Virtuelle Realität, die einfährt und auffällt

(HR Today)
Artikel von Sandra von Ballmoos

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) baut aus und sucht in den nächsten 
zwei Jahren 100 medizinische Fachkräfte. Um im hart umkämpften Arbeitsmarkt aufzufallen, hat sich das HR etwas Besonderes ausgedacht: ein Virtual-Reality-
Erlebnis in einem Rollstuhl. Präsentiert wird die sogenannte «Rollstuhl-Challenge» 
vor Ort in Nottwil oder – unterwegs als Kinobus.


Mit de «VIP Rollstuhl-Challenge» lud das Paraplegiker-Zentrum bekannte Persönlichkeiten wie Marc Sway zum Perspektiventwechsel ein. (Bilds:zVg)

Der grosse Spital-Neubau ist ausgesteckt, der zusätzliche Personalbedarf erkannt, die Rekrutierungsstrategie steht. Da trifft der SPZ-HR-Leiter Andreas Korner an der letztjährigen Personalmesse HR Swiss auf ein Hightechgerät, das ihn fasziniert: «Die kühle Installation mit dem roten Rennautositz, der VR-Brille, mit TV und Computer schreckte eher ab. Die Neugier war aber stärker und ich nahm Platz.» Das erste Virtual-Reality-Erlebnis katapultiert Korner in eine neue Welt, die ihn fesselt. «Überwältigendes 360°-Kinogefühl, dazu der bewegte Stuhl – die Demo-version mit der Achterbahnfahrt ist richtig eingefahren.» Ihm ist klar: Das hat Potenzial!

Grosse Visionen, aber keine Ahnung

Im Gespräch vor Ort mit dem Anbieter Samuel Meerstetter von Tata Interactive Communications entsteht die Idee einer visionären Recruiting-Kampagne. Als Basis soll ein emotionaler Film dienen, der eine Geschichte vom Unfall mit Bergung durch die Rega über die Operation und Rehabilitation im SPZ bis zum Weg zurück ins Leben erzählen soll. All dies mit einer 360°-Kamera aus der Perspektive eines Betroffenen gefilmt, hautnah, ergreifend. Eine Schicksalsgeschichte, in einen dreiminütigen Film verpackt. Und als bewegter Stuhl für den Zuschauer soll natürlich ein echter Rollstuhl dienen.

«Ist das machbar? Was kostet das etwa? Ich hatte keine Ahnung von Virtual Reality», erinnert sich Andreas Korner. Die Offerte bringt Gewissheit: Ein Budgettransfer von ein paar Inseraten zum Projekt «Rollstuhl-Challenge» würde nicht ausreichen. Geld musste her. Korner erinnert sich an den Umweltpionier Louis Palmer: «Ohne grosse Eigenmittel hat Palmer seinen millionenschweren Traum vom Solartaxi realisiert und ist damit um die Welt gefahren. Nebenbei hat er mit Kreativität 70 000 Dollar für eine Schule in Afghanistan aufgetrieben. Das hat mich inspiriert und wir haben uns entschieden, Sponsoren für unsere Rollstuhl-Challenge zu suchen», erklärt Korner. In wenigen Wochen sind die fehlenden 30 000 Franken beisammen.

Internes Casting

Unfall, OP, Reha – die Eckpfeiler des Drehbuchs sind rasch bestimmt. Fehlt der passende Autor, der daraus eine filmreife Geschichte erzählt. Im Luzerner Regisseur Till Gmür findet das Projektteam die ideale Besetzung. Die Ideen und die Erfahrungen des Profis sind unverzichtbar, insbesondere beim Dreh selber. Um den Film möglichst authentisch zu gestalten, braucht es Betroffene und Mitarbeitende. Die interne Suche verläuft einfacher als erwartet. Die Hauptrolle spielt der querschnittgelähmte Nicolas Hausammann, Verantwortlicher Sportvermarktung Rollstuhlsport Schweiz. Aber auch für die Szenen im Operationssaal, in der Intensivstation, der Pflege und den Therapien stehen interne Fachkräfte vor die Kamera. Den Soundtrack spielt die hauseigene Para-Friends-Band, als Sprecherin agiert eine Reittherapeutin.

