Barrieren für Blinde

(Beobachter)


14 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzesstellt der Kanton Zürich fest, dass seine digitalen Angebote nicht barrierefrei sind.

 

Gleichstellung. Öffentliche Institutionen müssen von Gesetzes wegen ihre Websites blinden Menschen zugänglich machen. Doch viele Kümmert das nicht.

Irgendwann war der blinde Mann aus Bern so wütend, dass er ins Büro von Bernmobil stürmte. Er hatte mehrfach auf das Problem aufmerksam gemacht -vergeblich. Auch seine Guerilla-Aktion nützte nichts: Die Bernmobil-App ist für blinde Menschen auch künftig nicht nutzbar.

Damit verstösst der Stadtberner Verkehrsbetrieb gegen das Gesetz zur Gleichstellung von Behinderten. Es verpflichtet seit 2004 öffentliche Institutionen, ihre Infos barrierefrei anzubieten. Bernmobil will «im nächsten Jahr die Barrierefreiheit so weit wie möglich herstellen».

Sünden bei Bund und Banken.Der Stadtbetrieb ist kein Einzelfall. Nicht oder nicht einwandfrei zugänglich sind laut blinden und sehbehinderten Personen manche Websites von Bundesämtern, diverse amtliche Formulare, die Steuererklärungen inetlichen Kantonen, viele E-Banking-Angebote, fast alle News-Sites sowie die SBB-App.

Nicht Sehende nutzen eine spezielle Soft-ware, um sich Websites – oder Apps – vor-lesen zu lassen. Dazu muss die Anwendung nach einem bestimmten technischen Standard programmiert sein. Das ist laut Experten weder anspruchsvoll noch teuer.

Viele Sites liessen sich zwar vorlesen und grösstenteils nutzen, sagt Jonas Pauchard aus Freiburg, 27 und blind. Oft scheitere aber die vollständige Barrierefreiheit an Details.Überschriften oder Grafiken seien nicht gekennzeichnet, hochgeladene Dokumente nicht zugänglich, Formulare könnten nicht ausgefüllt werden.

«Nervenaufreibend.» Eine sehbehinderte Juristin kritisiert, amtliche Internetangebote seien oft nur bis zum nächsten Update barrierefrei. «Das macht meine Arbeit nervenaufreibend und gefährdet letztlich meinen Arbeitsplatz.»

Eine Studie der Stiftung Zugang für alleoffenbarte 2016 schwere Mängel. Einigermassen barrierefrei waren lediglich die Websites der Bundesverwaltung, nicht aber die vieler Kantone und Gemeinden sowie fast aller Hochschulen. «Seither haben zwar diverse Institutionen ihre Angebote verbessert», sagt Sylvia Winkelmann-Ackermannvon Zugang für alle. «Doch der Handlungsbedarf ist nach wie vor gross.» Apps seien meist nicht barrierefrei, weil das entsprechende Bewusstsein oder Wissen fehle.

Der Kanton Zürich etwa stellte vor einem Jahr fest, dass seine digitalen Angebote nicht barrierefrei sind – 14 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes. Besser sind bundesnahe Betriebe. Laut den SBB sind ihre Website und App grundsätzlich barrierefrei, doch es gebe diverse Einschränkungen. Man sei daran, das zu korrigieren. E-Banking bei Post-finance funktioniert dagegen barrierefrei.

Grosses Sparpotenzial. Für rund 20 Prozent der Bevölkerung – blinde und andere körperlich eingeschränkte Personen – ist das Internet nur limitiert nutzbar. Dabei liesse sich viel Geld sparen, wenn sie dank besserem Zugang selbständiger leben könnten.

Rechtlich seien öffentliche Institutionen zur Barrierefreiheit verpflichtet, sagt die Juristin Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen. Neben dem Gleichstellungsgesetz verlangten auch die Bundesverfassung und eine Uno-Konvention,Diskriminierungen abzuschaffen. «Man könnte die fehlende Barrierefreiheit vor einem Gericht einklagen.»

Einen solchen Fall gebe es bisher jedoch nicht – noch nicht: Laut Caroline Hess-Kleinist nicht auszuschliessen, dass Inclusion Handicap vor Gericht einen Präzedenzfall anstrebt.
DANIEL BÜTLE