Wo der IV-Chef das fehlende Geld herholen will

(Neue Zürcher Zeitung)

Die Invalidenversicherung schreibt 2018 ein Defizit und verzeichnet leicht mehr Neurenten

TOBIAS GAFAFER

Kaum ist die Zusatzfinanzierung ausgelaufen, schreibt die IV wieder rote Zahlen. Das Defizit betrug im vergangenenJahr 65 Millionen Franken, mit den Anlageverlusten 240 Millionen. Dieses ist zwar in Relation zu den Gesamtausgaben von über 9 Milliarden zu setzen.Ohne die Finanzspritze wäre der Fehlbetrag aber höher ausgefallen. Zudemstieg 2018 im Vergleich zum Vorjahrauch die Zahl der Neurenten um 700.Dies geht aus einem Dokument hervor,welches das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) am Donnerstag veröffentlichte. Ist die Sanierung des Sozialwerks also tatsächlich auf Kurs, wie das Innendepartement von Alain Berset(sp.) beteuert?

Man sei noch nicht am Ziel, aber auf dem richtigen Weg, sagt Stefan Ritler, Leiter der Invalidenversicherung beim BSV, auf Anfrage. «Vor zehn Jahren waren wir auf der , heute sindwir auf einem Postschiff auf der norwegischen Hurtigruten.» Auch dort gebe es aber Klippen und man müsse aufpassen,dass man auf Kurs bleibe, so umschreibter den Zustand des Sozialwerks. Für die Sanierung bleibe noch bis 2031 Zeit, wie es der Bundesrat erwarte. Dieser sei der Ansicht, dass keine Sparmassnahmen nötig seien und die Massnahmen zur Weiterentwicklung der IV ausreichten.Das bedinge aber auch eine gewisse Disziplin auf der Ausgabenseite, sagt der Chefbeamte. «Es ist nicht die Zeit für Ausbaupläne.»

Höhere Einnahmen

Die IV steht jedoch weiterhin mit 10,3Milliarden beim AHV-Ausgleichsfondsin der Kreide. 2018 nahm sie keine Rück-zahlung vor. Die Annahme der AHV-Steuer-Vorlage verschafft der ersten Säule zwar bis 2023 Luft. Dennoch ist diese darauf angewiesen, dass die Invalidenversicherung ihren Schuldenberg bald abträgt. Ein Abbau sei trotz dem Defizit von 2018 realistisch, sagt Ritler.

«Es ist nichtdie Zeit fürAusbaupläne.»


Stefan RitlerLeiter der Invalidenversicherung

 

Die Neubemessung des Bundesbeitragsan die IV werde über die nächsten Jahre zu höheren Einnahmen von mehreren hundert Millionen führen. 2018 hättender IV wegen eines Sparprogramms des Bundes dagegen rund 60 Millionen gefehlt, hinzu seien Mehrausgaben von rund 40 Millionen gekommen. In seinen Prognosen für 2018 rechnete das BSV noch mit einem ausgeglichenen Ergebnis- nicht zum ersten Mal erwiesen sichdiese als zu optimistisch.

Die leichte Zunahme der Neurenten ist gemäss Ritler vor allem mit einer angepassten Berechnungsmethode zu erklären. Diese führte der Bund wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ein. Dadurch erhielten teilerwerbstätige Rentner höhere Leistungen. Zudem bauten einige kantonale IV-Stellen 2018 grössere Pendenzen ab. Gewisse Schwankungen seien normal, sagt Ritler. Im laufenden Jahr rechnet ernicht mit einer Abnahme. Eine Trendwende sei bei der IV jedoch nicht zu beobachten. Die Zahl der laufenden Renten in der Schweiz und im Ausland sank 2018 weiter leicht. Seit dem Höchststand von 2003 hat diese dank mehreren IV-Revisionen um 45 Prozent abgenommen, wie das BSV mitteilte. Auf Kurs sieht sich dieses auch, weil gleichzeitig deutlich mehr Massnahmen zur beruflichen Eingliederung durchgeführt wurden. 43 500 Personen beanspruchten eine solche im vergangenen Jahr.

Nationalrat will sparen

Der Nationalrat beurteilt die Entwicklung der Sozialversicherung dagegen weniger optimistisch. Im März beriet erdie IV-Reform des Bundesrats, die vorallem die Eingliederungsmassnahmen für Junge verstärken will. Und beschloss,die Zulagen für IV-Rentner mit Kindern um 10 Prozent zu senken. Ob dies auch im Ständerat eine Mehrheit findet, ist jedoch fraglich. Die Sozialkommission will die Beratung der laufenden IV-Reformim August aufnehmen, wie Präsident Joachim Eder (Zug, fdp.) sagt.