Insgesamt wirken gegen fünfzig Personen mit.

Gedreht wird in der 360°-Perspektive, mit einer einzigen Kamera. Das ist zwar einfach und effizient, aber die Anforderungen steigen: Der ganze Raum muss stimmig eingerichtet sein, die Kamera sieht alles. Und die jeweilige Szene muss ohne Unterbruch durchgespielt werden; einen rettenden Wechsel auf Kamera zwei am Schnittpult gibt es nicht. Neugier, Improvisation und Lernbereitschaft sind gefragt. In drei Drehtagen ist der Film im Kasten.

Vom Firmentransporter zum Kinobus

Nach dem nicht unerheblichen Aufwand stellt sich die Frage der Verbreitung des Films: «Der Film war praktisch fertig, als mir bewusst wurde, dass zwei, drei Auftritte an Fachmessen nicht reichen», erinnert sich Korner. «Wir müssen mit unserer Rollstuhl-Challenge unters Volk, zu den Prospects. So wurde die Idee vom Kinobus geboren.» Dafür wird der Transportbus des SPZ zum mobilen Kino umgebaut.

Der Kinobus kommt rasch auf Touren: Bahnhofplatz Luzern, Heitere Open-Air, Sportevent Arbon. Pflege-Kongress Bern, Medifuture Bern. Medical-Kongress in Meyriez-Murten, Jubiläum in Echichens, Sport-event in Olten. Hauptsitz Ringier, Mercedes in Zürich, Luzerner Kantonalbank. Immer wieder kommt das SPZ mit möglichen künftigen Mitarbeitenden in Kontakt. Leonie Kuner, angehende Ergotherapeutin, hat an der Messe Swiss Handicap die Challenge angenommen. «Nach der Ausbildung ist das SPZ sicher eine Überlegung wert», meint die umworbene Fachfrau, die dank der VR-Aktion überhaupt erst auf die Spezialklinik aufmerksam wurde.

Um der Bewegung zusätzlich Kraft zu verleihen, lud das Projektteam mit der «VIP Rollstuhl-Challenge» bekannte Persönlichkeiten zum Perspektivenwechsel ein. Marc Sway, Mimi Jäger, Marco Kunz, Stefan Küng, Linda Züblin, Elias Ambühl und weitere haben bereits mitgemacht.

Multimediale Verbreitung

Dabei produziert das Team jeweils ein kurzes Handy-Video mit einem persönlichen VIP-Statement und postet es auf Facebook. Mit schönem Echo: Die beiden erfolgreichsten Posts haben die gängige Reichweite um das 50-Fache übertroffen. Die Botschaft von Profi-Radrennfahrer Stefan Küng etwa haben sich besonders viele angeschaut: «Ich bin beeindruckt und finde super, dass Querschnittgelähmte so unterstützt werden.» Neben Social Media berichten auch klassische Medien über die Challenge – darunter die Luzerner Zeitung, 24heures, Blick Online und auch Tele1.
Erfolgreiche Resonanz.

Seit bald einem Jahr ist das HR des SPZ mit der Rollstuhl-Challenge unterwegs. Mehrere tausend Personen – Mitarbeitende, Prospects und Interessierte – haben sich bereits auf den dreiminütigen Perspektivenwechsel eingelassen, viele mehr haben über die Medien davon erfahren. Wie hoch der Return on Invest tatsächlich ist, kann Korner nicht beziffern: «Die Rückmeldungen sind ausgesprochen positiv, vereinzelt wollen Personen gleich bei uns starten. Berührend, innovativ, einzigartig – ich denke, wir haben dieses Bild nachhaltig nach aussen tragen können.»