Ausgeschlossen von der Kultur: Wie ein Radio Blinden zum Sehen verhilft

(watson.ch)

Die Lichtshow beim Bundeshaus in Bern zieht jedes Jahr Hunderttausende an. Neuerdings sind darunter auch Blinde, die dank Audiodeskription Bilder hören. Doch das Kulturangebot für Sehbehinderte ist in der Schweiz noch immer klein. Das soll sich bald ändern.

Jara Helmi

Das Bundeshaus hat zwei Seitenflügel, zentral einen etwas höheren Seitenvorbau, darüber eine Kuppel. Die gesamte Fassade ist tiefschwarz und mit Sternen bedeckt. Nur die Umrisse des Gebäudes strahlen in leuchtendem Blau.

Was sich die 28-jährige Laila Grillo ob dieser Beschreibung wohl vorstellt? Sie ist seit Geburt vollblind. Nun steht sieauf dem rappelvollen Bundesplatz und «schaut» sich das alljährliche Animations- und Lichtspektakel «Rendez-VousBundesplatz» an der Bundeshausfassade an. Über 500’000 Besucher zählte die Veranstaltung dieses Jahr vonOktober bis November. Darunter waren auch sehbehinderte Menschen. Denn zum zweiten Mal steht ihnen eineAudiodeskription vom Blindenhörfunk «Radio Blind Power» zur Verfügung. Via App verfolgen sie das Visuelle miteiner Tonbeschreibung.

«Das Bedürfnis der Menschen mit einer Sehbehinderung nach kulturellen Veranstaltungen ist genauso da. Wir wollen am reichhaltigen Kulturgut der Schweiz teilhaben.»

Laila Grillo

In der Schweiz gibt es über 320’000 Sehbehinderte. Dass Menschen mit einer Sehbehinderung an kulturellen Veranstaltungen wie der Lichtshow in Bern teilnehmen können, ist eine Ausnahme. Denn diese werden für sie nur selten zugänglich gemacht. Das stellt ein Problem dar. Davon ist Laila Grillo überzeugt: «Das Bedürfnis der Menschen mit einer Sehbehinderung nach kulturellen Veranstaltungen ist genauso da. Wir wollen am reichhaltigen Kulturgut der Schweiz teilhaben.»

Ausgeschlossen vom sozialen Treffpunkt

Rückblende: Auf dem Weg zum Bundesplatz hält sie sich an der Journalistin fest. «Oh, deine Jacke ist so flauschig», sagt die zierliche Frau und geht dann mit bestimmtem Schritt weiter. Auf dem Bundesplatz angekommen, startet sie die Audiodeskriptions-App. Den Blick leicht links am Gebäude vorbei, beginnt sie immer wieder zu lachen oder kommentiert das «Gesehene» mit «wow!», «so gut!», «mega geil!». Sie und ihre, ebenfalls sehbehinderte, Begleitung tauschen sich aus. Einmal sagt sie zum 30-jährigen Daniel Fernandes: «Oh, jetzt, schau mal was für eine Szene!» Das Bundeshaus verbeugt sich mithilfe der Lichtanimation und Laila Grillo beginnt zu lachen, klatscht und sagt: «Das ist meine Lieblingsszene.»


Laila Grillo und Daniel Fernandes konnten dank der Audiodeskription die Lichtshow am Bundeshaus trotzSehbehinderung sehen. bild: watson

 

«Es sind soziale Treffpunkte, von denen wir grösstenteils ausgeschlossen sind.»

Laila Grillo

Im Gespräch mit der 28-Jährigen merkt man, dass sie es dankend annimmt, dass es mittlerweile einzelne kulturelle Veranstaltungen gibt, die für Menschen mit einer Sehbehinderung zugänglich gemacht werden. «Dass ich nun wie alle anderen auf dem Bundesplatz stehen kann, bedeutet mir sehr viel», sagt Grillo. Es sei ausserdem nicht alltäglich, dass sie sich ganz einfach mit anderen, Nichtsehenden und Sehenden, für einen visuellen Grossanlass wie diese Lichtshow oder ein Musical verabreden könne. «Es sind soziale Treffpunkte, von denen wir grösstenteils ausgeschlossen sind.»

Bei Veranstaltungen ohne Audiodeskription sei sie darauf angewiesen, dass eine sehende Person mit ihr mitkommt und alles in Echtzeit beschreibt. Bis vor ein paar Jahren sei sie jeweils mit ihrer Schwester ins Kino gegangen und sie habe ihr das Visuelle beschrieben. Nun gibt es auf einer App für viele populäre Filme eine Tonbeschreibung. «Unter sehbehinderten Kollegen können wir jetzt sagen: ‹Hey komm‘ wir gehen ins Kino!› Das ist für uns ein riesiger Schritt in die richtige Richtung», sagt Grillo.

Fachstelle will Kulturinstitutionen sensibilisieren

So einfach wie beim Kino, ist es bei anderen kulturellen Angeboten nicht. Es gibt zwar immer mehr Kulturinstitutionen, die für Menschen mit einer Beeinträchtigung eingerichtet sind, doch das Angebot ist unvergleichbar. 2016 wurde die Plattform und Fachstelle «Kultur inklusiv» von Pro Infirmis gegründet. Diese schliesst mehrjährige Vereinbarungen mit Kulturinstitutionen ab, die unter anderem ihr Angebot für Menschen mit Beeinträchtigungen langfristig zugänglicher machen wollen und listet die Angebote auf ihrer Plattform auf. «Die meisten Kulturinstitutionen sind offen für Inklusion, nicht alle aber wissen, wo ansetzen», sagt Paola Pitton, Sprecherin der Fachstelle «Kultur inklusiv».

