Neue Technologie für Flughafen Zürich?

(Luzerner Zeitung)

Für Menschen mit Behinderung kommen im Ausland Roboterrollstühle zum Einsatz. Auch der Flughafen Zürich zeigt daran Interesse.

Benjamin Weinmann Der Weg vor der Flugreise ist lang. Vor allem für Menschen,die schlecht zu Fuss sind oder eine Gehbehinderung haben.Deshalb sind die Flughäfen dieser Welt verpflichtet, Personen mit eingeschränkter Mobilität gratis einen Rollstuhlservice bereitzustellen. Heute funktioniert der Service mit Hilfe von Flughafenangestellten, welche die Menschen im Rollstuhl vom Check-in bis zum Gate oder bis zum Sitz an Bord bringen.

Die arabische Airline Etihad Airways und deren Heimflughafen Abu Dhabi wollen dieses System revolutionieren. Vor einigen Tagen gaben sie bekannt,einen autonom fahrenden Rollstuhl zu testen. Damit sollen sich Passagiere mit Mobilitätseinschränkungen selbstständig am Flughafen fortbewegen können, ohne Hilfe vom Personal in Anspruch nehmen zu müssen.Auch am Flughafen in Japans Hauptstadt Tokio werden die intelligenten Rollstühle mit GPS -Technologie getestet.

Der Pilotversuch in Abu Dhabi dauert bis Ende Jahr. Für das neue Konzept wird der Flughafen genau abgebildet. Zudem erkennen Sensoren Hindernisse, sodass der Rollstuhl automatisch hält, wenn etwas im Wegsein sollte. In Zukunft sollen ausserdem auch Gate- und Boarding-Informationen darauf ersichtlich sein.

Erst noch in Abu Dhabi,bald auch in der Schweiz? Der Flughafen Zürich ist der neuen Technologie nicht abgeneigt.Zwar bestünden dazu keine konkreten Pläne. Aber: «Wir werden diese technologische Neuerung sicher mit Interesse beobachten. Solche autonomen Rollstühle könnten dereinst durchaus als sinnvolle Ergänzung dienen.» Ziel sei es,allen Passagieren ein möglich stangenehmes und effizientes Reisen zu ermöglichen. Deshalb stehe man mit anderen Flughafenbetreibern in regelmässigem Austausch, was technische Entwicklungen anbelange. Beim Basler Euroairport heisst es auf Anfrage dieser Zeitung, dass die jetzige Infrastruktur für solche Rollstühle nicht geeignet sei. Aber grundsätzlich seien sie eine gute Idee für die Zukunft.

Immer mehr Passagiere nehmen Hilfe in Anspruch

Bei Schweizer Behindertenverbänden steht man der Innovation offen gegenüber. Man begrüsse technische Entwicklungen,die der autonomen Mobilität helfen, solange diese eine Verbesserung zur heutigen Situation bedeuten und gleich-zeitig die Sicherheit gewährleistet ist, sagt ein Sprecher von Inclusion Handicap. Bei Pro In-firmis heisst es, man erachte solche neuen Hilfsmittel für Menschen mit einer Behinderung als positiv, wenn diese zu mehr Lebensqualität beitragen und für alle zugänglich sind.

Fakt ist, dass die Zahl der Flugpassagiere, die Hilfe bis zum Gate benötigen, stark angestiegen ist. Im Jahr 2010 zählteder Flughafen Zürich rund 120 000 Personen, die Hilfe in Anspruch nahmen. Zuletzt waren es fast doppelt so viele («CH Media» berichtete). Dies ist prozentual gesehen ein deutlich stärkerer Anstieg im Vergleich zum totalen Passagierwachstum. Die Rollstuhlflotte wurde um 50 Stück erweitert. Zum Service gehört auch die Betreuung von Menschen mit eingeschränktem Seh- und Hörvermögen oder mit einer geistigen Behinderung.

Laut dem Flughafen Zürich steigt die Zahl der Passagiere mit reduzierter Mobilität nicht nur in der Schweiz, sondern europaweit, was unter anderem damit zu erklären ist, dass Menschen vermehrt bis ins hohe Alter reisen. Finanziert werden die Mobilitätsdienstleistungen solidarisch über die Passagiergebühren, die im Ticketpreis indirekt enthalten sind. Pro abfliegendem Passagier wird in Zürich ein Franken erhoben.


Selbstfahrende Rollstühle im Haneda-Airport in Tokio bringen Passagiere zum Gate.Bild: Panasonic

 

Betreuende Angehörige – Das bescheidene Projekt des Bundesrates wird vom Nationalrat genehmigt

(proinfirmis.ch)

Der Nationalrat hat heute den Gesetzesentwurf des Bundesrats über vier Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Angehörigenbetreuung diskutiert. Der Rat ist dem Vorschlag seiner vorberatenden Kommission weitgehend gefolgt und hat die Vorschläge des Bundesrats im Wesentlichen übernommen.

Die Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung IGAB begrüsst grundsätzlich die Anstrengungen des Bundesrates zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung. Der vorliegende Gesetzesentwurf deckt einige wichtige Bedürfnisse von betreuenden Angehörigen und führt zu einer minimalen Verbesserung der aktuellen Situation. Es ist ein wichtiger – aber nur ein erster – Schritt in die richtige Richtung.Heute war der Nationalrat an der Reihe, über den Gesetzesentwurf zu entscheiden.

