Endspurt bei den Bushaltestellen in Kloten

(Zürcher Unterländer / Neues Bülacher Tagblatt)

ÖV-Zugang für HandicapierteBis in zwei Jahren müss(t)en alle Haltestellen hindernisfrei gestaltet sein. Kloten gibt Gas, kommt – wie viele andere Gemeinden – aber nicht rechtzeitig ans Ziel


Hier bei der Haltestelle Chanzler in Kloten soll es unter anderem dank breiterer Trottoirs und erhöhter Haltekante bald angenehmer für die ÖV-Passagiere werden.
Foto, Sibylle Meier

 
Christian Wüthrich

Mit der Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes hapert es. Dabei ist es schonvor 18 Jahren in Kraft getreten. Und es gilt auch für den öffentlichen Verkehr. Auf dem Stadtgebiet von Kloten gibt es 122 Haltekanten für Busse, Trams und Züge. Geht es um die Ausgestaltung der Haltestellen und deren Unterhalt, so ist die Stadt für 42 dieser Ein- und Ausstiegspunkte zuständig. Der Rest befindet sich im Verantwortungsbereich von Kanton und Bund. Das spielt eine wichtige Rolle bei der baulichen Anpassung, damit an sämtlichen Haltestellen dereinst allen Personen der hindernisfreie Zugang zum öffentlichen Verkehr möglich ist.

In Kloten ist man bemüht,die Anpassungen der Haltestellen unter anderem mit breite-ren Trottoirs und 22 Zentimeter hohen Ein- und Ausstiegskanten weiter voranzutreiben. Denn neue Niederflurbusse allein helfen ansonsten wenig. Zurzeitsind in der Flughafenstadt gleich zwei solche Projekte öffentlich ausgeschrieben. Dabei geht es um die Haltestellen Chanzler und Freienberg der Linien 732 sowie 734. Es sind die Busverbindungen zwischen dem Flughafen, dem Bahnhof Kloten, der Kaserne und dem Weiler Egetswil.

Nur 7 von 42 sind bislang umgebaut

Normalerweise könnten ÖV-Haltestellen auch ohne öffentliche Mitwirkung umgebaut werden. Doch hier geht es neben den höheren Haltekanten um grössere Veränderungen auf Quartier-strassen mit Anpassungen derFahrbahn, neuen und breiteren Trottoirs sowie Mittelinseln und Fussgängerstreifen. Details dazu findet man auf der städtischen Web site www.kloten.ch.

Die verpflichtende Rechts-grundlage steht seit Januar 2004 genau genommen im «Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Men-schen mit Behinderungen». Und dennoch liegt fast eine Generation später noch einiges im Argen. Nicht nur, aber auch in Kloten. Dennoch sagt Marc Osterwalder, Bereichsleiter Raum + Umwelt der Stadt: «Wir sind auf gutem Weg.»

Allerdings muss er einräu-men, dass noch längst nicht alle Haltestellen nach den nationalen Vorgaben umgebaut und benutzbar sind. Nur gerade de-ren sieben, für welche die Stadt selbst verantwortlich ist, sindbereits umgestaltet. Die Politik hatte in der Vergangenheit ganz offensichtlich andere Prioritäten gesetzt.

Kosten von über2 Millionen Franken

Oft habe man zugewartet, biseine Strasse sowieso saniert werden musste, bis man eine Haltestelle angepasst habe, erklärt Osterwalder. Da sei es auch darum gegangen, Synergien zu nutzen. Das ist sinnvoll und auch zulässig. Bei der gesetzlichen Umsetzungsfrist hatte man sich einst auf 20 Jahre geeinigt. Allerdings neigt sich diese nun bedrohlich ihrem Ende entgegen. Bis im Dezember 2023 müssten eigentlich alle ÖV-Haltestellen hindernisfrei ausgestaltet sein.