UNO-Behindertenrechtskonvention

2014 hat die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. In dieser ist explizit festgehalten, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen. Dementsprechend gälte es sicherzustellen, dass sie Zugang zu Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten haben.

Seit der Unterzeichnung der UNO-Behindertenrechtskonvention habe sich das kulturelle Angebot für Menschen mit einer Beeinträchtigung etwas verbessert, das Angebot würde langsam wachsen. Dabei nennt sie Beispiele wie die Oper «La Bohème» am Theater Basel oder die Thunerseespiele, die audiodeskribierte Vorstellungen anbieten. «Solche Angebote sollten stärker finanziell von den jeweiligen Gemeinden und Kantonen unterstützt werden», sagt Pitton. Damit würden diese zeigen, dass sie es ernst nehmen, dass Menschen mit einer Behinderung das Recht haben am kulturellen Leben teilzunehmen.

Von dem Giebel fällt der Blick auf die Erdkugel. Von da aus startet eine rotweiss karierte Rakete auf den Mond und landet zentral auf dem Säulenvorbau. Von links kommen Tim und Struppi von rechts Kapitän Haddock in organgenen Astronautenanzügen ins Bild.


Die Audiodeskription beschreibt für Menschen mit einer Sehbehinderung möglichst genau, was während derLichtshow passiert. bild: watson

 

Die Audiodeskription von der Lichtshow auf dem Bundesplatz wurde von Radio Blindpower organisiert. Doch bei diesem jährlichen Ereignis soll es nicht bleiben: «Unser Ziel ist es, von möglichst vielen kulturellen Veranstaltungen Audiodeskriptionen anzubieten», sagt Sarah Perincioli, Leiterin der Sendekommission bei «Radio Blind Power». Damit der Aufwand für die Kulturinstitutionen möglichst klein bleibe, würden sie die nötigen Kontakte und die Zusammenarbeit mit Fachpersonen anbieten, welche live vor Ort eine Audiodeskription machen oder diese im Vorfeld produzieren. Für Fussballspiele in der Super League sind bereits geschulte Kommentatoren von «Radio Blind Power» im Einsatz, die die Matches speziell für Blinde übertragen.

«Im KKL hat man mir sogar den Zutritt mit dem Blindenstock in den Konzertsaal verweigert. Und das auch nachdem ich erklärt habe, dass ich diesen brauche.»

Laila Grillo

Doch nur ein Angebot für Sehbehinderte anzubieten, damit sei es für die Kulturinstitutionen noch nicht getan. «Oftmals ist nur schon die Webseite nicht barrierefrei, weshalb wir das Ticket für die Veranstaltung nicht online kaufen können», sagt Laila Grillo. Ausserdem bräuchte es einen Abholdienst oder eine Person, die vor Ort hilft, sich im neuen Gebäude zurecht zu finden. Als schlechtes Beispiel nennt sie das KKL in Luzern. «Dort hat man mir sogar den Zutritt mit dem Blindenstock in den Konzertsaal verweigert. Und das auch nachdem ich erklärt habe, dass ich diesen brauche», sagt Grillo.

Zurück auf dem Bundesplatz, wo der Zugang mit dem Blindenstock unproblematisch ist.

Als sehende Person ist es anspruchsvoll, der Audiodeskription zu folgen. Während der Beschreibung eines Bildes kann man sich oftmals nichts Genaues vorstellen. Die vollblinde Laila Grillo meint: «Ich höre, dass es ein paar Knöpfe und Schalter hat, mehr muss ich gar nicht wissen.» Die Beschreibung sei zwar sehr präzise, aber vermutlich würden sie noch lange nicht alles beschreiben, was das Auge wahrnehmen kann. «Trotzdem finde ich es faszinierend, was man mit den Lichtern alles auf das Bundeshaus projizieren kann. Ich kann jetzt wirklich sagen, dass ich die Lichtshow gesehen habe», sagt Grillo.

Das Konto ist gratis – aber für Behinderte kostet es 120 Fr.

(20 Minuten Luzern)

LUZERN. LUKB-Kunden mit einem Beistand müssen 120 Franken für eine Kontoeröffnung bezahlen. Das sorgt für Kritik. Die Luzerner Kantonalbank (LUKB) verlangt ab nächstem Jahr von Personen mit Beistand eine Gebühr. Wollen sieein Konto eröffnen, müssen sie 120 Franken bezahlen. Für Personen ohne Beistandschaft ist das gratis, wie Zentralplus berichtet. «Die neue Regelung der Luzerner Kantonalbank ist diskriminierend», sagt der Sprecher vom Dachverband derBehindertenorganisationen Inclusion Handicap, Marc Moser, zum Onlineportal. «Die Bank bittet ausgerechnet diejenigen zur Kasse, die es ohnehin schon schwer haben.»Auch der Gemeindeverband der Kesb und der Sozialberatungszentren der Regionen Hochdorf und Sursee übt Kritik: «Die zusätzliche Verrechnung stösst in sämtlichen Sozialberatungszentren im Kanton auf Unverständnis. Wir haben deshalb reagiert», sagt Geschäftsführer Andy Michel.Eine Aussprache mit der LUKB sei aber erfolglos geblieben.