Mehrere Vorstösse, den Umfang des bescheidenen Projekts des Bundesrats weiter einzuschränken, sind im Plenum gescheitert, was die IGAB als positiv verzeichnet. Allerdings hat der Nationalrat auch nicht die Vorschläge angenommen, die auf eine Ausweitung des Betreuungsurlaubs zielten, einschließlich solcher, die das Recht auf andere Familienmitglieder und für einen längeren Zeitraum ausdehnen, was die IGAB bedauert.

Langzeitbetreuung von Erwachsenen nicht berücksichtigt

Die IGAB betont erneut, dass die Langzeitbetreuung von Erwachsenen immer noch nicht berücksichtigt wird. „Zur nachhaltigen Entlastung der betreuenden Angehörigen braucht es ein durchdachtes und effizientes Zusammenspiel zwischen Erwerbstätigkeit und bedarfsgerechten, bezahlbaren und niederschwelligen Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich“, sagt Adrian Wüthrich, Nationalrat und Präsident der IGAB.Die Arbeiten werden daher weitergehen, und es obliegt dem Ständerat, alle Maßnahmen zu prüfen, die geeignet sind, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Unterstützungsaufgaben zu verbessern. Pro Infirmis ist Mitglied der Interessengemeinschaft.

Weitere Informationen:

Valérie Borioli Sandoz, Geschäftsführerin des Sekretariats CIPA-IGAB, Tel. 079 598 06 37, secretariat@cipa-igab.ch

Adrian Wüthrich, Nationalrat und Präsident IGAB, Tel. 079 287 04 93

Auf dem Balkon sind Oberservationen erlaubt, durchs offene Fenster nicht

(Tages-Anzeiger)

Privatsphäre Ab dem 1. Oktober dürfen die Sozialversicherungen wieder Versicherte überwachen lassen.Dabei sind ihnen aber Schranken gesetzt: Nicht alles, was möglich wäre, ist auch erlaubt.


Bildaufnahmen sind erlaubt, aber nur mit Geräten, die nicht viel mehr sehen als das menschliche Auge. Foto: Keystone

 

Andrea Fischer
Die Kritik war heftig. Und sie kam nicht nur von den Linken und den Anwälten der Versicherten. Auch liberale Politikerinnen und namhafte Rechtsprofessorenstörten sich am neuen Gesetz zur Überwachung von Versicherten,das das Parlament im Frühling 2018 im Eiltempo beschlossen hatte.

Damit bekämen die Sozialversicherungen einen Blankocheck und könnten Versicherte bei Verdacht auf Sozialbetrug uneingeschränkt bespitzeln. Deren Privatsphäre würde kaum geschützt, so der Tenor der Gegnerinnen. Sie ergriffen deshalb das Referendum. Doch in der Volksabstimmung vom November letzten Jahres kam das Observa-tionsgesetz mit deutlicher Mehrheit durch.

Am 1. Oktober tritt es in Kraft.Die Kritik daran ist inzwischen aber praktisch verstummt. Der Grund ist die Verordnung, die seit ein paar Monaten vorliegt.Sie legt, im Unterschied zum Gesetz, klar fest, wo eine Überwachung zulässig ist und wo nichtund welche Mittel dafür eingesetzt werden dürfen. «Mit der Verordnung werden die Möglichkeiten zur Observation eingeschränkt. Das ist gut so», sagt Rechtsprofessor Ueli Kieser, der an den Universitäten von St. Gal-len und Bern lehrt.

Positiv überrascht ist auch Thomas Gächter, Professor für Staats- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich.«Viele Befürchtungen der Observationsgegner sind nun entschärft.» Für SP-Nationalrätin Silvia Schenker (BS) ist klar, dass dies nur dank des Referendums und der engagierten Abstimmungskampagne der Kritikerinnen möglich geworden sei.

Was «frei einsehbar» meint

Wie viel Überwachung ist denn nun aber erlaubt? Was dürfen Sozialdetektive? Was nicht? Nachfolgend die zentralen Punkte.
– Ort der Überwachung: Das Gesetz sagt, dass eine Person observiert werden darf, wenn sie sich an einem allgemein zugänglichen Ort befindet oder an einem Ort, der von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar ist.

Die Formulierung «frei einsehbar» war einer der Hauptkritikpunkte. Denn auch eine private Wohnung kann von eine mallgemein zugänglichen Ort aus,wie etwa der Strasse, frei einsehbar sein. Durch die Verordnung wird dies geklärt: Demnach istalles tabu, was zur geschützten Privatsphäre einer Person gehört, und eine Überwachung dortdemzufolge verboten.

Gemeint sind insbesondere die Innenräume eines Wohnhauses sowie alle zu einem Haus gehörenden Örtlichkeiten, die üblicherweise gegen Einblickevon aussen abgeschirmt sind. Ist ein Garten von einer Hecke umschlossen, ist er genauso Teil der Privatsphäre wie das Schlafzimmer. «Es ist auch nicht erlaubt,eine Lücke in der Gartenhecke oder ein offenes Fenster auszunützen, um hindurchzufilmen»,präzisiert Rechtsprofessor Ueli Kieser.

