Bald schon könnten Blinde einfacher abstimmen

(Tages-Anzeiger)

Motion beschlossen
Eine Schablone soll helfen, die Stimmzettel allein auszufüllen.
Alessandra Paone

In den nächsten Wochen werden die Unterlagen für die Abstimmungsvorlagen vom 15. Mai in die Schweizer Haushalte flattern. Für die meisten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ist der Vorgang simpel: Man schreibt an markierter Stelle Ja oder Nein, und gut ist. Nicht aber für Menschen mit einer Sehbehinderung. Diese benötigen Hilfe, um den Abstimmungs- oder Wahlzettel ausfüllen zu können. Meistens erledigen das Familienmitglieder für sie. Das Stimmund Wahlgeheimnis ist damit aber nicht gewahrt.

Das soll sich nun ändern. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZBLIND) hat eine Abstimmungsschablone entwickelt, die es sehbehinderten Menschen ermöglicht, zu erfühlen, wo für welche Vorlage ein Ja oder Nein eingetragen werden muss. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats begrüsst diese Neuerung einstimmig und hat am Donnerstag eine entsprechende Motion beschlossen. Im Sommer wird sich der Nationalrat erstmals mit diesem Anliegen beschäftigen.

260’000 Menschen betroffen

Der Freisinnige Andri Silberschmidt gab den Anstoss dazu. Der Verein sei mit dieser Idee auf ihn zugekommen, sagt er. «Mir war es gar nicht bewusst, dass Menschen mit einer Sehbehinderung ihre politischen Rechte nicht vollständig autonom und selbstbestimmt ausüben können.» Seit vergangenem Oktober befasse er sich mit dem Thema und habe auch die Bundeskanzlei einbezogen. Diese Zusammenarbeit und die Unterstützung aller Fraktionen in der Staatspolitischen Kommission dürften die Chancen erhöhen, dass die Motion überwiesen wird.

Konkret sieht die technische Lösung, die nur für nationale Abstimmungen funktioniert, wie folgt aus: Dank standardisierter Elemente kann die sehbehinderte Person den Stimmzettel durch Abtasten identifizieren und korrekt in die Abstimmungsschablone einlegen. Danach kann siein die ausgestanzten Feldchen Ja oder Nein schreiben.

In der Schweiz leben rund 260’000 stimmberechtigte Menschen mit einer Sehbehinderung. Der SZBLIND rechnet damit, dass davon 80’000 die Abstimmungsschablone nutzen werden. Die anderen würden sich von der Familie helfen lassen oder ganz auf eine politische Partizipationverzichten, sagt Jan Rhyner vom SZBLIND. Der Verein schlägt vor, dass für die Finanzierung der Schablone der Bund aufkommt. Rund 50 Franken würde ein Set kosten. «So viel sollte das Stimmund Wahlgeheimnis einer sehbehinderten Person dem Staat wert sein», sagt Rhyner.

Ausserdem handle es sich um einmalige Ausgaben, da man die Schablone immer wieder verwenden könne. Rhyner ist sich bewusst, dass die entwickelte Schablone nur eine punktuelle Verbesserung bei nationalen Abstimmungen darstelle. Damit Sehbehinderte gänzlich autonom am politischen Prozess teilnehmen könnten, brauche es zwingend ein barrierefreies E-Voting in allen Phasen der politischen Teilhabe.