Die LUKB verfolge die Strategie, «die Preise für Produkte und Dienstleistungen möglichst verursachergerecht» zu gestalten, sagt LUKB-Sprecher Daniel von Arx. So sei es fair für alle Kunden. Beistandskonten seien kostenintensiv und mit viel Personal- und Administrativaufwand verbunden. So gebe es unter anderem überdurchschnittlich viele Bearbeitungen von Spezialfällen.Dadurch werde auch ein zusätzlicher Schulungsaufwand für Angestellte nötig.GWA


Die LUKB steht in der Kritik. KEY

 

Sparvorgaben im Fokus

(Walliser Bote)


Genauer hinschauen.Gesundheitsminister Alain Berset reagiert nach Enthüllungen von 1V-Missständen FOTO KEYSTONE

 

Bundesrat Alain Berset will Klarheit über die Praxis bei der Erteilungder IV-Renten. Er hat eine interne Untersuchung gegen die Aufsichtstätigkeit des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) veranlasst. Im Fokus sind die Sparvorgaben an die kantonalen IV-Stellen.

Peter Lauener, Sprecher von Innenminister Berset, bestätigteam Samstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA einen entsprechenden Bericht in den Tamedia-Medien.Er bestätigte zudem, dass der Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern(EDI) eine externe Analyse zur Gutachtertätigkeit der IV-Stellen veranlasst hat. Es stehen Vorwürfe im Raum, die IV-Stellen würden sich auf teilweise fragwürdige medizinische Gutachten stützen.

Berset habe den Eindruck,dass man in diesem Bereich genauer hinschauen müsse, begründete Lauener die beiden Untersuchungen. Gemäss Zeitungsbericht besteht der Verdacht, dass die kantonalen IV-Stellen mit Sparvorgaben unter Druck gesetzt werden, möglichst wenig neue Renten zu gewähren. Das BSV lege in den Zielvorgaben jährlich für jede kantonale IV-Stelle ein Sparzielfest. Bei den meisten laute die Vorgabe «halten oder senken»der Neurentenquote.

Dies führe dazu, dass die IV nicht mehr überall offen prüfe,auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch habe, sondern wie das Quotenziel erreicht werde, lässt sich Alex Fischer vom Behindertenverband Procap im Zeitungsbericht zitieren. Durch den Wettbewerb unter den IV-Stellen sei die Gleichbehandlung der Versicherten gefährdet.

Stefan Ritler, als Vizedirektor beim BSV zuständig für die IV, bestätigte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA die Existenz einer Tabelle mit den Leistungszielen für die kantonalen IV-Stellen. Er betonte jedoch, die IV vergleiche die kantonalen Stellen mit deren eigenen Ergebnissen aus dem jeweiligen Vorjahr. Das BSV messe sie nicht am schweizweiten Benchmark,aber dieser sei den kantonalen IV-Stellen natürlich schon bekannt. Wenn die Leistungsziele über- bzw. unterschritten werden, verlange das BSV von der kantonalen IV-Stelle eine Erklärung, wie das Resultat zustande gekommen sei. Das BSV habe indes keinerlei Möglichkeiten, die IV-Stellen abzustrafen. Die Leistungsziele seien im Übrigen keine Sparvorgaben,sondern «Planwerte als Teil des Aufsichts- und Steuerungs-prozesses in der IV».sda

Barrieren für Blinde

(Beobachter)


14 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzesstellt der Kanton Zürich fest, dass seine digitalen Angebote nicht barrierefrei sind.

 

Gleichstellung. Öffentliche Institutionen müssen von Gesetzes wegen ihre Websites blinden Menschen zugänglich machen. Doch viele Kümmert das nicht.

Irgendwann war der blinde Mann aus Bern so wütend, dass er ins Büro von Bernmobil stürmte. Er hatte mehrfach auf das Problem aufmerksam gemacht -vergeblich. Auch seine Guerilla-Aktion nützte nichts: Die Bernmobil-App ist für blinde Menschen auch künftig nicht nutzbar.

Damit verstösst der Stadtberner Verkehrsbetrieb gegen das Gesetz zur Gleichstellung von Behinderten. Es verpflichtet seit 2004 öffentliche Institutionen, ihre Infos barrierefrei anzubieten. Bernmobil will «im nächsten Jahr die Barrierefreiheit so weit wie möglich herstellen».

Sünden bei Bund und Banken.Der Stadtbetrieb ist kein Einzelfall. Nicht oder nicht einwandfrei zugänglich sind laut blinden und sehbehinderten Personen manche Websites von Bundesämtern, diverse amtliche Formulare, die Steuererklärungen inetlichen Kantonen, viele E-Banking-Angebote, fast alle News-Sites sowie die SBB-App.

Nicht Sehende nutzen eine spezielle Soft-ware, um sich Websites – oder Apps – vor-lesen zu lassen. Dazu muss die Anwendung nach einem bestimmten technischen Standard programmiert sein. Das ist laut Experten weder anspruchsvoll noch teuer.

Viele Sites liessen sich zwar vorlesen und grösstenteils nutzen, sagt Jonas Pauchard aus Freiburg, 27 und blind. Oft scheitere aber die vollständige Barrierefreiheit an Details.Überschriften oder Grafiken seien nicht gekennzeichnet, hochgeladene Dokumente nicht zugänglich, Formulare könnten nicht ausgefüllt werden.

«Nervenaufreibend.» Eine sehbehinderte Juristin kritisiert, amtliche Internetangebote seien oft nur bis zum nächsten Update barrierefrei. «Das macht meine Arbeit nervenaufreibend und gefährdet letztlich meinen Arbeitsplatz.»

Eine Studie der Stiftung Zugang für alleoffenbarte 2016 schwere Mängel. Einigermassen barrierefrei waren lediglich die Websites der Bundesverwaltung, nicht aber die vieler Kantone und Gemeinden sowie fast aller Hochschulen. «Seither haben zwar diverse Institutionen ihre Angebote verbessert», sagt Sylvia Winkelmann-Ackermannvon Zugang für alle. «Doch der Handlungsbedarf ist nach wie vor gross.» Apps seien meist nicht barrierefrei, weil das entsprechende Bewusstsein oder Wissen fehle.