Eine Ausnahme gibt es: Auf einem offenen Balkon dürfen Versicherte observiert werden.Balkone gehörten zwar ebenfalls zur Privatsphäre, sagt Staatsrechtler Thomas Gächter. Weil aber das Bundesgericht vor ein paar Jahren entschieden hat, dass das Observieren einer Person auf ihrem Balkon zulässig sei, habe das Parlament ausdrücklich daran festgehalten.

Anders, so Gächter, sei es bei einem Wintergarten: «Dieser hat normalerweise einen Sichtschutz, deshalb ist eine Überwachung dort nicht zulässig, selbstwenn der Sichtschutz temporär aufgehoben ist.»

– Mittel zur Überwachung: Bildund Tonaufzeichnungen sind erlaubt, auch Geräte zur Standortbestimmung, heisst es im Gesetz.Laut der Verordnung dürfen Sozialdetektive zwar Instrumente wie GPS-Tracker verwenden, um herauszufinden, wo sich die überwachte Person befindet.Fluggeräte wie Drohnen, die eine ferngesteuerte Observation ermöglichen, sind jedoch verboten.

Auch sind für Bild- und Tonaufnahmen keine Geräte gestattet, die wesentlich mehr wahrnehmen, als dies von blossem Auge oder Ohr möglich ist. Ausgeschlossen sind damit etwa Wanzen oder grosse Teleobjektive. Zudem dürfen Tonaufnahmen privater Gespräche nicht verwertet werden, selbst wenn das Gespräch im öffentlichen Raum stattgefunden hat.

Offen bleibt laut Rechtsprofessor Ueli Kieser, wie schriftliche Observationsberichte verwertet werden. «Wenn ein Detektiv seine Beobachtungen nur rapportiert und es da etwa heisst:, so lässt sich mangels Aufnahme nicht nachweisen, ob es tatsächlich so war.»Diesen Punkt klärt die Verordnung nicht.

– Sozialdetektive: Wer im Auftrag der Versicherungen als Detektiv tätig ist, braucht dafür eine Bewilligung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV). Die gibt es nur unter bestimmten Bedingungen, wie etwa eine anerkannte Ausbildung. Nach Angaben des BSV sind bislang rund 40 Gesuche für eine Bewilligung eingegangen.

– Konkreter Verdacht: Schliesslich dürfen die Versicherungen eine Person nur überwachen lassen, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt, dass die betreffende Person unrechtmässig Leistungen beansprucht oder bezieht. Auch muss sie zuerst alle anderen Abklärungsvarianten ausschöpfen. Nur wenn diese nicht weiterhelfen, darf die Versicherung Detektive beauftragen.Was unter einem konkreten Anfangsverdacht zu verstehen ist, steht nirgends. Rechtsprofessor Gächter bedauert dies. «Es wäre wichtig gewesen, dies zu definieren.» Die Sozialversicherungen hätten den Begriff des Anfangsverdachts bisher sehr weit ausgelegt, und das Bundesgericht habe dies immer gestützt.Das sei bedenklich, zumal die Versicherungen teilweise ein wirtschaftliches Interesse verfolgten. Besser, so Gächter, wäre gewesen, wenn die Gerichte entscheiden müssten, ob ein ausreichender Verdacht gegeben sei.Das aber habe das Parlament für zu umständlich erachtet.

Nur als letztes Mittel

Angesprochen darauf, wie sie den Anfangsverdacht für eine Observation definiere, verweist die IV-Stelle Zürich auf die Rechtsprechung. Demnach liege zum Beispiel ein konkreter Anhaltspunkt vor, wenn es Zweifel gebe an den geäusserten gesundheitlichen Beschwerden, weil die Person sich widersprüchlich verhalte. In der Vergangenheit hatdie IV-Stelle Zürich im Schnitt zehn Observationen pro Jahr durchgeführt.

Bei der Unfallversicherung Suva waren es jährlich rund 15 Observationen. In den letzten Jahren seien die Verdachtsfälle stetig angestiegen, teilt die Suva mit: von 574 im Jahr 2015 auf 1727 im Jahr 2018. Man habe deshalb die Missbrauchsbekämpfung ausgebaut. Sowohl die IV wie die Suva betonen, sie würden Überwachungen nur sehr zurückhaltend und als letztes Mittel einsetzen. Zudem nur bei kostenintensiven Fällen, will heissen,wenn es um eine Rente geht.

Das sind die Regeln für Observationen durch Sozialversicherungen

 

Ständerat lehnt Kürzung der Kinderrenten ab

(Neue Zürcher Zeitung)

Reform der Invalidenversicherung

For. Bern. Einer der Knackpunkte derlaufenden IV-Revision sind die Kinderrenten. Der Begriff stiftet Verwirrung.Es geht nicht um Zahlungen für Kinder mit Behinderung, sondern um zusätzliche Beiträge für IV-Bezüger mit Kindern. Der Nationalrat will deshalb die Kinderrente in «Zulage für Eltern»umbenennen. Doch im Ständerat hatte diese Umbenennung keine Chance. Der vom Nationalrat vorgeschlagene Name schafft laut Sozialminister Alain Berset neue Probleme, etwa in der Abgrenzung zu den Familienzulagen. Zudem verursache die Änderung einen enormen bürokratischen Aufwand.

