusammensetzung der Mitarbeitenden gespiegelt, münde dies in letzter Konsequenz in «einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in einem immer komplexer werdenden Umfeld».
Nils Jent, Professor für Diversity und Ability Management. (Bild: zVg)
Die Wirtschaftliche Perspektive reicht nicht
Nebst der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit führe Diversity Management zu höheren Absatzmöglichkeiten, steigere die Kundenzufriedenheit durch besseres Marketing und Kundenverständnis, fördere die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Mitarbeitenden durch gegenseitiges Lernen und gegenseitigen Wissensaustausch und erhöhe so auch die Chancen, auf einem erweiterten Arbeitsmarkt qualifiziertes Personal zu finden.
Nicht zuletzt profitiere das Unternehmen durch sein Engagement von einem besseren Unternehmensimage. Werde Diversity Management einzig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, würden «Gleichbehandlung, Antidiskriminierung und damit auch Inklusion zur Nebensache». Gemäss Jent schrecken Arbeitgeber vor einer Anstellung von Menschen mit Behinderung zurück, weil sie diese als Leistungseingeschränkte wahrnehmen und die äusserst unterschiedlichen Behinderungsarten kaum auseinanderdividieren. Gefragt werde, «was nicht geht», statt zu klären, was ein Behinderter besonders gut könne, möglicherweise sogar besser als ein durchschnittlicher Nichtbehinderter.
«Ein bisschen Inklusion» funktioniert nicht
So hätten etwa Menschen mit Asperger-Syndrom oft ausserordentliche Befähigungen im Bereich von IT-Routinen, die weit über jene üblicher IT-Fachkräfte hinausgehen. Diese sogenannten komparativen Kompetenzen könne ein Unternehmen im Zusammenspiel mit vorhandenen Muss-Kompetenzen gezielt einsetzen. Etwa, indem Behinderte und Nichtbehinderte gemäss dem «Working Partnership Model» des Centers for Disability and Integration der Universität St. Gallen ihre diametral verschiedenartigen Befähigungen in einer Arbeitspartnerschaft so einbringen, dass sich deren Vorteile kumulieren, während sich die Nachteile aufheben.
«Ein bisschen Inklusion» funktioniere jedoch nicht, diese müsse auch gelebt werden. Das bedeute, gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten. «Nur sie können ihre Bedürfnisse und ihre teils speziellen Befähigungen realistisch einschätzen und wiedergeben», so Jent. Inklusion bedeute, dass «alle Gesellschaftsmitglieder in gleichwertigem Miteinander auf gleicher Augenhöhe konstruktiv zum Nutzen aller mitwirken».
Damit Inklusion in der Arbeitswelt gelinge, müssten bauliche, infrastrukturelle und adminis-trative sowie informationstechnologische Barrieren abgebaut werden und vor allem müsse ein Wertewandel stattfinden. Letzterer ziele darauf ab, den defizitorientierten Blickwinkel zum ressourcenorientierten zu lenken. «Gelingt es, den Fokus auf die vorhandenen Fähigkeiten der behinderten Menschen zu richten, ist man auch in der Lage, die Arbeitsstrukturen anzupassen, damit ihre Stärken und Fähigkeiten zum Tragen kommen und sie einen wertvollen Beitrag leisten können», so Jent. Kosten, die durch diese Anpassungen entstehen, «sind nicht den Menschen mit Behinderungen anzukreiden, die sich als Arbeitskräfte einbringen möchten». Vielmehr seien diese «notwendige Aufwendungen zur Beseitigung von Altlasten, Versäumnissen und Diskriminierungen der Vergangenheit».