Der Kanton Zürich etwa stellte vor einem Jahr fest, dass seine digitalen Angebote nicht barrierefrei sind – 14 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes. Besser sind bundesnahe Betriebe. Laut den SBB sind ihre Website und App grundsätzlich barrierefrei, doch es gebe diverse Einschränkungen. Man sei daran, das zu korrigieren. E-Banking bei Post-finance funktioniert dagegen barrierefrei.

Grosses Sparpotenzial. Für rund 20 Prozent der Bevölkerung – blinde und andere körperlich eingeschränkte Personen – ist das Internet nur limitiert nutzbar. Dabei liesse sich viel Geld sparen, wenn sie dank besserem Zugang selbständiger leben könnten.

Rechtlich seien öffentliche Institutionen zur Barrierefreiheit verpflichtet, sagt die Juristin Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen. Neben dem Gleichstellungsgesetz verlangten auch die Bundesverfassung und eine Uno-Konvention,Diskriminierungen abzuschaffen. «Man könnte die fehlende Barrierefreiheit vor einem Gericht einklagen.»

Einen solchen Fall gebe es bisher jedoch nicht – noch nicht: Laut Caroline Hess-Kleinist nicht auszuschliessen, dass Inclusion Handicap vor Gericht einen Präzedenzfall anstrebt.
DANIEL BÜTLE

Interview mit Christian Lohr

(Faire Face)

Herr Lohr, Sie sind seit 8 Jahren Mitglied des Nationalrates. Am 20. Oktober 2019 wurden Sie für eine dritte Amtszeit gewâhlt. Sie ermutigen Menschen mit Behinderungen, sich in der Gesellschaft zu behauptenund ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Menschen mit Behinderungen stehen aber immer noch vor vielen Hindernissen.Die Personen stellen die Wirksamkeit der Rechte für Menschen mit Behinderungenin Frage, wâhrend diese sich in unserem Land ohne angemessene Rechtsgrundlage nur schwer etablieren können. Die Betroffenen haben oft das Gefühl, dass sie für die Gleichstellung betteln müssen. Gemâssder UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) gibt es jedoch Grundrechte.Nehmen wir das Recht auf Beteiligung, um die Gesetze zu definieren, die sie betreffen:Das Prinzip «Nichts über und ohne uns» wird in der Gesetzgebung oft nicht beachtet. Auch in der von der UNO, im November,publizierten «List of Issues» zur BRK wird die Schweiz aufgefordert, die «verfügbaren Mechanismen sowie die auf Bundes-,Kantons- und Gemeindeebene verfügbarenpersonellen und finanziellen Ressourcen für eine sinnvolle Konsultation von Menschen mit Behinderungen (…), betreffend der Gestaltung und Überwachung von Gesetzen und Politiken zur Umsetzung der Konvention» aufzuzeigen.


Christian Lohr

 

C. L.: Für mich ist es ein absolutes Grundverstândnis, dass man aile Gesetze, die man macht, mit Menschen bespricht, die sie betreffen. Wennwir z.B. ein Landwirtschaftsgesetz machen, dass wir mit Landwirten, mit Bauern sprechen; wenn wir ganze Gesetzgebungen über Klimawandel machen, dass wir mit Fachexperten aus dem Energiebereich sprechen; wenn wir Gesetze über Lebensmittel erarbeiten, gibt man das in Vernehmlassungen bei entsprechenden Gruppen. Egal, wo wir Gesetze machen, ist dies selbstverstândlich, damit man abschâtzen kann, was das Gesetz bewirken wird. Es kommt aber beim Thema Behinderung von einer Fürsorgegrundeinstellung her, die immer noch verbreitet ist: Man behauptet, man wisse,was für Menschen mit Behinderung gut sei. Es ist ein Ansatz, der nicht mehr zeitgemâss ist. Die UNO-BRK sagt klar, man solle Menschen mit Behinderung miteinbeziehen. Ich habe vor einigen Jahren einen Vorstoss gemacht, indem ich klar gefordert habe, dass keine Gesetze gemacht werden, ohne mit den Betroffenen zu sprechen. Es hat schon ein bisschen gebessert. Wir Menschen mit Behinderungen werden mittels unserer Or-ganisationen schon ôfters in Vernehmlassungen miteinbezogen.Dass es aber noch nicht immer der Fall ist, hat verschiedene Gründe: Man hôrt oft in der Gesetzgebung, dass die Forderungen manchmal zu weit gehen, dass man individuelle Lôsungen finden muss. Man wünscht nur mit einzelnen Organisationen zu sprechen. Da bin ich nicht sicher, ob die ganze Breite an Bedürfnissen vernünftig abgedeckt ist. Es wird so gehandhabt,um die Komplexitât zu verringern.

Manchmal habe ich auch das Gefühl,dass man auf Verwaltungsebene meint,Menschen mit Behinderungen seien kompliziert, wollen sehr ins Detail gehen. Das liegt aber am Thema. Das Thema Behinderung ist komplex. Man kann nicht eine Schublade aufmachen, ein Formular rausnehmen und sagen, aile Menschen sind so oder alle Menschen sind so, sondern jeder Mensch und seine Lebenssituation sind einzigartig.