Klar ist die Haltung des Ständerats auch bei der Höhe der Kinderrenten: Sie soll auf dem heutigen Niveau bleiben.Er lehnt eine Kürzung um 25 Prozent ab,wie dies der Nationalrat verlangt. Dies würde bei der IV zu Einsparungen von rund 100 Millionen Franken führen. Vor allem bei kinderreichen Familien führe das heutige Niveau der Kinderrenten zu Einkommen, die wenig Anreize zum Arbeiten brächten, argumentierte die Mehrheit im Nationalrat im vergangenen Frühling.

Der Ständerat sieht dies anders und stützt sich dabei auf einen Bericht der Verwaltung (NZZ vom 18. September2019). Demnach sind Familien mit IV und Ergänzungsleistungen nicht bessergestellt als vergleichbare Familien ohne Sozialleistungen. Die vorberatende Kommission hatte den Entscheid vorgespurt, indem sie die Kürzung einstimmig abgelehnt hatte. Da es keinen Minderheitsantrag gab, musste der Rat gar nicht darüber abstimmen. In dieser Frage haben also die Vertreter von SVP,FDP und CVP in den jeweiligen Kammern unterschiedliche Haltungen. Sind die Mehrheitsverhältnisse in einem Rat dermassen klar, dürfte sich dieser erfahrungsgemäss in der Differenzbereinigung durchsetzen.

Einig sind sich die beiden Räte hingegen beim Wechsel zum stufenlosen Rentensystem. Dieses soll für Rentner mit einem Invaliditätsgrad zwischen 40 und 69 Prozent gelten. Damit erhofft man sich, dass sich Arbeit für IV-Bezüger auf jeden Fall lohnt.

Mit der grundsätzlichen Stossrichtung der Reform sind alle einverstanden. Man will vermeiden, dass bereits junge Erwachsene zu IV-Rentnern werden. Ein zweiter Fokus liegt auf Menschen mit psychischen Leiden. Diese sollen früher erfasst werden. Zudem wird die Versicherung künftig mehr tun für deren Eingliederung.

«Das ist einfach nur noch peinlich»

(St. Galler Tagblatt / St. Gallen-Gossau-Rorschach)

Markus Schefer, der erste Schweizer im UNO-Ausschuss für Behindertenrechte, über Mängel an Bushaltestellen und Kritik an SBB-Zügen.


Massiv im Rückstand: Die meisten Schweizer Bushaltestellen sind heute von Rollstuhlfahrenden noch immer nicht autonom benutzbar Bild: Gaetan Bally/Keystone

 

Benjamin Weinmann aus GenfEs ist Abend, als Markus Schefer, 54, ineinem GenferHotel nahe dem UNO-Hauptsitz, dem «Palais des Nations», zum Interview erscheint. Seit Anfang September und bis Ende Monat tagt der UNO-Ausschuss für Behindertenrechte, in den der Rechtsprofessor der Universität Basel 2018 als erster Schweizer gewählt wurde. Im Gespräch zieht er Bilanz – und äussert scharfe Kritik an der Schweiz.

Welches sind zurzeit die grossen Themen, die in Ihrem Gremiumbesprochen werden?

Markus Schefer: Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht darin, Länderberichte zu prüfen, um zu sehen, inwiefern die Länder die UNO-Behindertenrechtskonvention erfüllen. In einem reichen Land werden andere Aspekte angeschaut als in einem armen Land oder in einem mit einer humanitären Krise, wie aktuell in Myanmar, wo die Rohingya verfolgt werden.

Welches Land ist bei den Behindertenrechten am weitesten?

Das lässt sich nicht sagen, da die Themen zu unterschiedlich sind.

Dann anders gefragt: Wo braucht es viel Überzeugungsarbeit?

In der Schweiz! Nicht nur bei den staatlichen Behörden, sondern auch bei den Behindertenverbänden. Sie sind Empfänger staatlicher Leistungen und wollen es sich nicht mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen verscherzen.Dabei müssten sie stärker die Grundrechte ihrer Mitglieder durchsetzen.Heute sind sie oftmals Bittsteller und suchen den Konsens. Dabei geht es darum, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte zustehen wieallen anderen auch. Dafür lohnt es sich,falls nötig auch vor Gericht zu kämpfen.

Wieso ist gerade in der Schweiz soviel Überzeugungsarbeit nötig?

Vielleicht weil wir eine relativ gute IV haben. Da denkt die Bevölkerung rasch einmal: Was wollen sie denn noch mehr? Vieles geschieht aus einer Haltung: Ich helfe dir. Und nicht aus der Haltung: Du hast das gleiche Recht wie ich. Kürzlich las ich einen Artikel über einen Mann im Rollstuhl mit Sauerstoffmaske, dem ein Tisch in einem Restaurant verwehrt wurde, mit der Begründung, man könne ihn den anderen Gästen nicht zumuten. Das zeigt, wie weit der Weg noch ist. Es gibt 470 000 Menschen mit einer schweren Behinderung in der Schweiz, fast so viel wie die Bevölkerung der Stadt Zürich. Aber man sieht sie kaum.

Wie meinen Sie das?

Es ist eine sehr grosse Zahl von betroffenen Menschen, aber im Alltag sieht man sie nicht. Weil ein grosser Teil in Institutionen lebt. Und für viele ist der Bewegungsradius eingeschränkt, bei-spielsweise weil Strassenübergänge zu hohe Trottoirs haben, die nicht rollstuhltauglich sind. Wenn ein Platz barrierefrei umgebaut wird, sieht man plötzlich mehr Rollstuhlfahrer. Die gab es vorher auch schon, aber ihnen waren die Wege versperrt.