«Im Schnitt kostet der Umbau einer Bushaltestelle 49’500 Franken», beziffert Osterwalder von der Stadt Kloten den Aufwand. Wobei es da natürlich grösse-re Unterschiede je nach Standort gibt. Günstige und einfache Anpassungen seien für 37’000 Franken zu machen, aufwendigere und teurere – wie etwa im Graswinkel – erfordern schonmal 130’000 Franken Budget.Rechnet man das anhand der42 fraglichen Haltestellen hoch und lässt die Synergienutzung ausser Acht, dann kommt man für Kloten auf fast 2,1 Millionen Franken.

Wegen Glattalbahn noch zuwarten

Weil man aber auf Synergiensetzt, hat man die Anpassung von acht Haltekanten entlang derkünftigen Linie der verlängerten Glattalbahn bis zu deren Bau ab 2026 zurückgestellt. Da nochlänger zuzuwarten, wird als verhältnismässig betrachtet. Ebenfalls noch eine ganze Weile länger dauert es voraussichtlich, bis die Buskanten am Bahnhof Kloten für Rollstühle, Rollatorenund Kinderwagen problem los zu bewältigen sind. Dort steht ein grösserer Umbau des ganzen Bahnhofs an. Fristgerecht bisEnde 2023 umgebaut sein, sollen zehn weitere Kanten – und zwar im Rahmen von Strassensanierungen, was die Kosten für den höheren Randstein auf ein absolutes Minimum senkt.

Eine Analyse der Stadt zeigt den Verantwortlichen auf, dass sie zudem ausserhalb von solchen Sanierungsmassnahmen noch 18 Haltekanten anpassen müssen. Ärgerlich ist der Fakt, dass man teils schon früher auf höhere Randsteine (16 cm) gesetzt hatte, die nun doch nicht genügend hoch sind, um die geforderte Norm (22 cm) zu erfüllen.

Ernüchternd für Behindertenorganisationen

Dass es Probleme gibt bei der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes haben Direktbetroffene schon lange feststellen müssen. Der Dachverband der Behindertenorganisationen in der Schweiz – Inclusion Handicap – hält auf seiner Website zwar fest, dass das betreffende Gesetz im öffentlichen Verkehr bereits «eine beachtliche Wirkung» entfaltethabe. Dennoch könne man nicht wirklich zufrieden sein.

Trotz der langen Fristen sei aber schon jetzt klar, dass dievorgeschriebenen Anpassungen auf Bahnhöfen und an allerleiÖV-Haltestellen bis Ende 2023 nicht gelingen werde. «Insbesondere bei den Bushaltestellenherrscht grosser Handlungsbedarf», schreibt die Dachorganisation. Nach mehr als 15 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes seien erst rund 10 Prozent aller Bushaltestellen umgebaut gewesen, schätzt Inclusion Handicap.

Bei den Bahnhöfen sehe es etwas besser aus. Allerdings gebe es auch da massive Verzögerungen bei der Umsetzung. DerDachverband geht davon aus, dass 323 Bahnhöfe erst nach2023 angepasst werden. Dahererstaunt es nicht, dass die Organisation zum Schluss kommt: «Transportunternehmen sowie die Behörden auf Gemeinde-,Kantons- und Bundesebene haben zu lange geschlafen.» Ein Problem sei, dass die Verkehrsunternehmen und die Kantone die Umsetzung der längst überfälligen Anpassungen zu wenig koordiniert in Angriff genommen hätten.

Über Inclusion Handicap

In der Schweiz leben gemäss Inclusion Handicap rund 1,7 Millionen Menschen mit Behinderungen. Als Dachverband der Behindertenorganisationen in der Schweiz engagiert sich Inclusion Handicap für eine inklusive Gesellschaft, die diesen Menschen eine vollumfängliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben garantiert. Als vereinte Stimme vertritt Inclusion Handicap die gemeinsamen Interessen von 22 Organisationen (Schweizer Paraplegiker-Vereinigung, Vereinigung Cerebral Schweiz, Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband, Pro Infirmis, Fragile Suisse usw.) und deren Mitgliedern gegenüber den Behörden, der Politik und der Wirtschaft. Als Dachverband koordiniert man die Zusammenarbeit mit zentralen Akteuren auf nationaler, interkantonaler und internationaler Ebene.(red)