Das Problem ist, dass das Thema der Menschen mit Behinderungheute viel zu fest in der Sozialpolitik verankert ist. Wir haben mit Menschen zu tun, also mit der Gesellschaft. Das Thema sollte viel mehr in den gesellschaftlichen Themen diskutiert werden. Wenn man sich mit dem Thema Behinderungbeschâftigt, denken viele Leute an Probleme, an Fâlle, an Zahlen. Dabei geht es in erster Linie um Menschen.Ich höre oft, wir wollen politische Partizipation. Ich weiss nicht, was gemeint ist.In unserem System muss man gewâhlt werden. Hierfür muss man sich in der Gemeinde einbringen und mitgestalten. Wir leben alle in einer Gemeinde, wir könen uns dort einbringen, in der Kultur, im Sport, es gibt so viele Möglichkeiten. Das ist, was wir, Menschen mit Behinderungen,wahrnehmen müssen. Das Fordern reicht nicht. Den Weg sollen wir mitgestalten. Ich sage ganz bewusst, es muss von unten her passieren. Natürlich ist die Politik wichtig und ich weiss, dass ich da meine spezielle Rolle und Aufgabe habe und auch wahrnehmen möchte – ich muss Klare Worte bringen, Klare Botschaften. Aber die Partizipation muss viel stàrker von unten, vomIndividuum kommen.

«It’s all about attitudes»

Faire Face: Dafür spielt die individuelle Haltung eine grosse Rolle. Was ist Ihrheimnis? Wieso hôrt man auf Sie?

C.L.: It’s all about attitudes. Ich erlebe heute, dass man auf mich hört. Das freut mich auf der einen Seite, auf der anderen Seite musste ich es mir erarbeiten. Dabei versuche ich immer klar, authentisch und ehrlich zu sein.Es bedeutet, dass man in der Politik sagen muss, was geht und was nicht geht. Manchmal muss ich Behindertenorganisationen sagen, dass etwas nicht môglich ist. Zwar nicht, weil ich gegen sie bin, sondern weil ich gezwungen bin, realistisch zu sein, das Machbare zu sehen und daraus eine Strategie zu entwickeln.

Ich habe eine Gesprâchskultur, indem ich eher versuche, mich mit anderen Menschen auszutauschen, als dass ich immer mit einem Banner winke und sage «ich fordere, ich fordere, ich fordere».die Diskussionskultur braucht es Geduld. Ich verstehe auch sehr die Ungeduld einzelner Menschen und Organisationen.

«Inklusion ist ein Weg, und nicht ein Ergebnis»

Das Produkt entsteht dann mit der Glaubwùrdigkeit, die wir ausstrahlen und erarbeitet haben. Manchmal geht es gar nicht um die Gesetze, sondem um die Sensibilisierung, um das Verstehen, es geht um Empathie.Menschenverstand ist wichtig …gegenseitig. Natürlich werden in den Gruppenarbeiten des Parlaments Experten miteinbezogen. Organisationen für und mit Behinderten geheiren dazu. Aber wenn manchmal drei verschiedene Organisationen das Interesse der gleichen Gruppe vertreten und mit unterschiedlichen Meinungen kommen, dann bitte ich sie, sich zuerst zu einigen. Das ist auch mit einer der Gründe, warum die Organisationen manchmal übergangen werden.

Faire Face:Meist sind private Anbieter von Transport-Dienstleistungen besser für die selbststândige Nutzung durch Menschen mit einer Beeintrâchtigung ausgestattet (Stâdtische Verkehrsbetriebe Bern, BLS, div. Bergbahnen) als die staatliche SBB. Bahnhöfe und Haltestellen (Bus, Bahn) sind eine Angelegenheit von Kantonen und Gemeinden. In diesen Kôrperschaften fehlen aber die gesetzlichen Grundlagen zum Erzwingen der Barrierefreiheit. Es ist eine Forderung der Konvention, sie ist aber zeitlich nicht definiert. Es gibt viele Meiglichkeiten, sich herauszureden. Wie kann die Bundespolitik auf die Behindertengleichstellung auf Kantonsebene einwirken? Wie kônnen wir (die Behindertenorganisationen)die Politik unterstiitzen?

C.L.: Auch da geht es darum, in einen Dialog einzusteigen. Gesetze sind gut und recht. In Basel, wo das kantonale Gesetz für die Gleichstellung sofortgeschritten ist, sind die ÖV aber beispielsweise bei weitem noch nicht optimal Wenn wir Prozesse führen wollen, ist es komplex, es ist teuer und ich weiss nicht, ob wir damit wirklich die gewünschten Ziele erreichen.

Ich sehe eher den Weg des strukturierten Gesprâchs mit den Kantonen. Das Gesprâch mit Regierungsrâten, mit Parlamentariern ist zu suchen. Das ist der erste notwendige Schritt. Es gibt keinen zweiten Schritt ohne ersten Schritt. Manmuss auch klar sehen, dass Menschen mit Behinderung zu wenig Lobby haben, obgleich Menschen mit einer Behinderung 2o% der Bevölkerung ausmachen. Wenn 2o% (Betroffene) und, sagen wir, 15 bis 2o% Sympathie-Mitbringer direkt abstimmen würden, würde jede Abstimmung durchkommen. Wir wissen aber, dass es nicht so funktioniert. Die Gleichstellung kann durch stârkere Lobby funktionieren. Ich denke, man muss seine Rechte, seine Mög-lichkeiten «verkaufen» – es ist zwar kein schônes Wort – man muss seine Rechte aber aufzeigen kônnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen mit Behinderung einen Mehrwert für die Gesellschaft bringen. Das muss man aber herauszeichnen können.

«Die Organisationen sollen die Lobbyarbeit verstârken, sie ist für mich zu wenig stark, um Druck auf die politische Ebene zu auszuüben.»