Laut einer Comparis-Studie von2017 sind nur 3,4 Prozent der Deutschschweizer Stadtwohnungen rollstuhlgängig. Was läuft dafalsch?

Die meisten Wohnungen sind in Privatbesitz. Im Bundesgesetz gibt es Vorschriften: Wenn ein Block mehr als neun Wohnungen hat, muss der Wohnungszugang barrierefrei sein. Die Wohnung selbst aber nicht. Die meisten Wohnhäuser in der Schweiz haben nur sechs oder acht Wohnungen. Die bestehenden Wohnhäuser müssen zudem nicht sofort umgebaut werden,sondern erst bei Arbeiten, die eine Baubewilligung erfordern.

Die rollstuhlgängigen Wohnungensind oft moderner und teurer …

Stimmt. Neue Wohnungen haben in der Regel einen hohen Ausbaustandard, dafehlt es an nichts. Folglich sind sie teurer. Menschen mit Behinderungen sindstatistisch weniger kaufkräftig. Undwas heisst schon barrierefrei? Wenn derWohnblock eine Fernsprechanlage hat,Sie aber nichts hören, nützt Ihnen das nichts. Genauso wie ein Bildschirm,wenn Sie blind sind. Es braucht halt mehr als lediglich Rollstuhlgängigkeit.

Genügt denn der Diskriminie-rungsschutz heute in der Schweiz?

Nein, insbesondere etwa bei der Arbeit.Wenn Sie wegen einer Behinderung von einem privaten Arbeitgeber entlassen werden, haben Sie absolut keinen Schutz. Null. Die Firma ist auch nichtverpflichtet, Anpassungen am Arbeitsort für Sie zu machen, damit Sie die Arbeit ausführen können, sogar wenn die IV die Kosten dafür übernehmen würde.Die Arbeitgeber wehren sich gegen jegliche Verbesserungen in diesem Bereich.

Die grösste Zugbestellung in der Geschichte der SBB droht zum Fiasko zu werden. Behindertenverbände stellen vor Gericht die Hindernisfreiheit in Abrede. Wiebeurteilen Sie diesen Zwist?

Die Beschwerde der Behindertenverbände ist nicht der Grund für die Lieferverspätungen. Der Lieferant Bombardier brachte es einfach nicht auf dieReihe, wie man inzwischen weiss. Es istsehr bedenklich, dass die SBB über 60 Züge bestellt haben, welche die nächsten 30 oder 40 Jahre im Einsatz, aber für durchschnittliche Rollstuhlfahrermit Handrollstuhl nicht selbstständig benutzbar sind. Für sie besteht wegen der steilen Rampe die Gefahr, beim Aussteigen umzufallen und sich den Kopf aufzuschlagen.

ÖV-Anlagen sowie Trams und Busse müssen bis Ende 2023 behindertentauglich sein. Dies schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz vor. Die SBB sagen aber schon länger, dass sie das nicht erreichen werden. Droht ihnen dann eine Klagewelle?

So zurückhaltend wie die Gerichte solche Themen bisher angegangen sind,würde ich jedem Menschen mit Behinderung davon abraten zu klagen. Deshalb nehmen es ja die Verantwortlichenauch auf die leichte Schulter. Dabei wis-sen SBB und die Kantone von den Vorgaben seit 2004. Man gab ihnen zwan-zig Jahre, damit sie auf jeden Fall genügend Zeit haben. Aber vor zehn Jahren wurden in den Kantonen noch munter neue Bus- und Tramstationen gebaut mit Haltekanten, von denen man wissen musste, dass sie nicht behindertentauglich sein würden. Solche Vorkommnisse tragen bei der UNO natürlich nicht zur Glaubwürdigkeit der Schweiz bei.

Gemäss der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur sind von den rund 50 000 Bushaltestellen erst 1000 umgebaut …

Bei den Bushaltestellen ist es einfach nur noch peinlich. Es ist jene Partei für den Umbau zuständig, der die Strasse gehört: die Gemeinde, der Kanton oder Private. Zudem kaufen manche ÖV-Betriebe noch heute Busse mit Türen, die nach aussen aufschwingen, was für mich unverständlich ist. Denn bei einer Haltekante mit den erforderlichen 23 Zentimeter Höhe geht eine solche Türe beim Offnen kaputt.

Bräuchte es mehr Kampagnen in der Schweiz für mehr Sensibilität?

Da bin ich etwas skeptisch. Gerade im Bereich der Menschenrechte besteht die Gefahr, dass man als überheblicher Gutmensch rüberkommt, der von der moralischen Kanzel predigt. Wichtiger ist, dass man Menschen mit Behinderungen direkt erlebt und auch ihre Probleme im Alltag. Deshalb denke ich,dass die inklusive Bildung auf längere Frist am wirksamsten ist, also die gemeinsame Ausbildung von Kindern mit und ohne körperliche, intellektuelle und psychosoziale Behinderungen. So wachsen Kinder früh mit Menschen mit Behinderungen auf und lernen, mit ihnen jeden Tag so zu leben wie mit anderen Menschen auch.

Was ist mit Quotenregelungen fürFirmen, damit sie mehr Menschen mit Behinderungen anstellen?

