Mit eingebauten Raupen Stägeli uuf und Stägeli aab

(Tages-Anzeiger)

Studierende der ETH und der ZHDK haben einen Rollstuhl entwickelt, der Treppen überwinden kann. Am Sonntag konnte das Gefährt getestet werden.

Carmen Roshard

Alex Oberholzer, Filmkritiker und Rollstuhlfahrer, steht mit dem neuen Treppen steigenden Rollstuhl Scewo zuoberst auf einer Treppe im Erweiterungsbau des Landesmuseums Zürich. Er war gestern Sonntag einer der Testfahrer dieses Gefährts, das Studierende der ETH Zürich und der Zürcher Hochschule der Künste in mehrjähriger Arbeit entwickelt haben.

Zuvor überwand Oberholzer die Treppe bei seiner Testfahrt mit den eingebauten Raupen souverän, angeleitet vom 24-jährigen Beni Winter, dem Initiator des Rollstuhl-Projektes. Beim Abstieg gab es für Oberholzer aber einen kurzen «Schockmoment» wegen einer ruckartigen Bewegung des elektrischen Stuhls mitten auf der Treppe, wie ersagte. Wieder auf ebenem Terrain, meinte er: «Das Fahren mit dem Scewo ist ungewohnt und braucht schon ein bisschen Übung.» Im Vorfeld habe er aber mehr Angst davor gehabt, denn bei seinem letzten Fahrversuch mit einem Segway-Rollstuhl sei er gescheitert. Der Scewo habe ihm mehr Sicherheit vermit- telt, sei aber auf flachem Terrain mit seinen vier bis fünf Kilometern pro Stunde eindeutig zu langsam.

Erfinder Winter weiss, dass er und sein Team beim Scewo noch einige Probleme lösen müssen. Ein stärkerer Motor soll eingebaut werden, der Sitz anpassbar sein, die Raupen und die Bedienung übers Handy mit einer App optimiert werden. An zwei Test-Sonntagen im Januar erhoffen sich die jungen Entwickler weitere Feedbacks. Im Sommer soll dann ein Vorserientyp im Landes- museum Zürich für gehbehinderte Menschen zur Verfügung stehen.

Vor einem halben Jahr hat Beni Winter eine Start-up-Firma gegründet mit dem Ziel, den Scewo zu vermarkten. Er schätzt, dass das wie ein Segway auf zwei Rädern balancierende Gefährt mit einem Gewicht von 90 Kilogramm – ein normaler Elektrorollstuhl wiegt 170 Kilogramm – schliesslich rund 30 000 Franken kosten wird.

Hohes Ziel gesteckt

Dabei war der Scewo im Herbst vor drei Jahren nur ein Studienprojekt, an dem zehn Bachelor-Studenten gemeinsam tüftelten. Damals begann alles mit dem Fokusprojekt «Scalevo». Zehn Studierende arbeiteten gemeinsam an einem Treppen steigenden Rollstuhl. Doch anstatt das Projekt Scalevo , wie es damals noch hiess, wie geplant im Sommer 2015 zu beenden, machten vier der Forscher weiter. Sie setzten sich ein hohes Ziel, nämlich im Herbst 2016 beim Wettbewerb des Cybathlons anzutreten. Dieser ist der erste von der ETH Zürich organisierte internationale Wettkampf für Menschen mit körperlichen Behinderungen, die mithilfe von bionisch konstruierten Apparaturen, roboterunterstützten Prothesen oder Gehirn-Computer-Schnittstellen vorgegebene Aufgaben zu bewältigen haben.

Maximal zwei Monate hatten die drei Mechanikstudenten und der Designstudent der ZHDK eingeplant, um das Gefährt für den Cybathlon fit zu machen. Bald aber wurde klar, dass sie den Rollstuhl komplett umbauen mussten, um im Wettstreit mit den Technologien an derer Hochschulen und internationaler Hersteller mitzuhalten. Bisher war der elektrisch betriebene Rollstuhl nur auf Treppen ausgelegt. Beim Cybathlon musste er auch unebenes Terrain mit Holzstämmen und schrägen Flächen überwinden. Der Auftritt des Teams ging dann zwar wegen einer Panne in die Hose, doch das tat dem Tatendrang der Studenten keinen Abbruch. Allen Beteiligten wurde immer klarer, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, wie viele Hindernisse Rollstuhlfahrer im Alltag überwinden müssen. Um die notwendigen Arbeiten zu bewältigen, suchten die drei Studenten weitere Interessierte. Inzwischen zählt das Team neun Studierende, darunter auch eine Frau.

Zu einem Start-up geworden

Am kommenden Sonntag stellen gehbehinderte Menschen den Scewo ein weiteres Mal auf die Probe. Die jungen Erfinder erhoffen sich dadurch Rückmeldungen, die in die Erarbeitung des Vorserientyps, der diesen Sommer fertiggestellt werden soll, einfliessen werden.

Für Felicitas Huggenberger, Direktorin von Pro Infirmis, ist der Scewo eine wunderbare Erfindung, Speziallösungen seien aber immer nur zweite Wahl. In erster Linie müsse man so bauen, dass das Gebäude auch für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer zugänglich sei. Es freue sie jedoch, dass der Scewo in dem Gebäude eingesetzt werde, das bei der Eröffnung 2016 viel Kritik wegen der fehlenden Rollstuhlrampe einstecken musste.

«Was 2014 als Studienobjekt begonnen hat, ist nach unzähligen Tüfteleien,Testfahrten und Überarbeitungen zu einem Start-up Unternehmen mit einer klaren Vision geworden», sagt Alexander Rechsteiner, Pressesprecher beim Schweizerischen Nationalmuseum. «Für uns ist die Zusammenarbeit mit Scewo eine Gelegenheit, uns für die Barrierefreiheit des Museums zu engagieren.» Als Schweizer Institution liege dem Nationalmuseum die Schweizer Innovation besonders am Herzen.

Beni Winter und sein Team sind überzeugt: «Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, kann sich das Leben durch den Scewo positiv verän- dern». Finanziert wird das Projekt durch Investoren.