Es braucht aber natürlich den politischen Willen, um zum Beispiel einen Beauftragten für Behinderungsfragen in einer Gemeinde einzustellen. Wenn wir, als Menschen mit Behinderung, eine Diskussionskultur anwenden, indem wir die Notwendigkeiten aufzeigen, dann bin ich überzeugt, dass man besser auf uns hôrt.

In der Wahl der Bereiche, die anzugehen sind, sehe ich Prioritäten. Wichtig sind für mich die Wohn-, Arbeits- und Bildungsbedingungen und weniger das Rententhema für die Integration der Menschen mit Behinderung. Die Integration kommt durch die Verbesserung dieser Themen und mit diesen menschlichen Themen sind Politik und Gesellschaft grundsâtzlich offener. Die BehiG soll nicht Behinderungspolitik sein, sondern Gesellschaftspolitik. Wie wir Menschen miteinander leben, gehôrt nicht zur Sozialpolitik, sondern zur Gesellschaftspolitik.

Faire Face:
Auf welcher Stufe befindet sich die Diskussion in der schweizerischen Politik über das Thema Behinderung? Wie gross ist der Platz für die Diskussion?

C.L.: Es gibt Leute in der Kommission, die dafür sehr offen sind, weitere haben ihre anderen Themen. Schauen wir mit dem neuen Parlament, wie das Thema aufgenommen wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir in verschiedenen Fragen weiterkommen werden.

Die Fragen stellte Florence Montellier,
Kommunikationsbeauftragte ASPr-SVG


Christian Lohr

 

Kinder der Utopie

(Walliser Bote)


Miteinander. Jenny Aberle, Susi Stuben Martina Schnyder,Sven Lochmatter, Roger Seiler und Lisi Jaeger (von links).FOTO MENGIS MEDIA/ALAIN AMHERD

 

Mit dem Anlass «Kinderder Utopie» soll die Öffentlichkeit mit den Anliegen Beeinträchtigter vertraut werden.

Am 3. Dezember fand der «internationale Tag der Menschen mit Behinderung» statt. Mehrere Walliser Stiftungen,darunter die gemeinnützige Stiftung Emera, die ins Leben gerufen wurde, um die Integration von Menschen mit Behinderungen im Wallis zu fördern, nutzten diesen Tag und organisierten einen Filmabend. .«Nichts über uns, ohne uns»,so lautete das Motto des Abends. Menschen mit Beeinträchtigungen wirkten von Anfang bis Schluss mit. Sei es bei der Ansage des Films, der Organisation oder der Diskussionsrunde mit dem «WalliserBoten».

«Wenn ich höre, dass ich behindert sei, denke ich mir: Ich bin doch nicht behindert, ich habe ein Handicap»

(Walliser Bote)

OBERWALLIS Andauernd wird über Menschen mit einer Behinderung gesprochen. Martina Schnyder ist Geschäftsführerin im Schlosshotel Leuk, Jenny Aberle arbeitet auch da. Susi Stuber arbeitet in der Fux campagna, Sven Lochmatter im Atelier Manus und Roger Seiler ist Leiter Berufliche Massnahmen Atelier Manus. Sie alle wollen mitreden.

Was bringt ein Tag wie der «internationale Tag der Menschen mit Behinderung»?

Schnyder: «Dieser Tag gibt uns die Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren für die Anliegen und Rechte der Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung. Es ist die Möglichkeit, ein Thema zu bearbeiten und zu diskutieren.»

Seiler: «Es ist eine Plattform für uns mit einem fixen Datum, auf das wir uns vorbereiten können. Man lädt die Öffentlichkeit ein und verbringt einen interessanten Abend zusammen.»

Wurde es in den letzten paar Jahren leichter, Beeinträchtigte in die Arbeitswelt einzuführen?

Seiler: «Konkret geändert hat sich in den letzten paar Jahren noch zu wenig. Esist einfach wichtig, dass Chancen bestehen und dass man es zulässt, dass diese Menschen zeigen dürfen, was sie können. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Was wirklich wichtig ist, ist das Miteinander. Und da gibt es noch Luft nach oben. Ich hoffe, das wird sichin Zukunft noch verbessern.»

Stuber:«Ich selber habe nicht das Gefühl, dass sich da gross was ändern wird.Ich bin auch nicht mehr in der Arbeitswelt, doch früher war es sehr schwierig. Die meisten Arbeitgeber sagten, sie nähmen nur gesunde Menschen.»

«Wenn ich zuerstgrüsse, erschreckendie fast» Susi Stuber

Seiler:«Was heisst es eigentlich, behindert zu sein? In der Arbeitswelt, in der wir Menschen um die 20 Jahre anfangen und uns lange Zeit darin bewegen, in diesem Prozess werden wir alle älter und irgendwann auch eingeschränkt. Wir können nicht einfach von sprechen. Wir wissen nicht, was mit uns passiert. Die Leistungsfähigkeit lässt nach, Sinne und Wahrnehmung schwinden. So gesehen, werden wir alle mit der Zeit behindert und diese Akzeptanz, dass da jetzt etwas nicht mehr geht, aber sehr viel anderes schon, ist sehr wichtig. Man sieht halt oft das Negative vor dem Guten.»

Gab es nennenswerte Veränderungen in den letzten zehn bis zwanzig Jahren?

Seiler: «Ein grosses Thema ist die Inklusion. Die bessere Durchmischung hat sicher viel verändert, sowohl an Schulen wie in der Arbeitswelt. Allein das Wort bewegt viel. Es sagt:

Was kann jeder Einzelne für sich wie auch eine Organisation oder ein Arbeitgeber tun, um Menschen mit Beeinträchtigungen in die Arbeitswelt einzuführen?