Das hätte politisch null Chancen …

… aber Sie würden eine Quotenregelung begrüssen?

Ja, ich glaube, es wäre eines der wenigen wirksamen Mittel im Bereich der Arbeit. Im Behindertengleichstellungsgesetz steht zudem, dass der Bund eine Vorbildfunktion einnehmen soll. Aberer hat kaum etwas unternommen.Es gibt enorm wenig Bundesangestellte mit einer Behinderung. Ich fände es richtig, dass der Bund vorangehen und eine Quote einführen würde und die Kantone folgen würden. Wenn wir vorwärtskommen wollen, müssten zumindest die staatlichen Arbeitgeber ein Vorbild sein. Sonst folgen die Privaten nie.

Nächstes Jahr prüft Ihre Kommission die Fortschritte der Schweiz.Wird dieser Mangel zur Sprache kommen?

Ich werde bei dieser Beurteilung alsSchweizer in den Ausstand treten. Aberman muss kein Prophet sein, um Kritikder UNO an der Schweiz kommen zusehen. Die Schweiz hat einen hohen Lebensstandard, von so einem Land darfman mehr als erwarten als beispielsweise von Vanuatu, das über 60 Inselnverteilt ist und ein zigfach kleineres BIP als die Schweiz aufweist.

Hinweis
Das komplette Interview gibts online


Markus Schefer wurde im Juni 2018in den UNO-Behindertenrechtsausschuss gewählt. Er ist der erste Schweizer im Gremium, das aus 18 Experten besteht. Der 54-Jährige ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht ander Universität Basel und Experte für Grund- und Menschenrechte. Für seine Arbeit bei der UNO erhält er eine Spesenentschädigung, keinen Lohn. DerBehindertenrechtsausschuss ist ein Organ der UNO-Behindertenrechts-konvention, welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Das Gremium überprüft die Umsetzung der Konvention und Markus Scheferentwickelt sie weiter.

«Die SBB und dieKantone wissen von denVorgaben seit 2004.»

Markus Schefer Rechtsprofessor der Universität Basel

 

Die Zahl 2032

(Paracontact / deutsche Ausgabe)

Die Sanierung der IV ist auf Kurs: Die Schulden dürften bis ins Jahr 2032 abgebaut sein.

Dies geht aus den jährlich publizierten Finanzperspektiven des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) hervor.

Der Grund?

Immer weniger IV-Beziehende und ein Leistungsabbau bei gleichzeitig steigender Anzahl Versicherter. Dadurch konnten seit 2010 die Schulden um rund einen Drittel abgebaut werden.Leistungskürzungen sind im Rahmen der laufenden IV-Weiterentwicklung daher nicht angezeigt.

Themen

(albinfo.ch/de)

Eine Nationalratswahl der Rekorde – die Behörden unterstützen die Stimmberechtigten

Am 20. Oktober 2019 wählen die Schweizerinnen und Schweizer das neue Parlament. Die Anzahl der Kandidierenden ist erneut angestiegen. Besonders markant ist der Anstieg bei den Frauen. Auch haben die Parteien mehr Listen denn je eingereicht. Die Bundeskanzlei unterstützt die Kantone bei der Durchführung der Wahlen. Mit ihren Wahlinformationen hilft sie den Stimmberechtigten, ihre Wahlunterlagen gültig und ihrem Willen entsprechend auszufüllen. Erstmals informiert sie vor Wahlen auch in Leichter Sprache

Photo Keystone

 

4652 Personen haben ihre Kandidatur für den Nationalrat angemeldet. Das ist ein neuer Rekord und entspricht einem Anstieg von über 20 Prozent gegenüber den letzten Wahlen im Jahr 2015.

Für den markanten Anstieg sind vor allem Frauen verantwortlich. In fast allen Kantonen hat die Zahl der Kandidatinnen deutlich stärker zugelegt als die der Kandidaten. Ausnahmen: Schwyz, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau und Jura.

Auch die Anzahl Listen in den Proporzkantonen hat im Vergleich zu den letzten Wahlen von 422 auf 511 zugenommen. Das ist der grösste Zuwachs seit 1971.

Wahlinformation

Mit einem breiten Informationsangebot unterstützen die Behörden die Bürgerinnen und Bürger dabei, gültig zu wählen. Denn «noch wichtiger als viele Kandidierende und Listen sind aktive Stimmbürgerinnen und Stimmbürger», so Bundeskanzler Walter Thurnherr.

Wahlanleitung: Die Wahlberechtigten in den Kantonen mit Proporzwahlen – also alle ausser UR, OW, NW, GL, AR, AI – erhalten mit dem Wahlmaterial die Wahlanleitung der Bundeskanzlei zugestellt. Sie erklärt, wie man kumuliert und panaschiert, was die Wahl einer Liste für Auswirkungen hat und wie man den Wahlzettel so ausfüllt, dass die Stimme auch wirklich zählt.

www.ch.ch/wahlen2019: Die offizielle Wahlplattform von Bund und Kantonen informiert in allen Landessprachen und in Englisch. Sie bietet Wahlhilfe Kanton für Kanton an und sowohl für Nationalrats- wie auch Ständeratswahlen. Das multimediale Angebot umfasst überdies Erklärvideos, Illustrationen, interaktive Grafiken, ein Wahlquiz und mehr.

