Wie wollen beeinträchtigte Menschen wohnen?

(Luzerner Zeitung)

Die Hochschule Luzern befragt tausende Menschen mit Behinderung. Dass die Wohnsituation besser werden muss, scheint schon klar.


Rene Zumstein fühlt sich in seinem Dachstudio auf dem Gelände der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern wohl. Bild: PD/Jutta Vogel

 

Alexander von Däniken

Rene Zumstein wird von der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) betreut. Das heisst noch lange nicht, dass er unselbstständig ist. Im Gegenteil: Zumstein bewohnt allein ein Dachstudio, das einer Wohngruppe angegliedert ist. So kann er auf Unterstützung zählen, wenn er sie braucht. Ein Bild auf der SSBL-Website zeigt, wie zufrieden Zumstein ist. Aber wie steht es um andere Menschen mit psychischer Beeinträchtigung? Sind auch Personen mit physischer Einschränkung mit ihrer Wohnsituation zufrieden?

Genau diesen Fragen geht das Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern nach. Seit dem 25. Oktober und bis Ende Januar nächsten Jahres können alle Personen teilnehmen, die im Kanton Luzern leben, eine Beeinträchtigung haben und mindestens zehn Jahre alt sind. Die Fragebögen gibt es auch in leichter Sprache und in einer Version für Schülerinnen und Schüler. Zusätzlich bieten Projektleiter Rene Stalder und sein Team persönliche Gespräche an. «Wir wollen möglichst viele Betroffene erreichen», sagt Stalder. Das Ziel: Fakten schaffen, damit Institutionen wie die SSBL, ambulante Anbieter wie Pro Infirmis, aber auch der Kanton Luzern möglichst präzise auf
die Wohnbedürfnisse der Betroffenen eingehen können.

UNO gibt selbstbestimmtes Wohnen vor

Grundlage ist laut Stalder die UNO-Behindertenrechtskon-vention, welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Die Konvention hat unter anderem dasselbstbestimmte Wohnen und den Einbezug in die Gemeinschaft zum Ziel. Auch das kantonale Leitbild «Leben mit Behinderung» richtet sich danach aus. «Die Umsetzung dieser Vorgaben interessiert mich besonders», sagt Stalder, der am Institut für Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern doziert und das Kompetenzzentrum Behinderung und Lebensqualität leitet.

Ursprünglich hat sich eingangs erwähnte SSBL vor einem Jahr für die Umfrage interessiert. Das zog dann aber immer weitere Kreise: Die Heimkonferenz des Kantons Luzern, quasi der Zusammenschluss aller vom Kanton anerkannten sozialen Institutionen, bei dem auch die SSBL dabei ist, schloss sich an. Dann auch die Dienststelle Soziales und Gesellschaft des Kantons und Behindertenorganisationen wie die Pro Infirmis. Stalder: «In dieser Breite und Tiefe hat es in der Schweiz noch keine solche Befragung gegeben.»

SSBL-Geschäftsführer Pius Bernet sagt auf Anfrage: «Wir betrachten die von uns betreuten und begleiteten Menschen mit Behinderungen als unsere Kunden. Somit ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, diese zu befragen, welche Bedürfnisse diese jetzt und in Zukunft haben.» Weil der Zugang zu den Betroffenen für eine Befragung im Kanton Luzern nur über die sozialen Institutionen möglich ist, habe er als Co-Präsident der Heimkonferenz den Vorschlag für eine gemeinsame Umfrage eingebracht. Allein Pro Infirmis Luzern, Ob- und Nidwalden verteilt 2500 Einladungen zur Teilnahme an der Umfrage, wie Geschäftsleiterin Martina Bosshart sagt. Pro Infirmis engagiere sich bei diesem Projekt, weil es wichtig sei, alle Akteure für die Wahlfreiheit der Betroffenen zu sensibilisieren. «Menschen mit Behinderung haben wie alle anderen das Recht, dort zu leben, wo sie wollen, mit wem sie wollen, wie sie wollen. Davon sind wir aufgrund fehlender ambulanter oder fehlender kleiner, dezentraler stationärer Angebote noch weit entfernt.»

Die Flexibilität und Durchlässigkeit der Angebote müssen besser werden. «Auch Finanzierungslücken und komplizierte Finanzierungsmodelle erschweren die Verwirklichung eines möglichst selbstbestimmten, selbstständigen Wohnens. Das erleben wir täglich in unserer Beratung», so Bosshart. Der Altersbereich sei da mit vielerlei Angeboten für die Betreuung und Pflege zu Hause bereits weiter. Die Umfrage wird laut Projektleiter Rene Stalder ab Februar ausgewertet; mit den Resultaten ist ungefähr im Juni zu rechnen.

«Es gibt noch grosse Lücken»

Gespannt auf die Resultate ist auch Rene Kaufmann, Ge-schäftsleiter von Insieme Luzern. «Es gibt noch grosse Lücken, was die Wohnbedürfnisse von Betroffenen angeht», sagt Kaufmann. Der Kanton habe zwar das Gesetz für die 32 sozialen Einrichtungen hinsichtlich ambulanter Angebote verbessert. «Aber da muss noch mehr gehen.» In Zeiten, wo Menschen mit Beeinträchtigung vermehrt in die Gesellschaft integriert werden, mangle es zum Beispiel noch immer an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt für Betroffene. Was eine solche Stelle für die Wohnsituation bedeute, werde ebenfalls noch zu wenig diskutiert.

Einen ersten Nutzen hat die Umfrage laut SSBL-Geschäftsführer Pius Bernet bereits gebracht: «Wir haben festgestellt, dass mit der Umfrage die Zusammenarbeitsbereitschaft zwischen den einzelnen Organisationen schon wesentlich gesteigert werden konnte und eine Aufbruchstimmung aufkommt.»

Hinweis
Informationen zur Umfrage: www.hslu.ch/wohnen