Seiler: «Erzwingen soll man das nicht,damit ist niemandem gedient. Was es braucht, ist ein Umdenken, sodass die grosse Masse sagen kann:“Machen wirdas doch!“ Ich erlebe es auch bei der Arbeit. Die Firmen, die sich darauf einlassen, haben sehr viele positive Erlebnisse. Es gibt eine Veränderung des Arbeitsklimas Nicht immer, offen gesagt, doch wenn das wirkt, so sind das viele schöne Momente, die damit einherziehen. Auch kann sich der Arbeitgeber mit den komplexeren Themen befassen und hat dennoch jemanden,der die etwas leichteren Aufgaben machen kann. Natürlich arbeitet die Entwicklung etwas gegen uns. Mit der Digitalisierung ist alles verbunden mit Tempo und Perfektion. Alles soll so schnell wie möglich gehen. Und wir müssen uns generell damit befassen, ob das der richtige Weg ist. Ich bin gespannt, was uns in Zukunft diesbezüglich erwartet.»

Allein das Wort Behinderung ist zum Teil mit einem negativen Stigma belastet. Wie gehen Sie damit um? Wie gehen die Betroffe-nen damit um?

Seiler: «Das Wort an sich ist kein Problem. Auch wenn jemand an Krücken geht, ist er in manchen Aktionen behindert. Doch man hat ein klares Bild im Kopf und das ist ein Problem. Man kann das Wort nicht abschaffen, doch man kann die Art, es zu benutzen, ändern.»

Stuber: «Ich mag dieses Wort nicht,doch ich habe mich auch gefragt, ob ich zu empfindlich bin. Wenn ich höre,dass ich behindert sei, denke ich mir:Ich bin doch nicht behindert, ich habe ein Handicap.»

Seiler: «Man sollte sich auch bewusst sein, dass das jeder anders empfindet.Jeder Mensch im Rollstuhl nimmt das auf eine jeweils verschiedene Art und Weise wahr. Einer ist empfindlicher und der andere weniger. Schön ist, wenn man dann so offen zusammen diskutieren kann wie wir heute. Menschen sinde infach verschieden.»

Schnyder: «Ich finde, wenn jemand sagt,ihm gefalle dieses Wort nicht und erwolle nicht so genannt werden, reichtdas, dieses Wort nicht zu verwenden.Oder wenn doch, dann in einem anderen Zusammenhang.»

Stuber: «Ich denke aber auch, ganz streichen kann man dieses Wort nicht.»

Wenn man es könnte, sollte man?

Seiler: «Wir sollten einfach besser miteinander kommunizieren. Dass man sowohl darauf achtet, wie man etwas formuliert, und gleichzeitig, wie man etwas aufnimmt. Wenn wir anfangen,einzelne Wörter aus dem Vokabular zuverbannen… Wo führt das hin? Das Verbot des Wortes ist keine Lösung. Aber wenn die Betroffenen sich wohlfühlen,akzeptiert sind wie hier am Tisch und mitwirken können, dann…»

Stuber: «Dann fühle ich mich gar nicht…so.»

Seiler: «Genau, dann fühlst du dich nicht behindert und dann hat auch das Wort nur halb so viel Kraft.»

«Mit der Zeit werdenwir alle behindert»Roger Seiler

Sehr viele Menschen haben wenig Erfahrung im Umgang mit behinderten Menschen und wissen teils nicht recht damit umzugehen.Von mitleidigen Blicken bis Gelächter können die Reaktionen stark variieren. Was sagen Sie diesen Menschen?

Stuber: «Letztes Mal war ich auch im Dorf mit dem elektrischen Rollstuhl und habe mich bewusst geachtet, wie die Menschen reagieren. Sehr wenige grüssen überhaupt. Und wenn ich zuerst grüsse, erschrecken die fast.»

Seiler: «Auch das zeigt, wir müssen versuchen, einen normalen Umgang miteinander zu pflegen. Dass man sich sagt:Das ist ein Mensch wie du und ich!»

Schnyder an Aberle:«Kam es vor, dass man dich geneckt hat, als du im Kinderdorf warst?»

Aberle:«Weiss ich gar nicht mehr recht.Etwas gab es da schon, doch ich erinnere mich nicht genau.»

Stuber:«Mich hat man auch gepiesackt,aus dem Sport ausgegrenzt…»

Lochmatter:«Das ist wohl überall so. Das war auch bei mir der Fall.»

Seiler zu Lochmatter:«Und jetzt bist du Schweizer Rekordhalter im Bogenschiessen?!»

Lochmatter:«Ja, jetzt ist es offiziell.»(Gratulationen von allen Seiten)

Seiler:«Genau das ist es. Wie wir jetztreden, uns unterhalten. Jetzt könnten wir eine Pizza bestellen und einfach eine, zwei Stunden diskutieren, und eswäre für alle Beteiligten das Normalste der Welt. Genau das ist es.»

Eine Utopie, eine Wunschvorstellung einer Gesellschaft ohne die ganzen Normen, ohne den andauernden Abgleich am «Normalen».Können Sie Ihre persönliche Utopie kurz in Worte fassen?

Stuber: «Frieden… einander akzeptieren. Verständnis… sowohl für mich wie auch für alle.»

Schnyder: «Zu meiner Utopie gehört ganz klar, dass Andersartigkeit als etwas Positives angesehen wird und dass man interessiert ist, den anderen Menschen kennenzulernen.»