Angebot für besondere Bedürfnisse: Auf www.ch.ch/wahlen2019 sind Videos in Gebärdensprache verfügbar. Erstmals liegt ein Teil der Inhalte auch in Leichter Sprache vor. In einer Sprache also, die sich hauptsächlich an Menschen mit Verständnisschwierigkeiten richtet. Diese Inhalte wurden in Zusammenarbeit mit Pro Infirmis erstellt.

Wahlen als Chance

Mit ihrem Informationsangebot wollen Bund und Kantone dazu beitragen, dass möglichst viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Wahlen als Chance sehen.

Für den Bundesrat ist eine hohe Wahlbeteiligung wichtig. In diesem Zusammenhang bedankte sich der Bundeskanzler bei den Medien, die einen wichtigen Beitrag für das Gelingen des demokratischen Ereignisses dieser Wahlen leisteten.

Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

Durchgeführt werden die Nationalratswahlen von den Kantonen. Die Vorarbeiten der Bundeskanzlei reichen mehrere Jahre zurück. Im Sommer 2017 berechnete sie die Verteilung der 200 Sitze auf die 26 Kantone neu. In den letzten Wochen kontrollierte sie die Angaben aller Kandidierenden und stellte sicher, dass niemand in mehreren Kantonen zur Wahl antritt.

Wir lassen uns nicht behindern: Pro Infirmis setzt sich für die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein …

(Keystone SDA /SchweizerischeDepeschenagentur )

Wir lassen uns nicht behindern: Pro Infirmis setzt sich für die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein und unterstützt politische Kandidaturen von Betroffenen.

Pro Infirmis bekämpft die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und setzt sich für deren Inklusion und Selbstbestimmung ein. In diesem Sinne unterstützt Pro Infirmis Kandidierende für politische Ämter mit einer Behinderung, weil Mehrkosten oder Mehraufwände aufgrund einer Behinderung niemanden an der politischen Teilhabe hindern dürfen. Ein Wahlkampf ist an sich schon teuer und aufwändig, mit einer Behinderung wird er noch teurer und aufwändiger: „Freundinnen und Freunde helfen mir, Flyer in die Briefkästen zu werfen, weil ich das schlicht nicht kann“, sagt etwa unsere Vizepräsidentin Manuela Leemann, die für die CVP Zug in den Nationalrat will.

Die Kandidierenden mit einer Behinderung leisten mit ihrer politischen Arbeit einen Beitrag zur Entwicklung und Umsetzung einer Gesellschaftspolitik, welche behindertenpolitische Anliegen in allen Lebensbereichen zuberücksichtigen hat. Das beweist unser Vizepräsident Christian Lohr, der seit acht Jahren für die CVP Thurgau im Nationalrat sitzt und nun zum dritten Mal zur Wahl antritt. Mit seiner Interpellation „Nichts über uns ohne uns“ anden Bundesrat forderte Christian Lohr bereits im September 2017: „Überall, wo man über uns redet oder bestimmt,wollen wir auch miteinbezogen werden“. Heute werden Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen im Gesetzgebungsprozess kaum eingebunden: So veröffentlichte etwa das Bundesamt für Verkehr 2017 seine Strategie zur Umsetzung der Vorschriften im Eisenbahnverkehr. 13 Jahre (!) nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes haben sie diese Strategie erarbeitet, ohne je einen Menschen mit Behinderungund / oder ihre Organisationen miteinbezogen zu haben. Das kann nicht sein. Deshalb ermutigen wir als grösste nationale Fachorganisation von Menschen mit Behinderungen alle Betroffenen, sich als gleichgestellter und ernstzunehmender Teil der Zivilgesellschaft am politischen Diskurs zu beteiligen; mitzudenken, mitzureden und mitzugestalten.

Wir erwähnen hier die Kandidierenden mit Behinderung auf nationaler Ebene, selbstverständlich unterstützen wir auch Kandidierende mit Behinderung auf kantonaler und Gemeinde-Ebene. Wir möchten uns bei allen Politikernund Politikerinnen ohne Behinderung bedanken, die sich für behindertenpolitische Anliegen und eine kohärentenationale Behindertenpolitik einsetzen. Diese werden von Pro Infirmis finanziell nicht unterstützt.

Originaltext:Pro Infirmis Schweiz Digitale Medienmappe: http://www.presseportal.ch/de/nr/100000701Medienmappe via RSS : http://www.presseportal.ch/de/rss/pm_100000701.rss2

Weitere Informationen für Interessierte: Urs Dettling, Leiter Sozialpolitik und Dachorganisationen Urs.dettling@proinfirmis.ch, 058 775 26 70 Benoît Rey, Leiter Bereich Dienstleistungen Westschweiz und TessinBenoit.rey@proinfirmis.ch, 058 775 30 88

Allgemeine Auskünfte: Susanne Stahel, Leiterin Kommunikation und Mittelbeschaffung Susanne.stahel@proinfirmis.ch, 058 775 26 77

(SDA-ATS-OTS Ada100832263)

Menschen mit Behinderung blockieren Achter-Tram

(Tages-Anzeiger)

Proteste Stadtrat Baumer trifft sich mit Demonstranten, kann aber nichts versprechen.

Lorenzo Petro
Am Freitagmorgen haben körperlich Behinderte gemeinsam mit Sympathisanten an der Tramstation Bäckeranlage unter dem Motto «Tram für alle» für einen behindertengerechten öffentlichen Verkehr demonstriert. Für kurze Zeit haben sie den Trambetrieb blockiert. Der Grund für ihren Ärger: die Ankündigung der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) vom Donnerstag,auf der vor knapp zwei Jahren eröffneten verlängerten Achter-Linie bis auf weiteres keine Niederflurtrams mehr verkehren zu lassen. Die VBZ begründen den Schritt mit dem knappen Fahrzeugbestand.

Eine Situation, welche die Organisatorin des Protests, Dorothée Wilhelm, nicht akzeptieren will. Schon vor dem endgültigen Aus der Sänfte auf der Achter-Linie wartete sie bis zu einer Stunde auf ein Niederflurtram auf dem Weg zu ihrem Arbeitsort in Winterthur. Bessern wird sich die Situation frühestens auf das Fahrplanjahr 2021: Die ersten Exemplare des neue Flexity-Trams werden im Sommer 2020 erwartet.

Für die Behinderten in der Stadt Zürich sei der Istzustand nicht hinnehmbar, sagt Wilhelm der Zeitschrift «P.S.»: «Wir müssen Ärger machen!» Die Blockierung des Achter-Trams sei ein Akt des zivilen Ungehorsams -ganz nach dem Motto: «Die VBZ blockieren uns – wir blockieren die VBZ: Das ist fair!» Sie und andere, die sich für die Rechte von Behinderten einsetzen, würden weiterdemonstrieren und Trams blockieren.

Busse mit Niederflureinstieg

Die Blockade vom Freitagmorgen betraf nur die Passagiere einer einzelnen Tramkomposition, wie VBZ-Sprecher Tobias Wälti sagt. Dorothée Wilhelm hatte sich im Vorfeld der Aktion mit einem Schreiben an Stadtrat

Michael Baumer (FDP) gewandt und auch öffentlich per Facebook zur Blockade aufgerufen. Deshalb hatte der Vorstand der industriellen Betriebe die Wortführerin von «Tram für alle» bereits kontaktiert.Stadtrat Baumer suchte auch am Freitagmorgen vor Ort den Kontakt mit den Demonstrierenden und besprach mit ihnen ihre Forderung. «Wir nehmen das sehr ernst», es handle sich um ein berechtigtes Anliegen, sagt Wälti.

Dass ausgerechnet auf der Achter-Linie keine Niederflurtrams mehr fahren, obwohl es das Ziel der Stadt ist, dass jedes zweite Tram auf jeder Strecke barrierefrei zugänglich ist, hängt mit der schwachen Auslastung zusammen. Zudem gibt es gemäss Wälti parallele Buslinien mit Niederflureinstieg: Alle Haltestellen bis auf eine würden von entsprechenden Bussen angefahren.

25 Millionen für neue Haltestellen

(Südostschweiz / Bündner Zeitung)

Die Regierung will die Gemeinden bei der behindertengerechten Anpassung von Bushaltestellen mit 25 Millionen unterstützen.

Um allen den Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu gewährleisten,müssen laut Bundesgesetz alle neuen und bestehenden Bushaltestellen und Bushaltekanten hindernisfrei ausgestaltet werden. In Graubünden sind jedoch noch immer viele Bushaltestellen nicht wirklich behindertengerecht und genügen dem Behindertengleichstellungsgesetz nicht, wie die Standeskanzlei Graubünden in einer Mitteilung schreibt. Die Anpassungsfrist für bestehende Bauten und Anlagen laufe Ende 2023 ab.

Um die Gemeinden bei den Umbauten zu unterstützen, hat die Regierungim März eine Arbeits- und Berechnungshilfe für die Gemeinden ausarbeiten lassen und festgelegt, dass die Gemeinden mit kantonalen Mitteln unterstützt werden sollen. Nun steht fest, wie viel Geld dafür aufgewendet werden soll: 25 Millionen Franken. In einer Botschaft an den Grossen Rat beantragt die Regierung einen entsprechenden Rahmenverpflichtungskredit,wie es weiter heisst. Projekte, die Bushaltebuchten an Kantonsstrassen betreffen, seien nicht Bestandteil dieses Rahmenverpflichtungskredits. Sie würden aus der Spezialfinanzierung Stras-sen subventioniert. Der Grosse Rat werde die Vorlage voraussichtlich in der Dezembersession beraten.

«Höchst erfreuliches Zeichen»

Pro Infirmis Graubünden zeigte sich gestern erfreut über die Massnahme der Regierung. Dies sei ein «höchst erfreuliches Zeichen für Menschen mit einer Behinderung oder Mobilitätseinschränkung», heisst es in einer Mitteilung. «Dass die Bündner Regierung die Gemeinden in der Erfüllung der gesetzlichen Vorgabe – nämlich der Umsetzung des BehiG – unterstützt ist ein wichtiger Schritt. Ein hindernisfreinutzbar er öffentlicher Verkehr dient allen – auch Menschen im Seniorenalter oder Familien mit kleinen Kindern», wird Martin Candinas, Nationalrat und Präsident der Kantonalkommission Pro Infirmis Graubünden, zitiert. Pro Infirmis Graubünden wird das Geschäft gemäss Mitteilung weiterhin proaktiv begleiten und sich für die Annahme des Verpflichtungskredits einsetzen. (red)