Seiler: «Zeit. Ich arbeite viel mit Zeit.Susi, du sprichst von Verständnis. Verständnis für dich wie auch für andere.Um dieses Verständnis zu erlangen,brauchen wir Zeit. Und das ist eine Art Utopie. Es geht alles so schnell, es herrscht ein enormer Druck und ich weiss, dass es einem Menschen guttut,wenn er mit jemandem zusammen ist,der Zeit hat. Es ist das Wertvollste, was wir schenken oder bekommen können.»
Nathan Anthamatten (Text)
Alain Amherd (Bilder)

NICHTS ÜBER UNS, OHNE UNS

So lautete das Motto des Abends, der von Emera in Zusammenarbeit mit Atelier Manus, Schlosshotel Leuk, Fux campagna, MitMänsch Oberwallis sowie der HES-SO und dem Forum Handicap Valais am 3. Dezember organisiert wurde, am «internationalen Tag der Menschen mit Behinderung». Menschen mit Beeinträchtigungen wirkten von Anfang bis Schluss mit. Zum Beispiel bei der Ansage des Films oder bei der Organisation. Oder auch bei der gemütlichen Gesprächsrunde mit dem «Walliser Boten».
Dabei waren: Martina Schnyder (Geschäftsführerin Schlosshotel Leuk), Jenny Aberle (Mitarbeiterin SchlosshotelLeuk), Susi Stuber (Mitarbeiterin Fuxcampagna), Sven Lochmatter (Mitarbeiter Atelier Manus) und Roger Seiler (Leiter Berufliche Massnahmen Atelier Manus). Das Gespräch wird hier in konzentrierter Form wiedergegeben


Sven Lochmatter.Mitarbeiter Atelier Manus.

 


Martina Schnyder. Geschäftsführerin Schlosshotel Leuk.

 


Roger Seiler. Leiter Berufliche Massnahmen Atelier Manus

 


Jenny Aberle. Mitarbeiterin Schlosshotel Leuk.

 


Susi Stuber. Mitarbeiterin Fux campagna.

 

Das Fakultativprotokoll treibt die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention voran

(inclusion-handicap.ch)

Eine Motion verlangt, dass die Schweiz das Fakultativprotokoll zur UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) ratifiziert. Dies hätte insbesondere zur Folge, dass Personen mit Behinderungen bei einem Verstoss gegen die BRK mittels Individualbeschwerde an den UNO-Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen gelangen können. Inclusion Handicap unterstützt den Vorstoss: Das Fakultativprotokoll fördert die konsequente Umsetzung der BRK.

Die Schweiz ist noch weit weg von einer konsequenten Umsetzung der UNO-BRK, wie dies Inclusion Handicap im Schattenbericht ausführlich dargelegt hat. Die Ratifizierung des Fakultativprotokoll würde die Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderungen fördern. Betroffene, die einen Verstoss gegen die BRK geltend machen, könnten mittels Individualbeschwerde an den Ausschuss gelangen, nachdem sie den Schweizer Rechtsweg bis zur letzten innerstaatlichen Instanz (z.B. Bundesgericht) bestritten haben. Stellt der UNO-Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen einen Verstoss gegen die Konvention fest, erlässt er konkrete Empfehlungen. Der Staat wird verpflichtet, innerhalb von 6 Monaten Rechenschaft über die eingeleiteten Massnahmen abzulegen.

Das Fakultativprotokoll sieht keine inhaltliche Ausweitung der Rechte vor, die in der Konvention festgehalten ist, sondern hat lediglich prozessuale Folgen: Der Ausschuss würde zu einer letzten Instanz nach dem Schweizer Bundesgericht.
Vorgehen bewährt sich bei anderen Konventionen.

Dieses Vorgehen hat sich in der Schweiz bewährt; bei anderen UNO-Konventionen hat sie das Fakultativprotokoll ratifiziert, so z.B. bei denjenigen gegen Folter, zur Beseitigung der Rassendiskriminierung oder für die Rechte der Frauen sowie Kinder. Die Umsetzung der Rechte und die Gleichberechtigung konnten dadurch vorangetrieben werden. Und die Erfahrung zeigt ausserdem: Es ist mitnichten mit einer Beschwerdeflut zu rechnen.

Neben der Individualbeschwerde ist ausserdem das Untersuchungsverfahren Bestandteil des Fakultativprotokolls: Der Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen kann von sich aus aktiv werden, wenn in einem Vertragsstaat systematische oder schwerwiegende Verletzungen der Konvention nachgewiesen werden können.

Mehr Mitsprache für Behinderte

(Tages-Anzeiger)

Der Kanton Zürich intensiviert seine Bemühungen für Menschen mit Behinderung. Das Sozialamt hat mit der Behindertenkonferenz (BKZ) eine Vereinbarung unterzeichnet. Die Behindertenrechtskonvention der UNO verlangt, Menschen mit Behinderung bei Fragen und Prozessen,die sie betreffen, mit einzubeziehen. In Zürich geschieht das oft nur punktuell. Die BKZ entwickelt nun das Modell «Partizipation Kanton Zürich», um die Mitwirkung zu verstärken. (zac)

Kinderrente wird nicht angetastet

(Luzerner Zeitung)

Bern IV-Rentner sollen für ihrecKinder nicht weniger Geld erhalten. Der Nationalrat verzichtet darauf, die Kinderrenten um einen Viertel zu senken. Im Ständerat war eine Kürzung chancenlos gewesen. Am Dienstag ist der Nationalrat in neuer Zusammensetzung mit 134 zu 51 Stimmen bei 5 Enthaltungen dem Ständerat gefolgt.(chm)